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Full text of "Abhandlungen - Bayerische Akademie der Wissenschaften Philosophisch-Historische Klasse"

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http://archive.org/details/abhandlungenbaye10baye 


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ABHANDLUNGEN 


DER 


PHILOSOPHISCH-PHILOLOGISCHEN  CLASSE 


DER  KÖNIGLICH  BAYERISCHEN 


AKADEMIE  mn  WISSENSCHAFTEN. 


ZEHNTER  BAND. 

IN  DER  REIHE  DER  DENKSCHRIFTEN  DER  XXXIX.  BAND. 


UNCHEN, 

1866. 


VERLAG  DER  *^  AfciD^^^IE, 

IN  COMMISSION  BEI  G.  FRANZ. 


Druck  von  F.  Straub  in  München. 


As 


Inhalt  des  X.  Bandes. 


Seite 

Die  Syracusanischen  Stempelsclineider  Phrygillos,  Sosioii  und  Eumelos.  Ein  Beitrag 
zui"  Geschichte  der  giiechischen  Stempelschueidekunst.  Mit  einer  Tafel  Ab- 
büduDgen  von  Franz  Streber    .........         1 

Demosthenes'   Vertheidigung   des   Ktesiphon.     Ein   Beitrag   zum    Verständniss  des 

lieduers  von  Leonhard  Spengel         .         .         .         .         .         .         .         .27 

üeber   eine   gallische  Silbermünze  mit   dem   angeblichen  Bilde   eines  Druiden   von 

Franz  Strcher  .         .         .         .         .         .         .         .         .         .         .99 

Aus  den  Herculanischen  KoUen.   Philodemus  IIEPI EY2EBEIA2.    Yon  Leonhard 

Spengel    .  .         .         .  .  .  .  ,  .  .  .  .  .127 

Aristotelische  Studien.     I.  Nikomachische  Ethik.     Von  Leonhard  Spengel     .         .169 

Der  Periplus  des  Pontus  Euxinus.  Nach  Münchener  Handschriften.  (Mit  einer 
Karte.)  Ingleichen  der  Paraplus  von  Syrien  und  Palästina  und  der  Paraplus 
von  Armenien  (d«s  Mittelalters).     Von  Georg  Thomas        .         .         .         .221 

Die  Tesserae  gladiatoriae  der  Kömer  von  Friedrich  Ritschi  .         .         .         .291 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Antikensammlungen  Münchens  von   W.  Christ  .         .357 

lieber   die  wahre   und   bleibende   Bedeutung   der  Naturphilosophie  Schellings   von 

Hubert  Beckers        .         .         .         .         .  .         .         .         .         .         .401 

Ueber  die  Verfassung  und  Verwaltung  China's  unter  den  drei  ersten  Dynastien.    Von 

J.  H.  Plath    .         ..        .      ' "    .         .         .451 

Aristotelische  Studien.     II.  Endemische  Ethik,  Grosse  Ethik,  Politik.   Von  Leonhard 

Spengel    .............     59o 

Gesetz  und  Recht   im  alten  China   nach   chinesischen  Quellen.     Von  J.  H.  Plath     67:) 

Die  Könige  von  Tibet.     Von  E^nil  Schlagintweif        , 797 


Die 


Syracusanischen  Stempelsclmeider 


PMYGILLOS,  SOSION  und  EUMELOS, 


Ein  Beitrag  zur 

Gescliiclite  der  griecliischen  Stempelsclmeidekunst 


von 


Franz  Streber. 


Mit  einer  Tafel  Abbildungen. 


Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth. 


Die 

Syraciisanischeii  Stempelsclineider 

PHRYGILLOS,  SOSIOU  und  EÜMELOS. 

Ein  Beitrag  zur 
Geschichte  der  griechischen  Stempelschneidekimst 

von 

Franz  Streber. 

Gelesen  in  der  philos.  pliilog.  Classe  der  k.  b.  Akademie  der  Wissenschaften 

am  14.  Juni  1862. 

Unter  den  zahlreichen  grösseren  und  kleineren  Schriften,  womit 
Raoul-Rochette  das  Gebiet  der  Archäologie  in  manigfacher  Weise  berei- 
chert hat,  wird  seine  Abhandlung  über  die  griechischen  Stempelschneider 
für  alle  Zeiten  einen  ehrenvollen  Platz  einnehmen.  War  vor  ihm  nur 
ein  einziger  Name  bekannt,  der  mit  Sicherheit  einem  griechischen 
Stempelschneider  zugeschrieben  werden  dm^fte,  nämlich  der  auf  den 
Münzen  der  Stadt  Cydonia  in  Greta  genannte  NEYANT02,  und  war 
man  bis  dahin  einzig  nur  auf  die  Vermuthung  beschränkt,  dass  die 
Namen  anderer  Künstler  theils  durch  Monogramme  angedeutet,  theils 
in  den  mehr  oder  minder  vollständig  ausgeschriebenen  Eigennamen,  die 
man  als  Namen  von  Magistratspersonen  zu  deuten  pflegt,  enthalten 
seien,  so  ist  es  Herrn  Raoul-Rochette  gelungen,  bestimmte  Regeln  fest- 
zustellen, wonach  die  Zeichen  und  Namen  der  Künstler  von  denen  der 
Münzvorsteher  und  Magistrate  wenigstens  in  einzelnen  Fällen  unter- 
schieden werden  können;  und  wenn  für  die  Zukunft  in  einer  Kunst- 
geschichte diejenigen  Meister  nicht  mit  Stillschweigen  übergangen 
werden  wollen,  die  das  Schönste  und  Vollendeste  hervorgebracht  haben, 
was  die  Stein-  und  Stempelschneidekunst  aller  Jahrhunderte  zu  leisten 

1* 


im  Stande  war,  so  inuss  liiebei  die  dem  Umfange  nach  kleine,  dem 
Inhalte  nach  aber  reiche  Schrift:  ,, Lettre  ä  M.  le  Duc  de  Luynes  sur 
les  graveurs  des  monnaies  gi'ecques"  zu  Grunde  gelegt  werden.  Es  ist 
Herr  Raoiü - Rochette,  der  uns  in  Choikeon,  Euklides,  Eumenos, 
Evaenetos,  Kimon,  Kleudoros,  Philistion  und  Pro  kl  es  zuerst 
diejenigen  Künstler  vorgeführt  hat,  welche  die  schönsten  Münzen  von 
Grossgriechenland   und  Sicilien  geschnitten  haben. 

Bei  der  Schwierigkeit  des  Gegenstandes  jedoch  konnte,  zumal  erst 
eine  neue  Bahn  zu  brechen  war,  nicht  vermieden  werden,  dass  nicht 
hie  und  da  sich  ein  Irrthum  einschlich;  einzelne  bis  dahin  unbekannte 
Gepräge  Hessen  hoffen,  dass  etwaige  Zweifel  gelöst,  manche  Lücke 
ergänzt  werde.  Einen  Beitrag  hiezu  sollen  nachstehende  Mittheilungen 
liefern. 

L  / 

Raoul-Rochette  nennt  unter  den  Stempelschneidern  Siciliens  einen 
Nouklides^).  Er  glaubt  diesen  Namen  auf  zwei  Tetradrachmenstücken 
von  Syracus  gefunden  zu  haben,  welche  Torremuzza,  das  eine  aus  der 
Sanunlung  des  Aloysio  Maria  Gravina,  Priors  zu  S.  Calogero,  das  andere 
aus  dem  Museo  Lucchesi  zu  Girgenti,  in  Beschreibung  und  Abbildung 
mitgetheilt  hat. 

Die  Abbildung  des  ersten  Stückes  bei  Torremuzza,  Tab.  LXXIII. 
Fig.  3  zeigt  folgendes  Gepräge: 

Vorderseite:  2IPAK02IiiN  Frauenkopf  von  der  linken  Seite,  mit 
Ohrgehänge  und  ohne  Halsband;  die  Haare  auf  dem  Scheitel 
gekämmt,  über  der  Stirne  durch  eine  schmale  mit  den  Buchstaben 
NOY  gezierte  Binde,  am  Hinterkopfe  durch  ein  breites  Tuch 
zusammengehalten,  an  den  Schläfen  aber  in  wellenförmigen  Locken 
geordnet;  umgeben  von  vier  Delphinen. 
Rückseite:  Eine  jugendliche  Gestalt  von  der  linken  Seite  in  einem 
Wagen  stehend,  in  der  erhobenen  Rechten  den  Stimulus  in  die 
Höhe  haltend,  lenkt  vier  springende  Pferde,  von  denen  das  erste  und 
dritte  den  Kopf  etwas  rückwärts,  das  zweite  aufwärts,  das  vierte 
vorwärts  beugt,    lieber  den  Pferden,  dem  Wagenlenker  entgegen- 


1)  Raoul-Rochettc ,  Lettres  eur  les  graveurs,  pag.  29. 


schwebend,    eine  geflügelte  Nike  mit   einem   Kranze    in    beiden 
Händen.      Unter    den    Vorderfüssen    der  Pferde  AIJA.     Im    Ab- 
schnitte eine  Aehre.     Abbildung  Fig.   1. 
Auf  dem  zweiten  Exemplare  erblicken  wir  nach  der  bei  Torremuzza 
Tab.  LXXni.  Fig.  2     gegebenen    Zeichnung    nachstehende    Bilder    und 
Aufschriften  : 

Vorderseite:     Frauenkopf  von  der  linken   Seite  mit  Ohrringen  und 
Halskette;    die  Haare  ordnen  sich  in  wellenförmigen  Locken  an 
der  Stirne  und    den    Schläfen    rückwärts,   am  Hinterhaupte  auf- 
wärts;  umgeben  von  drei  Delphinen. 
Rückseite:     Eine  jugendliche  Gestalt  von  der  rechten  Seite  in  einem 
Wagen  stehend,    in  der  Rechten  die  Zügel,  in  der  ausgestreckten 
Linken    den  Stimulus  vorwärts  haltend,    lenkt  vier  Pferde,    von 
denen  drei  gleichmässig  vorwärts    springen  ,  während  das  vierte 
bereits  im  Laufe  innehält.    Ueber  den  Pferden,  dem  Wagenlenker 
entgegenschwebend,    eine  geflügelte    Nike  mit  einem   Kranze    in 
beiden    Händen.       Im    Abschnitte     ein    Seeungeheuer    von     der 
rechten  Seite,  daneben  JüOY. 
Wir  haben  sonach  zwei  verschiedene  Exemplare,  auf  welchen  neben 
dem    Namen    der    Stadt    noch    die   drei  Buchstaben    ]^0Y   vorkommen. 
Torremuzza    suchte   hierin  den  Namen   einer  Magistratsperson.     Da  nun 
auf  mehreren  Münzen    von    Syracus   sich    der   Name   EVMHNOY  findet 
und  zwar   theils  auf  der  Stirnbinde  des  Frauenkopfes  ^) ,    wie    auf    dem 
ersten,     theils    im  Felde   der    Münze   entweder    neben    dem  Kopfe    der 
Vorderseite^)  oder  unter   dem    Viergespanne    der   Rückseite"^),    wie  auf 
dem  zweiten  der  vorliegenden  Tetradrachmenstücke,  so  glaubte  er  den 
Namen  derselben  Magistratsperson  wieder  erkennen  und  die  drei  Buch- 
staben NOY  durch  EvfirjNOY  ergänzen  zu  sollen'*). 

Diese  Ergänzung  hat  nun  allerdings,  wie  ich  später  zu  zeigen 
hoffe,  soweit  sie  sich  auf  das  zweite  Exemplar  mit  dem  Seeungeheuer 
und    den    daneben     stehenden  Buchstaben  NOY  bezieht,     einige  Wahr- 


1)  Torremuzza,  Numi  vet  Sicil.  Tab.  LXXII.  Fig.  7.     Huiiter,  Tab.  52,  Fig.  XIV. 

2)  Torremuzza,  Tab.  LXXII.  Fig.  8  und  10. 

3)  Loc.  cit.  Tab.  LXXII.  Fig.  11. 

4)  Loc.  cit.  pag.  75. 


6 

scheiiiliclikeit  für  sich,  bei  dem  erstgenannten  Exemplare  jedocli  ist  sie 
mistatthaft,  denn  die  Bnclistaben  NOY  auf  der  Stirnbinde  des  Frauen- 
kopfos  biklen  nicht,  wie  hier  vorausgesetzt  wü-d,  die  End-,  sondern, 
wie  der  Augenschein  lehrt,  die  Anfangs-Buchstaben  eines  Namens. 

Letzteres  hat  Raoul-Rochette  richtig  erkannt.    Er  behauptet  daher 

1)  dass  in  den  auf  der  Stirnbinde  des  Frauenkopfes  angebrachten  drei 
Buchstaben    der    Name    eines    Stempelschneiders     angedeutet    sei    und 

2)  dass  uns  die  auf  der  Rückseite  des  nämlichen  Exemplares  befind- 
lichen Buchstaben  AIJA  das  Mittel  an  die  Hand  geben,  den  Namen 
des  Stempelschneiders  NOY  zu  ergänzen;  man  müsse  nämlich,  glaubt 
er,  die  Aufschrift  der  Vorderseite  mit  der  der  Rückseite  verbinden. 
Der  vollständige  Name  sei  NOYxAIJA.  ^)  Aber  auch  diese  Erklärung, 
so  annehmbar  sie  für  den  ersten  Augenblick  scheinen  mag ,  bedarf, 
weil  sie  sich  auf  Prämissen  stützt,  die  der  Sicherheit  entbehren,  einer 
näheren  Prüfung  oder  vielmehr  einer  Berichtigung. 

Die  Richtigkeit  zwar  des  ersten  Satzes,  dass  durch  die  drei  Buch- 
staben, welche  auf  der  Stirnbinde  des  Frauenkopfes  angebracht  sind, 
die  Anfangs-Buchstaben  des  Namens  eines  Stempelscheiders  angedeutet 
seien,  kann  nach  der  Analogie  mit  anderen  Geprägen  und  nach  den 
vielen  Belegen,  die  Raoul-Rochette  hiefür  vorgebracht  hat,  nicht  in 
Zweifel  gezogen  werden.  Aber  anders  verhält  es  sich  mit  dem  zweiten 
Satze,  denn  gegen  die  Annahme  als  ob  die  Buchstaben  NOY  auf  der 
Vorder-  und  AIJA  auf  der  Rückseite  zusammengehörten  und  sonach 
gelesen  werden  konnte  isOYxAlJA,  erheben  sich  grosse  Bedenken.  Es 
lässt  sich  liiefür  meines  Wissens  niclit  eine  einzige  Parallelstelle  an- 
führen. Wenn  Raoul-Rochette  bemerkt,  dass  Eigennamen  auf  Münzen 
von  Grossgriechenland  und  Sicilien  öfter  getrennt  und  sodann  auf  beide 
Seiten  des  Stempels  vertheilt  sind,  und  er  hiefür  als  Beleg  auf  die 
Münzen  von  Laos,  Agrigent  und  Abacaenum  hinweist,  deren  Legenden 
AAl-NO^,  AKPA-IA^,  ABAK-AINON  zur  Hälfte  die  Vorder-,  zur  Hälfte 
die  Rückseite  einnehmen  ^j,  so  ist  hiebei  mit  Unrecht  von  dem  Unter- 
schiede Umgang  genommen,  der  zwischen  Städte-  und  Personen-Namen 


1)  Haoul-Rooliotte,  Lettre,  i)ag.  29. 

■J.)  Itaoul-llochette,  loc.  cit.  pag.  29  Note  6. 


besteht.  Ist  eine  solche  Trennung  schon  bei  ersteren  eine  Seltenheit, 
so  war  sie  doch  noch  motivirt  insoferne  ja  auch  die  Typen,  wie  bei- 
spielweise der  Kopf  des  Zeus  und  der  Blitz  oder  Adler,  der  Kopf  des 
Apollo  und  die  Leier,  der  Kopf  des  Mercur  und  der  Caduceus  u.  s.  w., 
wenn  gleich  durch  die  Vorder-  und  Rückseite  der  Münze  getrennt, 
dennoch  ein  zusammengehöriges  Ganze  ausmachen.  Ein  solcher  Grund 
fällt  aber  bei  Personen-Namen  hinweg.  Die  Hinweisung  auf  eine  Münze 
von  Croton,  woselbst  der  Name  einer  Magistratsperson  ßO/.^ürOF  gleich- 
falls getrennt  und  zweigetheilt  geschrieben  ist,  nämlich  B0I2-K0Y,  ist 
darum  unstatthaft,  weil  hier  die  getrennten  Silben  nicht,  was  doch  im 
vorliegenden  Falle  allein  als  entscheidend  betrachtet  werden  könnte, 
die  eine  auf  der  Vorder-,  die  andere  auf  der  Rückseite  angebracht 
sind ,  sondern  beide  auf  der  einen  und  derselben  Seite  stehen  und  nur, 
was  übrigens  sehr  oft  wiederkehrt,  durch  das  Bild  der  Münze,  hier 
durch  den  Schwanz  des  Adlers,  von  einander  getrennt  sind. 

Zu  diesen  inneren  Gründen,  wonach  die  Richtigkeit  der  gegebenen 
Deutung  sehr  in  Frage  gestellt  werden  muss,  kommen  noch  äussere, 
die  ihr  vollends  jede  sichere  Basis  entziehen.  Die  Erklärung  Raoul- 
Rochette's  stützt  sich  nämlich  einzig  auf  die  in  dem  Werke  von  Tor- 
remuzza  gegebene  Abbildung  des  dereinst  im  Besitze  des  Priors  von 
S.  Calogero  befindlichen  Tetradrachmenstückes.  Ich  habe  aber  allen 
Grund  die  Abbildung  gerade  dieser  Münze  für  ungenau  zu  halten  und 
anzunehmen,  dass  die  als  Schmuck  der  Stirnbinde  angebrachten  Buch- 
staben NOY   auf  dem  Originale  selbst  gar  nicht  vorhanden  sind. 

Ein  solcher  Ausspruch  klingt  nun  allerdings  hart  und  von  Seite 
desjenigen,  der  das  Original  nicht  selbst  vor  sich  hat,  mehr  als  zuver- 
sichtlich, zumal  die  Zeichnungen  de  Bella's,  —  wenn  sie  auch  den 
Charakter  der  Originale  nicht  getreu  wiedergeben  und  aus  denselben 
namentlich  der  Stjl  und  die  künstlerische  Vollendung  der  einzelnen 
Gepräge  in  keiner  Weise  wieder  erkannt  werden  können,  im  Allgemeinen 
dennoch  den  Anforderungen  der  Billigkeit  entsprechen,  und  der  Heraus- 
geber des  grossen,  auch  jetzt  noch  verdienstlichen  Werkes:  ,,Siciliae 
populorum  et  urbium  regum  quoque  et  tyrannorum  veteres  nummi  Sara- 
cenorum  epocham  antecedentes",  der  doch  die  Münze,  die  er  beschreibt, 
sicherlich  selbst  vor  Augen  gehabt  hat,  einer  flüchtigen  Behandlung  seines 


8 

Stoffes  und  einer  Ungenauigkeit  in  seinen  Forschungen  nicht  beschuldiget 
werden  kann:  aber  wenn  das  Original  gerade  an  der  Stelle,  die  hier 
niaasgebend  erscheint,  minder  gut  erhalten  ist,  wie  leicht  konnte  da, 
sei  es  von  dem  Zeichner,  sei  es  von  dem  Herausgeber,  ohne  dass  wir 
desshalb  den  Verdiensten  des  einen  oder  der  Umsicht  des  anderen  zu 
nahe  treten,  was  in  der  That  undeutlich  war  als  deutlich  wiedergegeben 
und  so  bei  der  Verwechslung  auch  nur  eines  einzigen  Buchstaben  ein 
Ergebniss  festgestellt  werden,  welches,  weil  unrichtig  in  den  Prämissen, 
nothwendig  auch  eine  unrichtige  Schlussfolgerung  nach  sich  ziehen  musste. 
Es  wird  sich  nur  darum  handeln,  ob  diess  wirklich  der  Fall  ist, 
ob  de  Bella  und  Torremuzza  in  der  That  ein  Exemplar  vor  sich  hatten, 
welches  nicht  vollständig  gut  erhalten  war,  und  gegebenen  Falls,  welche 
von  den  Buchstaben,  ob  alle  drei,  ob  zwei  oder  nur  einer  derselben 
ganz  oder  theilweise  verwischt  gewesen. 

Ich  habe  nun  schon  bei  einer  anderen  Gelegenheit  ^)  darauf  auf- 
merksam gemacht,  dass  die  Münchener  Sammlung  ein  Tetradrachmen- 
stück besitzt,  welches  bei  der  vorliegenden  Frage  ein  entscheidendes 
Gewicht  in  die  Wagschale  legt.  Dasselbe  ist  geeignet,  jeden  Zweifel 
hierüber  zu  lösen.  Ich  stelle  desshalb  auf  der  anhangenden  Tafel  beide 
Exemplare,  das  bei  Torremuzza  abgebildete  und  das  in  der  Münchener 
Sammlung  befindliche,  zur  Vergleichung  nebeneinander.  Letzteres  zeigt 
nachstehende  Typen  und  Aufschriften: 

Vorderseite:     2I0N  Frauenkopf    von    der    linken    Seite 

mit  Ohrgehänge  und  ohne  Halsband,  die  Haare  auf  dem  Scheitel 
ffekämmt,  über  der  Stirne  durch  eine  schmale  mit  den  Buchstaben 
(j)Pr  gezierte  Binde,  am  Hinterkopfe  durch  ein  breites  (netz- 
förmiges) Tuch  zusammengehalten,  an  den  Schläfen  aber  in 
grossen,  wellenförmigen  Locken  geordnet,  umgeben  von  vier 
Delphinen,  einer  auf  der  Vorder-,  die  drei  anderen  auf  der 
Rückseite  des  Kopfes. 
Rückseite:  Eine  jugendliche  Gestalt  von  der  linken  Seite  in 
einem  Wagen  stehend,  in  der  Linken  die  Zügel,  in  der  erhobenen 
Rechten  den  Stimulus  in  die  Höhe  haltend,  lenkt  vier  springende 


1)  Kunstblatt.     Jahrgang  1832.  S.  163. 


Pferde ,  von  denen  das  erste  und  dritte  den  Kopf  etwas  rückwärts, 
das  zweite  aufwärts,  das  vierte  vorwärts  beugt.    Ueber  den  Pfer- 
den,   dem  Wagenlenker  entgegensch webend,   eine  geflügelte  Nike 
mit    einem    Kranze   in  beiden  Händen.      Unter  den  Vorderfüssen 
der  Pferde  ....  IJA.     Im  Abschnitte  eine  Aehre.      Gew.  17,  15 
Grm.  Abbildung  Fig.   2. 
Vergleichen  wir  beide  Exemplare,  das  Münchener  und  das  bei  Tor- 
remuzza   abgebildete,    miteinander,    so    ist,    insoweit    aus    der  den  Styl 
und    Charakter    nicht   genau    wiedergebenden   Zeichnung   de   Bella's    ein 
Schluss    gezogen   werden   kann,     die    Uebereinstimmung   beider    eine  so 
auffallende,  dass  wir  unzweifelhaft  zu   der  Behauptung  berechtiget  sind, 
beide  seien  Ausjjrägungen  des  einen   und  desselben  Stempels.     Das  gilt 
namentlich,    worauf  es  hier   vor  Allem  ankommt,    von    dem  Bilde  der 
Vorderseite.     Nicht  zu  reden  von  dem  von  anderen  ähnlichen  Geprägen 
etwas  abweichenden  Profile  des  Frauenkopfes,  worüber  wir  aus  den  an- 
gegebenen Gründen   zwischen    unserem  Originale   und  der  Zeichnung  de 
Bella's   nicht  wohl  eine  Vergleichung  anstellen  können;    die  Anordnung 
der  Haare  auf  dem  Scheitel  des  Hauptes,  die  zierliche  Form  der  wellen- 
artigen Locken    an    den    Schläfen,    die    Gestalt    des    einfachen    mit   drei 
Buchstaben   geschmückten   Bandes    über    der   Stirne,    die   Rundung  des 
Tuches,  welches  den  reichen  Haarwuchs  am  Hinterkopfe  zusammenfasst, 
die  schmalen  Bänder,  womit  dieses  Tuch  selbst  wieder  unterbunden  ist, 
das  Ohr  mit  den  anhangenden  Ohrringen,  das  hier  nicht  wie  bei  vielen 
anderen  Frauenköpfen  auf  den  Tetradrachmen  derselben  Stadt  ganz  oder 
theilweise    von     dem    Schmucke    der  Haare    zugedeckt    wird,     sondern 
unter  jenen  wellenförmigen  Locken  und  zwischen  der  Stirn-  und  Nacken- 
binde frei  hervortritt,   endlich  selbst  die  eigenthümliche  Anordnung  der 
vier  den  Frauenkopf  umgebenden  Delphine,   —  ich  sage :  eigenthümlich, 
denn  wir  finden  nicht  etwa,  wie  es  zuweilen  vorkömmt  ^),  deren  drei  auf  der 
Vorder-  und  einen  auf  der  Hinterseite  des  Frauenkopfes,  oder  wie  dies  öfter 
der  Fall  ist  ''^),  je  zwei  an  der  Vorder-  und  zwei  an  der  Rückseite,  oder  end- 
lich wie  es  am  häufigsten  wiederkehrt^),  je  zwei  vor  dem  Gesichte,  den 


1)  Torremuzza,  Tab.  LXXIII.     Fig.  12. 

2)  Torremuzza,  Tab.  LXXII.     Fig.  8,  10,  11.     LXXIII.  Fig.  7,  8,  17.     Tab.  LXXIV.  Fig.  2,  6. 

3)  Torremuzza,  Tab.  LXXII.    Fig.  1—4,  6,  7,  9,  11.  Tab.  LXXII.  Fig.  4,  5,  13., 
Abb.  d.  I.  Cl.  d.k.  Ak.d.  Wies.  X.Bd.  I.  Abth.  2 


10 

dritten  neben  dem  Hinterhaupte  und  den  vierten  unter  dem  Halse,  sondern 
auf  unseren  Exemplaren  ist,  abweichend  von  allen  übrigen,  der  eine  Delphin 
vor  dem  Frauenkopfo  angebracht,  während  die  drei  anderen,  und  zwar  alle 
drei  einer  gleichen  Richtung  folgend  und  unmittelbar  hintereinander 
gestellt,  ihren  Platz  auf  der  entgegengesetzten  Seite  gefunden  haben  — 
alle  diese  charakteristischen  Merkmale  des  Münchener  und  des  von  Tor- 
remuzza  mitgetheilten  Exemplars  stimmen  so  genau  miteinander  überein, 
dass  wir  dasselbe  nothwendig  auch  von  den  drei  Buchstaben,  womit 
hier  und  dort  das  Stirnband  des  Kopfes  geziert  ist,  annehmen  müssen. 
Da  nun  diese  Buchstaben  auf  dem  Münchener  Exemplare  vollkommen 
deutlich  sind,  so  nehme  ich  keinen  Anstand  zu  behaupten,  dass  auf 
dem  von  Torremuzza  mitgetheilten  Exemplare  nur  der  dritte  Buchstabe 
gut  erhalten,  der  zweite  dagegen  theilweise,  der  erste  ganz  verwischt 
ist,  und  daher  auf  demselben  nicht  NOY  sondern  gleichfalls  dfpy  gelesen 
werden  müsse  ^),  Hiemit  fällt  aber  alles  was  für  die  Existenz  eines  grie- 
chischen Stempelschneiders  Nouklides  vorgebracht  werden  kann,  hinweg. 
Raoul-Rochette  gedenkt  zwar  noch  eines  zweiten  Exemplars,  das  er 
einem  Künstler  Nouklides  zuschreiben  zu  müssen  glaubt.  Er  verweist 
nämlich  auf  ein  bei  Torremuzza  Tab.  LXXHI.  Fig.  2  abgebildetes  Tetra- 
drachmenstück mit  den  nämlichen  dem  Stirnbande  eines  Frauenkopfes 
eingezeichneten  drei  Buchstaben  NOY  ^).  Wäre  diese  Hinweisung  richtig, 
so  läge  noch  immerhin  einiger  Grund  vor  für  die  Annahme  eines 
Stempelschneiders  NOY,  dessen  Name  wenigstens  möglicher  Weise  mit 
Nouklides  ergänzt  werden  könnte;  allein  der  sonst  so  gründliche  und 
vorsichtige  Archäologe  hat  sich  hier  eine  Ungenauigkeit  zu  Schulden 
kommen   lassen,    zu   der  er  offenbar   nur   durch   den  Umstand  verleitet 


1)  Wir  sind  zu  einer  solchen  Annahme,  wenn  es  noch  eines  weiteren  Beweises  bedürfte,  um 
80  mehr  lierechtiget,  als  die  Zeichnungen  bei  Torremuzza  auch  sonst  manche  Ungenauig- 
keiten  darbieten.  Ich  mache  beispielweise  nur  darauf  aufmerksam,  dass,  offenbar  unrichtig, 
nicht  nur  auf  dem  vorliegenden  Tetradrachmenstücke,  sondern  auch  auf  einigen  anderen 
Münzen  der  Name  der  Stadt  2:iPAK0ZIilN  mit  1  geschrieben  ist.  Ebenso  muss  Tab.  X. 
Fig.  4  und  Tab.  LXXV.  Fig.  5  statt  EYAO  und  YAIN  sicherlich  EYJS  gelesen  werden. 

2)  Le  nom  de  Nouclides  est  grave  precisement  de  la  meme  maniere  que  celui  de  Sosis,  c'est 
ä  savoir,  les  trois  initiales  NüY  sw  le  devant  du  bandeau  de  la  meme  tele,  teile  que  nous 
l'offrent  deux  medailles  du  receuil  de  Torremuzza  iab.  LXXIII.  n.  2  et  3.  Raoul-Rochette, 
loc.  cit.  p.  29, 


11 

wurde,  dass  Torremuzza  irrthümlicli  die  beiden  Exemplare  des  Priors 
von  S.  Calogero  und  des  Museums  Lucchesi  wegen  der  vermeintlich 
gleichlautenden  Aufschrift  svfirjNOY  zusammengestellt  hatte.  Das  hier 
von  Raoul-Rochette  citirte  zweite  Exemplar  ist  nämlich  kein  anderes 
als  das  von  Torremuzza  aus  der  Lucchesischen  Sammlung  zu  Girgenti 
in  Abbildung  mitgetheilte  und  von  uns  bereits  Eingangs  beschriebene 
Tetradrachmenstück  mit  den  drei  auf  der  Rückseite  unmittelbar  neben 
dem  Seeungeheuer  angebrachten  Buchstaben  NOY.  Von  einer  Inschrift 
auf  der  Stirnbinde  des  Frauenkopfs  ist  hier  keine  Spur  vorhanden  und 
kann  eine  solche  um  so  weniger  gesucht  werden,  als  der  besagte  Frauen- 
kopf mit  einer  Stirnbinde  überhaupt  gar  nicht  vorgestellt  ist.  Hiemit 
ändert  sich  aber  der  Sachverhalt  wesentlich ;  denn  wenn  auch  immer- 
hin zugegeben,  ja  geradezu  behauptet  werden  darf,  dass  sich  die  neben 
dem  Seeungeheuer  angebrachten  Zeichen  auf  den  Namen  eines  Stempel- 
schneiders beziehen,  was  nöthigt  uns  denn,  vorausgesetzt,  dass  die  Buch- 
staben auf  dem  Originale  selbst  ganz  deutlich  sind,  in  denselben  gerade 
die  Anfangs  und  nicht  vielmehr  die  End-Buchstaben  eines  Eigennamens 
zu  erkennen?  Konnte  nicht  Torremuzza  richtig  gesehen  haben,  wenn 
er  annahm  die  ersten  Buchstaben  dieses  Namens  seien  entweder  durch 
Abnützung  verwischt  worden  oder,  da  sie  ihren  Platz  nur  am  äusser- 
sten  Rande  der  Münze  gefunden  hatten,  schon  beim  Ausprägen  gar  nicht 
zum  Vorschein  gekommen,  und  demnach,  eingedenk,  dass  auf  den 
Münzen  von  Syracus  der  Name  Eumenos  öfter  wiederkehrt,  die  mangel- 
hafte Schrift  mit  sviiriNOY  ergänzt  hat?  Allerdings  müsste  in  diesem 
Falle  vorausgesetzt  werden,  dass  der  Stempelschneider,  da  das  Seethier 
und  die  Buchstaben  NOY  auf  gleicher  Linie  nebeneinander  stehen,  das 
Wort  EYMHNOY  in  zwei  Zeilen,  die  ersten  vier  Buchstaben  unter,  die 
drei  letzten  neben  dem  Seethiere,  erstere  sonach  in  eine  untere,  letztere 
in  eine  obere  Linie  gesetzt  und  EYMHNOY  geschrieben  habe,  allein  das 
ist  auch  auf  anderen  Exemplaren,  auf  welchen  Eumenos  genannt  ist, 
wirklich  der  Fall.  Die  Münchener  Sammlung  besitzt  ein  Tetradrachmen- 
stück mit  der  Aufschrift  EYME^OY  (sie),  ein  ähnliches  Exemplar  mit 
der  Aufschrift    EYMHNOY  (sie),  hat  Raoul-Rochette  ^)  in  Abbildung  mit- 


1)  Lettre  ä  M.  le  Duo  de  Luynes,  PI.  II.  Fig.  13. 


12 

«etheilt.  Gesetzt  aber  auch,  die  Aufschrift  NOY  enthalte  nicht  die 
Ende-,  sondern  die  Anfangsbuchstaben  eines  Eigennamens,  was  berech- 
tiget uns  denn,  diese  drei  Zeichen,  da  sie,  als  Anfangs-Buchstaben  eines 
Namens  auf  einem  anderen  syracusanischen  Exemplare  als  dem  vorlie- 
genden ,  wenigstens  meines  Wissens ,  gar  nicht  mehr  vorkommen ,  mit 
Nouklides,  wofür  uns  gar  kein  Anhaltspunkt  gegeben  ist,  zu  ergänzen? 
Gewiss,  Raoul-Rochette  selbst  hätte,  wenn  er  nicht  durch  die  ungenaue 
Zeichnung  des  erstgenannten  Tetradrachmenstückes  irre  geleitet  worden 
wäre,  weder  die  Buchstabon  NOY  auf  dem  zweiten  Stücke  mit  Nouklides 
ergänzt  noch  diesen  Namen  überhaupt  in  das  Verzeichniss  der  Stempel- 
schueider  Siciliens  aufgenommen. 

Doch  lassen  wir  die  Deutung  der  Buchstaben  NOY  ganz  dahin  ge- 
stellt, jedenfalls  tritt  uns  nunmehr  an  ihrer  Statt  in  den  Buchstaben 
(DPY,  womit  das  Stirnband  des  Frauenkopfes  auf  dem  erstgenannten 
Tetradrachmenstücke  geschmückt  ist,  der  Name  eines  bisher  unbekannten 
syracusanischen  Graveurs  entgegen,  und  es  kann  nur  noch  die  Frage 
entstehen,  ob  uns  nicht  die  Möglichkeit  gegeben  ist,  diese  Anfangssilbe 
des  Eigennamens  zu  ergänzen. 

Dass  es  unthunlich  sei  die  Buchstaben  der  Vorderseite  mit  denen 
der  Rückseite  zu  verbinden  und  demzufolge  nach  dem  Vorgange  Raoul- 
Rochette'  s  etwa  zu  lesen  <pPYxAIJA,  ist  bereits  erwähnt  worden.  Wir 
haben  vielmehr  auf  den  beiden  Seiten  zwei  verschiedene  Namen  vor  uns, 
d.  h.  an  unserer  Medaille  haben  zwei  verschiedene  Künstler,  der  eine 
die  Vorder-,  der  andere  die  Rückseite  gearbeitet,  ein  Vorkommniss  wovon 
sich  auf  sicilianischen  Münzen  mehrere  Beispiele  finden,  sei  es,  dass  zwei 
Künstler  von  Anfang  an  an  derselben  Medaille  gemeinschaftlich  arbei- 
teten ,  oder  dass  ein  jüngerer  Graveur  den  bereits  vorhandenen  Stempel 
eines  älteren  Kunstgenossen  benützte,  und  nur  entweder  die  Vorder- 
oder die  Rückseite  neu  gravirte. 

Wir  müssen  demnach  die  Aufschrift  <t>PY  in  anderer  Weise  ergänzen, 
und  da  kömmt  uns  ein  in  neuerer  Zeit  für  das  Münchener  Kabinet 
acquirirtes  Stück  von  nachstehendem  Gepräge  zu  Hilfe. 

Vorderseite:  2Y-PAK-02-1-0N  Frauenkopf  von  der  linken  Seite, 
die  Haare  auf  dem  Scheitel  abwärts  gekämmt,  an  den  Schläfen 
dagegen   in  grossen    wellenförmigen    Locken   rückwärts   und   am 


Hinterhaupte  aufwärts  gerichtet,  mit  einer  Aehre  als  Haarkranz  und 
einer  Kornblume  (?)  über  der  Stirne,  mit  schlangenartigen  Ohrringen, 
und  einem  schmalen,  vornan  mit  einer  Frucht  (?)  geschmückten 
Halsbande,    umgeben  von  vier  Delphinen;  unten    'bPYriAA, 

Rückseite:     Eine  jugendliche  Gestalt  mit  Flügeln  an  den  Schultern 
von  der  rechten  Seite,  in  einem  Wagen  stehend,  mit  der  Rechten 
die  Zügel  zurückziehend,  mit  der  vorgestreckten  Linken  sie  nach- 
lassend, lenkt  vier  gleichmässig  sj^ringende  Pferde.      Ueber  letz- 
teren, dem  Wagenlenker  entgegenschwebend,  die  geflügelte  Nike,  in 
der  ausgestreckten  Rechten  einen  Kranz,  in  der  gesenkten  Linken  (?). 
Im   Abschnitte    zwischen   einem    Delphine    und    den    Buchstaben 
EY&  die  Scylla  von  der  rechten  Seite,  in  der  Linken  den  über  die 
Schulter   gelehnten  Dreizack ,    die    Rechte   vorwärts    gegen    einen 
Fisch  ausgestreckt.     Gew.   17,02   Grm.  Abbildung  Fig.  3. 
Das  nämliche  Tetradrachmenstück  mit  dem  vollständig  ausgeschrie- 
benen Namen  des  Stempelschneiders  Phrygillos  findet  sich  auch  im  brit- 
tischen    Museum.       Leake    hält   dasselbe    für    das    Werk    eines    Stempel- 
schneiders Cjrillus  und  gibt  hievon  nachstehende  Beschreibung:^) 
Female  heade  to  1. ;  in  the  hear  ears  of  corn  and  a  fruit  of  poppy ; 
in    front    of    necklace    an    oval  fruit  or  pearl;    below   the    neck 
KYPIAA    (Cyrillus ,    artist's    name) ;    around ,    between    the    four 
dolphins  and  the  head,   2YPAK02I0N. 
R.     Quadriga  to  r. ;  winged  charioteer,  crowned  by  Victory,  flying 
to  1. ;    in    exergue  Scylla  to  r. ;     stretching   forth   right  hand    to- 
wards  fish;  above  which  dolphin  and  EYQ   (artist's  name). 
Vergleichen  wir  jedoch  diese  Beschreibung  mit  dem  Exemplare   der 
Münchener  Sammlung,  so  liegt  der  Grund  der  scheinbaren  Verschieden- 
heit nur  in  der   minder   guten  Erhaltung   des  Originals    des    brittischen 
Museums.    Sicherlich  muss  auch  auf  diesem  (PPYFIAA  statt  KYPIAA  ge- 
lesen werden,  "^ 

Angesichts  dieser  beiden  Exemplare  kann  ein  Zweifel  darüber,  wie 
die  drei  Buchstaben,  welche  auf  dem  erstgenannten  Vierdrachmenstücke 


1)  Leake,  Numismata  hellenica ,  Insular  Greece,  pag.  73. 


14 

als  Scliinuck  der  Stirnbinde  angebracht  sind,  zu  deuten  seien,  fernerhin 
nicht  mehr  bestehen.  Wir  haben  zwei  Münzen  die,  wie  Typen  und 
Aufschrift  bezeugen,  in  derselben  Stadt,  und  wie  der  Fabrik  und  dem 
Style  nach  geurtheilt  werden  muss,  ohngefähr  zu  derselben  Zeit 
geschlagen  sind,  die  eine  mit  den  Anfangsbuchstaben  <t>pr,  die  andere 
mit  dem  vollständigen  Namen  (pPYriAAO:^.  Beide  ergänzen  sich  gegen- 
seitig. Der  Umstand,  dass  auf  dem  einen  Exemplare  die  Buchstaben  «PPY 
gleichsam  versteckt  und  dem  Auge  des  nicht  sorgfältigen  Beobachters 
entzogen,  der  Stirnbinde  des  Frauenkopfes  eingezeichnet  sind,  berech- 
tiget uns  zu  der  Annahme,  dass  der  auf  dem  anderen  Exemplare  voll- 
ständig ausgeschriebene  Name  (l>PYriAAO^  nicht  einer  Magistratsperson, 
sondern  gleichfalls  einem  Stempelsclmeider  angehöre,  und  wieder  umge- 
kehrt überhebt  uns  der  vollständig  ausgeschriebene  Name  des  zweiten 
Exemplars  jeden  Zweifels  wie  die  drei  Buchstaben  auf  der  Stirnbinde 
zu  ergänzen  seien.  Die  Verschiedenheit  der  Ausdrucksweise  schliesst 
keinen  Widerspruch  in  sich;  sie  ist  die  nämliche,  die  wir  auch  von 
anderen  Stempelschneidern  Siciliens  angewendet  finden,  wenn  z.  B. 
Evaenetos  seinen  Namen  bald  mit  den  Anfangsbuchstaben,  bald  voll- 
ständig ausgeschrieben,  das  eine  Mal  mit  ganz  kleinen  kaum  bemerk- 
baren Buchstaben  auf  einem  Täfelchen,  das  andere  Mal  mit  deutlichen 
Buchstaben  im  Felde  der  Münze  angebracht  hat. 

Nähere  Nachrichten  über  diesen  Phrygillos  fehlen  uns  gänzlich, 
er  muss  aber  zur  selben  Zeit  gelebt  haben,  wie  die  übrigen  bisher 
bekannten  Künstler,  welche  die  schönen  Medaillen  von  Syracus  und 
Catana  geschnitten  haben,  nämlich  Kimon,  Euklides,  Evaenetos  und 
Eumenos.  Hiefür  spricht  schon  das  Stylgefühl  überhaupt  und  die 
Vergleichung  der  einzelnen  von  den  genannten  Künstlern  vorliegenden 
Arbeiten  insbesondere.  Diese  Annahme  findet  aber  auch  ihre  Bestätigung 
in  positiven  Gründen.     Wir  entnehmen  sie  aus  den  Münzen  selbst. 

Die  Vorstellung  auf  der  Rückseite  des  vorliegenden  zweiten  Exem- 
plars, auf  welchem  der  Name  (l>PYriAA02  vollständig  ausgeschrieben 
erscheint,  ist  dadurch  bemerkenswerth ,  dass  der  Wagenlenker  mit  Flü- 
geln an  den  Schultern  gebildet  und  im  Abschnitte  die  Scylla  zwischen 
zwei  Fischen  vorgestellt  ist.  Raoul-Rochette  glaubt  in  diesem  Stempel, 
da  neben    der  Scylla    noch    die  Buchstaben   EY&   angebracht  sind,    die 


15 

Arbeit  eines  Künstlers  Euthymos  erkennen  zu  sollen.  Ob  mit  Grund 
oder  nicht  können  wir  dahin  gestellt  sein  lassen ;  genug,  derselbe  Revers, 
der  hier  mit  einem  von  Phrygillos  gravirten  Averse  in  Verbin- 
dung gebracht  ist,  kehrt  auf  einer  Medaille,  deren  Vorderseite  Eumenos 
geschnitten  hat,  wieder^).  Wir  schliessen  hieraus,  dass  Phrjgillos,  wenn 
nicht  gleichzeitig,  doch  jedenfalls  nahezu  zur  selben  Zeit  gelebt  hat,  wie 
Eumenos.  Eumenos  wird  aber  wieder,  wie  Raoul - Rochette  nach- 
gewiesen hat^),  gleichzeitig  genannt  mit  Evaenetos,  Kimon  und 
Euklide s.  Ja,  wenn  nicht  Alles  täuscht,  so  liefert  selbst  das  erste  von 
uns  beschriebene  Stück  den  Beweis ,  dass  Phrygillos,  wie  mit  Euthymos 
so  auch  gemeinschaftlich  mit  Euklides  gearbeitet  habe;  denn  die  auf 
der  Rückseite  unter  den  Füssen  der  Pferde  befindlichen  Buchstaben  ija 
oder  wie  Torremuzza  gelesen  hat,  AIJA  bilden  offenbar  nicht  den  Anfang, 
sondern  das  Ende  eines  Eigennamens.  Dies  lehrt  der  Augenschein. 
Hinter  dem  Buchstaben  A  ist  kein  Raum  mehr  für  eine  weitere  Schrift. 
Soll  aber  der  Anfang  der  Aufschrift  ergänzt  werden,  so  kann  es  nur 
durch  einen  Eigennamen  geschehen,  der  erstens  auf  ides  oder  lides 
endet  i^nd  zweitens  vollständig  ausgeschrieben  nicht  mehr  als  sieben 
oder  acht  Buchstaben  umfasst;  denn  da  diesem  Namen  der  Platz  unter 
den  Vorderfüssen  der  Pferde  angewiesen  ist,  und  wir  mit  Sicherheit 
annehmen  dürfen,  dass  der  Stempelschneider  den  Anfang  der  Schrift 
nicht  über  die  Eüsse  des  vordersten  Pferdes  hinausgerückt,  sondern  in 
ein  wohlbemessenes  Verhältniss  zu  der  Anordnung  des  Gesammtbildes 
gebracht  habe,  so  können  auf  unserem  Exemplare  nicht  mehr  als  vier 
oder  fünf  Buchstaben  verwischt  sein.  Der  Name  EYKAEUA  würde  den 
Raum  in  entsprechender  Weise  ausfüllen.  Endlich  war  Euklides ,  wenn 
nicht  der  vorzüglichste,  jedenfalls  einer  der  vorzüglichsten  Stemjiel- 
schneider  in  Syracus.  Die  Frauenköpfe,  denen  er  entweder  auf  einem 
Theile  des  Kopfschmuckes,  der  Opistosphendone,  oder  dem  Helme, 
oder  auf  einer  gesonderten  Rolle  oder  endlich  auf  einem  Diptychon 
in  feinen,  für  ein  unbewaffnetes  Auge  kaum  sichtbaren  Linien  seinen 
Namen    beigeschrieben,     sind    das    Zierlichste     und    Anmuthigste     und 


1)  Torremuzza,    Tab.  LXXII    8  und   10.    Mionnet  nr.  744  und  747.     Raoul-Rochette   Lettre, 
PI.  II.  Fig.  16. 

2)  Lettre  ä  M.  le  duc  de  Luynes,  p.  20  et  24. 


16 

in  künstlerisclier  Beziehung  Vollendeste,  was  vielleicht  jemals  mit  dem 
Grabstichel  ist  gearbeitet  worden.  Aber  auch  die  Rückseite  unseres 
Kxemi)lares ,  die  Anordnung  des  Ganzen,  die  Zeichnung  der  Pferde,  die 
Lebendigkeit  ilirer  Bewegung,  die  Manigfaltigkeit  ihrer  Stellung,  die 
Feinheit  der  Ausführung,  ist  das  Werk  eines  ausgezeichneten  Künstlers. 
Es  wäre  des  Euklides  vollkommen  würdig.  Von  demselben  Stempel- 
schneider ist  unstreitig  auch  die  Rückseite  der  bei  Torremuzza,  Aucta- 
rium,  Tab.  I.  Fig.  3  abgebildeten  silbernen  Medaille,  und  des  Gold- 
stückes, wovon  uns  derselbe  Verfasser  Tab.  LXIX.  Fig.  2  eine  Abbil- 
dung gibt. 

II. 

Einen  zweiten   bisher  unbekannten  Stempelschneider  nennt  uns  ein 

Tetradrachmenstück  der  Münchener  Sammlung  von  nachstehendem  Gepräge: 

Vorderseite:     2 YPAK0-2W-N.     Ein  von  vier  Delphinen  umgebener 

Frauenkopf  von  der  linken  Seite,  mit  Stirnbinde,  worauf    ^ü^I, 

ÜN 
und  mit  schlangenförmigen  Ohrringen,  die  Haare  auf  dem  Üsheitei 

gekämmt,    unter    der    Stirnbinde    und    an  den  Schläfen   ;■  i.    zwei 
Reihen  übereinander  wellenförmig  gelockt,  am  Hinterhaupte  auf- 
wärts  gebunden,    mit   doppeltem    Halsschmucke,     nämlich    einer 
dünnen  Schnur    mit   anhangender  Frucht  (?)   und  darunter  einer 
Kette  von  Perlen. 
Rückseite:     Eine  jugendliche  Gestalt  von  der  linken  Seite  in  einem 
Wagen   stehend,   mit   der  Linken    die  Zügel   anziehend,    mit   der 
vorgestreckten    Rechten    den    Stimulus    haltend   und   zugleich  die 
Zügel  nachlassend,  lenkt  vier  springende  Pferde,  von  denen  drei 
den  Kopf  in  gleicher  Höhe  halten,  das  vierte  aber  denselben  etwas 
senkt.     Ueber  den  Pferden,  dem  Wagenlenker  entgegenschwebend, 
eine  geflügelte  Nike  mit  einem  langen  Zweige  in  beiden  Händen. 
Gew.   17,285   Grm.     Abbildung  Fig.  4. 
Eine  ähnliche  Münze    scheint  Raoul-Rochette   vor  Augen  gehabt  zu 
haben,  als  er  den  Namen  Sosis  in  das  Verzeichniss  der  Syracusanischen 
Stempelschneider  eintrugt).     Er  beschreibt  zwar  die  Münze  selbst  nicht 


1)     Raoul-Rochette,  Lettre,  p.  28. 


17 

näher,  sondern  verweist  nur  auf  Noehden,  a  selection  of  ancient  coins, 
führt  aber  an,  dass  auf  dem  Vordertheile  des  Diadems,  womit  der  P'rauen- 
kopf  einer  Sjracusanischen  Münze  geschmückt  ist,  die  drei  Buchstaben 
2Si2  zu  lesen  seien  ^).  Leider  habe  ich  von  dem  citirten  Werke  nur 
die  zwei  ersten  Hefte  zur  Hand,  bin  daher  nicht  in  der  Lage  die  da- 
selbst gegebene  Beschreibung  und  Abbildung  vergleichen  zu  können; 
allein  nach  den  Mittheilungen  Raoul-ßochettes  und  nach  den  Bemerk- 
ungen ,  die  er  beifügt ,  muss  ich  wohl  annehmen ,  dass  es  von  dieser 
Münze  zweierlei  Stempel  gibt,  die  zwar  im  Wesentlichen  übereinstimmen, 
in  Einzelnheiten  aber  von  einander  abweichen,  dass  sonach  der  Stempel, 
den  ich  hier  zur  Vorlage  bringe,  unedirt  sei.  Noehden  liest  nämlich, 
wie  Raoul-Rochette  bemerkt,  auf  dem  Stirnbande  des  Frauenkopfes  nur 
die  zwei  Buchstaben  2Si,  Raoul - Rochette  dagegen  behauptet,  dass  die 
beigefügte  Abbildung  deutlich  noch  einen  dritten  Buchstaben,  nämlich:«', 
erkennen  lasse  und  dieser  Buchstabe  unter  den  beiden  ersteren  ange- 
bracht sei-).  Ist  diese  Angabe  genau,  so  stimmen  zwar  das  Noehden' sehe 
und  das  Münchener  Exemplar  erstens  bezüglich  der  beiden  Anfangsbuchstaben 
2Si,  und  zweitens  Betreffs  der  Anordnung  der  Legende  in  zwei  Linien 
untereinander,  sonach  in  zwei  wesentlichen  Merkmalen  überein,  sie 
unterscheiden  sich  aber  dadurch  von  einander,  dass  dort  unter  den 
Buchstaben  ^ii,  also  in  der  zweiten  Linie,  der  Buchstabe  2  erscheint, 
während  hier  die  untere  Zeile  durch  die  zwei  ganz  deutlichen  Buch- 
staben SiN  gebildet  wird  und  für  einen  Buchstaben  2'  gar  kein  Raum 
mehr  übrig  bleibt. 

Raoul-Rochette  glaubt,  dass  der  nämliche  Name  in  den  Buchstaben 
2Q,  welche  auf  anderen  Syracusanischen  Geprägen  im  Felde  der  Münze 
neben  dem  Bilde  der  bogenspannenden  Diana  angebracht  sind,  wieder- 
kehre ,  und  ergänzt  diese  beiden  Buchstaben :  2^212,  wie  mir  jedoch 
scheint,  beides  ohne  hiefür  einen  irgendwie  überzeugenden  Grund  bei- 
zubringen, denn  was  die  hier  erwähnten  Syracusanischen  Münzen  mit 
dem   Bilde   der   Diana  anbelangt,    so   müssen   wir,    da    diese    einer  ganz 


1)  Le  nom  de  Sosis  se  lit,    exprime    par   les  trois  initiales,  £Sl£ ,   sur  la  partie  anterienre  du 
diademe  dont  est  coiffee  une  Tete  de  femine.     Raoul-Rochette,  loc.  cit. 

2)  Xoehden  n'a  lu  que  les  deux  lettres  iSi,  quoique  sa  graveure  offre  bien  distiuctement  une 
lettre  de  plus,  £,  au  dessous  des  deux  premieres.     Raoul-Rochette,   loc.  cit.  p.  28.  Note  1. 

Adh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  1.  Abth.  3 


18 

anderen  nnd  zwar  viel  jüngeren  Zeit  angehören  als  unsere  Tetradrachmen, 
die  Buchstaben  lii  aber  selbstverständlich  in  sehr  verschiedener  Weise 
ergänzt  werden  können,  gänzlich  dahingestellt  sein  lassen,  ob  sie  von  einem 
o-leichnamiyen  Künstler  «ravirt  sind  oder  nicht,  was  aber  die  Leerende  2Si2I2 
betrifft,  so  bringt  Raoul-Rochette  auch  hiefür  keinen  anderen  Grund, 
als  dass  der  Name  Sosis  unter  den  Griechen  Siciliens  öfter  vorkomme, 
dass  sich  ein  Syracusaner  dieses  Namens  beim  Aufstande  gegen  Hiero- 
nymus  besonders  hervorgethan ,  derselbe  Name  endlich  sich  auf  einer 
Syracusanischen  Münze  mit  dem  Bildnisse  Gelos  oder  vielmehr,  wie 
neuere  Forschungen  ergeben  ^)  mit  dem  Portraite,  des  Agathokles,  voll- 
ständig ausgeschrieben  findet. 

Unser  Exemplar  enthebt  uns ,  zunächst  bezüglich  der  Endsilbe  des 
fraglichen  Namens ,  der  blossen  Vermuthungen.  In  der  oberen  Zeile 
steht  ganz  deutlich  2£i2,  in  der  unteren  unterscheiden  wir  eben  so 
deutlich  und  selbst  dem  unbewaffneten  Auge  erkenntlich  die  beiden 
Buchstaben  iJiV,  nicht  mehr  und  nicht  weniger.  Von  einem  2ii2I2,  der 
die  Stempel  der  vorliegenden  Münzen  geschnitten  hätte ,  kann  daher 
nicht  weiter  mehr  die  Rede  sein.  Nur  darüber  könnte  möglicher  Weise 
noch  ein  Zweifel  entstehen ,  ob  die  erste  Zeile  nur  aus  den  erwähnten 
drei  Buchstaben  2^2  bestehe,  oder  ob  auf  dieselben  ursprünglich  noch 
ein  vierter  und  welcher?  gefolgt  sei,  ob  demnach  2Q2-iiN  zu  lesen  oder 
nach  dem  zweiten  2,  noch  ein  Buchstabe  einzuschieben  sei.  Eine  ganz 
sichere  Lösung  dieser  Frage  wird  nun  allerdings,  da  in  der  ersten  Zeile, 
wie  gesagt,  nur  drei  Buchstaben  ganz  deutlich  sind,  so  lange  ver- 
schoben werden  müssen ,  bis  ein  anderes ,  besser  erhaltenes  Exemplar 
des  nämlichen  oder  eines  verwandten  Stempels  zum  Vorschein  kömmt; 
wenn  wir  jedoch  einerseits  die  Gestalt  der  Stirnbinde,  der  die  Buch- 
staben eingezeichnet  sind,  andrerseits  die  Art  und  Weise,  wie  die  Buch- 
staben auf  derselben  vertheilt  wurden,  näher  in's  Auge  fassen,  so  ist 
offenbar  nicht  blos  für  einen  vierten,  wenn  auch  schmalen  Buchstaben  noch 
hinlänglich  Platz  vorhanden , '  sondern  es  erscheint  sogar  unwahrschein- 
lich, dass  der  Stempelschneider  den  zwischen  dem  dritten  Buchstaben 
und    den  über    den  Schläfen    aufsteigenden    Locken    befindlichen  Raum, 


\)  (JiuH,   Hornano,  Iconografia  nurnism.  dei  Tiranni  di  Siracusa.     Palermo  1858. 


19 

der  ohngefähr  den  vierten  Theil  der  Stirnbinde ,  soweit  diese  zwischen 
den  Haaren  sichtbar  ist,  einnimmt,  sollte  leer  gelassen  haben.  So 
viel  ich  zu  unterscheiden  vermag,  zeigt  sich  auf  dem  Originale  selbst 
noch  die  Spur  eines  vierten  schmalen  Buchstabens,  Ich  lese  daher, 
wie  bereits  Noehden  aus  mir  unbekannten  Gründen  —  Raoul-Rochette 
sagt:  nach  blosser  Conjectur  —  gethan  hat,   ^üII-iiN. 

Der  Name  Sosion  hat  nichts  Befremdendes.  Er  kömmt  auch 
anderwärts,  beispielweise  auf  den  Münzen  von  Dyrrhachium  vor  ^).  Dass 
aber  in  demselben  auf  unserem  Denkmale  der  Name  des  Stempelschnei- 
ders zu  erkennen  sei ,  wird  nach  den  von  Raoul-Rochette  über  diesen 
Gegenstand  vorgelegten  Erörterungen  ohnehin  Niemand  mehr  in  Zweifel 
ziehen.  Wenn  Sosion  seinen  Namen  auf  die  Stirnbinde  des  Frauenkopfes 
gesetzt  hat ,  so  folgte  er  hierin  nur  dem  BeisjDiele  des  Stempelschneiders 
Kimon'^)  und  des  oben  erwähnten  Phrygillos;  und  wenn  er  den- 
selben in  zwei  Zeilen  theilte,   so  haben  Euklides^)  und  Evaenetos*) 

das  Gleiche  gethan,  jener,  indem  er  EYKA,    dieser,    indem    er    EYAIN, 

EIJA  ETO 

zwar  nicht  auf  die  Stirnbinde  eines  Frauenkopfes    aber  auf  ein  länglich 

viereckiges  Täfelchen  schrieb.      Wenn  Sosion    endlich  seinen  Namen  der 

Stirnbinde    anstatt,    wie    Kimon,    in  Einer  fortlaufenden  Linie    vielmehr 

in  zwei  und  zwar  ungleich  langen  Zeilen,  nämlich  2ii2l,  d.  i.  vierBuch- 

SiN 
Stäben  in  der  ersten  und  zwei    in  der  zweiten  Zeile  eingeschrieben  hat, 

eine  Raumvertheilung ,    die  zunächst  durch  die  künstlerische  Anordnung 

der    über   der    Stirne   und   den  Schläfen    w^ellenförmig    gelockten  Haare 

motivirt  war :   so  steht  unser  Stempel  auch  hierin  nicht  als  vereinzeltes 

Beispiel  da.     Der  Stempelschneider  Eumenos  hat  auf  einer  bei  Torre- 

muzza  ^)  und  Hunter  ^)   abgebildeten  Medaille  von  Syracus  seinen  Namen 

ganz  in  derselben  Weise,  nämlich  EYMH  d.  i.    vier    Buchstaben    in    der 

NOY 


1)  Mionnet.  Snppl.  Tom.  III,  p.  351.  n.  297,  p.  352,  n.  308. 

2)  Torremuzza,  Tab.  LXXII,  Fig.  2  et  5. 

3)  Hunter.  Tab.  52,  Fig.  XVIT.     Baoul-Rochette,  Tab.  I,  Fig.  2. 
4J  Hunter,  Tab.  53,  Fig.  III.     Raoul-Kochette,  Tab.  I,  Fig.  6. 

5)  Torremuzza,  Tab.  LXXII,  Fig.  7 

6)  Hunter,  Tab.  52,  Fig.  XIV. 


20 

ersten  und  drei  in  der  zweiten  Zeile  auf  der  Stirnbinde  des  Frauen- 
koi)fes  angebracht.  Icli  betone  diese  anscheinend  kleinlichen  Be- 
merkungen ,  weil  sie  uns  zugleich  belehren ,  dass  S  o  s  i  o  n ,  was  übri- 
gens schon  die  Anordnung  der  Bilder,  der  Styl  der  Zeichnung,  die 
Form  der  Buchstaben,  die  Behandlung  des  Reliefs,  kurz  die  ganze 
Beschaffenheit  der  Münze  erkennen  lässt,  ein  Zeitgenosse  des  Eumenos, 
mithin  auch  des  Phrygillos,  Kinion,  Evaenetos,  Euklides  und 
E  u  t  h  y  m  o  s  gewesen  sei. 


III. 

Den  vorstehenden  Mittheilungen  glaube  ich  noch  die  Beschreibung 
nachstehender  in  der  Münchener  Sammlung  befindlichen  Syracusanischen 
Silbermünze  beifügen  zu  sollen. 

Vorderseite:  ^YPAKO^ION.  Ein  von  vier  Delphinen  umgebener 
Frauenkopf  von  der  linken  Seite  mit  schlangenförmigen  Ohr- 
ringen und  einer  Halsschnur ,  an  deren  Ende  eine  Furcht  (?) ; 
die  Haare  auf  dem  Scheitel  gekämmt,  über  der  Stirne  mit  einer 
schmalen,  am  Hinterhaui^te  mit  einer  etwas  breiteren  Binde  zu- 
sammengehalten, an  den  Schläfen  aber  in  wellenförmigen  Locken 
geordnet.  Im  Felde  der  Münze,  hinter  dem  Kopfe,  EYMHAOY. 
Rückseite:  Eine  jugendliche  Gestalt  von  der  linken  Seite,  mit 
Helm  auf  dem  Haupte  und  Köcher  an  der  Schulter,  in  einem 
Wagen  stehend,  mit  der  Linken  die  Zügel  anziehend,  mit  der 
vorgestreckten  Rechten  dieselben  nachlassend,  lenkt  vier  gleich- 
massig  sj)ringende  Pferde,  von  denen  drei  den  Kopf  in  gleicher 
Höhe  halten,  das  vierte  aber  denselben  etwas  abwärts  senkt. 
Ueber  den  Pferden,  dem  Wagenlenker  entgegenschwebend,  eine 
geflügelte  Nike  mit  einem  langen  Zweige  in  beiden  Händen. 
Gew.  12,562  Grm.  Abbildung  Fig.  5. 
Ich  habe  zwar  dieser  Münze  schon  an  einem  anderen  Orte^),  wenn 
auch   damals    nur    im  Vorbeigehen,    gedacht,    sie  scheint  mir  aber,    wir 


\)  Kunsthlatt  1822,  Xr.  42.  S.  1G2. 


21 

mögen  nun  unser  Augenmerk  zunächst  nur  auf  die  Aufschriften  oder 
auf  die  künstlerische  Behandlung  der  Typen  richten,  so  eigenthümlich 
und,  wenn  wir  sie  mit  verwandten  Stempeln  vergleichen ,  von  denselben 
so  sehr  abweichend  und  mit  ihnen  dennoch  wieder  so  übereinstimmend 
dass  es  wohl  gerechtfertiget  scheint,  wenn  ich  auf  dieselbe  nochmal  und 
zwar  etwas  ausführlicher  zurückkomme. 

Was  an  dieser  Münze  Jeden ,  der  sich  näher  mit  den  schönen 
Stempeln  von  Sjracus  und  ihren  vielen  Varietäten  vertraut  gemacht 
hat ,  zuerst  befremden  muss ,  ist  der  im  Felde  hinter  dem  Frauenkopfe 
angebrachte  Name  EYMHAOY.  Dieser  Name  kömmt  nämlich  meines 
Wissens  auf  einer  anderen  Sjracusanischen  Münze  nicht  mehr  vor. 
Dagegen  gibt  es  aber  eine  so  bedeutende  Anzahl  von  Tetradrachmen 
derselben  Stadt ,  auf  denen  der  Name  des  Künstlers  E  u  m  e  n  o  s ,  und 
zwar  in  sehr  verschiedener  Weise,  bald  auf  der  Vorder-  bald  auf  der 
Rückseite,  bald  auf  beiden  Seiten  zugleich,  entweder  durch  die  Anfangs- 
buchstaben angedeutet  oder  auch  vollständig  ausgeschrieben,  in  letzterem 
Falle  bald  mit  H,  bald  mit  E  erscheint,  dass  man  unwillkührlich  auf 
die  Vermuthung  gebracht  wird,  auch  auf  dem  vorliegenden  Exemplare 
müsse  EYMHNOY  statt  EYMHAOY  gelesen  werden. 

Diese  Vermuthung  dürfte  sich  für  den  flüchtigen  Beobachter  nahezu 
zur  Gewissheit  steigern,  wenn  er  unsere  Zeichnung  mit  dem  bei  Hunter, 
Tab.  53 ,  Fig.  1  abgebildeten  Exemplare  vergleicht.  Dort  wie  hier  der 
Name  der  Stadt  über  dem  Frauenkopfe  im  Halbkreise,  der  Name  des 
Künstlers  hinter  dem  Kopfe  gradlinig,  jener  mit  0,  dieser  mit  H  ge- 
schrieben; dort  wie  hier  der  Frauenkopf  in  gleicher  Weise  ge- 
schmückt, die  Haare  über  jder  Stirne  durch  eine  schmale,  am  Hinter- 
haupte durch  eine  etwas  breitere  Binde  [zusammengehalten ;  dort  wie 
hier  die  gleiche  Anordnung  der  vier  Delphine,  zwei  derselben,  einander 
entgegengestellt,  vor  dem  Gesichte,  der  dritte  unter  dem  Halse,  der 
vierte  neben  dem  Hinterhaupte ;  kurz  zwischen  beiden  eine  auffallende 
Uebereinstimmung.  Auf  dem  Hunter'  sehen  Exemplare  steht  aber  nicht 
EYMHAOY   sondern  ganz  deutlich  EYMHNOY. 

Nichts  desto  weniger  müssen  wir  die  Annahme  als  ob  auch  unser 
Exemplar  für  eine  Arbeit  des  Stempelscheiders  Eumenos  zu  halten 
wäre,  als  unstatthaft  zurückweisen.    Fürs  Erste  ist  die  Schrift  desselben 


•)•) 


mit  einziger  Ausnahme  des  ersten  Buchstabens  desjenigen  Namens,  in 
welchem  wir  den  des  Künstlers  zu  suchen  haben,  vollkommen  gut 
erhalten  und  so  rein  und  scharf  ausgeprägt,  dass  auch  an  irgend 
eine  Fälschung  gar  nicht  gedacht  werden  kann.  Das  gilt  namentlich 
von  dem  Buchstaben  A.  Dieser  kann  mit  i\'  gar  nicht  verwechselt 
werden.  Auf  unserem  Exemplare  steht  deutlich  nicht  EYMHNOY  son- 
dern EYMHAOY.  Zweitens  ist  die  Uebereinstimmung  beider  Exemplare, 
wenn  wir  auf  einen  näheren  Vergleich  eingehen,  doch  nicht  so  gross, 
dass  wir  dadurch  zu  der  Annahme  bestimmt  werden  könnten,  unsere 
Münze  müsste,  w^eil  auf  der  Hunter' sehen  der  Stempelschneider  Eumenos 
genannt  ist,  gleichfalls  von  Eumenos  und  nicht  vielmehr  von  einem 
bisher  unbekannten  Künstler  Eumelos  gravirt  sein.  Ich  will  hier, 
da  an  den  Sjracusanischen  Medaillen  häufig  zwei  Künstler  gearbeitet 
haben ,  gar  kein  Gewicht  darauf  legen  ,  dass  die  Rückseite  der 
Hunter'  sehen  Medaille  von  der  des  Münchener  Exemplars  ganz  ver- 
schieden ist  —  der  Wagenlenker  erscheint  dort  mit  unbedecktem 
Haupte,  hier  mit  dem  Helme;  dort  treibt  er  mit  der  Gerte  in  der 
erhobenen  Rechten  die  Pferde  vorwärts,  hier  hält  er  in  der  vorge- 
streckten Rechten  die  Zügel;  dort  haben  alle  vier  Pferde  den  Kopf  in 
gleicher  Höhe,  hier  erscheint  das  äusserste  Pferd  mit  gesenktem  Ko2)fe; 
dort  steht  unter  der  Quadriga  der  Name  des  Graveurs,  hier  ist  der 
entsprechende  Raum  leer  gelassen,  —  betrachten  wir  die  Vorderseite 
für  sich  allein ,  richten  wir ,  da  die  feineren  Unterschiede  der  Gesichts- 
bildung und  der  Behandlung  der  Haare  doch  nur  an  den  Originalen 
selbst  geprüft  werden  können,  unser  Augenmerk  auf  die  Nebentjpen 
und  vergleichen  wir  einerseits  die  schlanke  Gestalt  der  sich  krümmenden 
Delj)hine,  die  dünne,  kleine  und  ganz  ungleich  behandelte  Schrift 
namentlich  in  dem  Worte  2YPAK02I0N,  die  wechselnde  Höhe  der  ein- 
zelnen Buchstaben,  die  unregelmässige  Entfernung  derselben  von  ein- 
ander auf  dem  Münchener  Exemplare;  andrerseits  die  breiten  und  nur 
wenig  gekrümmten  Delphine  auf  der  Hunter'  scheu  Medaille  und  die 
grossen,  schönen  und  regelmässigen  Schriftzüge  daselbst,  wonach  alle 
einzelnen  Buchstaben  gleich  hoch  und  gleich  weit  von  einander  entfernt 
erscheinen:  so  liegt  in  der  künstlerischen  Behandlung  dieser  beiden 
Stempel   fürwahr    kein    Grund,    geschweige    eine    Nöthigung,    in    beiden 


23 

Arbeiten  die  Hand  desselben  Meisters  zu  erkennen.  Endlich  haben  sich 
von  Eumenos  noch  so  viele  Stempel,  namentlich  von  verschiedenen 
mit  aller  Sorgfalt  durchgeführten  Frauenköpfen  erhalten,  dass  der  auf- 
merksame Beobachter  wohl  in  den  Stand  gesetzt  wird,  seine  Erzeugnisse 
von  den  Arbeiten ,  zwar  nicht  aller  aber  doch  solcher  Künstler  zu 
unterscheiden ,  die  in  Bezug  auf  feinen  Geschmack  und  technische  Ge- 
schicklichkeit weit  hinter  ihm  zurückstanden.  Von  seinen  schönen  und 
regelmässigen  Buchstaben  war  bereits  die  Rede.  Er  wusste  sie,  um 
den  gegebenen  Raum  in  entsprechender  Weise  auszufüllen ,  stets  in 
geschickter  Weise  zwischen  den  Nebentypen  einzufügen.  Seine  Frauen- 
köpfe treten  immer  in  starkem  Relief  hervor.  Die  Augenbraunen  wölben 
sich  in  feiner  Bogenlinie.  Der  Mund  ist  wie  zu  freundlichem  Lächeln 
halb  geöffnet.  Vor  Allem  aber  ist  es  die  künstlerische  Anordnung  des 
Haupthaares  und  der  üppigen,  zuweilen  von  einem  reich  verzierten 
Tuche  umschlungenen,  zumeist  ohne  sichtbares  Band  in  schönen  Wellen- 
linien sich  begegnenden  Locken,  worin  er,  manchmal  selbst  bis  zur 
Manierirtheit ,  seine  Meisterschaft  zu  zeigen  suchte.  Wie  ganz  anders 
erscheint  dagegen  die  künstlerische  Behandlung  des  Frauenkopfes  auf 
der  mit  dem  Namen  EYMHy/OY  bezeichneten  Medaille.  Das  flach  gehal- 
tene Relief,  die  bereits  erwähnte  Ungleichheit  der  Schriftzeichen,  die 
dürftige  Anordnung  des  durch  ein  schmales  Band  zusammengehaltenen 
Haarschmuckes,  die  dünnen  Locken  über  den  Schläfen,  die  parallel 
nebeneinander  gestellten  Haare  am  Hinterhaupte,  die  langgezogenen 
Augenbraunen ,  die  scharf  geschlitzten  Augenlieder ,  die  nahezu  gerad- 
linige Oberlippe !  Sollten  wir  hierin  ein  Werk  des  Eumenos  erkennen  ? 
Möglich,  ja,  wenn  wir  das  Hunter'sche  Exemplar  in  Vergleichung  ziehen, 
sogar  wahrscheinlich,  dass  der  Stempelschneider  unserer  Münze  ein 
Werk  des  Eumenos  vor  Augen  hatte  und  dasselbe  so  gut  er  vermochte 
nachzubilden  suchte,  aber  der  Frauenkopf  unserer  Münze  ist  nimmer- 
mehr eine  Arbeit  des  kunstreichen  Eumenos. 

Wir  sind  daher  vollkommen  berechtigt,  neben  Eumenos  noch  einen 
Eumelos  in  das  Verzeichniss  der  sicilianischen  Stempelschneider  ein- 
zutragen. Er  mag  einer  etwas  jüngeren  Zeit  angehören  wie  Eumenos, 
kann  aber  doch  nicht  sehr  viel  später  gelebt  haben ,  theils  weil  er  den 
Namen   2YPAK02I0N  noch  mit   0  statt  mit  ii  schreibt,    theils  weil  die 


24 

Sitte    der    Künstler   ihren  Namen   vollständig   auf  die  Münze    zu    setzen 
bald  %vieder  ausser  Gebrauch  kam. 

Was  das  Bild  der  Rückseite  betrifft,  beschränke  ich  mich  auf  die 
Bemerkung ,  dass  ein  Wagenlenker  mit  dem  Helme  auf  dem  Koj^fe  nicht 
zu  den  oft  wiederkehrenden  Darstellungen  gehört.  Einen  ähnlichen 
Tjpus  finden  wir  jedoch  auf  einer  Silbermünze  von  Camarina.  Die 
Gruppirung  der  Pferde  zwar  ist  verschieden,  auch  hält  die  geflügelte 
Nike  daselbst  zwei  Kränze  statt  des  langen  Zweiges,  der  Wagenlenker 
aber  erscheint  genau  wie  auf  unserer  Münze.  Den  Helm  mit  dem 
Helmbusche  auf  dem  Kopfe  und  den  Köcher  an  der  Schulter  zieht  er 
mit  der  Linken  die  Zügel  straff  an,  um  das  im  inneren  Kreise  der 
Bahn  laufende  Pferd  etwas  zurückzuhalten,  während  er  mit  der  vorge- 
streckten Rechten  den  Zügel  nachlässt,  um  dem  äussersten  Pferde  freien 
Lauf  zu  geben.  Noehden  ^)  glaubt  in  dieser  Gestalt  die  personificirte 
Stadt  Camarina  erkennen  zu  sollen,  ob  mit  Grund,  müssen  wir  dahin- 
gestellt sein  lassen. 


Blicken  wir  nochmal  auf  die  vorstehenden  Untersuchungen  zurück, 
so  ergibt  sich: 

1)  dass  für  die  Zukunft  die  Namen  Nouklides,  Kyrillos 
und  Sosis  aus  dem  Verzeichnisse  der  Syracusanischen  Stem- 
pelschneider zu  streichen  und  an  ihrer  Stelle  Phrjgillos, 
Sosion  und  Eumelos  einzusetzen  seien; 

2)  dass  diese  gleichzeitig  mit  Euklides,  Eumenos,  Euthjmos, 
Evaenetos  und  Kimon  gelebt  und  gewirkt. 

Es  ist  das  dieselbe  Zeit,  in  der  eine  Aenderung  in  der  Form  der 
griechischen  Schriftzeichen  vor  sich  ging  und  sich  die  Buchstaben  £i 
und  H  allmählig  Eingang  verschafften.  Die  fraglichen  Münzen  selbst 
liefern  uns  hiefür  die  Belege.  Auf  den  hier  vorgelegten  Stempeln  des 
Phrjgillos ,  Sosion  und  Eumelos  ist  der  Name  der  Stadt  noch  in  der 
älteren  Weise,  nämlich    2YFAK02I0N  mit  0  geschrieben.     Eben  so  auf 


1;  Noehden,  Selection  of  aiicient  coins,  p.  13,  Plate  3. 


25 

mehreren  Tetradraclimen ,  die  Eumenos  gravirt  hat  ^) ,  während  hin- 
wieder auf  anderen  Medaillen,  die  aus  der  Hand  des  nämlichen 
Eumenos  hervorgingen,  deutlich  2YPAK0^ISiN  mit  n  zu  lesen  ist 2). 
Der  Name  des  Eumenos  selbst  ist  auf  einem  Exemplare  der  Münchener 
Sammlung^)  EYMENOY  mit  £,  gewöhnlich  aber  EYMHNOY  mit  H, 
geschrieben.  Wenn  die  Zeichnung  bei  Torremuzza,  Tab.  LXXII,  Fig.  6, 
woran  wir  zu  zweifeln  keinen  genügenden  Grund  haben,  genau  ist, 
so  erscheint  sein  Name  in  beiden  Schreibweisen,  sogar  auf  der  einen 
und  derselben  Münze,  auf  der  Vorderseite  EYMENOY,  auf  der  Rück- 
seite EYMHNOY.  Auf  den  Medaillen  der  Stempelschneider  Kimon  und 
Evaenetos  finden  wir  bereits  regelmässig  die  Schreibweise  2TPAK0IISiN 
und  KATANAIiiN  mit  dem  jüngeren  Si. 


1)  Vgl.  Hunter,  Tab,  53,  Fig.  I  et  V.     Raoul-Rochette,  loc.  cit.  PI.  II.  Fig.  15. 

2)  Vgl.  Raoul-Rochette,  loc.  cit.  PI.  II,  Fig.  11,  13,  14. 
8)  Auch  bei  Torremuzza,  Tab.  LXXII,  Fig.  8. 


Abh.  d.  T.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth. 


Demosthenes 

Vertheidigung  des  Ktesiphon. 


Ein  Beitrag  zum  Verständniss  des  Redners 

von 

Leonhard  Spengel. 


Vorgetragen  in  der  Sitzung  der  philos.-ijhilol.  Classe  vom  4.  Januar  1862. 


Demosthenes 

Vertheidigung   des   Ktesiphoii. 

Ein  Beitrag  zum  Verständniss  des  Redners 

von 

Leonhard  Spengel. 


Demosthenes  Rede  über  die  Krone,  dem  Namen  nach  eine  Verthei- 
digung  des  von  Aeschines  angeklagten  Ktesiphon,  der  That  nach  eine 
Verherrlichung  seiner  selbst  und  seiner  gesammten  politischen  Thätigkeit, 
ist  anerkannt  auch  die  Krone  aller  seiner  Reden.  Der  Eindruck  der- 
selben ist  nicht  bloss  bei  der  ersten  Leetüre,  er  ist  auch  bei  wieder- 
holtem Lesen  ein  überwältigender;  wie  gross  musste  dieser  in  jenen 
aufgeregten  Zeiten  aus  dem  Munde  des  Redners  selbst  auf  seine  Zuhörer 
sein?  Die  Erzählung,  Aeschines  habe  den  Rhodiern  bemerkt:  d^av^id^sTs 
7t(Sg  rJTTrjfjbai,  xa^o  ovx  rjxovöazs  v/iisTg  tov  ^tjqCov  sxsivov,  wenn  Sie  auch  nur 
eine  Sage  ist,  drückt  die  hinreissende  Gewalt  seines  Gegners  deutlich 
genug  aus,^)  und  stimmt  mit  dem  überein,  was  er  in  der  Klage  selbst 
sagt  §.   174,  jener  sei  ösn'dg  Uysiv,    seine  Reden  seien  l6yoi  xaloL 

Hätten  wir  diese  Vertheidigung  allein,  nicht  zugleich  auch  die  Klage 
des  Aeschines,  die  Aeusserungen  des  Demosthenes  in  den  übrigen  Reden, 
viele  mehr  oder  weniger  eingehende  Bemerkungen  späterer,  so  müssten 
wir  jede  Angabe  unsers  Redners  gläubig  hinnehmen,  und  es  wäre  nicht 
erlaubt,  einen  Zweifel  über  irgend  eine  Thatsache  auch  nur  leise  geltend 
zu  machen ;  der  Mangel  richtiger  Schlussfolge  würde  kaum  hier  oder 
dort  einiges  Bedenken  erregen.     Man  hat  das  lange  genug   gethan    und 


1)  Vgl.  Schäfer  II,  448. 


30 

darf  sich  nicht  wundern.  Die  Rede  genügt  sich  selbst,  sie  braucht  und 
will  nichts  anderes,  ist  vollendet  und  gerundet,  das  hohe  Selbstgefühl 
des  Sprechenden,  die  feste  Zuversicht  auf  seine  gerechte  Sache  und  den 
Sieg,  die  Verachtung,  mit  welcher  er  den  Gegner  behandelt,  so  weg- 
werfend, dass  man  an  ihn  nicht  weiter  denkt,  die  Politik  im  reinsten 
und  erhabensten  Geiste  aufgefasst,  um  die  eindringende  Fremdherrschaft 
von  Hellas  abzuwehren,  das  Alles  macht,  dass  man  der  Bewunderung 
voll  ist,  und  Anderes  ausser  der  Rede  mehr  eine  Störung  des  Gesammt- 
eindruckes  als  ein  Erforderniss  scheint. 

In  neuerer  Zeit  hat  man  nicht  versäumt,  auch  das  übrige  mit  in 
den  Kreis  zu  ziehen,  jedoch  fast  nur  um  auf  Kosten  des  Gegners  etwaige 
Blossen  des  Redners  zu  decken  und  ihn  noch  mehr  zu  verherrlichen. 
Der  glückliche  Ausgang  des  Processes,  welcher  dem  Kläger  nicht  einmal 
den  geforderten  Theil  Stimmen  gewährte  und  ihn  in  die  Strafe  eines 
böswilligen  Calumnianten  verurtheilte,  der  unbestechliche  nie  ermüdende 
Eifer  für  das  Wohl  seines  Volkes,  sein  Hass  gegen  makedonische  Despotie, 
endlich  sein  edler  Tod  für  die  Freiheit,  alles  dieses  in  Verbindung  mit 
der  ausgezeichneten  Beredtsamkeit  schien  ihn  nicht  bloss  zum  Märtyrer, 
sondern  auch  zum  Heiligen  zu  erheben,^)  und  so  durfte  keine  Makel  an 
dem  was  er  that  und  sprach,  hängen  bleiben,  jeder  Ausspruch  galt  als 
eine  Weissagung,  und  da  attische  Redner  so  gerne  übertreiben,  so  war 
es  nicht  schwer,  den  Gegner  noch  mehr  zu  brandmarken  und  schwärzer 
zu  malen,  als  Demosthenes  selbst  gethan  hat. 

Es  mag  frevelhaft  scheinen,  diese  Bewunderung  unangenehm  zu 
stören  und  mit  kaltem  Verstände  an  dem  herrlichen  Kunstwerke  zu 
mäkeln ;  vielfacher  Widerspruch  und  Verdammniss  wird  nicht  ausbleiben, 
aber  mancher  falsche  Glaube  ist  gefallen,  manche  Ansicht  der  Einsicht 
gewichen ;  Aufgabe  der  Philologie  ist,  die  grossen  ehrwürdigen  Gestalten 
des  Alterthums  wie  nicht  zu  erniedrigen,  so  auch  nicht  über  Gebühr 
erhöhen    und    in    einem    falschen    heiligen    Scheine    leuchten    zu    lassen, 


1)  Niebuhr  über  Xenophons  Hellenica,  und  in  demselben  Sinne  mehr  oder  minder  die  neuern; 
richtiger  urtheilt  über  Dem.  I.  I.  Reiske,  er  hatte  aber  auch  zu  seiner  Zeit  allein  die 
Rhetores  Aldi  studirt  und  alle  auf  den  Redner  bezüglichen  Stellen  mit  grösster  Sorgfalt 
ausgezogen;  das  hat  gewiss  nicht  wenig  dazu  beigetragen,  die  Sophistik  genau  zu  durch- 
schauen und  sich  von  ihr  nicht  täuschen  zu  lassen. 


31 

sondern  in  ihrem  wahren  Lichte  darzustellen;  eine  der  gewöhnlichen 
Annahme  entgegengesetzte  Auffassung  wird  Andern  sicher  Gelegenheit 
geben ,  sorgfältig  zu  prüfen  und  gründlicher  und  tiefer  als  bis  jetzt 
geschehen  zu  forschen. 

Hier  ist  zuerst  der  Irrthum  hervorzuheben ,  welcher  ein  antikes 
rhetorisches  Kunstwerk  einer  geschichtlichen  Darstellung  gleich  setzt 
und  glaubt,  wie  diese  müsse  auch  jenes  nur  Wahrheit  aussagen.  So 
sehr  wir  dieses  mit  Recht  von  unsern  Rednern  fordern,  so  wenig  ist  es 
im  Geiste  der  antiken  Welt.  Die  Beredtsamkeit  der  Alten  will  nichts 
als  überreden,  nsidsiv,  und  ist  wenig  um  die  Mittel  besorgt  diesen  Zweck 
zu  erreichen.^)  Wie  man  in  einem  poetischen  Werke  eines  geschicht- 
lichen Stoffes  wenig  historische  Wahrheit  suchen  darf,^)  ebenso  in  einem 
rhetorischen.  Die  Sophistik  hat  sich  mit  ihrer  Kunst  rdv  rjtTO}  Xöyov 
xQsiTTO)  Ttoistv  iu  die  Rhetorik  geflüchtet  und  dort  aufs  üppigste  gewuchert ; 
ein  Verständniss  der  Theorie  dieser  ist  daher  zur  richtigen  Beurtheilung 
unentbehrlich.  Je  tüchtiger  ein  Redner  ist,  um  so  mehr  weiss  er  Allem, 
was  er  sagt,  den  Schein  der  Wahrheit  aufzudrücken,  dass  der  Zuhörer 
nicht  im  Stande  ist  zu  unterscheiden  und  von  dem  Gehörten  hingerissen 
auch  überzeugt  fortgeht;  der  tüchtigste  wird  es  also  auch  am  besten 
wissen,  und  ist  er  selbst  Gegenstand  des  Streites,  dann  wird  auch  seine 
Persönlichkeit  zumeist  hervortreten,  den  Mittelpunkt  des  Ganzen  bilden, 
alles  Andere  um  ihn  herum  verschwinden,  dass  man  nur  ihn  sieht  und 
hört  und  von  ihm  eingenommen  ist.  Erst  ruhige  Betrachtung  und  sorg- 
fältige Prüfung  des  Einzelnen,  Vergleichung  der  gegenseitigen  Aussagen 


1)  7r£t5-w  (ff  xovcpou  tarv  xai  vovv  ovx  i/ov. 

2)  Wir  kennen  den  zweiten  messenischen  Krieg  nur  aus  Pausanias  IV,  14 — 24.  Wer  sich  die 
Mühe  nehmen  will,  den  Verlauf  und  die  verschiedenen  Kämpfe  zu  vergleichen,  wird  sehen, 
wie  schön  symmetrisch  Alles  gehalten  ist.  Herrliche  poetische  Schilderungen,  Alles  aus 
Rhianus  Gedicht,  das  Pausanias  in  Prosa  aufgelöst  hat  und  in  welchem  man  noch  manche 
Hexameter  erkennen  kann.  Historisch  ist  ausser  dem  Namen  des  Helden  Aristomenes  nichts, 
als  dass  die  Spartaner  Messenien  unterjocht  haben.  Wie  viel  Wahres  mag  in  Isokrates 
Euagoras  enthalten  sein?  Allerdings  etwas  mehr,  als  in  dessen  Helene  und  Busiris.  Die 
Geschichte  selbst  wurde  durch  rhetorisirende  Historiker  entstellt,  Theopompus  scheint  den 
Reden  des  Dem.  öfters  gefolgt  zu  sein,  vgl.  Demegor.  p.  23.  Den  ersten  messenischen  Krieg 
erzählt  Pausan.  IV,  4— 13  nach  Myron  von  Priene,  man  möchte  auch  diesen  gleich  Rhianus 
für  einen  Dichter  halten,  dieselbe  beabsichtigte  Concinnität,  bis  ins  Tragische  gestaltet, 
daher  auch  Neuere  ihren  dramatischen  Stoff  daraus  geholt  haben;  Wahres  darf  man  auch 
hier  gar  nicht  suchen,  Alles  trägt  den  Charakter  des  Unglaublichen  und  Poetischen. 


32 

und  deren  Gründe,  verbunden  mit  der  erforderlichen  Kenntniss  der 
Theorie  der  Beredtsamkeit  wird  eine  unbefangene  Beurtheilung  geben 
und  Vieles  im  andern  Lichte  erscheinen  lassen,  als  man  es  früher  gesehen 
hat.  Auch  ist  unser  Verfahren  nicht  -neu,  neu  ist  vielmehr  nur  diese 
falsche  Vergötterung,  Die  Alten  mit  Rhetorik  und  Ilhetoren  besser 
vertraut,  haben  oft  einen  Beweiss  von  Schwäche  gefunden,  wo  man 
jetzt,  weil  der  Redner  ganz  anders  spricht  als  er  vielleicht  denkt,  über- 
zeugende Kraft  zu  sehen  glaubt;  ihnen  lag  seine  viel  gerühmte  Ssivörr^g 
nicht  in  der  Wahrheit  dessen,  was  er  sagt,  sondern  darin,  dass  er  Allem, 
was  er  sagt,  auch  wenn  es  nicht  wahr  ist,  überzeugende  Kraft  zu  geben 
und  auf  den  Zuhörer  zu  wirken  versteht.  Es  geht  dadurch  nichts  ver- 
loren, wie  man  vielleicht  glaubt,  es  wird  vielmehr  gewonnen,  die  falsche 
Bewunderung  geht  in  eine  wahre  über,  man  muss  die  Kraft  des  Redners 
anstaunen,  wodurch  er  Allen  überlegen  ist  und  wie  er  in  dieser  Bezie- 
hung in  der  Tliat  mit  Verachtung  auf  seinen  Gegner  herabschauen  kann. 


Aeschines  Rede  xard  KrrjOKpm'tog  ist  einfach ;  einem  kurzen  exordium 
1 — 8  folgen  die  drei  Klagepunkte,  welche  das  naqdvof.iov  enthalten,  1)  dass 
Demosthenes  vnevdvvog  sei,  2)  dass  die  Ausrufung  nicht  iv  ^sdxQoj  statt- 
finden dürfe,  3)  dass  Demosthenes  einen  Kranz  nicht  verdiene,  in  vier 
Abschnitten  chronologisch  durchgeführt.  Dieses  die  confirmatio  9 — 167. 
Das  übrige  besteht  aus  der  Widerlegung  möglicher  Einwürfe,  nqoxaza- 
l/jipsig,  bezüglich  der  drei  betheiligten  Personen,  und  bildet  das,  was  die 
Theorie  mit  dem  Worte  confutatio  bezeichnet,  168 — 259,  conclusio  160. 
Die  Vertheidigung  des  Demosthenes  vn^Q  KTrjOKpm'Tog  hält  sich  fast  aus- 
schliesslich an  den  letzten  Klagepunkt,  oti  ovx  a^iog  Jrjfxoodtvrjg  ms(pdvov, 
geht  in  der  Beweisführung  des  ä^iota  Xsysiv  §.  60  — 109  absichtlich  nur 
bis  auf  den  Wendepunkt  des  Friedens,  um  hier  die  beiden  ersten  unbe- 
quemen Artikel  einzuschalten  und  kurz  abzumachen,  fährt  dann  wieder 
mit  seiner  Politik  §.160  fort,  dem  Anfange  des  Krieges,  der  Verbindung 
Thebens  mit  Athen,  was  sein  Werk  war,  und  weiss  durch  eine  glänzende 
Darstellung  Alles  zu  begeistern  und  mit  sich  fortzureissen ;  sei  der  Aus- 
gang auch  unglücklich  gewesen,  die  Tendenz,  nqoaiQsoig,    war  edel  und 


BS 

Athens  würdig.  Darin  lag  das  Erliebende,  es  handelte  sich  jetzt  nicht 
mehr  um  das  naQÜvoi-iov  des  Psephisma,  sondern  um  Anerkennung  oder 
Verwerfung  der  Politik  des  Demosthenes,  d.  h.  des  gesammten  Kampfes 
der  Athener  gegen  Philippus.  Eine  Verurtlieilung  des  Ktesiphon  wäre 
eine  indirecte  Anerkennung  der  makedonischen  Herrschaft  gewesen,  was 
nie  und  nimmer  geschehen  durfte.  Der  gedrückten  Stimmung,  in  wel- 
cher damals  unter  Alexander  die  Athener  sich  befanden,  ist  es  wohl 
zumeist  zuzuschreiben,  wenn  der  Kläger  auch  nicht  einmal  ein  Fünftheil 
Stimmen  erhielt  und  in  Folge  dessen  selbst  in  eine  Strafe  verur- 
theilt  wurde. 

Von  der  Interpretation,  welche  der  Redner  den  Worten  der  Eides- 
formel j  giebt :  xal  dxQoäooiiai  rov  ts  xaTrjyÖQov  xul  rov  dnoXoyovixs'vov  ofxoicog 
d/ji(poiv,  sagt  Dissen :  explicatio  horum  verborum  egregia ,  ut  est  omnino 
virtus  Demosthenis  in  explicatione  rerum,  vielmehr  ist  sie  spitzfindig 
und  erst  hineingetragen ,  an  sich  sind  die  Worte  nicht  dafür  und  nicht 
dagegen;  Sinn  und  Bedeutung  der  Formel  war  allein  to  ßr]  nqoxaTsyvw- 
xi'vai  i^irjSiv,  t6  ttjv  evvoiav  i'orjv  di.i(poT£(joig  dnodovvai.  Keine  der  vorhandenen 
Reden  macht  je  eine  solche  Forderung,  überall  ist  der  Vertheidiger  froh, 
die  l'orj  siivoia  ZU  erlangen.'^)  Wie  die  streitenden  Parteien  ihre  Reden 
einrichten  sollen,  damit  hat  dieses  audiatur  et  altera  pars  nichts  zu  thun, 
dazu  waren  besondere  Bestimmungen  nöthig,  z.  B.  dass  man  nicht  f^co 
Tov  TTQdyinaTog  rede  u.  dergl.  Wenn  der  Kläger  die  Forderung  stellt, 
der  Vertheidiger  solle  die  Klage  Punkt  für  Punkt  widerlegen,  damit  er 
nicht  von  dem  eigentlichen  Gegenstande  abziehe  und  die  Richter  täusche, 


1)  To  ö/^oicjg  d/ucpotg  uxQoda aOrha i.  So  2  allein,  die  übrigen  säinmtlich  dxQoda&ai,  beides 
kann  hier  stehen,  dass  aber  Dem.  nach  den  Worten  des  Gesetzes  dxQodaead-cci  geschrieben 
hat,  ist  schon  im  Rh.  Mus.  1828  S.  390  bemerkt  worden.  Isocrat.  antid.  21  na^'  v/ity  .  . 
of/.pvycu  y.aii-'  i'xciaxov  ivicvxov  r\  ^t]y  Ofioibjg  uxqoua la&ai,  rtöu  xarriyopovi'iwy  xai  rwy  dno- 
Xoyov^uivoiv.  Plat.  Demod.  p.  532  Bkk.  ri  riyug  i'ytxtv  >j  /Qoyoy  dficpoTtQOig  SiSoaxhca  roig 
uyzidixotg  i]  ofiyviiv  jovg  SiXuGTug  dxQodatax^ai.  6/iioCii>g  djj,(poTi(>(xiv.  Aeschin.  2,  1. 

2)  Andocides  1,  6  fordert  allerdings  mehr  (dzoZfxca  ovy  vfidg  w  äydpeg  tvvoiav  nktCa>  naqa- 
a/ia&cu  t/Lioi  zu  dnoXoyovfiiyu)  ij  zoig  xccztiyoQoig ,  ti^ozag  ozi  xdv  «f  'iaov  dxpodad-e, 
dvdyxTj  zw  dnoloyov fitj'op  i'Xurzoy  t'/ny  und  Lysias  19,  2  hat  das  wörtlich  übertragen,  aber 
beide  sind  am  Ende  doch  froh,  wenn  die  Richter  nur  nicht  der  Rede  des  Klägers  allein 
trauen,  sondern  auch  den  Beklagten  anhören,  §.  7  lixog  vfxdg  iazi  /x^nw  zotig  zuty  xcmj- 
yoqiov  'Aoyovg  niazovg  ^ytiadai,.  9.  zd<it  ät  v/uaiy  (^iofxca  fxtz'  ivi'oiug  fxov  itjy  dxQouaiy  z^g 
anokoyiag  noiijaaa&ai. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.Bd.  I.  Abth.  5 


o-i 

dieser  aber  der  Forderung  ausweicht  und  zu  seiner  Reclitfertigung  jene 
Worte  des  Gesetzes  vorbringt,  so  ist  dieses  ein  oifenes  Bekenntniss, 
dass  er  durch  einen  rhetorischen  Kunstgriff  zu  erhalten  sucht,  was  er 
auf  rechtlichem  Wege  nicht  erlangen  kann,  und  es  ist  um  so  bedeu- 
tender, als  der  Gegner  davor  gewarnt  und  den  Erfolg  vorausgesagt  hat. 
Demosthenes  glaubte  wohl  selbst  nicht  an  diese  Art  Exegese,  aber  er 
hatte  sie  nötliig  und  konnte  auf  seine  Zuhörer  wirken,  wenn  er  sein 
Verfahren  an  die  Worte  des  Gesetzes  knüpfte  und  damit  vertheidigte. 
Hätte  er  alles  Recht  auf  seiner  Seite  gehabt,  so  würde  er  auch  den  vom 
Gegner  vorgeschlagenen  Weg  befolgen  und  triumphirend  behaupten,  wie 
er  gerade  dadurch  beweisen  könne,  dass  Alles  gegen  ihn  Vorgebrachte 
Lüge  sei.  Der  Kläger  hat  ihm  wirklich  Gelegenheit  gegeben,  nicht  in 
der  Rede,  wohl  aber  in  der  yqatpi],  und  Demosthenes  weiss  im  Verlaufe 
diese  klug  zu  seinem  Vortheile  zu  verwerthen,  §.  56. 

§.  3 — 7.  Es  ist  Sitte  der  Redner,  und  die  Theorie  schreibt  dieses 
besonders  vor,  ^)  scheinbare  oder  wirkliche  Nachtheile,  die  sie  durch  den 
Gegner  erleiden,  skaTzcSaeig ,  um  sich  das  Wohlwollen  der  Richter  zu 
erwerben,  möglichst  hervorzuheben.  Auch  Demosthenes  versäumt  es 
nicht,  davon  Gebrauch  zu  machen  und  erwähnt  von  vielen,  nolld,  beson- 
ders zwei,  ovo  xal  fxeydXa.  Aber  das  erste  ist  falsch,  es  ist  vielmehr 
umgekehrt;  er  verliert  nicht  die  Zuneigung  des  Volkes,  er  erhält  nur 
den  Kranz  nicht,  weil  Ktesiphon  einen  illegalen  Antrag  gestellt  hat,  aber 
der  Gegner  verfällt,  wenn  er  nicht  die  erforderliche  Zahl  Stimmen 
erhält,  nicht  nur  in  eine  Geldstrafe,  sondern  erleidet  auch  die  driiüa 
xatd  TT^ögra^iv.  Trefflich  aber  weiss  er  der  Sache  die  Wendung  zu  geben, 
als  würde  eine  Verurtheilung  Ktesiphons  auch  ihn  verurtheilen  und  ihn 
um  das  Höchste,  die  Gunst  seines  Volkes  bringen.  Scheinbarer  ist  das 
zweite,  vorausgesetzt,  dass  das,  was  der  Gegner  vorgebracht  hat,  nur 
Xoidoqiui   sind;'^)   anders  dagegen  verhält  es  sich,    wenn    es  Gründe   und 


1)  Anaximenes  c.  36,  vgl.  die  Anmerkung  daselbst  p.  245. 

2J  xö)v  fiiy  '/.oL&oQLMi'  xcd  Ttöv  x(XTriyoQi,ix)y  uxoviiv  ri^iü)?  ist  nicht  zu  tadeln;  es  ist  nach  grie- 
chischer Sitte  aus  dem  Allgemeinen  das  Specielle  hervorzuheben  und  vorzusetzen,  oder  dem 
Speciellen  das  Allgemeine  folgen  zu  lassen,  demnach  Schmähungen  und  Klagen  überhaupt, 
denn  an  sich  sind  beide  verschieden  §.  123,  wie  er  vorher  sagt  rji  r«fft  y.al  t^  unoXoyicc, 
oder  wie  Ztv  xal  Ü-toi.    Bei  der  Häufung  der   verschiedenen  Ausdrücke,    wie    dem  Redner 


35 

Beweise  sind,  die  widerlegt  werden  sollen.  Sehr  schön  wird  hier  wie 
anderswo  (9.  34.  50.  59.  126.  256)  die  Schuld  von  sich  selbst  reden 
zu  müssen,  nach  der  Lehre  der  Theorie,  dem  Gegner  zugeworfen  und 
dieser  dafür  verantwortlich  gemacht.  Ktesiphon  kann  in  eine  Geldstrafe 
verurtheilt  werden,  und  deswegen  stellt  er  dessen  Sache  zugleich  als  die 
seinige  dar,  aber  die  Art,  wie  er  dieses  ausdrückt:  Trävrcov  /lUv  ydq  dno- 
ÖTfQsto^ai  XvTTijQov  ioti  xal  ;(aAf7roV,  aXXu)c;  rs  xav  vn^  ex^Qov  T(p  tovto  Ovi^ißaivrj  .  . 
zeigt  die  Uebertreibung  wie  die  Schmeichelei  deutlich  genug ;  fast  könnte 
man  glauben,  es  wäre  erträglicher  vom  Freunde  als  vom  Feinde  solches 
zu  erleiden ;  besser  sagt  Cicero  pro  Quinctio  95  acerbum  est  ab  aliquo 
circumveniri,  acerbius  a  propinquo,  und  so  ist  auch  im  Folgenden  die 
Vermuthung,  Solon  habe  nicht  aus  Misstrauen  den  Eid  der  Geschwornen 
angeordnet,  sondern  nur  damit  sie  dem  Beklagten  gleiches  Gehör  und 
wohlwollende  Gesinnung  schenken,  nicht  aufrichtig  gemeint;  er  will  den 
Richtern  zu  verstehen  geben,  dass  keiner  von  ihnen  ungerecht  urtheilen 
könne  und  hat  diesen  Gedanken  schön  rhetorisch  durchgeführt. 

9  — 17.  Vorläufige  Bemerkungen  über  das  Verfahren  des  Gegners. 
Es  ist  nicht  wahr,  dass  Aeschines  in  seiner  Rede  mehr  als  die  drei 
Klagepunkte,  welche  aus  dem  nqoßovXevf-ia  folgten,  ausgeführt  habe ;  der 
dritte  aber  on  ovx  a^iog  Jrjfioo^s'vrjg  forderte  die  Nachweisung  des  poli- 
tischen wie  des  Privatlebens ;  also  muss  man  sagen  Älo%ivrjq  novov  xarrj- 
yoQTjos  nsQi  wv  sSicoxs,  was  er  beweisen  wollte ,  hat  er  bewiesen ,  voraus- 
gesetzt dass  seine  historischen  Angaben  nicht  ersonnen,  sondern  wahr 
sind.  Er  hätte  den  dritten  Klagepunkt  ganz  übergehen  und  mit  den 
zwei  ersten' zufrieden  sein  können;  dann  musste  Ktesiphon  verurtheilt 
werden ,  weil  sein  Antrag  entschieden  naqdvoiiov  war.  ^)  Daraus  sieht 
man,  wie  der  Redner  der  Sache  eine  ganz  andere  Wendung  zu  geben 
weiss ;  es  würde  dann  Alles,  was  Demosthenes  sagt,  von  selbst  wegfallen, 
weil  von  seiner  Person  gar  nicht  gesprochen  war,  er  hatte  sich  über 
die  svd^vvai  und  das  xrjQvyfxa  allein  zu  vertheidigen. 


diese  xurriyoqiK  des  Aeschines  erscheint,  8  r«?  uiziui;  v.ai  rag  dcaßokdg,  13  tiqos  zeig  loi^oqiug 
.  .  iriv  6t  nofjLnikcv  .  .  14  fnrjQSiav  xui  vß^iy  xcü  XonfoQiav  xal  Tiqonrikaxi,(S fiov  .  .  18  uhiag 
xid  axwf/fiara  xtd  koi&oQÜts  .  .  drängt  sich  leicht  die  Vermuthung  auf,  ob  nicht  auch  hier 
ein  stärkeres  Wort  derselben  Bedeutung,  nämlich  xaxtjyoQiWf  gestanden  habe,  vergl. 
Isokrat.  11,  40,  wo  dieselbe  Verwechslung  stattfindet. 
1)    Vgl.  Syrianus  unten  zu  §.  56. 

5* 


36 

Kühn  ist  das  Anerbieten  des  Deniosthenes  §.  10  und  ein  solcher 
rhetorischer  (Irund  konnte  seine  Wirkung  nicht  verfehlen ;  vgl,  Aristot. 
rhet.  II,  2o,  aber  schlau  ist  die  Forderung,  weil  das  was  Aeschines  über 
sein  Privatleben  gesagt  hat,  nicht  wahr  ist,  sei  auch  Alles  über  sein 
öÖentliches  gleich  falsch.  Und  doch  hat  Aeschines  Recht,  seine  innige 
Verbindung  mit  Timarchus  kann  er  nicht  leugnen  und  auch  Anderes 
war  bekannt  genug,  aber  wer  kümmerte  sich  in  dieser  wichtigen  Sache 
um  solche  Kleinigkeiten? — Wenn  nachher  gesagt  ist  tovto  navtaXwg  svrj^eg 
o)(^tig,  so  muss  man  fragen,  wo  Aeschines  etwas  der  Art  gesagt  hat 
oder  auch  nur  sagen  konnte ;  es  ist  unmöglich ,  nachdem  dieser  ihm 
selbst  vorgeschrieben  hat,  in  welcher  Ordnung  er  ihn  widerlegen  soll. 

10 — 13.  Wie  Demosthenes  spricht  auch  Antiphon  VI,  7  — 10,  man 
möchte  an  eine  Nachbildung  denken,  wäre  nicht  dieses  Verfahren  in  der 
Vertheidigung  ebenso  gewöhnlich  wie  natürlich  gewesen ;  auch  dieser 
Redner  sagt,  dass  alle  Beschuldigungen  extra  causam  nichts  helfen  und 
ihre  besondere  Klage  erfordern.  So  schön  auch  Alles  ist,  was  Demo- 
sthenes vorbringt,  es  gehört  nicht  hierher  und  geht  den  Gegner  nichts 
an,  sonst  könnte  man  damit  einen  Jeden,  welcher  ein  xpi^cfiofia  naQävofiov 
beantragt  hat,  vertheidigen ;  auch  dass  persönliche  Feindschaft  im  Hin- 
tergrunde liegt,  beweist  nichts ;  ein  Freund  wird  ihn  sicher  nicht  an- 
klagen ;  der  Kläger  hat  seine  Klage  zu  beweisen,  aber  der  Redner  weiss 
die  politische  und  persönliche  Feindschaft  geschickt  vorauszustellen  und 
die  eigentlichen  Rechtsgrüude .  der  Klage,  um  welche  es  sich  hier  handelt, 
zurückzudrängen  und  vergessen  zu  machen.  Aeschines  hat  §.  220 — 7 
bereits  die  erforderliche  Erklärung  gegeben.^) 


1)  §.12.  die  Stelle  ist  noch  nicht  vollkommen  hergestellt,  sie  unterliegt  aber  jetzt,  nachdem 
man  genau  weiss,  was  in  S  steht,  nicht  mehr  den  Schwierigkeiten,  die  man  vordem  in  ihr 
gefunden  hat.  Zuerst  muss  aus  jenem  ovx  f/ti  statt  ovx  i'vi  hergestellt  werden,  der  Dativ 
Tfl  noXn,  welcher  zur  Aenderung  die  Veranlassung  gegeben  zu  haben  scheint,  gehört  zu- 
gleich auch  zu  i^ixr,v  (l^iup,  wie  sonst  r^  noXti  oft  mit  vc£i.og  verbunden  ist  und  auch  Antiphon 
an  der  angeführten  Stelle  6,  10  sagt,  üan  ](UQi,xog  aiiov  itvca  r^  no'Ati.  Ferner  hat  S 
nqoaiQtaw  für  t-n^qtiuv,  dieses  ist  allerdings  falsch,  scheint  aber  eine  Wiederholung  des 
vorausgehenden  nQouiQeaig,  und  in^Qtouv  eine  aus  dem  Folgenden  genommene  Correctur;  wir 
erhalten  dadui'cli  einen  genau  zusammenhängenden  Gegensatz  rj  TiQouiqiOi?  avrij  i/S-qov 
fiiv  \nQoiiiQtaii'\  f'^ft  y.ai  v'ßgw  y.ul  Xoi^oQi'ay  xal  nQon/]^itxiafj.6y  i fiov  xui  nupra  rä  xoikvxk, 
tüv  (livtoi  xar tjyoQKÜp  .  .  ovx  i'/ti  t(j  noXti  Sixtjv  u^iav  ^aßfiy.  Da  im  Folgenden 
^ii  in  2  vom  ersten  Stand  fehlt,  sieht  man,  dass  Alles  nur  einen  zusammenhängenden  Satz 


37 

Bis  jetzt  (9 — 16)  ist  gegen  Aeschines  nicht  das  Mindeste  bewiesen, 
und  aus  dem  Gesagten  folgt  gar  nichts,  gleichwohl  behauptet  der  Redner, 
daraus  sehe  man,  dass  alle  Klagen  des  Gegners  widerrechtlich  und  falsch 
seien:  ntivra  (isv  Toivvv  Tcc  xaTr^yoQriJXsva  ofioi'cDg  ix  tovtüjv  äv  zig  l'Soi 
OVTS  dixaiwq  ovt'  stv^  dXrjd-siag  ovSsf^iiäg  elQrjiiia'va.  Hier  kann  niemand 
das  Rhetorische  verkennen,  aber  auch  jeder  wird  gestehen,  dass  Demo- 
sthenes  von  dem  Lehrsatze  der  Theorie,  Aufgabe  des  exordium  sei,  um 
sich  bei  den  Richtern  beliebt  zu  machen ,  unter  anderm  auch  adver- 
sarium  in  odium,  in  invidiam,  in  contemptionem  adducere,  die  wirk- 
samste Anwendung  zu  machen  verstanden   habe. 

§.  18 — 41.  Zustand  Griechenlands  im  phokischen  Kriege,  der  Friede 
des  Philokrates,  die  Gesandtschaften  an  den  Philippus.  Alles  ist  klug 
berechnet,  um  des  Beifalls  seiner  Zuhörer  sicher  zu  sein,  weil  Alles  so 
wie  diese  es  nur  wünschen  konnten ,  dargestellt  ist.  Die  kläglichen 
Zustände  der  Hellenen  in  jener  Zeit  sind  der  Wahrheit  nach  geschildert, 
und  in  ihnen  ist  das  Verderben  und  der  Unterffang-  Aller  zu  suchen 
und  zu  finden.  Die  Worte  vfxsig  ovtw  SisxeiOxf^s  wgrs  tPcoxb'ccg  /uv  ßovXsO^m 
Ocod-fjvai  xaiTieQ  ov  öixaia  TToiovvrag  OQWVTsg,  Or^ßaioig  6'  oTiovv  äv  ecptjOif^rjvai 
na^ovotv,  zeigen  den  Unverstand  der  Athener  und  die  dvaia^rjToi  &t]ßaToi 
haben  diesen  sicher  nichts  Besseres  gewünscht;  dass  aber  solchen  pia 
desideria  die  Wirklichkeit,  wenn  die  eigene  Ohnmacht  durch  fremde 
Hilfe  sich  des  wehrlosen  Gegners  bemächtigt  hatte,  nicht  nachstand, 
hat  der  Ausgang  bewiesen.^)  Wie  ganz  anders  war  es  nach  dem  Siege 
über  die  Perser,    und   noch   nach  Vertreibung    der  Tyrannen  aus  Athen 


bildet:  ov  yÜQ  ilcpaiQtiaf^cti  rd  nqogiX&tiv  ....  ovit  .  .  ogS-wg  f'/oi>  .  .  ovtt  noXirixov,  eine 
lebendige  Rede  statt  oiirt  yuQ  .  .  oq&ü?  i'/oy  .  .  d<paiQ(iaS-ca  t6  nQogt'/^t^iiy.  —  Der  Zu- 
sammenhang des  Gedankens  besteht  in  dem  Gegensatze:  weit  entfernt,  dass  Aeschines,  wie 
er  es  jetzt  macht,  mich  vom  Gerichte  zu  entfernen  sucht  und  daselbst  nicht  auftreten  lässt, 
musste  er  vielmehr  jedesmal  tioq'  avrtl  tu  n^uy^fcrct  mich  vor  Gericht  ziehen  und  anklagen. 
Uebrigens  hatte  Dem.  selbst  in  dem  früheren  Processe  gerathen  §.  301 ,  die  ovvtiyoQoTn'iig 
des  angeklagten  Aeschines  nicht  anzuhören,  cf.  §.  75,  337 — 40,  Aeschines  2,  1,  in  Timo- 
crat.  p.  755.  —  14.  tiai  fojuoi  nsQt  ncivriav  [xul  Ti/^cuoiai,]  y.icl  dyiuvig  X(ci  xQiasig  tiixqk  xal 
fxtyuXa  i'/ovaca  rdnt,Ti/xut.  Die  eingeschlossenen  Worte  unterbrechen  die  Folge  vofxoi,  äyuiyts, 
xqiaug,  Hermogenes  übergeht  sie  ganz  und  sie  sind  jetzt  störend.  Sind  sie  der  Zusatz  in 
einem  Exemplare,  welches  wie  2  die  Worte  tjix^u  .  .  Te<7ii.Tifxia  nicht  hatte?  Denn  die 
Erwähnung  der  Strafen  durfte  nicht  fehlen.  17.  f'trrt  S'dvuyxulov  .  .  nQoaTjxoy  iatos,  gerade 
so  wie  Phil.  II,  4,  vgl.  Demegor.  S.  39. 
1)    Aeschin.  2,  142. 


{/.n]  l^ivi]OixaxeTv)\  Solche  veränderte  Gesinnungen  maclien  den  Verfall  eines 
Volkes  recht  anschaulich.  AVas  zur  Entschuldigung  beigefügt  ist:  ovx 
dXoyoyg  ov^'  ddtxiog  avroTc  6qy>Cö^(^'>'oi'  oIq  yaQ  €vTvxr]xeGav  iv  Asvxxqoiq,  ov 
i^teTQuoc  fx£XQi]rTo.  ist  keine  Rechtfertigung,  es  ist  nur  den  Zuhörern  zu 
gefallen  gesprochen.  Ganz  falsch  aber  ist,  dass  offenbar  die  Thebaner 
zuletzt,  um  den  Krieg  los  zu  werden,  sich  den  Athenern  hätten  in  die 
Arme  werfen  müssen,  und  Philippus,  um  dieses  zu  hintertreiben,  diesen 
Frieden,  jenen  Hilfe  angeboten  habe.  Wie  hätten  die  Thebaner  das  thun 
können,  da  die  Gesinnung  der  Athener  gegen  sie  ihnen  nicht  unbekannt 
war,  und  diese  als  oviifxaxoi  auf  Seite  ihrer  Feinde  standen  —  nicht  aus 
Liebe  zu  den  Phokern ,  sondern  wie  Demosthenes  sagt ,  nur  aus  Hass 
gegen  die  Thebaner  —  ?  Diese  hatten  längst  ihren  Blick  nach  Makedo- 
nien gewendet,  nur  von  dort  konnten  sie  einigermassen  die  Erfüllung 
ihrer  ebenso  sinn-  und  masslosen  Wünsche  hoffen;  Demosthenes  hat  die 
Worte  wohl  nur  gesprochen,  weil  sie  der  Eitelkeit  seines  Publicum,  das 
gerne  solches  glaubte,  schmeichelten,  die  Schuld  des  Gegners  aber,  der 
solches  verhinderte,  in  dessen  Augen  gewaltig  steigerten. 

Dieses  ist  demnach  so  wenig  wahr,  als  dass  die  Athener  den  Krieg 
mit  Philippus  im  Interesse  aller  Hellenen,  vntQ  tmv  näoi  0v[.i(peQ6vTm>,  wg 
fQyo)  (favsQov  ysyovsv,  geführt  und  nur  deswegen  sich  zum  Frieden  herbei- 
gelassen haben,  weil  sie  von  den  andern  Griechen  weder  mit  Geld  noch 
mit  Truppen  unterstützt  worden  seien.  Der  Krieg  hätte  im  Interesse 
aller  Hellenen  geführt  werden  können  und  sollen,  aber  die  Athener 
haben  immer  nur  auf  sich,  nicht  auf  die  anderen  gesehen  und  darum 
auch  später,  als  es  höchst  nothwendig  war,  mit  vereinten  Kräften  frem- 
den Einfluss  abzuwehren ,  die  gewünschte  Hilfe  nicht  gefunden ;  die 
Schuld  hatten  sie  sich  selbst  zuzuschreiben. 

Vergebens  leugnet  Demosthenes  jede  Theilnahme  an  der  Herstellung 
des  Friedens:  iyto  ö"  ovdkv  ovSapLov})  Er  kann  es  um  so  mehr,  als  er 
bald    dieses    Friedens    wegen   als   Kläger  "aller    seiner    Mitgesandten    auf- 


1)  Aeachines  hat.  dem  Dem.  niemals  vorgeworfen,  was  dieser  §.  22  sagt  r^f  eiQtjftj?  «l'rto? 
ytyivri(j(iui,  oder  20.  th'  ifii  w?  ovTog  &ußa'/.Xif  cf.  24,  wohl  aber  rij?  av^iA.a](i(i?  cciTtog, 
und  damit  hatte  es  seine  Richtigkeit.  Wie  man  den  Demosth.  in  Schutz  zu  nehmen 
sucht,  mag  man  nachlesen  bei  Winiewsky  p.  74 — 6,  Brückner  S.  147 — 50,  Westermann 
III,  33.     Vergl.  Schäfer  II,  156. 


39 

getreten ,  später  aber  die  Seele  aller  Politik  gegen  den  König  geworden 
ist;  es  sind  jetzt  mehr  als  sechzehn  Jahre  verflossen  und  die  einzelnen 
Umstände  jener  Verhandlungen  mochten  wohl  keinem  einzigen  der  Richter 
mehr  gegenwärtig  sein.^)  Wenige  Jahre  nach  dem  Frieden  gesteht  er 
seine  Theilnahme  selbst  zu,-)  und  die  grosse  Aufmerksamkeit,  die  er  den 
Gesandten  des  Philippus  bei  deren  Anwesenheit  in  Athen  schenkte, 
beweist,  wie  viel  ihm  an  der  Sache  gelegen  war.  Der  Gegner  hatte 
seine  unmittelbare  Theilnahme  an  dem  Frieden  und  Verbindung  mit  dem 
Philokrates  aus  den  Acten  aufgedeckt,  wogegen  kein  Leugnen  hilft ;  auch 
kann  das  kein  Tadel  sein ;  der  Wunsch  nach  dem  -  Frieden  war  allge- 
mein, und  erst  als  dadurch  Ereignisse  ganz  gegen  die  Erwartung  der 
Athener  eintraten,  suchte  sich  jeder  loszumachen  und  wollte  weder  von 
dem  Frieden,  noch  von  dem  Antragsteller  desselben,  Philokrates,  etwas 
wissen.^) 

Die  Verhandlungen  darüber  liegen  ausführlich  in  den  beiden  Reden 
über  die  Gesandtschaft  vor.     Da  diese  vier  Jahre   nach    den  Thatsachen 


1)  Daher  die  Vorsicht  des  Aeschines  3,  59 — 61. 

2)  15.  p.345.  Gegenüber  solchem  Geständnisse  ist  die  Behauptung  in  unserer  Rede  22.  tovtoyp 
ToiovTioy  wziov  xui  in'  ctvTije  z^g  ili.rj^'i-tiug  ovTu)  Stixfvfiivmf  nur  ein  Beweis,  wie  der 
Redner  keine  Versicherung  spart,  um  sich  Glauben  zu  verschafien,  an  Wahrheit  ihm  aber 
gar  nichts  gelegen  ist.  Es  scheint  dieses  ein  dem  Dem.  geläufiger  Ausdruck  gewesen  zu 
sein,  den  auch  Aeschines  persiflirt,  3,  207.  ohyaQ/txovg  vn'  amrjg  rtjs  dkijO-tiag  <fnjQh9/uti/ovg. 
60.  ißV  uvrog  6  iTjg  a'/.rjfi^ikcg  ^oyiGfiog  iyxcnaXctfj.ß(!i/>]  (wie  §.  59.  o  Ti  uv  avrog  6  loyiciiog 
v.l^jl)\  deutet  die  Variante  o  uvxog  vielleicht  auch  hier  auf  avirig  Trjg  (ci.rj&tiug'>  Im  Dem. 
p.  303  §.  226  steht  jetzt  aus  erster  und  zweiter  Recens.  ini  rijg  lAi^d^tiag ,  wo  vordem  aus 
der  dritten  das  herkömmliche  in'  avr^g  r^g  gelesen  wurde. 

3)  Wenn  man  ohne  Rücksicht  auf  Person,  weder  für  noch  gegen  Dem.  und  Aeschines,  aber 
ebenso  weder  für  noch  gegen  die  Athener  und  Philippus  eingenommen,  die  Thatsachen 
und  damaligen  Verhältnisse  unbefangen  im  Grossen  aufi'asst,  kann  man  über  die  häufig- 
widersprechenden  Angaben  der  lügenhaften  Redner  —  xaxov  xoqaxog  xaxd  wct  —  fast  in 
allem  Wichtigen  ins  Klare  kommen.  Einzelne  Winke  und  sorglos  hingeworfene  Bemerkun- 
gen verbreiten  oft  mehr  Licht  als  lange  Beweise  und  ausgearbeitete  Reden,  welche  darauf 
ausgehen,  das  Wahre  zu  verhüllen  oder  zu  verdrehen.  Wenn  bei  der  ersten  Gesandtschaft 
die  av/^nQiaßsig  sich  berathen,  wie  sie  zum  Philippus  sprechen  sollen,  und  Kimon  sagt  ort 
cpoßoLTo  fi}]  dixat.okoyovfiii'og  ntQiytpoiro  ^fiiiäy  6  4'ihnnog ,  so  musste  es  mit  den  Rechts- 
gründen der  Athener  schlecht  aussehen,  sonst  konnte  nicht  einer  ihrer  Gesandten  in  ver- 
traulicher Rede  solche  Angst  bezeugen;  das  ist  ein  Gewissensbiss ,  hervorgegangen  aus 
eigener  Schuld,  die  gerade  jetzt  sich  kundgiebt,  wo  das  Wahre  entschieden  werden  soll. 
Geht  man  diesen  Weg,  unbekümmert  um  das,  was  sich  daraus  ergeben  wird,  so  gelangt 
man  zwar  nicht  zu  idealen  Anschauungen,  aber  doch  zu  etwas,  was  der  historischen  Wahr- 
heit sicher  näher  liegt,  als  die  oft  herrlichen  Schilderungen  der  Neuern. 


40 

ftillen,  so  ist  in  widersprechenden  oder  zweifelhaften  Angaben  ihr  Zeug- 
niss  im  Allgemeinen  gewichtiger,  als  das  unserer  vier  volle  Olympiaden 
später  gehaltenen  Reden. 

Der  Vorwurf  des  Aeschiues,  Demosthenes  habe  den  Frieden  über- 
eilt, und  die  Rückkehr  der  Gesandten,  die  ausgeschickt  worden,  um  die 
Hellenen  zum  Kriege  gegen  Philippus  aufzufordern ,  nicht  abgewartet, 
scheint  durch  die  Versicherung,  es  seien  überhaupt  keine  Gesandten 
damals  ausgeschickt  worden,  vollständig  widerlegt  und  zurückgewiesen ; 
man  habe  längst  die  Erfahrung  gemacht ,  dass  man  von  den  andern 
Griechen  nichts  zu  hoflen  und  zu  erwarten  habe:  oms  ydg  i]v  nQsaßsCa 
ngdg  ovSsva^)  dnsüraXf^isvtj  t6t£  twv  "EXhjvwv,  uXXd  naXai  Tidvtsg  ijOav  i^sXrj. 
Xsyi-isvoi,  ovx^^  ovTog  vyiig  tisqI  tovtcov  siqyjxsv  ovSt'v.  Aber  vor  13  Jahren 
hatte  er  über  dieselbe  Sache  ganz  anders  gesprochen;  damals  sagte  er 
in  der  Volksversammlung  am  19  Elaphebolion  (CVIII,  2)  seien  in  Folge 
der  Einladung  der  Athener  die  Gesandten  der  andern  Hellenen  zugegen 
gewesen,  IG  p.  34 G  i<fisorrjx6T(ov  tcöv  ngsoßscov  xal  dxovovTwv  ovg  dno  T<av 
^EXXhvwv  ixereTcäfixpaads,  und  wenn  auch  der  Gegner  dieses  §.  57 — 8  als 
eine  Lüge  erklär.t ,  es  beweist  jedenfalls ,  dass  Demosthenes  sich  wider- 
spricht und  damals  noch  nicht  so  niedrig  von  den  andern  Hellenen 
dachte,  als  er  in  unserer  Rede  sich  ausdrückt.-)  Was  der  Redner  sonst 
noch  zu  seinen  Gunsten  anführt,  sind  keine  Beweise,  sondern  nur  dxoru ; 
namentlich  ist  der  Grund:  es  sei  eine  Schmach  den  Athenern  zuzumu- 
then,  die  andern  Griechen  zum  Kampfe  gegen  Philippus  aufzufordern 
und  doch  zugleich  mit  diesem  über  den  Frieden  zu  unterhandeln,  was 
in  Form  einer  vuotfogd  schön  durchgeführt  ist,  absichtlich  ans  Ende 
gesetzt,  damit  die  erwünschte  Wirkung,  den  Gegner  verhasst  zu  machen, 
erreicht  werde.  Es  ist  einleuchtend,  dass  die  Athener  dem  Anerbieten 
des  Königs  nicht  sofort  trauten,  und  ihre  Gesandten  erst  dann  zurück- 
rufen konnten,  wenn  die  Friedenspräliminarien  gegenseitig  anerkannt 
und  vollkommen  gesichert  waren.    Aber  der  Redner  versteht  es,  seinem 


1)  I)ie  zweite  Recension  hat  od'()*V«?  d.  h.  zu  keine  i\'hyrj  'E'Al/jywv,  g'ewiss  aus  Correctur,  weil 
es  das  natürliche  ist;  alier  der  Singular  drückt  weit  mehr  aus,  wie  bei  uns:  zu  niemandem, 
statt  zu  keinem  der  Hellenen;    anders  Cobet  var.  lect.  p.  319. 

2)  Was  die  Neuern  Alles  zu  Gunsten  des  Dem.  darüber  erdacht  und  angefülirt  haben,  zuletzt 
Schäfer  II,  200 — 9,  der  in  den  nqiaßti?  Theoren  finden  will,  ist  durchaus  nicht  überzeugend. 


41 

Zuhörer  die  ethisclie  Seite  vorzuhalten,  der  dadurch  vollkommen  über- 
zeugt wird.  Auf  diese  Weise  kann  er  die  sichersten  Thatsachen  bestrei- 
ten, und  man  sieht,  was  ein  rhetorischer  Beweis  für  eine  Kraft  hat, 
wenn  er  am  rechten  Orte  und  in  rechter  Form  vorgebracht  wird.  Das 
ist  eine  dem  Demosthenes  ganz  eigene  Kunst,  die  kein  anderer  griechi- 
scher Redner  auch  nur  entfernt  ihm  nachzumachen  versteht  und  die 
den  Hörer  wie  den  Leser  begeisternd  mit  sich  fortreisst. 

Die  nächsten  drei  Anschuldigungen  sind  es,  auf  welche  Demosthenes 
alles  Gewicht  legt;  er  hat  jetzt  noch  wie  vor  13  Jahren  die  festeste 
Ueberzeugung,  dass  Aeschines  —  an  der  Spitze  der  Gesandten  —  wis- 
sentlich und  nicht  getäuscht,  sondern  von  Philippus  erkauft  und  besto- 
chen, den  Zugang  in  das  Innere  von  Griechenland  geöffnet  und  dadurch 
die  Entscheidung  der  Phokischen  Angelegenheiten  diesem  in  die  Hände 
gespielt  habe ,  darum  auch  für  alle  Folgen  verantwortlich ,  überhaupt 
Verräther  des  Vaterlandes  und  Urheber  dessen  Unterganges  sei.^)  Die 
drei  Anschuldigungen  aber  sind,  dass  erstens  die  Gesandten  in  der 
TtqsaßsCa  rj  inl  rovg  oQxovg  nicht  eilten  den  Philippus  zu  beeidigen  und  ihn 
zu  hindern,  auf  Kosten  Athens  inzwischen  Eroberungen  in  Thrakien  zu 
machen;  sie  haben  absichtlich  lange  gezögert,  um  jenem  die  erforder- 
liche Zeit  zu  seinem  Unternehmen  zu  gewähren;  zweitens,  dass  sie 
auch  nach  eingeholter  Ratification  des  Friedens  nicht  sogleich  die 
Athener  Von  dem  Zuge  nach  Thermopylae,  den  Philippus  vor  hatte,  in 
Kenntniss  setzten,  sondern  bei  ihm  blieben,  bis  er  die  nöthigen  Vorbe- 
reitungen vollendet  hatte ;  endlich  drittens  —  und  hierin  liegt  aller 
Schwerpunkt  der  gesammten  Anklage  —  dass  nach  der  Rückkehr  der 
Gesandten  am  XVI  Scirrophorion  in  der  Volksversammlung,  als  Philippus 
Ankunft  in  Pjlae  Misstrauen  und  Furcht  mi  Volke  veranlasst  hatte, 
Aeschines  durch  falsche  Versprechungen  die  Athener  beschwichtigte 
und  von  jedem  thatkräftigen  Eingreifen  abhielt,  wodurch  Alles  verloren 
gegangen  sei;  dazu  habe  der  König  den  Aeschines  noch  besonders 
bestochen  33.  fjua^omm  %6v  xatäTTZvOrov  TOVTOvl,  ovxsti  xoiv^  ^istcc  töSv  akXutv 
TiQäaßsaiv  dXX'  IdCa  xa&*  amov})  Diese  drei  Punkte  erfordern  demnach 
eine  nähere  Betrachtung. 

1)  25.  6  <fiXinnu)  nuvTu  awaytovil^ofiivog,  für  nuyru  hat  2  re  rrju  iiQtji/ijv,  war  vielleicht  ton? 

2)  Woher  weiss  Dem.  dieses?     Es  ist  nichts   als   leere  Einbildung  und  den  Angaben  seiner 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth.  6 


42 

Die  erste  Gesandtschaft  nach  Makedonien  hatte  den  Zweck,  den 
König  einziüaden  Bevolhnächtigte  zum  Abschluss  des  Friedens  nach 
Athen  zu  schicken.  Dieses  geschah,  die  Gesandten  des  Philippus  waren 
in  den  Volksversannnlungen  des  XVIII  und  XIX  ElapheboKon,  in  welchen 
Friede  imd  Schutz  und  Trutzbündniss  genehmigt  wurde ,  zugegen ;  sie 
nahmen  deu  Kid  der  Athener,  später  auch  deren  Bundesgenossen  in 
Empfang.  Hätten  nun  auch  sie  gleichfalls  den  Athenern  im  Namen 
ihres  Königs  den  Eid  geleistet,  so  war  die  Ratification  des  Friedens 
vollendet,  der  König  wie  die  Athener  gebunden,  und  alle  späteren 
Klagen ,  welche  wir  lesen ,  fielen  von  selbst  weg ,  sie  waren  unmöglich. 
Aber  das  geschah  nicht;  es  wurde  eine  besondere  Gesandtschaft  abge- 
ordnet, um  unmittelbar  vom  Könige  selbst  die  Bestätigung  des  Friedens 
zu  erhalten.  Hat  der  schlaue  Philippus  das  bedungen ,  um  Zeit  für 
weitere  Eroberungen  zu  gewinnen,  oder  gab  es  Schwierigkeiten,  welche 
über  die  Vollmacht  seiner  Gesandten  hinausgingen ,  oder  war  es  Miss- 
trauen der  Demokratie,  welche  den  dovXot,  des  dsonvxrjQ  nicht  den  Glauben 
schenkte,  dass  deren  Aussage  den  König  binden  könne? 

Von  Philippus  ging  dieses  Verfahren  nicht  aus ;  das  würde  und 
könnte  Demosthenes  nicht  verschweigen ;  auch  war  es  dann  nicht  noth- 
wendig,  die  Gesandten  zu  diesem  Zwecke  zu  bestechen,  wie  er  behauptet. 
Anstände  mag  es  vielleicht  gegeben  haben,  in  Betreff  der  Phoker,  des 
Kersopleptes  u.  A.,  aber  sie  waren  nicht  der  Art,  den  Frieden  überhaupt 
in  Frage  zu  stellen,  es  konnten  nur  Wünsche  der  Athener  sein,  sonst 
wären  die  Gesandten  des  Philippus  nicht  berechtigt  gewesen,  diese  zu 
beeidigen;  auch  sagen  das  die  Redner  nicht,  sie  betrachten  diese  zweite 
Gesandtschaft  als  sich  von  selbst  verstehend;  es  war  also  Sitte  und 
altes  Herkommen,  dass  wie  die  Athener  den  Gesandten  des  Philippus, 
so  dieser  den  Gesandten  der  Athener  den  Eid  leisten  musste. 

Auf  die  erste  Klage  des  Demosthenes  ist  Folgendes  zu  erwidern. 
Hat  er  wirklich,  wie  er  behauptet,  schon  Alles  vorausgeahnt  und  des- 
wegen den  Antrag  gestellt,  die  Gesandten  sollten  so  schnell  als  möglich 
abreisen,    so   ist  es  seine  Schuld,    dass  er  so  lange  wartete.     Er  selbst 


frühern  Rede  widersprechend;  dort  spielt  Philokrates  dieselbe  Rolle  wie  Aeschines,  ja  er 
ist  es,  welcher  das  Psephisma  gegen  die  Phoker  beantragt,  wodurch  Alles  nach  seiner 
Ueberzeugung  verloren  ging  p.  356. 


43 

hat  die  makedonisclien  Gesandten  bis  Theben  begleitet,  was  nicht  ge- 
schehen durfte,  weil  dadurch  Verzögerung  von  einigen  Tagen  eintrat; 
er  musste  beantragen ,  dass  sogleich  nach  der  Ratification  des  Friedens 
von  Seite  der  Athener,  also  bald  nach  dem  19  Elaph.  die  athenischen 
Gesandten  den  Philippus  aufsuchen.  Er  hat  aber  vierzehn  Tage  gewartet 
und  erst  den  dritten  Munjchion  seinen  Antrag  gestellt.^)  Wenn  er  nun 
§.  30  sagt  Ol  xqrjtstol  TtQs'oßsig  ovzoi  xax^fjvro  sv  MaxsSovfa  TQSig  oXovq  /.ifjvaq 
k'(og  rjld-s  ^iXiTCTtog  ix  0Qäxrjg  nävta  xaTaOTQSipcc/xsvog  rdxsT  l^dv  rinsQcov  dexa, 
oixotcbg  ^)  6i  TQiwv  rj  TsrtäQcov  elg  tov  ^EXXr^OTtovrov  dcpix^ui  xal  rd  /&)(»/«  OwGai 
Xaßovzag  Toi'g  oqxovg  nqlv  ixt'ivov  i^sXstv  aihd,  SO  ist  das  nichts  als  eine 
maasslose  Hyperbel,  welcher  ihr  rechtes  Maass  anzuweisen  wir  noch  im 
Stande  sind.  Waren  die  Gesandten  drei  volle  Monate  in  Makedonien 
sitzen  geblieben  bis  Philippus  von  seinen  Eroberungen  aus  Thrakien 
zurückkam ,  und  hatten  sie  von  Athen  aus  23  Tage  gebraucht ,  um 
dahin  zu  kommen ,  also  ebenso  viel  um  zurückzukehren ,  so  waren  sie 
nahezu  fünf  Monate  abwesend.  Früher  hatte  er  die  ganze  Zeit  ihrer 
Abwesenheit  p.  359.  390  berechnet  zgeTg  firjvag  oXovg  dnoSrjfiriOavTsg  — 
man  sieht  die  Steigerung!  —  aber  sie  waren  den  13  Skirroph.  wieder 
in  Athen,  also  70  Tage  aus.  Aeschines  hatte  nachgewiesen,  dass  Kerso- 
bleptes  —  darauf  bezog  sich  alle  Klage  —  bereits  vor  der  Abreise  der 
Gesandten  aus  Athen  den  24  Elaph.  sein  Reich  durch  Philippus  ver- 
loren habe,  dieser  also  nicht  durch  ihre  Verzögerung  gefallen  sei; 
Demosthenes  hält  es  nicht  der  Mühe  werth,  darauf  ein  Wort  zu  sagen, 
beklagt  sich  aber,  dass  Aeschines  das  Beeret  über  die  sofortige  Abreise 
nicht  vorlesen  Hess ,  was  gar  nicht  nothwendig  war ,  und  weiss  dem 
Tadel,  dass  er  die  makedonischen  Gesandten  zu  sehr  gehöfelt  habe, 
eine  komische  Wendung  zu  geben ,  um  daran  ein^n  ganz  unerwarteten 
Schluss  zu  knüpfen  rd  nixqd  OvficpSQOvrä  trig  Tiolscog  eSsi  ^is  (pvkdtTStv,  zd  6' 
oXa  wg7i€Q  ovzoi  neuQaxsvai;  ov  Sr]nov.  worauf  CS  nicht  ankam  und  wovon 
gar  nicht  die  Rede  war. 

Bedeutender  ist,  dass  die  Gesandten  auch'  nach  der  Ratification  des 


1)  Aeschin.  2,  92. 

2)  So  auch  2  für  fjia'D.oi',  was  nur  die  dritte  Familie  gibt;  letzteres  ist  die  gewöhnliche  cor- 
rectio  und  kündet  sich  schon  dadurch  als  eine  rhetorische  Aenderung  für  das  ungewöhn- 
liche ofioioig  an.     Beides  of^oitog,  fiaXKoy  cfi,  eigenthümliöh  bei  Niceph.  (xreg.  p.  829.   Bonn, 

6* 


44 

Friedens  durch  Philippus  niclit  nacli  Hause  eilten  und  Anzeige  von  dem 
bevorstehenden  Zuge  nach  Pylae  machten;  der  König  habe  sie  absicht- 
lich unter  scheinbaren  Vorwänden,  bis  seine  Rüstungen  vollendet  gewesen, 
bei  sich  behalten,  auch  den  Demosthenes,  der  allein  abgehen  wollte,  zu 
bleiben  gezwungen,  damit  die  Athener  von  seinem  Vorhaben  nichts 
erführen  und  gegen  ihn  auszögen.  Wie  viele  Zeit  dadurch  verloren 
ging,  ^vird  nicht  angegeben.  Ist  die  Angabe  p.  390  richtig,  dass  vom 
Tage  ihrer  Abreise  aus  Athen  bis  zur  Ankunft  Philippus  aus  Thrakien 
nach  Pella  fünfzig  Tage  verflossen  waren,  so  bleiben  noch  zwanzig  Tage 
für  die  Beeidigung  des  Königs,  seiner  Bundesgenossen  und  für  die  Rück- 
reise nach  Athen.  Von  langen  Rüstungen,  zumal  er  soeben  erst  vom 
Kriege  kam ,  kann  demnach  nicht  die  Rede  sein ,  ebenso  wenig  von 
einem  grossen  Versäumniss  der  Gesandten.  Dem  Könige  musste,  abge- 
sehen von  dem  ihm  von  dem  Redner  untergelegten  Grunde,  allerdings 
viel  an  deren  Gegenwart  gelegen  sein ;  nichts  konnte  den  Glanz  und 
Ruhm  mehr  erhöhen,  und  seinem  Vorhaben,  die  langwierigen  Streitig- 
keiten Griechenlands  ohne  Schwertstreich  in  Ordnung  zu  bringen,  mehr 
Recht  gewähren,  als  wenn  man  ihn  auf  dem  Zuge  dahin  von  den  Ge- 
sandten des  ersten  griechischen  Staates  —  denn  die  der  übrigen  haben 
gewiss  nicht  gefehlt  —  umgeben  ankommen  sah.^) 

Die  meiste  Wahrscheinlichkeit  hat  die  dritte  Anschuldigung,  und 
sie  ist  in  beiden  Reden  als  das  Hauptverbrechen  hervorgehoben,  durch 
die  falsche  Versicherung  ^des  Aeschines  in  der  Volksversammlung  am 
XVI.  Scirr. ,  Alles  werde  nach  ihrem  Wunsche  gehen ,  wenn  sie  sich 
ruhig  verhalten  und  den  König  gewähren  lassen,  seien  die  Athener  zur 


1)  §.  32.  p.  236.  iniiS)}  ydq  äfioai  rr^v  tl^tjvtiy  o  4>iXi,7inog.  Jetzt  wissen  wir,  dass  ^  und  die 
dritte  Familie  (öfj.o'/.6ytjaa  geben;  Dindorf  und  Yoemel  haben  es  aufgenommen,  auch  Funk- 
häncl  Zeitschr.  f.  Alt.  1856.  S.  214  billigt  dieses.  Nur  die  zweite  Recension,  d.  h.  der 
August,  und  seine  Genossen  haben  oiifxoae,  ich  zweifle  nicht,  aus  Conjectur,  aber  einer 
nothwendigen.  Hier  ist^nur  von  dem  die  Rede,  was  Philippus  gethan  hat.  nachdem  die 
athenischen  Gesandten  —  nQtaßtia  )j  inl  lovg  oQxovg  —  zu  ihm  gekommen  waren.  Aller- 
dings wurde  der  Friede  von  Philippus  erst  später  in  Pherae,  nicht  in  Makedonien  beschworen 
und  insofern  ist  ü/xodt  selbst  historisch  falsch,  aber  der  Zusammenhang  lehrt,  dass  Dem. 
hier  nur  sagen  will,  was  nach  der  Ankunft  der  athenischen  Gesandten  in  Makedonien 
geschehen  ist,  ein  actus  des  Philippus  nach  der  Wegnahme  Thrakiens.  Dieses  aber  ist 
nicht  oj/j,ok6yri(rt  zrjv  iiQtivriv ,  das  war  längst  geschehen,  sondern  uif^ocf  xnv  tiqrivriv.  Der 
B,edner  anticipirt  das  Factum,  wie  Phil.  III,  15, 


45 

Unthätigkeit  verleitet,  Phalaecus  am  XXII  zur  Unterhandlung  mit  Phi- 
lippus  und  Uebergabe  aller  festen  Plätze  und  Zugänge  genöthigt,  da- 
durch aber  diesem  die  willkürliche  Entscheidung  aller  Angelegenheiten 
in  die  Hände  gespielt  worden ;  ein  thatkräftiges  Auftreten  der  Athener 
in  Verbindung  mit  den  Phokern  hätte  ihm  den  Eingang  nach  Griechen- 
land verschlossen. 

Die  Berechnung  der  Tage  57.  p.  359  hat  etwas  verführerisches; 
es  ist  wohl  möglich ,  ja  wahrscheinlich ,  dass  der  Volksbeschluss  der 
Athener  an  jenem  Tage  nicht  ohne  Einfluss  auf  Phalaecus  geblieben  ist. 
Hätten  nun  die  Phoker  wirklich  gegen  das  Eindringen  des  Philippus 
die  Athener  um  Hilfe  angegangen,  so  hätte  die  Klage  eine  ganz  andere 
Bedeutung.  Demosthenes  spricht  zwar  von  phokischen  ngsoßeiq,  welche 
in  jener  Versammlung  zugegen  waren  und  deren  Ergebniss  nach  Hause 
meldeten ,  aber  er  würde  nicht  verschweigen ,  wenn  sie  bei  Rath  und 
Volk  beglaubigt  gewesen  wären  und  öffentlich  um  Hilfe  nachgesucht 
hätten.^)  Aeschines  sagt  deutlich,  es  seien  nur  SqonoxrjQvxsq,  geheime 
Berichterstatter  gewesen.  Phalaecus  hatte  schon  früher  weder  den  Athe- 
nern noch  den  Spartanern  vertraut,  und  eine  ganz  sichere  Ueberlieferung 
lehrt  den  Zwiespalt  zwischen  dem  Volke  und  dem  Machthaber  von 
Phokis  anschaulich  genug.  Konnten  die  Athener  bei  diesem  Zustande 
der  Phoker,  nachdem  sie  soeben  Frieden  und  ein  Schutz-  und  Trutz- 
bündniss  mit  dem  Könige  geschlossen  hatten,  feindlich  und  zwar  offensiv 
auftreten ,  oder  wären  sie  auch  nur  im  Stande  gewesen ,  so  rasch  ein 
Heer  aufzubieten  —  Demosthenes  hat  uns  ja  §.  26  im  Vertrauen  ver- 
rathen ,  wie  es  bei  ihnen  aussah  —  um  Philippus  abzuschlagen  ?  Der 
Redner  behauptet  es  allerdings,  er  verjagt  den  Philippus,  schliesst  ihm 
alle  seine  Häfen,  dass  er  im  eigenen  Lande  nicht  mehr  sicher  ist  und 
bei  den  Athenern  um  Frieden  betteln  muss !  ^)  Aber  niemand ,  der  — 
unbekümmert  um  solche  Prahlereien  —  unbefangen  die  Zustände  und 
Verhältnisse  untersucht ,  wird  sich  davon  überzeugen ;  es  hätte  dem 
Könige  höchstens  mehr  Gold  gekostet,  um  Phalaecus  und  seine  Söldner 


1)  A.  Schäfer  II,  258.    Aeschines  2,  130—4. 

2)  p.  389  §.  153,  coli.  p.  442  §.  315,  und  dieses  sagt  Dem.  nachdem  er  kurz  vorher  bemerkt 
hatte  p.  387  §.  149  rovxo  cT'  riv  ro  ätworurov  rov  nqog  'Pi'/.mnoy  noXtfiov,  ovx  ^^vvaad-t  xuxüq 
rjvixa  ißovXi<j{f-€  ixtlvov  nouiy. 


46 

an  sich  zu  ziehen  und  zu  befriedigen ;  und  die  Athener ,  ebenso  isolirt 
wie  Demosthenes  sie  in  der  Rede  über  den  Frieden  schildert,  waren  als 
erklärte  Feinde  dann  seinen  und  aller   Griechen  Angriffen   preisgegeben. 

Philippus  hatte  dem  Bündnisse  gemäss  sie  aufgefordert ,  mit  ihrem 
Heere  zu  ihm  zu  stossen  und  gemeinsam  die  Angelegenheiten  in  Ord- 
nung zu  bringen.  Die  Athener  fürchteten ,  er  möchte  in  Attica  ein- 
fallen und  antworteten  ihm  mit  der  axsvaywyrj.  Das  geschah  durch  den 
Einfluss  der  Partei,  welcher  Demosthenes  sich  hinneigte,  wenn  er  auch 
noch  nicht  ihr  Haupt  war.  Natürlich  konnte  diese  offenbar  feindliche 
Demonstration  nach  dem  unmittelbar  abgeschlossenen  Vertrage  den  König 
nicht  vermögen,  ihnen  Vortheile  einzuräumen,  die  sonst  seine  Klugheit 
ihnen  zugestanden  hätte ;  ^)  er  neigte  sich  jetzt  mehr  den  Thebanern  zu, 
ärger  konnte  er  sie  nicht  kränken. 

Aber  Philippus  hätte  nie  die  Athener  zufrieden  stellen  können ;  um 
das  zu  thun ,  musste  er  die  Thebaner  vernichten  und  wie  die  Phoker 
behandeln,  was  ausser  seinen  Planen  lag,  und  auch  dann  hätte  er  nur 
ihren  Hass  gestillt,  aber  keineswegs  ihre  Eitelkeit  befriedigt!  Sie  hätten 
es  ihm  nie  verzeihen  können ,  dass  durch  einen  Fremden  und  nicht 
durch  sie,  die  Hegemonen  Griechenlands ,  die  Ordnung  und  Ruhe  her- 
gestellt worden  wäre ;  dieser  Verdruss  und  Aerger  leuchtet  überall  her- 
vor, 64.  p.  361.  TovTOäV  dsivoreqa  ov  ysyovsv  ovS^  fiei^a)  rrgäy/naT^  i(p'  rj/xcSv  iv 
ToTg  "EÄltjOiv,  ot/xai  J'  ov6'  iv  ir&3  tiqöoO-sv  %q6vu).  zr^XixovTwv  fisvroi  xal  toiovtcov 
Tigayudraiv  xvQiog  slg  dvrJQ  (J}(hnnoQ  ytyovs  did  rovrovg  ovOrjg  zfjg  'A^rjva/cov 
Tcökscoc,  fi  TiQosGTuvai,  %(Jöv  ^EXkrj voor  ndxQiov  xal  f^irjösv  roiovrov  tvsqi- 
ogdv  yiyvoixevov.  Aeschines  Angaben  2,  136  —  41  lassen  durchschauen, 
dass  es  dem  Könige  Mühe  kostete,  den  Hass  der  Thessaler  und  Thebaner 
gegen  die  Phoker  noch  etwas  im  Zaume  zu  halten  und  er  nahe  daran 
war  sich  mit  ihnen  zu  verfeinden. 

Der  Plan,  die  Phoker  unter  dem  Vorwande  dem  delphischen  Gotte 
zu  helfen ,  aus  dem  Amphiktyonenbunde  zu  streichen ,  sich  an  deren 
Stelle  zu  setzen  und  so  merklichen  Einfluss  auf  die  Innern  Angelegen- 
heiten Griechenlands  zu  gewinnen ,  war  gewiss  längst  gefasst  und  das 
Ziel  seines  vorläufigen  Strebens.     So  etwas  hatten  die  Athener  in  ihrer 


1)  Daran  mit  Schäfer  II,  273  zu  zweifeln  ist  kein  Grund. 


47 

Verblendung  und  Kurzsichtigkeit  nie  geahnt,  und  weil  er  zuerst  die 
Hand  zum  Frieden  geboten  hatte,  glaubt  der  Redner,  die  Gewährung 
dessen  sei  eine  besondere  Gnade,  die  nian  ihm  angedeihen  lasse,  welche 
man  ihm,  wenn  er  ihren  Wünschen  und  Forderungen  sich  nicht  füge, 
sofort  wieder  entziehen  konnte.  In  diesem  Sinne  hatte  er  sich  schon 
früher  geäussert  151,  p.  388  und  denselben  Gedanken,  zum  Beweise 
dass  er  von  dessen  Wahrheit  vollkommen  durchdrungen  war,  wiederholt 
er  auch  jetzt  §.  30  ov  yd^  av  fjipaT'  amwv  TiaQovTon'  fj!.iwv,  rj  ovx  av  coQxt^o/xer 
avTÖv,  wOTS  Tfjg  elQrjvrjg  av  6irjfi,aQTrjX£i  xal  ovx  dv  dficforsQa  slx^,  xccl  r/yV  si^rjvrjv 
xal  id  X«?'«-  ^^11  kann  sicher  sein,  dass  wie  die  erste  Alternative  nie 
eingetreten  wäre,  d.  h.  Philippus  sich  durch  keine  Gegenwart  der  Ge- 
sandten in  seinen  Eroberungen  hätte  stören  lassen,  so  auch  die  zweite 
nie  erfolgt  wäre ;  die  Athener  waren  froh  auch  ohne  solche  Zugaben 
dßn  Frieden  gesichert  zu  sehen.  Erst  jetzt,  lange  nach  den  Ereignissen, 
werden  solche  Reden  gewiss  mit  grösstem  Beifall  der  Zuhörer  vorge- 
tragen ,  in  der  Wirklichkeit  aber  sind  sie  leer  und  bedeutungslos :  und 
so  muss  man  es  dieser  rhetorischen  Kunst,  welche  Alles  vermag,  auch 
zu  gut  halten,  wenn  Aeschines  selbst  für  die  Zerstörung  Thebens  durch 
Alexander  verantwortlich  gemacht  wird  (41.  xal  xoinwv  ..  dnävTcav  aihog 
(üv  ahiog),  während,  unser  Redner,  der  die  Thebaner  zumeist  zum  Abfalle 
von  jenem  Margites  bewogen  hatte,  sich  wahrscheinlich  von  aller  Schuld 
frei  fühlte. 

Die  Stelle  über  die  Verräther  42 — 9,  61,  ist  schön,  und  wie  fast 
Alles,  was  der  Redner  Allgemeines  sagt,  muss  man  dieses  anerkennen, 
die  Frage  ist  nur,  ob  die  Anwendung  auf  das  Specielle,  die  Individuen 
eine  richtige  ist.  Man  ist  von  der  Wahrheit  des  allgemeinen  Satzes 
bereits  so  eingenommen,  dass  auch  das  Einzelne,  welches  diesem  sub- 
sumirt  wird,  nicht  mehr  zweifelhaft  scheint  und  als  selbstverständlich 
gerne  mit  in  den  Kauf  genommen  wird.  Die  eigentliche  Schandtafel 
dieser  Verräther  erscheint  am  Ende  295.  j).  324 ,  zehn  Landschaften 
Griechenlands  werden  aufgezählt,  und  von  den  vier  mittlem  je  zwei, 
von  den  drei  ersten  und  letzten  immer  je  drei,  im  Ganzen  also  sechs- 
undzwanzig Verräther  namentlich  gebrandmarkt  mit  dem  Schlusssatze 
iniXsixpH  fi£  ks'yovTa  rj  rjfisQa  rd  rüJv  nqodotwv  ovöfiara,  lauter  Leute  ohne 
Herz  und  Sinn  für  das  Vaterland,  allen  Menschen  und  Göttern  verhasste 


4B 

Wüstlinge,  denen  ihr  Eigennutz  und  sinnlicher  Genuss  die  höchste  Glück- 
seligkeit gewesen. 

Zur  Beurtheilung  dessen  kommt  uns  das  Zeugniss  des  Polybius 
erwünscht ,  welcher  mit  der  Geschichte  seines  Volkes  wohl  vertraut, 
gelegentlich  des  iVristaenus  den  Begriff  eines  Verräthers  erläutert.  Dieser 
hatte  die  Achaeer  —  die  Namen  haben  gewechselt,  die  Sache  war  die- 
selbe geblieben,  nur  grossartiger  als  vordem  aufgetreten  —  von  dem 
damaligen  makedonischen  Philippus  weg  zur  Verbindung  mit  den  Römern 
geführt  und  dadurch  von  dem  gänzlichen  Untergange  gerettet.  Dieses 
bringt  ihm  die  frühere  Zeit  in  Erinnerung,  er  schenkt  den  geschmähten 
Männern  eine  Ehrenrettung  und  findet  es  von  Demosthenes  tadelnswerth 
(17,  14)  diÖTi  TiixQoraTov  oveidog  rotg  inKpaviGraToig  zcSv  ^EXXr'jVbov  slxfj  xal 
ttxQiTcog  TTQosgQiips.  Für  Alle  könne  man  viel  zu  ihrer  Rechtfertigung 
vorbringen,  besonders  aber  für  die  Arcadiens  KsgxidSg,  "Isqoivviiog,  Evxa/ji- 
ni'Sac,  und  die  Messeniens,  ot  ^iXidöov  rov  &£oTg  sx^qov  naUsg  Ns'wv  xal 
Qqaovloxog.  Sie  haben  mit  Hilfe  Philippus  ihr  Vaterland  von  dem  Druck 
der  Lakedaemonier  erlöst  und  diesen  abgerungen  was  sie  mit  Gewalt 
sich  angemasst  hatten,  dass  ihr  Volk  wieder  aufathmen  konnte  und 
einen  Begriff  von  Freiheit  bekam.  Hätten  sie  zur  Ausführung  dessen 
makedonische  Besatzung  aufgenommen  oder  die  Verfassung  zu  ihren 
Gunsten  gestürzt,  so  könnte  man  sie  mit  dem  Namen  Verräther  bezeichnen, 
d  6k  zrjgovvTsg  rd  TiQÖg  rag  naiQidag  Si'xaia  xqCOei  ngayuaTcav  distpeqovto  vofit- 
^ovTsg  ov  tavTo  Ovfitfsqov  'A^tjvaioig  slvai  xal  Talg  iavrwv  TioXsOtv,  ov  örJTiov  6id 
Tovro  xaXsiOü^ai  nqodorag  ixQtjV  avTovg  vno  Jrifiooif'svovg.  6  äk  ndwa  fiergwi' 
TTQog  To  zTjg  18 lag  nargidog  OvfX(päQov,  xal  ndvrag  ^yovfievog  Snv  zovg  "EXXrjvag 
unoßXensiv  ngog  H^rjvaiovg,  d  8k  'fit],  nQoSorag  djioxaXslv ,  ayvosTv  ixoi  doxsT  xal 
TCoXv  naganaisiv  trjg  dXtj^si'ag,  o  nsTtoi'rjxs  JrjfioO^s'i'rjg.  -auch  habe  der  Erfolg 
das  Verfahren  der  geschmähten  Männer  vollkommen  gerechtfertigt;  nur 
die  Hochherzigkeit  und  der  Edelsinn  des  Philippus-  habe  die  Athener 
nach  der  Schlacht  bei  Chaeronea  geschont,  sonst  hätte  die  Politik  des 
Demosthenes  sie  noch  in  weit  tieferes  Unglück  gestürzt ;  d  Ss  fir]  did  trjv 
zov  ßaOiXe'cog  [xsyaXoipvxiav  xal  (piXodo^iav  xal  noQqwriQü)  rd  tfig  aTvxi'ag  av 
avToTg  riQovßrj  6id  trjv  JrjfiooO^svovg  noXitsCav})     Kann  man   im  Poljbius    den 


1)  Man  sieht,   wie  auch  hier  Polybius  Auffassung  weit  von  der  des  Dem.   abweicht,  welcher 


49 

Peloponnesier  nicht  verkennen,  der  seine  Landsleute  gegen  ungerechten 
Schimpf  und  Schande  vertheidigt,  so  ist  doch  auch  der  Tadel  nicht 
ungerecht,  dass  Demosthenes  viel  zu  sehr  Athener  und  zu  wenig  Hellene 
gewesen,  dass  er  jedem,  der  nicht  dem  beistimmte,  was  er  für  das 
Rechte  hielt,  einen  Bestochenen ,  einen  Verräther  schalt ,  dass  er  durch 
seine  Heftigkeit  dem  Volke  nicht  den  Nutzen  brachte,  welcher  der 
besonnenen  Politik  eines  Phokion  gewiss  nicht  entgangen  wäre.  Die 
Sonderpolik  der  Kleinstaaten  war  zu  beklagen,  aber  die  Schuld  lag  nicht 
an  den  gedrückten  kleinen  Landschaften,  sondern  an  der  Herrschsucht 
der  Lakedaemonier ;  für  jene  gab  es  kein  anderes  Mittel  als  Hilfe  von 
aussen  zu  suchen;  von  den  Athenern  hatten  sie  nichts  zu  erwarten, 
dieses  hatte  längst  die  Sache  der  Megalopoliten  bewiesen ;  auch  sie  haben 
immer  nur  auf  ihren  Vortheil  gesehen,  forderten  aber  die  Hilfe  aller 
Griechen,  wenn  sie  selbst  ins  Gedränge  kamen.  ^) 

Von  den  an  unserer  Stelle  erwähnten  ist  an  dem  Verrathe  des 
Lasthenes  und  nach  Theopompus  auch  an  Timolas  ^)  nicht  zu  zweifeln ; 
ob  auch  Simos ,  ist  sehr  in  Frage  gestellt ;  Aristoteles ,  welcher  da  er 
selbst  am  makedonischen  Hofe  lebte,  diese  Verhältnisse  besser  als  Demo- 
sthenes kennen  musste,  sagt  (Pol.  5,  6.) ,  im  Frieden  könne  eine  Ver- 
fassung gestürzt  werden,  wenn  die  beiden  streitenden  Parteien  der  Macht 
eines  Vermittlers  vertrauen  und  dieser  sich  dann  zum  Herrn  beider  auf- 
wirft :  SV  Si  zfj  iiQrjvrj  did  Tijv  dmGriav  rrp'  nqo.;  dXXi^Xovg  iyx^iQi^ovOi  rrjv 
fpvXttxrjv  OTQaTiwTaig  xal  aq^ovTi  fisOiöiin,  og  ivCots  yivsxai  xvQioq  dfKfOJSQmv,  omq 
Gvväßrj  iv  AaqiOGr]  inl  Tr~g  twv  'AksvaSüiv  dQX^j9  '^'ö''  tis^I  ISTfiov.  SimOS  war 
demnach  kein  Verräther,  wohl  aber  selbst  von  Philippus  verrathen.  Wenn 
nun  Demosthenes  nicht  nur  neutral  Gebliebene  (§.  64),  sondern  auch 
solche  von  Philippus  Betrogene  nach  eigener  Logik  in  die  Zahl  der 
Verräther  setzt,  darf  man  sich  nicht  wundern,  wenn  er  in  Griechenland 
zu  seiner  Zeit  Alles  voll  von  Verräthern,    (poQd  nqodoxm',    sieht,    wie  es 


glaubt,   dass   die  Athener  durch   seine  Politik  noch   am  besten  von  allen  Griechen  davon- 
gekommen seien  und  namentlich  die  Arkader  und  Messenier  erwähnt  §.  64.  p.  246. 

1)  Vgl.  Orelli  Lectiones  Polybianae,  Zürich  1834.  p.  13,  welcher  den  Dem.  gegen  Polybius  in 
Schutz  nimmt  und  jene  Sünderpolitik  verwirft,  ohne  zu  bedenken,  dass  diese  durch  das 
Verfahren  der  Spartaner  und  Athener  unvermeidlich  geworden  war. 

2)  Die  dorische  Form  hat  2'  p.  324,  sie  ist  also  gewiss  auch  hier  herzustellen,  auch  bei  Polybius 
steht  TifioXai/. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth.  7 


50 

seit  Menschengedenken  nie  gewesen ;    denn  gewiss  die   wenigsten    waren 
mit  seiner  und  der  athenischen  Politik  überhaupt  einverstanden. 

Und  Aeschines?  ist  er  ein  Verräther?  UnmögKch  wäre  es  nicht, 
dass  er  von  Philippus  bestochen  gegen  besseres  Wissen  und  Gewissen 
gesprochen  hätte ,  aber  Deniosthenes  hat  es  keineswegs  bewiesen ;  hun- 
dertmal behauptet  er  es,  beruft  sicli  auf  den  allgemeinen  Glauben,  Alle 
wissen  es  von  selbst,  dass  er  bestochen  sei.  Sieht  man  die  Beweise 
an,  so  findet  man  nur  slxöra,  so  schwach,  dass  es  fast  scheint,  man 
habe  nicht  gewusst,  was  ein  Beweis  sei,  und  es  sei  Sitte  unsers  Redners 
gewesen,  wie  nach  Polybius  die  fremden,  so  auch  die  einheimischen, 
welche  andere  jiolitische  Ansicht  hatten,  als  TVQodotca,  (Modenol  zu  bezeich- 
nen und  dadurch  jede  Opposition  vor  dem  Volke  verstummen  zu  machen. 
Jedenfalls  würde  sich  daraus  die  auffallende  Erscheinung  hinreichend 
erklären,  dass  von  elf  Gesandten  Demosthenes  der  einzige  nicht  besto- 
chene gewesen  sei.^)  Dass  Aeschines  nach  dem  Processe  sich  nach  dem 
freien  Rhodus  begab  und  dort  eine  Rhetorenschule  hielt,  spricht  wenig 
für  die  Versicherungen  unsers  Redners,  und  dass  man  eine  andere  Politik 
als  die  des  Demosthenes  befolgen  konnte,  ohne  im  Solde  des  Philippus 
zu  stehen,  lässt  sich  aus  Phokion  und  Isokrates  leicht  darthun.-) 

ÜOTSQOV  vi-uv,  cJ  ävSqeg  ^Ax^rjvaioi,  doxst  fuodxorög  Aloxivrjg  rj  ^t'vog  slvai 
l4?.e^(<v6Qov;  uxoveig  ä  XäyovOiv;  von  den  drei  in  den  Schoben  überlieferten 
Iv'klärungen  ist  die  launigste  und  darum  auch  die  bekannteste,  djass 
Demosthenes  absichtlich  fxiadcoTog  gesprochen  habe,  um  das  allgemeine 
Geschrei  fiiadcordg  zu  erzwingen,  wie  auch  heut  zu  Tage  ein  ßa^ßa^og, 
der  das  Wort  nach  seiner  Art  accentuirte ,  von  jedem  Griechen  sofort 
dieselbe  Antwort  erhalten  wird.  F.  A.  Wolf  bemerkte,  dass  die  Fran- 
zosen so  etwas  nicht  glauben  können ,  die  parlamentarischen  Engländer 
dagegen  solchen  Spass  wohl  verstehen ;  auf  moderne  Art  über  die  Sache 
zu  urtheilen  und  zu  entscheiden  sei  verkehrt.  Für  einen  Scherz  scheint 
die  Sache  doch  zu  ernsthaft,    auch  ist  die  Quelle    zu   trübe.     Wäre  das 


1)  A  eschin.  3,  82  lör  fxofov  ('«yiaQodSxrjToy  ovofxtil^oi'Ttg  rrj  -nuXti. 

2)  ril.  avxt  'PiXiTinnv  itvov  ovr'  'J'lBi^civi^Qov  (piXov  tiTioifi'  ilv  ty(u  ai.  da  hier  von  der  ^tvUt 
'A'lh^uy^Qov  allein  die  Rede  ist,  so  ist  diese  Stellung  auffallend,  man  erwartet  4>ih'7i7iov 
cpi'f.ov  Ovr'  'A'A.  '^ifov,  wie  cpiXog  y.cd  ^ivog  verbunden  ist  hier  und  46,  ebenso  cpiXi«  y.(ä  ^tytit. 
Vielleicht  ist  (pikoy  ein  falscher  Zusatz  und  ftVoj/  auf  beide  Namen  zu  beziehen. 


51 

Geschichtchen  wahr,  so  müsste  das  Wort  ^uoißondg,  wie  es  sehr  leicht  ge- 
schehen konnte,  am  Ende  des  Satzes  stehen,  weil  eine  solche  Correction 
von  Seite  der  Zuhörer  unmittelbar  erfolgte ;  jetzt  in  der  Mitte  konnte 
es  nicht  absichtlich  falsch  gesprochen  sein ,  ehe  Demosthenes  den  Satz 
vollendet  hatte;  dieses  ist  für  mich  entscheidend.  Dissen  meint,  das 
Ganze  sei  erst  der  schriftlich  ausgegebenen  Rede  beigefügt  worden ;  im 
Gerichte  habe  Demosthenes  das  nicht  gesagt,  da  die  Anhänger  des 
Aeschines  auch  wieder  dagegen  rufen  konnten.  Fragen  solcher  Art 
wai'en  im  Gerichte  nicht  so  ungewöhnlich,  wie  man  aus  Arist.  Rhet. 
111,  1 8  sieht ;  hatte  aber  das  Publicum  aus  Ueberzeugung  gesprochen, 
so  war  der  Process  schon  aus ,  noch  ehe  er  angefangen  hatte.  Dass 
Demosthenes  auf  seine  Partei  gestützt,  einer  günstigen  Antwort  gewiss, 
eine  solche  Frage  wagen  konnte ,  scheint  nicht  unglaublich ,  und  die 
dritte  Erklärung  der  Schollen  ist  besonders  zu  beachten:  rivi^kiog,  ds 
(p)]Oiv  wg  oTi  fihog  iorl  roig  qi^toqGi,  xal  ^laXiOra  z(7}  Jrjf.io6^£V£i,  rd  di.i(pißoXa  mc 
lül^ioXoyrifjLsva  kafißdvHv.  der  hat  seinen  Redner  jedenfalls  besser  als  die 
Neuern  verstanden.^) 

Ist  die  yQa(prj  §.  54 — 5  auch  nicht  acht,  so  muss  doch  die  Folge, 
in  welcher  die  drei  KlagejDunkte  daselbst  aufgezählt  sind,  die  richtige 
sein,  nämlich  1)  die  Person  des  Demosthenes,  2)  svOvvai,  o)  xt^Qv'^ig, 
und  es  ergab  sich  diese  gewissermassen  aus  dem  Psephisma  des  Ktesi- 
phon;  sonst  könnte  Demosthenes  nicht  sagen  §.56.  rrjv  aihrjv  Toihoi  noi- 
rjGd(.ievog  rcov  ysyqamisi'iav  rd^iv  ttsqI  ndvvcov  sQiJo  xad^  t'xuOrov  scps'^rg.  Im 
Gerichte  hat  Aeschines  eine  andere  Ordnung  befolgt  1)  ev^vvai,  2)  xr^gv'^tg, 
3)  'ÖTi  ovx  a'iiog  Jrjiuoo^s'vrjg.  in  dieser  fordert  er  soll  ihn  Demosthenes 
widerlegen,  wogegen  dieser  sich  am  Eingange  verwahrt  und  an  die 
ygacpr]  hält,  .die  ihm  Gelegenheit  gibt,  zuerst  von  sich,  d.  h.  seiner  Politik 
und  seinen  Verdiensten  zu  reden,  und  das  was  er  nicht  widerlegen  kann, 
den  zweiten  und  dritten  Punkt,  als  Nebensache  und  unbedeutend  in  den 
Hintergrund  zu  stellen,  um  dann  wieder  mit  dem  Erfolge  seiner  Politik, 
der  Verbindung  Athens  und  Thebens  weiter  zu  fahren ,  und  doch  be- 
haupten zu  können,  er  befolge  ganz  die  Ordnung,  welche  der  Kläger 
beachtet   habe.     Man    muss    auch    hierin    die    Gewandtheit    des    Redners 


1)    Vergl.  Scliäfer  II,  23G. 


52 

bewundern.  Wie  sehr  er  sich  bemüht,  was  ihm  ungelegen  kommt,  als 
untergeordnet  zu  behandeln,  sieht  man  deutlich  aus  den  Worten  §.  58. 
To  di  /.Dj  TTQOcyQcxiliavTa  insiSdv  6(7^  rag  sv^vvag  OTtxpavovv ,  xcei  dvemsiv  iv 
TO)  O^eaTQO)  TOI'  OTi(parov  xsXsvOai,  xoivcoveTv  fiiv  Tqyovfxai  xal  zovro  xoTg  neno- 
kitevi.ievoig,  sTts  ec^iog  sipi  rov  Orstfdvov  xal  zfjg  dvaQQrjGswg  zyg  iv  rovroig 
eiTe  xnl  /.d],  fti  (.levroi  xal  rovg  vofxovg  dsixrsov  elvai  (xoi  doxsl,  xa^^  ovg  ravra 
YQdcffif  f^rji'  TovTO).  Die  beiden  Punkte  haben  mit  Demosthenes  Verdiensten 
nicht  die  mindeste  Berührung;  sie  hängen  ganz  allein  von  den  Gesetzen 
ab  und  müssen  nach  ihnen  allein  entschieden  werden ;  da  aber  diese 
ihm  entgegen  sind,  will  er  sie  als  blosse  Formalität  betrachten,  die 
seinen  Verdiensten  gegenüber  wenig  Bedeutung  habe,  und  stellt  daher 
diese  auch  hier  wieder  voraus.  Ganz  schön  und  richtig  ist  die  Bemer- 
kung des  Syrianus  ^)  Rhet.  IV,  205.  xQi]  ^^  rovg  /^isrd  rixvrjg  sQyd^sOd-ai  Tovg 
Xoyovg  STiixsi^ovvrag  ralg  dnoi^si^soi  GvfXTcXsxeiv  xdg  im(poqdg,  dXXd  firj  £^u>  rov 
TTQoxstijsvov  ßad(^8iv ,  iinsq  (xrj  fxsXXoifxsv  zd  rov  Aloxivov  naS^eTv,  xa^^  savrwv 
(paGiv  d/xco/jisvoi  xoviv.  xal  ydq  Aloyjvrjg  ev  to7  xazd  KzrjOixpcSvTog  ovx  dgxeO^sig 
naqdvoiiov  SsT^ai  rd  yQatpev  xaxd  Tov  JrjjnoG&e'rovg  xpt'jcpiGi^ia,  dXXd  ngog&slg,  oog 
ovSt  a^iog  Gzstfdvov  6  ^rjfioG^svrjg,  TtQocpaGiv  to)  dvridixco  rfjg  rwr  olxsioov  noXi- 
revfxaTcov  Sie^odov  xexoQrjyrjxsv  afp&ovov  £1  St:  nsql  fxövov  sGtyj  t6  xqivofievov 
(l.  e.  TTQoxfi'fxsrov,  Tiaqdvofxov) ,  ■d-ätrov  av  stXe  JrjfioGx^svrjv  TifiaQ^otf. 
Widerlegung  der  drei  Klagepunkte  des  Aeschines. 
A.  Dass  Demosthenes  durch  Wort  und  That  stets  das  Wohl  seines 
Volkes  befördert,  Ktesiphon  also  von  ihm  Wahres  ausgesagt  habe  57 — 109. 
Aeussere  Politik  während  des  Friedens  bis  zum  Ausbruche    des  Krieges 


1)  Aus  Syrianus  Rhet.  gr.  IV,  725  könnte  man  schliessen,  dass  er  bereits  unsere  yqacp^  vor 
sich  hatte,  doch  ist  es  nicht  ganz  sicher,  auch  bringt  er  manches  Unrichtige  vor;  für  das 
Auffallende  xptvSitg  yquq^d?  ei?  rd  Stifioaia  yqdfj.fxura  xaraßdlXtafhai  hat  er  xpivSrj  yqufj.- 
fiata,  und  fofio?  d'i  tazif  ö  xtokvcjy  xptvSrj  ilgcpiqiiv  y^dfifiara,  dieses  stimmt  nicht  mit 
unserm  Actenstücke.  Aeschines  selbst  sagt  in  seiner  Rede  über  diese  Sache  §.  50  ndviig 
yuQ  untiyoQivuvaiv  ol  vofxoL  fxridivu  xptv^Tj  y(>uf/,fiara  iyyQatptiv  iv  roig  (fr/ /uoaioig 
iprjfpia/xadL  und  es  ist  schwer  zu  glauben,  dass  er  in  der  yq^^pn  einen  andern  Gedanken 
und  andere  Worte  gebraucht  habe.  An  eine  Aenderung  wie  etwa  iptvd^  tig  rd  &rjf^6aiu 
xpricpCa (lata  (oder  «tV  to  drj/j.oawf)  yqufxfiara  darf  man  bei  dem  Zustande  dieser  Urkunde 
nicht  denken.  Weit  wichtiger  wäre,  dass  Apollonius  Alex.  synt.  p.  42  Bekk.  den  Titel  eines 
I)hilippischen  Briefes  anführt  /i«(TtAit}?  Maxufovow  <i>i'/.in7iog  'JOrii'uiMv  r^  ßov'/.rj  xui  rui  (ftjfiio 
^(aCqtiy,  wenn  man  beweisen  könnte,  dass  dieser  aus  §.  37.  77  genommen  sei;  mit  p.  158 
stimmt  er  wenigstens  nicht. 


53 

mit  Philippiis  60 — 191.  Die  Darstellung,  dass  Athen  sich  an  die  Spitze 
gegen  den  König  stellen  musste  62  —  72,  ist  ausgezeichnet  und  vorzüglich 
gelungen ;  sie  wird  dem  Redner  immer  die  Zuneigung  aller  Leser  gewin- 
nen, aber  nicht  das  ist  es ,  was  ihm  Aeschines  zum  Vorwurfe  machte, 
dass  er  nicht  mit  Philippus  die  Griechen  unterjocht  habe  oder  neutral 
geblieben  sei,  das  fiel  ihm  nicht  ein,  wohl  aber,  dass  er  in  seiner  Politik 
unverzeihliche  Fehler  begangen ,  dass  er  sich  habe  bestechen  lassen 
103 — 5.  Wenn  es  69  heisst:  dXXd  xi  ixQ^l^'  1^^  noisTv;  rjörj  yccg  a'  fQOJTw 
nüvza  TccXX^  dcpslg  'Afi(pinoXiv,  Ilvdvav,  ÜOTiöaiav ,  "AXövvr^Oov  ovSsvog  Toihojv 
j.i€fivriiiai'  2sQQiov  S^  xal  Joqi'Gxov  xal  rrjv  nsnaQr'j&ov  rtoQd^rjOiv  xal  o'ö'  aXXa 
rj  TCoXiq  rjSixrjro,  ovS^  sl  ysyovev  oida.  xahoi  Gv  y'  ((prjGd^ä  fis  tavxa  Xsyovxa  dg 
sX^Q<xv  sfißaXsTv  Toi'TovGi,  EvßovXov  xal  'ÄQiOTocpwvxog  xal  Jionsid^ovg  rcov  ttsqI 
xovtoav  ipt^y)iGf.iäTon'  Övtmv,  ovx  ifxijiiv,  w  Xsycav  fv^fQÜig  u  ri  dv  ßovXrj^r^g.  ovSe  vvv 
tcsqI  Tovrm'  sqw.  SO  ist  diese  Figur ,  die  naQdXsixpig,  hier  allerdings  sehr 
geeignet ;  sie  wird  nämlich  nach  der  Vorschrift  der  Rhetorik  gebraucht : 
si  planum  non  potest  fieri  aut  facile  potest  reprehendi ,  ut  utilius  sit 
occulte  fecisse  suspicionem  quam  eiusmodi  intendisse  actionem  quae 
redarguatur.  Diese  Orte  waren  durch  den  Frieden  dem  Könige  gesichert, 
und  so  kann  von  einem  ddixsTox^ai,  nicht  die  Rede  sein.  Aber  die  Kühn- 
heit des  Redners  muss  man  bewundern,  welcher,  weil  er  keinen  beson- 
dern Antrag  darüber  gestellt  hat,  leugnet,  die  Athener  zum  Hass  ange- 
trieben und  mit  Philippus  verfeindet  zu  haben.  Aeschines  sagt  das  in 
der  erhaltenen  Rede  nicht,  muss  es  aber  im  Gerichte  vorgebracht  haben. 
Wir  müssten  Philipp.  II.  III,  de  Cherson. ,  die  allen  Hass  predigen  und 
die  Sehnsucht  nach  dem  Kriege  ausdrücken  —  in  den  spätem  nicht 
erhaltenen  Reden  hatte  sich  diese  Feindschaft  gewiss  nicht  gemindert 
—  nicht  haben,  wenn  wir  hier  ihm  und  nicht  seinem  Gegner  Glauben 
schenken  sollten.^)  Man  sieht,  dass  ein  attischer  Redner  im  Momente 
seiner  Begeisterung  Alles  was  er  früher  gesprochen  hatte,  wenn  es  ihm 
ungelegen  kam,  vergessen  und  verleugnen  konnte. 

UoTsqov  ravra  ndvra  noiwv  )^6ix€i,  xal  naQSOnovSei  xal  h'Xvs  ttjv  siQt'jVijV  i^ 
ov ;  wenn  die  Oligarchen  Euboeas  wie  Kallias  persönlich  zu  Philippus 
eilten,  seine  Hilfe  ansuchten  und  er  sie  unterstützte,  so  hatte  er  —   der 


1)  Vgl.  Schol.  zu  p.  250,  24. 


54 

Dualismus  war  nuu  einmal  in  jener  Insel  —  dadurch  den  Frieden  so 
woniii'  g'ebroclien,  als  die  Athener,  wenn  sie  die  Demokraten  stärkten 
und  die  Oligarohen  vertrieben.  Dass  der  König  Vieles  that,  was  die 
Athener  besorgt  machen  musste,  und  dass  er  seinen  Einfluss  auf  ihre 
Kosten  sich  zu  heben  suchte,  ist  gewiss,  aber  das  war  kein  Friedensbruch.  ^) 

Nach  7o  — !).  lo9  hat  Philippus  den  Frieden  direct  durch  die  Weg- 
iKiluiu'  athenischer  Schiffe  gebrochen,  und  die  Ursache  des  Krieges  wird 
§.  7()  auf  dieses  Factum  gelegt.  Man  erwartet,  dass  der  König  Kauf- 
fahrteischiffe geplündert  und  nicht  wieder  herausgegeben  habe ;  Justinus 
IX,  1  kann  daza  berechtigen;  doch  Diodor,  sagt  nichts,  auch  aus  Philo- 
chorus  bei  Dionysius  lässt  sich  nichts  abnehmen,  und  der  Redner  konnte 
in  seiner  Weise  selbst  nach  voller  Rückgabe  der  Schiffe  in  der  That- 
sache  allein  schon  eine  gewünschte  Anschuldigung  finden.  Ebenso 
erwartet  man,  dass  in  dem  Briefe  des  Philippus'^)  athenische  Redner 
mit  Namen  bezeichnet  werden ,  um  wenigstens  dem  Demosthenes  eine 
einleuchtend  perfide  Interpretation  zu  ersparen ;  um  so  auffallender  ist 
es,  wenn  ein  späterer  ihm  eine  solche  durch  Verschweigung  der  Namen 
unschuldigerweise  angehängt  hat;  aber  mag  dem  sein  wie  ihm  wolle, 
die  Behauptung  unsers  Redners,  Philippus  habe  nur  deswegen  seiner 
nicht  erwähnt,  oVt  T(Sv  dSixrjfiaTon'  av  e/iisfivrjTo  toSv  cahov,  sl'  Ti  tcsqI  ifiov 
YsyQciqff  toihcov  yccQ  sxoßfp'  «W  ^'^^  romoiq  ijvavriovfirjv,  ist  ebenso  lächerlich, 
als   sie   von  nicht  gewöhnlicher  Eitelkeit  zeigt. '^)    . 

"Warum  Philippus  Ijyzantium  belagert  habe,  erklärt  Demosthenes  87. 
ÖQcov  6'  ")%i  oizo)  ndvcoov  dv^QoSnoov  nksiOno   XQ^l^^^'   sneiOrdxTo^,    ßovkofisvog   rfjc 


I)   Vgl.  Demegorien  S.  80. 

2J  Die  lieidcn  ]5riefe  des  Philijipns  sind  noch  das  Beste  von  den  TIrkunden  unserer  Rede,  sie 
Ijezeiclmen  den  Charakter  des  Königs  und  sein  Benehmen  gegen  die  Athener  ganz  treffend. 
Schäfer  II,  472  meint  es  sei  der  Brief  gewesen,  welcher  den  Frieden  aufkündigte,  da  er 
den  erhaltenen  für  u nacht  erklärt. 

3)  §.  83.  xcd  (Hvriqov  x/jQvy/uajog  rjtfi]  fxm  rovinv  yiyvofitfov.  Da  dieses  im  offenen  ^^'ider- 
spruche  mit  dem  steht,  was  unten  §.  223  gesagt  ist,  so  scheint  die  leichte  Aenderung  der 
Handschrift  der  zweiten  Reo.  ytvofxtpov  ganz  sicher  und  sie  hat  Beifall  gefunden;  ich  halte 
sie  jedoch  nicht  für  richtig.  Dem.  könnte  die  erste  Bekränzung  nicht  verschweigen;  denn 
ihm  ist  daran  gelegen,  vollständig  zu  berichten,  und  Je  mehr  er  vorbringen  kann,  desto 
besser.  i'mtQ  vqortQOP  fiiy  'jQiarovixog,  vw  d't  KTriaufiov  yiyqucptv  ovroaC  umfasst  den  ganzen 
Zeitraum  und  heisst  von  der  ersten  bis  zur  letzten  Bekränzung;  diese  Bezeichnung  erwartet 
man  auch  hier.  Ist  ö'tvTiQov  vielleiclit  ein  Missverständniss  aus  d"""  d.  h.  tituqtov? 
Photius  p.  80.5,  wo  falsch  Jti/^OTt'/.ovg  steht.     Vgl.  Winiewsky  p.  250  sq. 


OiTOJTOfiniag  xi'giog  yeviGd-ai,  naqtXdmv  inl  QQdxrjq  Bvi^avtiovQ  Oi'i^ifidxovg  ovtac 
aihfo  id  fi^v  TTQCüTov  Gv/iTroXi^/iitv  rdv  nQog  v/iüg  n6Xijj.ov,  (og  J'  ovx  ijS^sXov  ovd' 
im  TovTOig  scptxOav  Trjv  Ovf^tnaxiocv  TCSTToirjO^ai,  Isyovrsg  dXrjO)~',  x^^Q^xw/LUi  ßaXdftiVog 
TTQog  vfj  noXsL  xal  i.irj%avrjiia'c^  imöTr'jGag  snoXioqxsi.  Die  Aufforderung  des 
Königs  an  die  Bjzantier  ist  nur  vom  Redner  gewiss  mit  voller  Zustim- 
mung seiner  Zuhörer  zum  Besten  gegeben;^)  Diodor  16,  74,  der  liier 
wohl  dem  Ephorus  folgt,  gibt  als  Grund  an,  weil  sie  den  von  ihm 
belagerten  Perinthiern  geholfen  haben,  Perinthos  aber  habe  er  ange- 
griffen svavriovfis'vrjv  atho),  jtQog  J"  'Ad-rjvaiovg  (XTtoxXCvovOav.  Alexander  in 
dem  Briefe  an  Darius  bei  Arrian  2,  14  hebt  hervor  xal  yuQ  Us^iv^mg'^) 
sßorjd^riOaTs  ot  -vdv  sfj.6v  nazsQa  r]Sixovr.  Pausan.  1,  29,  10.  Pseudodem.  p.  153. 
Nicht  den  Perinthiern,  erst  den  Bjzantiern  kamen  die  Athener  zu  Hilfe. 
Das  Verdienst  letzte  gerettet  zu  haben,  eignet  sich  Demosthenes  in  der 
Art  zu,  dass  keinem  zweiten  an  diesem  Ruhme  irgend  ein  Antheil  zuge- 
standen wird,  80.  87 — 94.  Wer  war  es,  ruft  er  aus,  der  ihnen  zu  Hilfe 
kam  und  sie  rettete,  wer  der  den  Abfall  von  ganz  Hellespont  hinderte? 
Ihr,  wenn  ich  sage  Ihr,  so  meine  ich  den  Staat.  Wer  aber  war  es,  der 
im  Staate  dafür  durch  Reden,  Anträge,  durch  Thaten  gewirkt  und  sich 
ganz  dieser  Sache  hingegeben  hat?  Niemand  als  ich.  Daraus  erwuchsen 
dem  Staate  grosse  Vortheile ,  und  ihr  wurdet  von  den  Bjzantiern  und 
Perinthiern  mit  Ehrenkronen  beschenkt.  Das  hat  mein  Streben,  das  hat 
meine  Politik  bewirkt ;  ihr  habt  schon  Viele  bekränzt,  aber  noch  nie  ist 
der  Staat  durch  Andere  bekränzt  worden,  diese  Ehre  verdankt  man 
mir  allein. 

Niemand  würde  es  wagen,  gegen  solche  Versicherungen  dieses  Ver- 
dienst unsers  Redners  ungestraft  anzutasten,  hätte  nicht  die  Geschichte 
uns  hier  die  nähere  Erklärung  aufbewahrt;  wir  müssten  dieses  wie 
vieles  andere,  gutmüthig  annehmen,  jetzt  lernen  wir  dadurch  den  Redner 
als  solchen  in  seiner  Uebertreibung  kennen,  nachdem  der  Zufall  uns 
wenigstens  so  viel  erhalten  hat,  dass  wir  das  Wahre  von  dem  Falschen 
auszusondern  und  das  Richtige  zu  durchschauen  vermögen.  Als  Philippus, 
lesen  wir  im  Phokion  bei  Plutarch  c.  14,  mit  seiner  ganzen  Macht  gegen 


1)  Dieses  erkennt  auch  Schäfer  II,  465,  wieder  ein  einleuchtendes  Beispiel  wie  Redner  mit  der 
Geschichte  umgehen. 

2)  Im  Pseudocallist.  2,  5  p.  60  steht  zweimal  Zaxvvd-ioi. 


56 

Hellespont  aufgebrochen  war,  um  den  Cliersonnes,  Perinth  und  Bjzanz 
iu  seine  Gewalt  zu  bringen,  und  die  Athener  beschlossen  hatten,  den 
liedrängten  Hilfe  zu  leisten,  brachten  es  die  Redner  dahin,  dass  dem 
Chares  der  Oberbefehl  übertragen  werde.  Dieser  aber  brachte  mit  seiner 
Flotte  nichts  zu  Stande,  die  Städte  nahmen  ihn  nicht  einmal  auf,  und 
so  irrte  er  Allen  verdächtig  umher,  die  Bundesgenossen  besteuernd  und 
\on  den  Feinden  verachtet.  Das  Volk  von  den  Rednern  angetrieben 
zeigte  seinen  Unwillen  und  bereute  es,  den  Byzantiern  Hilfe  geschickt 
zu  haben.  Da  trat  Phokion  auf  die  Bühne  und  sagte ,  nicht  den  Bun- 
desgenossen, welche  misstrauen,  sondern  dem  Feldherrn,  welchem  man 
misstraue,  müssten  sie  zürnen ;  denn  diese  machen  euch  selbst  bei  jenen 
gefürchtet,  die  ohne  euch  nicht  gerettet  werden  können.  Durch  ihn 
bewogen  änderte  das  Volk  seine  Gesinnung,  gab  ihm  eine  neue  Macht 
nach  dem  Hellespont,  und  dadurch  wurde  die  Rettung  von  Byzanz  be- 
wirkt ,  oTTfQ  fi£Yi'o'T)jV  QOTTip'  ircoiTjos  TiQoq  To  (j<i)dfjvai  t6  Bv^ävriov,  denn  der 
Ruhm  des  Phokion  war  weit  verbreitet,  und  als  Leon,  einer  der  ersten 
und  ausgezeichnetsten  Männer  von  Byzanz ,  welcher  mit  ihm  die  Aka- 
demie besucht  hatte,  für  ihn  sich  verbürgte,  öffnete  man  ihm  die  Thore 
1111(1  nahm  die  Athener  freundlich  auf;  Philippus,  der  unbesiegbar  schien, 
musste  leer  abziehen ,  ovro)  fiiv  ovv  6  (DiXinnog  i^snsos  tov  "EkXrjOTidvTov  tots 
xal  xaTfifQor/jd^rj,  Soxwv  a/^iaxog  rig  sivai  xal  dvavTaym'iGToq. 

Wie  steht  es  nun  nach  dieser  Angabe  um  die  ruhmvollen  Phrasen 
des  Redners?  Wenn  er  es  gewesen,  wie  nicht  zu  zweifeln,  welcher  an 
der  Spitze  der  kriegerisch  gesinnten  Partei  zuerst  das  Volk  den  Byzan- 
tinern Hilfe  zu  leisten  aufgefordert  hatte,  so  war  er  es  auch,  der  dem 
schlechten  Chares  die  Führung  des  Krieges  übertragen,  ot  qr'jroQSQ  rjycovi- 
oavTo  tov  XdqrjTa  GTqarrjydv  dn:oOTalr~vai,  er  es,  der  als  dieser  seine  Sache 
schlecht  machte,  den  Byzantiern  zürnte  und  es  bereute,  sie  unterstützt 
zu  haben,  6  äTjUog  vno  rwv  QrjroQCov  jraQo'^vroasvog  r'jyaväxTsi  xal  fXiTsvösi  roTg 
Bv^avrioig  7i8f.npag  Tr]v  ßorj^eiav.  Der  Ruhm  des  glücklichen  Gelingens  fällt 
allein  dem  Phokion  zu,  nicht  dem  Demosthenes,  der  den  Untergang  der 
Stadt  nicht  verhindert  hätte.  ^)    Dieses  zugleich  ein  einleuchtendes  Beispiel, 


1)   Die  Plutarchisclie  Stelle   hlieb    niehi    unbekannt,    aher    niemand    hat    an    die   Folgerungen 
gedacht,    die    sich    nothwendig   aus   ihr  gegen  Dem.  ergeben.     Wieniewsky  p.   189.    Dissen 


57 

welclier  Unterschied  zwischen  einem  Historiker  und  einem  Redner  ist, 
wie  letztere  durch  Verschweigen  die  Geschichte  entstellen,  und  was 
Andere  redlich  und  mühevoll  errungen  haben,  für  sich  in  Anspruch  zu 
nehmen  kein  Bedenken  tragen. 

Das  schöne  Epimetrum  95  —  101,  dass  die  hochherzige  Gesinnung 
der  Athener  alles  Unrecht,  das  sie  früher  von  den  Euboeern  und  Byzan- 
tiern  ^)  erlitten  hatten,  vergessen  und  im  Unglücke  ihnen  helfen  mussten, 
zeugt  wieder  von  dem  idealen  Geiste  unsers  Redners,  der  auch  einem 
natürlichen  Triebe  und  egoistischer  Tendenz  eine  höhere  liberale  und 
menschenfreundliche  Bedeutung  unterzulegen  versteht;  denn  dass  die  so 
genannte  edle  Sitte  der  Athener,  der  Unterdrückten  sich  anzunehmen, 
ihren  Ursprung  nur  darin  hatte,  das  Gleichgewicht  zu  erhalten,  damit 
der  Sieger  nicht  zu  mächtig  werde,  ist  schon  früher  nachgewiesen  worden.^) 


p.  249.  Man  meint  Plut.  habe  Chares  Verdienste  zu  Phokions  Gunsten  entstellt;  Boehnecke 
und  Schäfer  11,  480  sagen  sogar,  auf  ausdrückliehen  Rath  des  Dem.  sei  es  geschehen,  dass 
ihm  dieser  Oberbefehl  übertragen  worden.  Sie  beziehen  die  Worte  des  Corn.  Nep.  Phoc.  2, 
wo  ihm  Undank  vorgeworfen  wird,  auf  unser  Ereigniss:  auctus  adiutuuque  a  Demosthene 
eum  quem  tenebat,  ascenderat  gradum,  cum  adversus  Charetem  enm  subornaret.  Das  mag, 
wenn  anders  die  Notiz  Wahres  enthält,  früher  einst  gewesen  sein,  als  die  Verhältnisse 
beider  noch  leidlicher  waren.  Man  lese  nur  Plutarchs  Lebensbeschreibung  und  man  wird 
den  schneidenden  Gegensatz,  der  zwischen  beiden  war,  nicht  verkennen.  Phokion,  damals 
schon  über  sechzig  Jahre  alt,  ist  durch  sich  und  nicht  durch  die  Eedner  Führer  der  Flotte 
und  dadurch  Retter  von  Byzantium  geworden.  Man  wird  jetzt  auch  Aeschines  Worte  256 
besser  würdigen  tig  ztji'  dka^oytCcty  dnoßMifjafTtg  ozcty  cp^  Bvt,avriovg  fxiv  ix  riäv  /tipojy 
ngidßtvactg  i^tXia^'tai.  xujv  4'ilimiov. 

1)  95.  xard  xmv  Evßoiwy  y.cd  riäv  Bv^Kvziiüv.  Aeschines  hat  nicht  gegen  dieEuboeer  gesprochen, 
sondern  gegen  die  dortigen  Tyrannen,  Kallias,  Philistides,  Cleitarchus ;  Dem.  setzt,  um  das 
Gehässige  zu  vermeiden,  absichtlich  den  allgemeinen  Namen.  Von  den  Byzantiern  findet 
sich  bei  Aeschines  nichts,  daher  man  glaubt,  er  habe  diese  Ausfälle  in  der  geschriebenen 
Rede  ausgelassen;  um  sich  im  Exil  keine  Feinde  zu  machen.  Dissen  p.  258.  394.  Schäfer 
Beilagen  S.  76.  Die  Erwähnung  beider  sammt  den  Thebanern  §.  238.  240  bezieht  sich  auf 
den  Krieg  und  den  Kampf  bei  Chaeronea.  Es  wäre  möglich,  dass  die  Worte  xcd  rmv 
BvliavTi(üv  ein  fremder  Zusatz  sind,  der  weil  oben  von  beiden  gesprochen  worden,  auch  hier 
gefordert  würde;  doch  lässt  sich  nichts  Sicheres  darüber  angeben.  —  §.  86.  rü  viy.av  ot' 
ißovXtvtad-t  war  vielleicht  ozi  ßovXtvoiaS-i"?  —  88.  toiitwv  cTt  yiypo/Liii'U)!'  oti  /jiy  nQogrjxt 
noiitv  vfu-ug  ovxit'  igiorrjaw.  2  nQogrjxei,  was  richtig  scheint  und  mit  yiyi'ofj.ivuiv  über- 
einstimmt; als  allgemeiner  Satz  gesprochen  auch  jetzt  noch  für  die  Athener  gültig  —  was 
ihr,  wenn  das  geschieht,  thun  müsst  — •  hat  es  mehr  Kraft  und  Bedeutung  —  97.  qjiqtw 
rf'  ort  civ  6  ^eog  di4ü  ytvvaiu}g.  2  icy  o,  d.  h.  wie  bei  Stobaeus  o  «V,  schob  Yen.  £,  233  « 
äy,  wohl  entstanden  aus  dem  attischen  «V. 

2)  Ueber  die  Demegor.  S.U.   Im  Gegensatze  von  den  oben  aufgezählten  an  fxv^Ccc   ('riQn  über- 
Abh.  d.  I.  Gl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.Bd.  I.  Abth.  8 


58 

Innere  Politik  102  —  9 ;  das  Trierarchen-Gesetz  des  Demosthenes 
war  gewiss  gut;  den  Vorwurf  des  Aeschines  §.  222  hält  Dissen  §.  268 
für  eine  Lüge  uud  erst  später  eingeschoben ;  ersteres  ist  nicht  möglich, 
weil  Aeschines  sagt,  er  habe  es  publice  nachgewiesen.  Wir  vermögen 
weder  darüber,  noch  über  Dinarchus  Aeusserung,  Demosthenes  habe  von 
den  Reichen  drei  Talente  bekommen,  um  noch  manche  Aenderung  im 
Gesetze  vorzubringen,  zu  urtheilen,  müssen  daher  solche  Angaben  auf 
sich  beruhen  lassen,^)  die  Einrichtung  aber  als  wohlthätig  und  frucht- 
bringend anerkennen. 

Klug  berechnet  ist  was  er  §.110  sagt,  dass  er  mit  der  Darstellung 
seiner  Politik,  gleich  als  wollte  er  nicht  weiter  davon  reden,  hier  ab- 
brechen und  zu  dem  naQävofiov  übergehen  müsse,  obschon  er  dadurch 
die  wichtigsten  Ergebnisse  seiner  politischen  Thätigkeit  stillschweigend 
übergehe :  xairoi  rd  ^syiOTd  ys  TtöV  jTeTioXitevixsvcov  xai  usnQayfJts'viov  i^iavt^y 
TiaQuXsiTKo ;  er  thue  das  in  der  Ueberzeugung ,  dass  jeder,  wenn  er  auch 
nichts  davon  sage,  das  Bewusstsein  davon  für  ihn  in  der  Brust  trage. 
Natürlich  denkt  er  nicht  daran  davon  zu  schweigen,  aber  er  hat  sich 
dadurch  die  Möglichkeit  gegeben,  die  Gesetzesfragen  kurz  abzumachen, 
um  dann  sofort  wieder  in  aller  Ausführlichkeit  von  sich  und  der  durch 
ihn  bewirkten  Verbindung  der  Athener  und  Thebaner  sprechen  zu  können. 

B.  sv^vvai  110  —  9.  Als  Ktesiphon  den  Antrag  stellte,  den  Demo- 
sthenes auch  deswegen  zu  bekränzen,  weil  er  sein  Amt  so  trefflich  ver- 
waltete und  aus  eigenen  Mitteln  bedeutende  Schenkungen  dazu  gemacht 
habe,  war  dieser  noch  im  Amte,  er  hatte  von  den  zur  Verwaltung  er- 
haltenen Staatsgeldern  noch  keine  Rechnung  abgelegt;  selbst  die  Cautel 
fehlte  idv  koyov  dnodoj^  und  so  war  der  Antrag  entschieden  naqdvofiov. 
Jetzt  ist  natürlich  Alles  längst  abgemacht,  die  Staatsgelder  sind  gehörig 
verrechnet,  die  freiwilligen  Beiträge  richtig  nachgewiesen,  und  Demo- 
sthenes kann  gar  nicht  begreifen ,  was  denn  der  einfältige  Gegner 
eigentlich  wolle,  spricht  weites  und  breites  von  Dingen,  um  die  es  sich 
nicht  handelt  und  welche  gar  nicht  hieher  gehören.     Es    ist   dieses    ein 


gangenen  Fällen  wird  §.  101  doch  anerkannt,  dass  jetzt  auch  das  Interesse  Athens  bethei- 
ligt war  vniq  uvxrjg  ZQonoy  tivct  rrig  ßovXijg  oilarjg. 
1)  „Wem  soll  die  Nachwelt  glauben,  welche  ein  Urtheil  aus  den  Berichten  lügenhafter  Redner 
bilden  will?"  Boeckh  Staatsh.  I,  741. 


59 

lehrreiches  Capitel,  aus  welchem  man  den  lügenhaften  Charakter  der 
attischen  Redner  am  besten  kennen  lernen  kann ;  nichts  ist  klarer  und 
einfacher  als  die  Darstellung  des  Aeschines  §.9  —  31,  gleichwohl  beginnt 
Demosthenes  seine  Widerlegung  mit  den  Worten:  tcJi'  /i^v  ovv  X6yu)v  ovg 
ovTog  ävw  xat  xdru)  Siaxvxwv  sXsys  tisqI  rwv  TragaysYQc^l^ilis'von'  vo/bicov,  ovts  fid 
Tovg  ^eovg  vfiäg  oi[.ua  /.lav^äreiv,  ofV  avcog  rjdvvdßrjv  ovvstvai  Tovg  noXXovg, 
dnXcog  6b  rrjv  oQd-rjv  ttsqI  twv  SixaCmv  SiaXs^oficci.  Natürlich ,  da  er  darüber 
reden  muss,  den  wahren  Bestand  aber  nicht  sagen  will,  spielt  er  den 
Verwunderten,  begreift  nicht,  was  der  Gegner  wolle,  beweist  in  vollem 
Ernste,  dass  man  für  das,  was  man  schenke,  nicht  zur  Verantwortung 
gezogen  werden  könne,  Aeschines  also  unsinniges  Zeug  schwätze,  und 
Schliesst  seine  Beweisführung  so  :  6  Sä  naiXTtdvrjgog  avdQbanog  xal  &eoTg  ix^Qog 
xal  ßdOxarog  ovrmg  noTog  Tig  av  sl'rj ,  nqdg  &€u!v;  ovxl  o  roiovtog;  man  wird 
nicht  sehr  irren ,  wenn  man  überhaupt  überall ,  wo  die  Redner  nur 
schmähen  und  schim^^fen,  die  Ursache  in  dem  Mangel  wirkliche  Gründe 
vorzubringen  sucht.  Hier  hat  selbst  Dissen  p.  277  erkannt,  dass  Alles 
nur  Chikane  ist,  die  Alten  sprechen  sich  ganz  klar  darüber  aus.^) 

C.  xrjqvyixa  120 — 1.  Nicht  viel  anders  wird  es  sich  mit  der  gesetz- 
lichen Bestimmung,  der  dvdQQrjOig,  verhalten.  Das  Sophistische  kann 
man  schon  daraus  erkennen,  dass  Demosthenes  sich  den  Schein  gibt, 
als  wäre  es  dem,  welcher  bekränzt  wird,  ganz  gleich,  wo  er  bekränzt 
werde,  die  Ausrufung  im  Theater  aber  geschehe  nur,  damit  das  Volk 
der  Athener  von  den  Hellenen  gepriesen  und  geachtet  werde,  demnach 
zur  Ehre  des  Volkes ,  nicht  des  Gekrönten ;  dabei  wird  dem  Gegner 
Unwissenheit  vorgeworfen  dXXd  uQog  ^tcov  ovrco  Oxaidg  sl  xal  dvaCod-rjXog, 
Aloxivrj.  Jeder  sieht  das  Falsche,  aber  die  Kühnheit  und  die  Kunst  des 
Verdrehens,  um  Alles  zu  seinen  Gunsten  zu  wenden,  muss  man  bewun- 


1)  Schol.  in  Theonem  I,  260,  Rhet.  VI,  36,  VII,  17. 291  und  die  von  Reiske  zu  p.  264  citirten 
Stellen.  —  Die  falschen  Schlüsse  im  Einzelnen  nachzuweisen,  muss  dorn  avifmerksamen  und 
vernünftigen  Leser  überlassen  werden;  wer  einmal  auf  den  eigentlichen  Sachverhalt  auf- 
merksam gemacht  ist,  wird  von  selbst  sehen,  dass  nicht  das  Mindeste  daraus  folgt,  so  sehr 
er  sich  auch  den  Schein  gibt,  als  wolle  er  strenge  beweisen;  darin  liegt  eben  das  sojjhi- 
stische  Verfahren  des  Redners,  z.  B.  110.  tV«  roivvv  tldtJTt  ori  ccvtos  ovrog  fioi  /nciQTvQit, 
t(p'  olg  ov/  vntvS^vyog  f^v  tax  tcpav  iöaii-ui,  ((!ri(puvova&ia7)  luß(üp  uvnyftaS^i  ro  ipricpiafj.u  oXov 
t6  yQucpti'  fioi.  oig  yäq  ovx  (yQuiparo  roxi  npoßovXsvfieerng,  rovroig  «  ^imxai.  avxocpavtöii' 
(pavrjairui. 

8* 


60 

dem :  die  einzig  richtige  Erklärung  hat  schon  Aeschines  gegeben :  ovS' 
ivaiii'of  tov  (J'j;/ttoy  alX^  svavxCov  ^EkXt^vwv,  tV  ry^urv  OvvsidwOiv  oiov  avdga  Ti/KJäfisv. 
Ktesiphon  wollte  durch  die  Ausrufung  im  Theater  dem  Demosthenes  die 
günstige  Stimmung  aller  Hellenen  erwerben  und  dadurch  auch  wieder 
auf  die  seines  eigenen  Volkes  wirken. 

Da  die  Entscheidung  dieser  Frage  von  der  Kenntnissnahme  der 
Gesetze  abhängt ,  welche  uns  nicht  erhalten  sind ,  beide  Redner  aber 
einander  vorwerfen,  dass  sie  nur  abgerissene  Stücke  der  Gesetze  dem 
Volke  vortragen  und  diese  verdrehen,  nicht  das  ganze  Gesetz,^)  so  wird 
ein  sicheres  Urtheil  über  das  Einzelne  uns  unmöglich ;  was  man  bis  jetzt 
gegen  Aeschines  vorgebracht  hat,^)  ist  jedenfalls  unhaltbar  und  nicht 
schwer  zu  widerlegen.  Eine  absichtlich  falsche  Interpretation  hatte 
dieser  gewiss  nicht  vorgebracht ;  er  wusste,  dass  er  es  mit  einem  Gegner 
zu  thun  hatte,  der  ihm,  auch  wenn  er  das  Recht  offenbar  für  sich  hatte, 
durch  Kunst  und  List  den  Boden  zu  untergraben  verstand.  Er  hätte 
diese  dväggr^aic  ganz  übergangen,  wenn  das  Gesetz  nicht  entschieden  für 


1)  Aesch.  35.  ^Qtjaoyrca  rov  p6/uov  fitQft,  riri  yXinrovxi^  rrjv  uxqoaaiv  vfiiuv  y.cü  naqi'^ovrai  vo/j.op 
ovdii'  n^og^xovru  t^&s  rrj  yQctcprj.  Dem.  121.  rt  ovy  w  TakccinioQt  avxoffcivritg;  ri  Xoyovg 
nXchztig;  ri  auvrov  ovx  ikXtßoQi,^ii,g  .  .  yo/nnvi  [itTunoioJv ,  rmv  d"  clcpaiqüii'  fxtqrj,  ovg  oXovg 
6iy.iaov  i^y  uvnyiyvoiaxta&ni. 

2)  Bissen  und  besonders  Franke  in  Jahns  Jahrb.  1838.  XXII,  378—82.  Vgl.  Schäfer  III,  214. 
Dass  beide  Redner  dasselbe  dionysische  Gesetz  citiren,  ist  anerkannt,  dagegen  zwjifelhafti 
ob  nach  den  AVorten  des  Gesetzes  ,«^i9-'  vno  ruiv  cpv^triöv  tj  dtjfioTuJy  clyayoQtvta&ai  artqja- 
yovfu.eyoy,  f^i^d-'  vn  üXkov  (xriSkvog  die  Exception  so  lautete  wie  sie  Dem.  anführt,  nlr^v  idv 
tiyag  6  67j(j.og  ^  »J  ßovX^  xptjcpiarjxca.  Im  letzten  Falle  haben  die  (pvkixai,  (Tij^uorttt  oder  äXkoi, 
tiyfg  die  Genehmigung  des  Volkes  einzuholen,  es  kann  nicht  das  Volk  verstanden  werden, 
welches  sich  selbst  die  Erlaubniss  gibt;  die  ityixni  aricfMyoi  sind,  wenn  auch  nicht  aus- 
schliesslich, doch  gewiss  zumeist  und  zunächst  gemeint.  Dieselbe  Schlussform  hat  Aeschines 
auch  3,  30.  Hat  aber  Dem.  die  Worte  der  Exception  Sw^Qi^äriv  gegeben  und  nicht  etwa 
blos  den  Gedanken  erweitert  —  auffallend  ist  der  Zusatz  ^  <j'  ßovX^  und  der  Pluralis  rivag 
—  so  kann  eine  ardaig  ex  ambiguo  und  die  Controverse  entstehen,  ob  jenes  tivdg  auf  die 
vorher  genannten  zu  beziehen  ist,  und  dieses  ist  das  natürliche,  oder  ob  es  unabhängig 
davon  für  sich  allein  steht,  und  Volk  und  Kath  jeden  beliebig  dort  bekränzen  kann.  Dann 
aber  ist  ausser  der  Zweideutigkeit,  welche  jedes  Gesetz  vermeiden  muss  und  welche  man 
hier  am  wenigsten  erwartet,  auch  der  Widerspruch  mit  dem  ersten  Gesetze.  Hat  das  Volk 
sich  selbst  die  Beschränkung  der  Ausrufung  gesetzlich  aufgelegt,  alXoxii  äi  (irjSccfiov,  so  ist 
es  auch  gebunden,  diese  so  lange  zu  halten  bis  solche  gesetzlich  wieder  aufgehoben  ist. 
Dass  Dem.  in  die  Sache  gar  nicht  weiter  eingeht  und  den  Gegner  einfach  mit  Spott  und 
Hohn  abfertigt,  ist  wenigstens  kein  eTUpfehlendos  Zeichen,  dass  die  Wahrheit  wirklich  auf 
seiner  Seite  ist. 


61 

ihn  gewesen  wäre,  und  er  konnte  es,  da  das  erste,  das  vttsvS^vvov  allein 
genüg-te,  um  das  nuqdvonov  zu  beweisen;  es  wäre  seinerseits  einfältig 
gewesen,  etwas  hervorzuheben,  was  an  sich  falsch  war,  er  würde  seinem 
Gegner  nur  eine  erwünschte  Waffe  dargeboten  haben.  Die  ganze  Stelle 
über  den  vöjxog  Jiowoiaxog  35 — 48  hat  Aeschines  vielleicht  erst  später 
als  TiQoxaTdhjXpig  seiner  Hede  beigegeben,  nachdem  er  im  Gerichte  erfah- 
ren, dass  Demosthenes  aus  diesem  seine  Vertheidigung  führte ;  daher  die 
Erklärung,  dass  dieser  hier  keine  Anwendung  finde.  Das  eigentliche 
Gesetz  mag  wohl  bei  den  Athenern  wie  oft  stillschweigend  umgangen 
worden  sein,  aber  es  bestand  und  konnte  von  jedem  der  wollte  geltend 
gemacht  werden. 

Demosthenes  erklärt  was  Aeschines  sagt,  nur  für  Schimpf,  Schmä- 
hung und  Ungezogenheit  122  seqq.,  aber  er  soll  ihm  auch  hier  nicht 
za  kurz  kommen,  ov  /itjv  ovS^  svzaviha  iXarrov  s'xon'  Sixaiog  Sotiv  dnskx^sTv, 
und  so  ist  es;  so  boshaft  wie  Demosthenes  hat  es  Aeschines  nicht  ge- 
macht, keineswegs  weil  er  nicht  wollte,  sondern  nur  weil  er  nicht 
konnte,  und  im  Vergleiche  mit  ihm  ein  Stümper  ist;  zu  solch  gehässigen 
Ausfällen,  wie  wir  sie  127 — 31  lesen,  welche  zeugen  wie  unbarmherzig 
die  Alten  gegen  einander  sind,  war  kein  Grund.  Die  Schlussworte  der 
Rede  des  Gegners  eignen  sich  allerdings  mehr  der  Schau-  als  der  Redner- 
bühne,  sie  sind  ihm  aber  eine  erwünschte  Veranlassung  zu  schmähen; 
denn  anderes  ist  es  nicht.  Die  Schilderung  was  Vater  und  Mutter  des 
Aeschines  in  ihrer  Jugend  gewesen  sind  §.  129  —  30  wird  durch  die 
wiederholte  Versicherung:  dlXa  ndvzsg  Taaoi  zavra,  xäv  sym  /xr]  le'yco^)  .  . 
rrjv  6i  firjTe'^a  Os/^ircäg  rrdw  FXavxo&iav  (snoi'rjOe)  r^v  "EfXTiovOai'  anavTsg  lOaOi 
xaXov/iiivrjV  sx  rov  ndvra  noielv  xal  ndoxsiv  drjXovoTi  ravvrjg  rrig  snwvv^iCag  vv^ov- 
oav.  nud-sv  ydq  aUo^ev;  nicht  glaubwürdiger.  Jetzt  sind  beide  längst 
todt ;  vor  siebenzehn  Jahren  im  frühern  Processe  CIX,  2  lebten  sie  noch, 
der  Vater    94    Jahre    alt.'^)     Wer   von    den    Richtern    oder   Anwesenden 


1)  Diese  ganze  Stelle  hat  nur  Aug.  I  (die  zweite  Eecension)  erhalten,  in  -  und  den  übrigen 
fehlen  diese  Worte  wohl  nur  durch  Zufall,  weil  auch  der  nächste  Satz  mit  «AA«  beginnt, 
woraus   man   sieht,    dass  auch  diese  zweite  Rec.  sich  auf  nicht  verächtliche  Quellen   stützt. 

2)  Acschin.  2,  147.  Damals  wusste  Dem.  von  der  Mutter  seines  Gegners  noch  nichts  Der- 
artiges, was  er  hier  mittheilt,  sonst  würde  er  es  netganQ.  249  p.  419  nicht  verschwiegen 
haben;  auch  dass  der  Vater  Sclave  gewesen,  war  ihm  damals  noch  unbekannt,  er  weiss 
nur  cTtcTßffzwj/  6  nurrJQ  ygct/^/xarcc,  o»?  tyoi   TuJp  Tig saßvr i ^wy   dxovto,   also   Schulmeister, 


G2 

moclite  noch  etwas  von  deren  Jugend  wissen?  Wenn  gleichwohl  Alle  zu 
Zeugen  aufgefordert  wurden,  so  ist  dieses  nichts  als  eine  verbrauchte 
rhetorische  Formel,  mit  deren  Hilfe  man  dem  gutmüthigen  Zuhörer  alles 
rnglaubliche  glaublich  zu  machen  suchte  und  deren  Erklärung  wir  dem 
Domosthenes  selbst  p.  1024  §.  53  —  4  und  Aristoteles  verdanken  Rhet. 
lil,  7  Trnaxoi'Oi  6s  ri  ot  dxQoaial  xal  o)  xaxaxoqun;  XQ<avtai  ol  XoyoYQd<fOi  tiq 
d  oi<x  oidfv:  ccTrarzfc  i'GaOiv  of^ioXoyeT  yciq  6  äxovcov  aiOxvvofisvog,  oncag  fisTs'xi] 
oimfQ  xal  ot  aXXoi  TiävTsg.  Auch  hat  man  schon  im  Alterthum  es  als  eine 
böswillige  Verläumdung  angesehen  Rhet.  gr.  VI,  383  dXX"  cJe  r]  fxmr]Q  oov 
ToTc  /Jft^yjf (JnoTc  ya/to/c]  ovx  siQon'sia  wc  (paOi  rivsg,  dXXd  dXXrjyo^ia  xard  Of/xvö- 
ir^ta  dnoifsvyovOa  i6  aiGXQov  Ti^-g  dxoXccOiag,  fj  Xsyei  XQ^iOO^cci  tvv  firjrsQa  avTov, 
WC  (fi^Oi  ip£v66/j,£rog-  Xs'yszai  ydg  [xiq  eivai  Toiavrrjv,  ei  xal  öid  tovg 
TQidxovra  zvqdvvovg  6  ^Az q 6 fxtqr o g  tov  SrJ/xov  i^sns'as  t£  xal  STisvrjZSvGs. 
Nicht  viel  mehr  Wahrheit  enthalten  die  nächsten  Worte :  dxph  ydq  noxe  — 
6x1)1  Xs'yo};  x^^?  A*^*'  oi'v  xal  ttqo^ijV  af.i'  'A^rjvaTog  xal  QrjrcoQ  yeyovs.  AuS  Demo- 
sthenes  selbst  können  wir  nachweisen,  dass  jenes  x^^ii  xal  nQcprjv  für  den 
Qi^TcoQ  wenigstens  den  Zeitraum  von  zwanzig  Jahren  umfasst,  woraus 
noch  keineswegs  folgt,  dass  Aeschines  nicht  schon  viel  früher  als  Redner 
aufgetreten  ist.  Solche  Beispiele  zeugen  recht  anschaulich,  wie  leicht 
die  Aussagen  der  attischen  Redner  täuschen  und  mit  welcher  Vorsicht 
man  ihnen  trauen  darf;  nicht  überall  ist  das  Uebertriebene  oder  Falsche 
so  handgreiflich.^) 


nicht  der  Knecht  eines  Schulmeisters.  Ueber  dieses  und  anderes  hat  am  richtigsten  bereits 
Stechow  de  Aeschinis  oratoris  vita  geurtheilt,  auf  welchen  zu  verweisen  genügt.  Es  scheinen 
diese  Vorwürfe  überliaupt  nicht  etwas  so  seltenes  zu  enthalten;  denn  dasselbe  wird  auf- 
fallend genug  auch  von  Epikurus  gesagt.  Diog.  X,  4.  xai  yaQ  avv  t^  f^rjZQi  nsQioyrcc 
ftvTOf  fig  rcl  oixid'ia  xa()-(tQ fiovg  di'uy ii'ujay.tiv ,  xai  avv  tm  narqi  yQu/xfiara  di- 
d(i(rxtiy  XvTiQov  rwog  fiia&a^Cov.  oder  ist  dieses  nur  eine  Nachbildung  aus  Aeschines  Leben? 
1)  §.  130.  Die  Worte  oi'di  yuQ  mv  i'Tv;(ty  ^y,  «AA"  ocg  6  dtj/nog  xKruQuruu  wollte  H.  Schäfer 
hinauf  nach  n^op^^at^ca  Xuyov?  setzen  und  freute  diese  seine  Vermuthung  durch  die  älteste 
Quelle  yq  Z  bestätigt  zu  finden.  Nach  meinen  Untersuchungen  stammen  die  in  yQ  I 
bemerkten  Varianten  nicht  aus  alter  üeberlieferung,  sondern  sind  das  Product  eines  der 
Rhetorik  sehr  kundigen  Kritikers  und  darum  mit  grösster  Vorsicht  anzuwenden.  Hier  ist 
die  Umstellung  auch  nicht  nothwendig,  die  Worte  beziehen  sich  auf  ravta  f^tv  ovv  iaaui, 
nach  welchen  sie  auch  stehen  könnten.  lieber  die  Bedeutung  von  thu  i'Tvxtv  ist  viel 
geschrieben,  vgl.  Roth  Philol.  X,  334.  Funkhänel  Z.  f.  A.  1857,  403—5,  ich  halte  sie  für 
gleich  mit  ovdi  yuQ  tiw  Tv/6yTu)f  ^v.  es  sind  aber  ol  rv^oyttg  die  nächsten  besten  Leute 
gewöhnlichen  bürgerlichen  Standes,  im  Gegensatze  davon  stehen  die  Sclaven,  ois  6  dijfxo; 
xuTUQarai. 


63 

Aus  dem  politisclien  Leben  des  Gegners  werden  zunächst  drei  Hand- 
lungen hervorgehoben,  132 — 7,  um  zu  beweisen,  dass  Aeschines  stets 
gegen  sein  Vaterland  für  Philippus  arbeitete.  Dass  er  in  der  exxXrjoia 
das  Volk  überzeugte,  Demosthenes  Verfahren  gegen  Antiphon  sei  allen 
Grundsätzen  der  Demokratie  zuwider  und  dieses  ihn  freiliess ,  kann 
keinen  Verdacht  auf  ihn  werfen,  weil  er  durch  Gründe  den  Demosthenes 
widerlegen  und  das  Volk  überzeugen  musste,  sonst  hätte  dieses  den 
Antiphon  nicht  frei  gelassen.^)  Wenn  aber  der  Redner  sofort  schliesst, 
der  Areopag  habe  den  Aeschines  für  einen  TCQoSövrjg  erklärt,  weil  er 
nicht  diesen,  sondern  Hyperides  zum  Sprecher  für  das  delische  Heilig- 
thum  gewählt  habe,  so  ist  dieses  nichts  als  ein  starker  Paralogismus, 
welchen  die  alten  (nicht  die  neuern)  Erklärer  recht  wohl  begriffen  und 
nachgewiesen  haben.  ^) 

Wünschenswerth  wäre  uns  besonders  eine  nähere  Kenntniss  des 
Zusammentreffens  des  Demosthenes  mit  Python  und  deren  gegenseitigen 
Reden.  Unter  den  vielen  Gesandtschaften,  die  Philippus  während  des 
Friedens  nach  Athen  schickte,  scheint  es  die  von  Hegesippus  erwähnte.^) 


1)  Wann  geschah  dieses?  Boeckh  glaubt,  bald  nach  der  du(if)i^(p>]<ng  CVIII,  3,  vgl.  Schaefer 
II,  346,  aber  damals  war  erst  Friede  gemacht,  und  es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dass  wenn 
je  Philippus  sich  damals  zu  einem  Zwecke  mit  diesem  Menschen  einliess.  Die  Anschuldi- 
gung geht  von  der  Furcht  der  Athener  für  ihr  Arsenal  aus,  und  es  ist  charakteristisch, 
dass  bei'  Aristoph.  Acharn.  v.  887  der  Sykophant  dem  Dochte  feil  bietenden  Boeotier  die 
Klage  an  den  Hals  wirft,  dass  er  das  Arsenal  anzünden  wolle;  die  Anschuldigung  war  also 
eine  nicht  seltene.  Ist  Plutarchs  Angabe  Dem.  14  aus  andern  Quellen  oder  nur  aus  flüch- 
tiger Ansicht  unserer  Rede?  Dort  packt  Dem.  den  Antipho  dennoch,  obschon  das  Volk  ihn 
frei  gelassen  hat  und  führt  ihn  zum  Areopag,  dieses  nennt  Plut.  atpod^cc  ttQuarox^uTi,xov 
noXitivfia,  nach  unsern  Redner  hat  der  Areopag  selbst  den  Menschen  aufgesucht  und  dann 
als  schuldig  getödtet.  Jene  Worte  können  sehr  leicht  aus  §.  132  w?  if  dtifiox^aria  dtwa 
noidi  genommen  sein  und  man  darf  aus  diesen  nicht  schliessen,  was  Boehnecke  und  Schaefer 
II,  361  gethan  haben. 

2)  Rhet.  gr.  V,  283.  VII,  322.  ovtoj  xui  Jrj/x.  iv  rw  n.  ari(p.  nrcQu^oyiCtrai  jov  Aia](ivriv.  gjtjal 
yuQ  ovTüjg'  ovxovv  ort  rovrov  ju.tkXofTog  '/.iysiy  anrikuatv  avrw  o  ^ovlr^  xui  nQogixu^ty  irtQU) 
Xiytiy,  t6t£  xui  riQoSoTriv  livui,  xui  xuxovovf  vyuv  unicpijt'aTO.  rovg  fxtv  yu^  nQodoTug 
ix ßuXXea d^a  i  6 fj,oi.oytit ui,  ro  &£  rovg  txßuXXofiiyovg  ncivruig  tlvui  nQodorug 
ovx  (iXi]S-ig.  Sopater  rV,  406.  Vielleicht  waren,  was  schon  Dem.  Worte  anzudeuten  scheinen, 
mehrere  Candidaten  vorgeschlagen,  aus  welcher  der  Areopag  wählte;  dieser  hatte  seine 
Wahl  jedenfalls  nicht  motivirt,  sonst  würde  Dem.  nicht  säumen,  dieses  anzuführen.  Des- 
wegen sind  auch  Westermanns  Vermuthungeu  „Untersuchungen  über  die  Urkunden"  S.  67, 
nicht  anzunehmen.     Selbst  das  unächte  Zeugniss  sagt  nur  'Ynt^Cdrjy  ü^iov  fiyui  fxüX'kou. 

3)  Schaefer  II,  352—61. 


64 

Für  den  Aescliines  war  gewiss  das ,  was  er  damals  siDracli ,  so  wenig 
conipromittirend,  als  es  früher  seine  Rede  für  die  Aufnahme  des  Phi- 
lip])us  in  den  Amphiktyonenbnnd  gewesen  ist,  und  einige  der  Alten 
haben  irrig  geglaubt ,  es  handle  sich  hier  um  diese  Thatsache ;  dann 
wäre  der  Tadel  des  Demosthenes  als  völlig  unbegründet  erwiesen.  Auch 
damals  machte  ihm  sein  Gegner  ein  grosses  Verbrechen  daraus  und 
behauptete,  er  sei  der  einzige  von  den  Athenern  gewesen,  der  das  ge- 
than,  selbst  Philokrates  habe  so  etwas  nicht  gewagt,  während  wir  wissen, 
dass  er  im  Grunde  selbst  nichts  anderes  gewollt  und  gesprochen  hat. 
Fiel  das  Ereigniss,  wie  es  scheint,  in  die  ersten  Jahre  des  Friedens,  so 
sehen  wir  aus  den  letzten  drei  Staatsreden ,  was  er  bis  dahin  gegen 
Philijjpus  vorzubringen  hatte;  anderes  kann  er  also  auch  damals  nicht 
gegeben  haben,  wir  müssten  es  in  diesen  finden.  Wenn  er  aber  rüh- 
mend sagt,  er  habe  Python  so  widerlegt,  dass  selbst  die  Gesandten  der 
Bundesgenossen  des  Philippus  sich  erhoben  und  für  die  Athener  erklär- 
ten, so  ist  es,  wenn  anders  dieser  Angabe  zu  trauen  ist,  nicht  unmög- 
lich, dass  er  in  dem  einen  oder  andern  controversen  Punkte,  dergleichen 
sicher  nicht  fehlten,  den  Python  zurecht  wies  und  auch  die  Zustimmung 
dieses  oder  jenes  Gesandten  erlangte;  mehr  war  es  wohl  nicht. 

Am  schwersten  scheint  der  Vorwurf  zu  wiegen,  dass  Aeschines  mit 
dem  vom  Demosthenes  als  Spion  des  Philippus  aufgegriffenen  und  nach- 
her hingerichteten  Anaxinus  eine  geheime  Zusammenkunft  gehabt  habe. 
Wäre  dieses  im  erklärten  Kriegszustande  vorgefallen,  so  würde  es  von 
Bedeutung  sein,  aber  es  geschah,  wie  aus  Demosthenes  selbst  hervor- 
geht,^) während  des  Friedens,  zu  einer  Zeit,  wo  die  Kriegspartei,  d.  h. 
Demosthenes  und  sein  Anhang  den  Bruch  mit  Gewalt  herbeizuführen 
suchten,  und  so  verliert  auch  dieses  Zeugniss  seine  Bedeutung,  zumal 
Demosthenes  wegen  dieses  seines  gewaltsamen  Verfahrens  später  in  der 
ixxlrjaia  viel  Anschuldigungen  von  Aeschines  zu  erleiden  hatte,  diesem 
also  gewiss  nichts  weiter  anhaben  konnte. 

Das  sind  also  die  drei  gravirendsten  Handlungen  des  Aeschines,  von 
denen  §.  131  gesagt  ist  u  vnhq  tcov  ixU-qwv  ^avsQÜ^g  dneötix^rj  nQäzTcov,  Sie 
beweisen    alle    nichts,    und    wenn    er   §.   138    an    diese    die    Bemerkung 


1)   Schaefer  II,  461. 


65 

anknüpft:  fivqia  toivvv  st^q'  sinsTv  e'j^mv  tisqI  avrov  naQaXsCnu),  SO  ist  dlGSeS 
nichts  als  eine  alte  Formel  der  Redner,  wenn  sie  sonst  nichts  mehr 
vorzubringen  wissen,  §.  50.  100.  Der  Vorwurf,  welcher  hiebei  den 
Athenern  gemacht  wird,  dass  sie  so  indifferent  seien  und  die  Redner, 
welche  zu  ihrem  Besten  sprechen  und  handeln,  von  den  Gegnern  gerne 
verleumden  lassen,  beweist  nichts,  als  dass  Demosthenes  keinen  Wider- 
spruch ertragen  will  und  jede  Opposition  als  im  Solde  des  Feindes 
stehend  betrachtet. 

Diese  Beispiele  aus  dem  Leben  des  Aeschines  fallen  vor  den  Aus- 
bruch des  Krieges  §.  139,  in  der  Zeit  des  Krieges  selbst  hat  er  nichts 
für  das  Wohl  Athens  gethan,  keinen  einzigen  Antrag  gemacht,  entweder 
weil  er,  sagt  Demosthenes,  an  meiner  Politik  nichts  auszusetzen  und 
Besseres  zu  geben  wusste,  oder  weil  er  vom  Feinde  gewonnen  das 
Bessere  nicht  mittheilen  wollte;  dagegen  hat  er  Uebel  genug  zugefügt, 
er  hat  den  Amphiktyonenkrieg  hereingebracht  und  dadurch  ganz  Hellas 
ins  Unglück  gestürzt.  Die  ausführliche  Begründung  dessen  liegt  dem 
Redner  so  sehr  am  Herzen ,  dass  er ,  um  die  Reinheit  seiner  Gesinnung 
und  die  Wahrheit  dessen,  was  er  sagen  werde,  zu  beweisen,  von  Neuem 
die  Götter  zu  Zeugen  aufruft  §.141.^)  Es  ist  ihm  dadurch  die  Gelegen- 
heit gegeben,  die  weitere  Darstellung  seiner  Politik,  welche  er  oben 
absichtlich,  um  die  beiden  andern  Klagepunkte  kurz  einzuschieben,  un- 
terbrochen hatte,  wieder  aufzunehmen  und  den  ganzen  Inhalt  der  fol- 
genden Rede  für  sich  und  seine  Person  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Demosthenes  urtheilt  von  der  Erzählung  und  den  Aussagen  des 
Aeschines  nicht  am  besten  §.  140  xovg  noUovg  dvdXwos  Xoyovg  rd  twv  jifi- 
(fiGOtbäV  Twv  AoxQÖüv  dis'§i(üv  Soyixaxa,  wg  diaOZQsipwv  TdXrj^s'g.  to  J'  ov  loi- 
ovTov ,  nox^ev ;  ovdenoT^  ixvCipl]  Ov  raxei  nsnqayfiäva  OsavTtp ,  ovx  ovtco  noXld 
igsTg.  Aber  obschon  er  die  Beweise  aus  den  Urkunden  des  Archivs  in 
den  Händen  hält  und  die  Zuhörer  selbst  die  Thatsachen  noch  im  Ge- 
dächtnisse haben,  ist  er  dennoch  besorgt  und  meint,  man  könnte  den 
Menschen  für  zu  unbedeutend  halten,  um  ihm  so  Ungeheures  zuzutrauen, 
gerade  so  wie  damals  als  er  durch  seine    falschen  Aussagen  die  Phoker 


1)  Wie  gewöhnlich  solche  Betheuerungen  gewesen  sind,  kann  man  aus  dem  ähnlichen  Schwüre 
Ivleons   bei  Aristoph.  eq.  770 — 4  erkennen.   —    §.   141.  ii  .  .  t'inoifxt,  xui  linof  t6t\     Cod.  2 
hat  xcd  tinov  xui.  war  vielleicht  tlnoifit,  (ilnov  xcd  tot'  .  .)? 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth.  9 


G6 

ins  Verderben  gebracht  hat.  Aeschines  habe  den  Philippus  nach  Grie- 
chenhmd  geführt  ndvxcüv  sfg  dnJQ  luylotav  ahtog  xaxwv,  er,  Demosthenes, 
habe  das  sogleich  durchschaut  und  in  der  Versammlung  gerufen:  nöXsfiov 
elg  Tijv  Hmxtjv  eidysig,  Aloxivrj,  n;öX£f.iov  ^Aix(fixvvovix6v ,  aber  eigens  dazu  be- 
stellte Leute  hätten  ihn  nicht  reden  lassen,  andere  sich  über  diesen 
Vorwurf  gewundert  und  gemeint,  nur  politischer  Hass  bringe  solche 
Anschuldigungen  gegen  Aeschines  vor;  sie  sollten  aber  jetzt  aus  seinem 
Munde  vernehmen,  was  man  sie  damals  nicht  anhören  Hess  und  erfahren 
wie  schlau  und  fein  Alles  angelegt  und  ausgeführt  wurde  §.  144  "jtig 
6'  tj  <pvGig  (ü  d.  jI.  yf'/oj'f  lomcüv  rwv  n^aYi-idroov,  xccl  xivog  svsxa  zavza  GvveOxsv- 
död^ij  xal  Tiwg  sTiQdxO-)] ,  vvv  dxovOaTs,  insiSrj  tots  excoXv^rjzs-  xal  ydq  av 
nQciyna  Ovvtsd-iv  öipsO^s  xal  fieydXa  wfpsXrjOsO^s  ixqog  lOToqiav  rtov  xoivwv, 
xal  ooij  d£iv6ri]g  »Jv  iv  Tf,"  (PiUnnu)  d^sdösoO^e.  Dieses  ist  so  gesprochen,  dass 
man  annehmen  muss,  jetzt  zum  erstenmal  enthülle  Demosthenes  seinen 
Athenern  das  ganze  Intriguengewebe,  wodurch  Aeschines  dem  Philippus 
Griechenland  in  die  Hände  spielte.  Aber  das  lautet  höchst  befremdend 
und  unglaublich.  Dass  Aeschines  den  Demosthenes  in  der  exxhjoia  wider- 
legt habe,  sagt  er  selbst  §.  126  ifiov  (pavsqwg  ivccvziov  vßcSv  s^elajxovTog, 
damals  war  unser  Redner  durch  die  Kriegserklärung  gegen  Philipjjus 
und  die  Unterstützung  der  Byzantier  bereits  an  der  Spitze  der  Leitung 
des  Staates  und  blieb  es  auch  nachher  lange  genug.  Wie  sollte  er  nun, 
auch  zugegeben,  was  schwer  zu  glauben  ist,  dass  man  ihn  damals  nicht 
habe  zu  Wort  kommen  lassen,  diese  ganze  Zeit  hindurch  nicht  Gelegen- 
heit genug  gehabt  haben,  seine  Entdeckung  und  Ueberzeugung  den 
Athenern  wiederholt  auszusprechen?  Entweder  wir  haben  hier  einen 
rhetorischen  Kunstgriff,  wodurch  um  die  Aufmerksamkeit  der  Zuhörer 
zu  fesseln,  oft  Gesagtes  als  neu  angekündigt  wird,  oder  Demosthenes 
hat,  wenn  er  wirklich  nie  davon  geredet  hat  und  jetzt  nach  neun 
Jahren  zum  erstenmal  die  Ränke  aufdeckt,  sie  früher  selbst  nicht 
gekannt,  jetzt  erst  aufgefunden  und  sich  combinirt. 

Und  in  der  That,  ich  kann  in  seinen  Angaben  nicht  finden,  was  er 
beweisen  will,  es  sind  nur  Vermuthungen  und  unerwiesene  Behauptungen, 
aber  etwas  anderes  folgt  aus  den  Erzählungen  beider  Redner  unwider- 
legbar, woran  weder  Aeschines  noch  Demosthenes  dachte,  was  keiner 
erkannte  und  glaubte,   die  heillose  Zerrüttung  der  griechischen  Stämme 


67 

in  sich,  ihr  gegenseitiger  Hass  und  die  Vernichtungssucht  sammt  deren 
völligen  Ohnmacht,  und  dies  wars,  was  den  Philippus  nach  Griechenland 
geführt  und  die  weitern  Ereignisse  hervorgebracht  hat. 

Die  nächste  Schuld  tragen  die  Athener  selbst  durch  das  Aufhängen 
der  Schilde  im  neuen  Tempel:  xQ^oäg  donCSag  dvs'&rjxsv  (rj  noXig)  ngög  töv 
xaivdv  V€(ov  TiQiv  i'^ccQäOaOd-cci,  xal  iTisy^äipafisv  to  UQogrjxov  (!)  snCyQanixa  •  l4^rj- 
vaToi  and  Mrjdcov  xal  Orjßaiwv  ors  tdvavzia  rolg  "EXlrjGiv  s/xdxovro.  Statt  das 
traurige  anderthalbhundertjährige  Denkmal  der  Vergessenheit  zu  über- 
liefern, hatten  sie  nichts  Eiligeres  zu  thun,  als  dem  alten  Hass  neue 
Gährung  zu  geben.  Die  Thebaner  antworteten  durch  die  lokrischen 
Amphisseer;  denn  dass  diese  von  ihnen  nur  vorgeschoben  waren,  sieht 
man  aus  ihrem  spätem  Benehmen,  sie  haben  sich  von  den  Amphiktyonen 
zurückgezogen,  um  nicht  gegen  die  Lokrer  einzuschreiten.  Diese  trugen 
bei  dem  Bunde  auf  eine  Strafe  von  fünfzig  Talenten  gegen  Athen  an. 
Hätten,  was  niemand  wissen  konnte,  die  Thebaner  selbst  das  gethan,  so 
wäre  von  Amphissa,  also  auch  von  allem  Folgenden  nie  die  Rede  ge- 
wesen, und  man  sieht  schon  hieraus,  wie  nichtig  der  Vorwurf  ist,  dass 
Aeschines  und  Philippus  das  alles  längst  abgemacht  hätten.  Wenn  aber 
Demosthenes  die  Angabe  des  Aeschines  Lügen  straft,  weil  keine  Ladung 
an  Athen  ergangen  sei,  §.  150  ovdsfxCav  dixrjv  zdjv  Aoxqm>  sTtayövTcov  rjixTv, 
Ov6^  d  vvv  ovTog  nQO(paöCt,£Tai,  Xsymv  ovx  dXrjS^fj.  yvmösGd-s  J"  sxsT&ev. 
ovx  ivrjV  dvev  tov  UQogxaXsGaOd-ai  ör'jTiov  roTg  AoxQoTg  Si'xrjV  xavd  rr^g  noXscag 
TsXs'GaG^ai.  rCg  ovv  sxXyjTsvGsv  rjixdg;  snl  noiag  aQxr/g;  slrri  töv  eldora,  ösT^ov. 
dXX^  ovx  av  s^oig ,  dXXd  xsvfj  7rqo(pdG8i  zavTrj  xaT£%Q(Jö  xal  xpsvdst.  SO  Ist 
das  nur  wieder  ein  Beisj^iel  mehr,  wie  wenig  man  den  Beweisen  und 
festesten  Behauptungen  unsers  Redners  glauben  darf;  die  Antwort  liegt 
nahe  und  sie  ist  schon  von  Andern  gegeben,^)  Eine  Ladung  an  Athen 
konnte  nicht  ergehen,  weil  die  Klage  durch  Aeschines  Verfahren  sich 
von  selbst  aufhob.  Dass  der  athenische  Pylagoras  seine  Stadt  in  Schutz 
nahm,  war  Pflicht;  dass  er,  als  alte  Vorwürfe,  namentlich  die  Verbin- 
dung mit  den  Phokern,  hervorgesucht  wurden,  die  Amphisseer  selbst 
als  Frevler  gegen  den  delphischen  Gott  anschuldigte,    ist  natürlich  und 


1)   Droysen   S.  572.     Franke   de   decretis   Amphictyonum   p.  7   calumniatur  h.  1.   Demosthenes. 
Schäfer  II,  501. 

9* 


r>8 

kann  ebenso  wenig  getadelt  werden.  Dio  Bebauung  des  heiligen  Landes 
ist,  wenn  nicht  schon  lange  vorher,  doch  wie  begreiflich  im  unheiligen 
phokischen  Kriege  vorgenommen  worden;^)  auffallend  ist  nur,  dass  jetzt 
in  P'riedenszeiten  sieben  Jahre  lang  das  ungeahndet  blieb  und  es  des 
Aeschines  bedurfte,  um  den  religiösen  Fanatismus  der  Delphier  so  plötii- 
lieh,  denn  unbekannt  war  ja  die  Sache  doch  nicht  geblieben,  anzufachen. 
Gegenseitige  nationale  Erbitterung  wird  auch  hier  vorzüglich  gewirkt 
haben.  liiitten  die  Amphisseer  im  Bewusstsein  ihrer  Schuld  nachgege- 
ben, so  war  die  Sache  abgemacht,  aber  sie  wussten  wohl,  was  der  grie- 
chische Bund  zu  bedeuten  habe,  zumal  sie  auf  die  Unterstützung  Thebens 
rechnen  konnten,  ja  vielleicht  auch  die  Athens  zu  hoffen  hatten.  Hatte 
nun  Deraosthenes  wirklich  wie  er  versichert  gleich  anfangs  die  Sache 
durchschaut,  so  nmsste  seine  ganze  Thätigkeit  darauf  gerichtet  sein, 
den  ausgebrochenen  Streit  zu  schlichten  und  eine  Einmischung  des 
Königs  zu  verhindern,  mit  welchem  sie  jetzt  nicht  wie  vordem  im 
Frieden ,  sondern  bereits  im  Kriege  lebten.  Dieses  war  um  so  mehr 
ermöglicht,  als  auch  die  Thebaner  den  Amphisseern  wohlgesinnt,  arg- 
wöhnisch aber  gegen  Philippus  waren ,  eine  thätige  Verbindung  beider 
Staaten  würde  die  innere  Ruhe  leicht  hergestellt  haben. ^)  Statt  dessen 
finden  wir,  dass  Demosthenes  es  ist,  welcher  die  Athener  von  jeder 
Theilnahme  am  Bunde  zurückhält  und  damit  den  übrigen  Amphiktyonen, 
zumal  auch  die  Thebaner  sich  zurückgezogen  hatten,  die  Entscheidung 
überlässt;  ja  es  scheint,  dass  Athener  wie  Thebaner  gleich  anfangs  die 
Lokrer  in  ihrem  Widerstände  gegen  die  Amphiktyonen  bestärkt,  viel- 
leicht sie  später  selbst  unterstützt  haben.  Diese  Politik  des  Demosthenes 
war  demnach  jedenfalls  verkehrt  und  falsch ;  sie  führte  nothwendig  von 
selbst  dazu,  dem  mächtigsten  Bundesmitgliede,  dem  Könige,  die  Executive 
zu  übertragen,  welcher  nicht  säumte  zu  kommen,  da  er  wieder  unter 
dem  religiösen  Vorwande,  dem  Gotte  zu  helfen,  seine  Zwecke  verfolgen 
konnte.     Unmöglich  kann  man  also  annehmen,  dass  Demosthenes  gleich 


1)  Die  Lokrer  behauiiteten  nach  Dem.  §.   150  das  Land  sei  ihr  Eigenthum  gewesen. 

2)  Nicht  mit  Unrecht  sagt  Aeschines  §.  129  roiv  fity  '^tuif  r^f  rjyifj.ovUii'  rr^g  (vatßeiac:  tj/uiv 
n(((iud'id'o)x6rü)v ,  r^g  di  JrjfxoaO^ti/ovs  d'M()od'oxiug  t/UTiodwi'  ytytvrjfiivrig.  nur  lege  man  kein 
besonderes  Gewicht  auf  das  Wort  dmQniioxiug,  jeder  wirft  dem  andern  Bestechung  vor  und 
betrachtet  seinen  Gegner  als  den  eigentlichen  Sündenbock  alles  Unlieils. 


69 

anfangs  gesehen  habe,  was  folgen  würde ;  jetzt  erst  zeigte  es  sich ,  wie 
gefahrlich  es  gewesen ,  den  Philippns  in  den  Bund  aufzunehmen ,  und 
Deniosthenes  mochte ,  wenn  er  sich  anders  dessen  noch  erinnerte ,  nun 
erkennen,  mit  welchem  Unrechte  dieses  ihm  einst  nichts  als  r^  sv  JsXcfmg 
axid   gewesen  ist. 

Was  ist  nun  nach  jenen  scharfen  Vorbemerkungen  §.  140 — 4  die 
so  lehrreiche  Entdeckung,  welche  er  gleich  nach  der  Rückkehr  des 
Aeschine*  aus  Delphi  seinen  Athenern  mitzutheilen  verhindert  wurde, 
die  sie  aber  jetzt  vollständig  §.  145  —  59  vernehmen  sollen?  Einfach, 
dass  Philippus  den  Athener  Aeschines ,  mit  dessen  Volke  er  im  Kriege 
war,  bestochen  habe,  jene  Rede  gegen  die  Amphisseer  zu  halten,  damit 
er  von  dem  Bunde  zu  Hilfe  gerufen  werde  und  dann  seine  Waffen  gegen 
Athen  wenden  könne. 

Hat  Demosthenes  dieses  bewiesen,  so  ist  der  Verrath  des  Aeschines 
und  seine  Verworfenheit  unwiderleglich.  Ausgangspunkt  ist  ihm ,  dass 
Aeschines  seine  Rede  nicht  zufällig  sondern  absichtlich,  längst  vorberei- 
tet,^) also  bestochen  gehalten  habe,  und  damit  ergibt  sich  alles  Uebrige 
von  selbst.  Es  ist  das  unerwiesen,  das  nQwrov  xpsväog.  Um  wirklich  zu  be- 
weisen ,  musste  er  darthun ,  dass  auch  das  Aufhängen  der  Schilde  im 
delphischen  Tempel  und  die  Gegenreden  der  Amphisseer  von  Philippus 
und  Aeschines  angestiftet  worden ;  denn  jenes  war  nur  die  Folge  von 
diesem.  So  verkehrt  und  übertrieben  es  ist,  wenn  Aeschines  alles  Un- 
glück, das  Griechenland  getroffen  hat,  von  der  Politik  des  Demosthenes 
ableitet,  weil  seit  jener  Zeit  alles  Unheil  auftritt  —  post  hoc,  non  propter 
hoc  —  ebenso  verkehrt  ist  es,  wenn  Demosthenes  die  Quelle  alles  Uebels 
und  Verderbens  in  Aeschines  und  seiner  Vertheidigungsrede  in  Delphi 
findet;  die  Athener,  welchen  er  Stumpfsinn  vorwirft  und  dass  sie  mit 
Blindheit  geschlagen  seien,  wenn  sie  das  nicht  sähen,  waren  keineswegs 
so  hirnlos,  wenn  sie  bei  den  Deductionen  ihres  Redners  gegen  Aeschines 


1)  Schäfer  II,  502  findet  einen  Beweis  der  Schuld  des  Aeschines  darin,  dass  er  die  alten  Ur- 
kunden zur  Hand  hatte  und  seine  Rede,  wie  Dem.  es  ausspricht,  wohlbedacht  und  vora\is- 
berechnet  war.  Das  Factum  war  jedem  Gebildeten  bekannt,  die  Acten  konnten  aus  dem 
delphischen  Archive  sogleich  vorgelegt  werden;  schwerlich  ist  jenes  in>jX&i  /uoi  tnl  Ttjy 
yi'cofirji/  so  strenge  zu  fassen;  die  Sache  war  natürlich  vorher  mit  dem  Hieromneniou  und 
den  andern  Pylagoren  Athens  besprochen  und  abgemacht. 


70 

oft  ungläubig  die  Köpfe  schüttelten.^)  Seine  Darstellung  ist  nichts  als 
ein  koyoc  evTTQocionog ,  wie  er  selbst  die  Rede  seines  Gegners  nennt,  nur 
mit  dem  Unterschiede,  dass  die  des  Aeschines  facta,  die  des  Demosthenes 
ficta  vorbringt,  welche  eine  strengere  Prüfung  nicht  aushalten,  und  doch 
ist  es  gerade  diese,  welche  sich  besonderer  Zustimmung  erfreut  und  den 
Aeschines  fast  allgemein  zum  Verräther  gestempelt  hat.  Alles  dient  nur 
dem  Zwecke,  die  Verruchtheit  der  That  recht  hervorzuheben,  ohne  welche 
Philippus  nie  nach  Griechenland  gekommen  wäre.  Darum  wtrden  die 
Zustände  des  Königs  als  höchst  ungünstig  geschildert,  er  konnte  kein 
Ende  des  Krieges  mit  Athen  finden,  sl  fxr]  0r]ßaiovg  xal  &sTTccXovg  ix^govg 
non^osie  T1J  TtoXsi,  als  wüsste  nicht  jeder,  dass  Thessaler  nie  Freunde, 
Thebaner  stets  Feinde  der  Athener  gewesen  seien ;  sein  Land  habe  durch 
athenische  Kaper  unendlich  gelitten,  weder  Ein-  noch  Ausfuhr  sei  mög- 
lich gewesen.  Da  sei  ihm  nichts  übrig  geblieben,  als  im  Bunde  ein 
Scandal  anzuzetteln,  damit  die  Amphiktyonen  selbst  ihn  bitten,  nach 
Griechenland  zu  kommen  und  ihm  die  Pässe  zu  öffnen.  Hätte  er  die 
Einleitung  dazu  durch  einen  aus  seiner  Partei  getroffen,  so  würden 
Thessaler  und  Thebaner  es  bemerkt  und  sich  in  Acht  genommen  haben, 
darum  hat  er  den  Athener  Aeschines  bestochen,  der  sich  dann  trüge- 
rischer Weise  zum  Pylagoras  wählen  liess,  die  kurzsichtigen  und  dummen 
Hieromnemonen  (!  ?)  zum  Besten  hielt  und  so  seinen  Verrath  ausführte. 
Das  ist  der  Beweis;  Demosthenes  mag  von  der  Wahrheit  dessen,  was  er 
sagte,  im  Innersten  seines  Herzens  vollkommen  überzeugt  gewesen  sein, 
dass  Alles  nur  so  und  nicht  anders  sich  habe  verhalten  können,  poli- 
tischer Hass  liess  ihn  in  seinem  Gegner  nichts  Besseres  erkennen ;  wir 
haben  die  Pflicht,  wenn  bekannte  Thatsachen  so  grob  entstellt  sind  wie 
hier    geschieht ,  '^)     solch     gänzlich     unverbürgten    Vermuthungen     nicht 


1)  §.  142.  159  oV  0710»?  nori  ovx  £t't9-j)?  U^ovrt?  clnKtTQcieprjTf,  rf^ctv/xa^w,  Ti'Arji/  noXv  ti  axoTog  tag 
i'oixtv  tcti  tiuq'  vfj,ii'  nqo  iTjg  ulrjO-tiag. 

2)  Dahin  dürfen  wir  auch  §.  151  rechnen  TiQognsaopTag  ol  Aoxqoi  (xixqov  (incwrag  xuTtixoynacty, 
rwclg  di  xai  avyijQnccaay  twp  leqofj,ytifi6v(üv.  Der  Verfasser  der  Dekrete  §.  155,  der  seinen 
Redner  kannte,  redueirt  dieses  auf  ein  bescheidenes  Maas:  xtxuAvxaai  fxird  ßütf,  rivtlg  cTi 
x((i  rtxQuvfiuTixaai.  Dass  aber  auch  dieses  noch  zu  viel  ist,  lernen  wir  aus  Aeschines  §.  123 
xcä  ti  fxi)  &(>6/xoi  f^o'Mg  t^icpvyofiii'  lig  Ji'Mpovg,  ixwSwtvaufitv  ilv  dnoMo^ui  und  Aescliines 
ist  hier  Autorität;  denn  ihm  liegt  daran,  das  Verbrechen  der  Lokrer  recht  hervorzuheben, 
und   er  hätte  es  gewiss   nicht  verschwiegen,   wenn  auch  nur  einige  Verwundungen  vorge- 


71 

deswegen  Glauben  zu  schenken,  weil  es  Demosthenes  ist,  der  diese 
vorbringt. 

Aber   der   Redner   hat   Urkunden,    welche   für   ihn   zeugen    §,    142 

YQcef.iiiiaT'  e'xtov  sv  T(p  driJ.ioG(oj  xsi/^isva,  £§  mv  zavT^  eTiiSsi^oo  Oacpcag,  und  sie 
werden  §.  154 — 7  vorgelesen!  Die  erhaltenen  Dekrete  sind  unächt,  in- 
dessen haben  auch  die  ächten  dem  Gedanken  nach,  wie  sich  versteht, 
nichts  Anderes  gegeben,  auch  der  Brief  des  Philippus  an  die  Bundes- 
genossen enthielt  nur  die  Aufforderung  dem  Gotte  zu  helfen ;  alle  diese 
Acten  konnten  stillschweigend  umgangen  werden,  weil  aus  ihnen  nichts 
folgte,  was  nicht  jeder  von  selbst  wusste,  sie  werden  nur  deswegen 
angeführt,  um  den  Zuhörern  wiederholt  ins  Herz  prägen  zu  können; 
das  Alles  hat  Aeschines  gethan,  an  Allem  diesem  ist  er  allein  Schuld,^) 
und  Demosthenes  hat  nach  so  grossem  Anlaufe  mit  allem  Aufwände 
rhetorischer  Kraft  §.140 — 59  nichts  als  den  Fehlschluss  hervorgebracht: 
Aeschines  hat  durch  seine  Rede  die  Amphiktjonen  zum  Kriege  gegen 
die  Amphisseer  veranlasst,  dadurch  aber  auch  diesen  die  Veranlassung 
gegeben,  den  Philippus  nach  Hellas  zu  rufen,  also  —  war  Aeschines  von 
Philippus  bestochen.'^) 

Veranlassung  zu  Allem  was  folgte,  war  Aeschines  durch  seine  Rede 
allerdings ,  aber  nicht  mehr  als  die  Amphisseer ,  welche  gegen  Athen 
klagten,  nicht  mehr  als  die  Athener  selbst,  welche  thöricht  genug  die 
Thebaner  durch  die  Amphisseer  zu  klagen  veranlasst  hatten,  Ursache 
aber  war,  um  es  noch  einmal  zu  sagen  —  denn  noch  konnte,  wenn 
einige  Einsicht  und  ernster  Wille  bei  den  Athenern  und  Thebanern  vor- 


fallen waren.  Ebenso  falsch  ist  §.  152  nu^tX&iüv  wg  ini  KiQQaiav  iQQwafi-ca  cpQnaug  nokka 
KiQt^cdois  xcd  AoxQoig  Ti\v  'Ehhiiay  y.aTa'Aa[jL^uvti,  wenn  das  nicht  etwa  heissen  soll,  nach  der 
Bestrafung  und  Vernichtung  Amphissas. 

1)  Höchst  naiv  ist,  wenn  er  den  Brief  des  Königs  vorlesen  lässt,  tV'  ti(f^T€  xui  ix  rnvrrig 
aacpCig  otl  rr^v  fj.ii/  uXi^x'f-rj  nQücpaaiy  rüy  nQccyficcrtüv,  t6  kcvt  ini  ztjv  'EXXu^u  xai  rovg  Oijßtüovg 
xui  vfxag  tiqutt(w,  untxQvnrtro,  xotva  tfi  xui  roig  AficpixTvoai  So'Suvtu  ■noitlv  ngoginoitiTO, 
und  dann  wieder  sagt  ÖqüS-'  oti  tpivyei  rüg  l&iag  nQO(päattg,  tig  cfi  rüg  'JfMcpixrvovixug  xaru- 
(ptvyti,  gleich  als  hätte  Philippus  sagen  sollen,  es  sei  auf  die  Athener  allein  abgesehen. 
Es  geschieht  nur,  um  mit  einem  desto  kräftigeren  Ausfalle  gegen  Aeschines  das  Ganze 
schliessen  zu  können. 

2)  Dieses  und  nichts  anderes  folgt  aus  Dem.,  während  eigentlich  zu  beweisen  war:  Aeschines 
war  bestochen,  also  hat  er  so  gesprochen,  eine  Logik,  die  bei  Rednern  nicht  selten  ist. 
Wie  die  Neuern  nun  daraus  weiter  schliessen,  mag  man  z.  B.  bei  Schaefer  II,  505  sehen. 


72 

banden  gewesen  wäre,  die  Sache  geschlichtet  und  Philippus  fei'ne  ge- 
halten werden  —  der  innere  Verfall  und  die  Uneinigkeit  der  Staaten  in 
und  nntei'  sich ,  ihre  Herrschsucht ,  Eifersucht  und  Verblendung ,  die 
nicht  sahen ,  dass  welche  Wunden  sie  den  andern  zubrachten ,  sie  nur 
dem  ganzen  griechischen  Leibe  und  somit  sich  selbst  zufügten,  eine 
Verkehrtheit,  welcher  die  gerechte  Strafe  nur  zu  bald  folgte ,  wie  alle 
zerrissenen  Stännne,  wenn  ihnen  einmal  der  Gedanke  der  Einheit  abhan- 
den gekommen  ist,  die  sichere  Beute  eines  schlauen  mächtigen  Nachbars, 
tler  nie  ausbleiben  wird,  unrettbar  verloren  sind. 

Demosthenes  spricht  im  nächsten  §.  160 — 231  von  der  durch  ihn 
bewirkten  ovf.inaxia  mit  den  Thebanern,  welche  frühere  Staatsmänner 
stets  gewünscht,  aber  nie  durchgesetzt  hätten;  wenn  sein  Gegner  damit 
nicht  einverstanden  sei ,  so  tadle  er  auch  zugleich  die  Politik  eines 
Aristophon  und  Eubulus.  Dieser  tadelt  nicht  das  Bündniss  an  sich, 
sondern  dass  es  mit  zu  grossen  Opfern  Athens  erkauft  worden  und  die 
Thebaner  von  selbst  durch  die  Noth  gedrängt  die  Athener  kommen 
Hessen.  Aber  Alles,  was  Aeschines  hier  wider  Demosthenes  vorbringt, 
zeugt  nur  von  Hass  und  Feindschaft  und  ist  ohne  alle  Gewähr.  Gewiss 
war  es  nicht  die  Thätigkeit  und  Beredtsamkeit  des  Demosthenes  allein, 
welche  die  Thebaner  den  Athenern  zuführte  und  mit  ihnen  verband,  es 
kam  zu  Stande  Sid  tov  xmqdv,  did  zöv  tpoßov  töv  TisQiOrdvTa  amovg,  did  zrjv 
vfxetsQuv  do^av,  wie  Aeschines  sagt,  aber  ohne  Demosthenes  und  seine 
Rührigkeit  hätte  das  Alles  nicht  gewirkt  und  Theben  sich  mit  Philippus 
gegen  Athen  vereinigt,  das  Bündniss  kam  demnach  ebenfalls  auch  did 
Tdc  JrjfioG^e'vovg  SrjfxrjYOQiag  ZU  Stande.^)  Falsch  ist  sicher  die  Angabe 
§.  141  (Di/imnov  i^")  öröfiaxi  noXefiovvTog  vfiiv,  t^I  d"  fQyo^  noXv  fiäXkov  f.uOovvTog 
Grißaiovg,  wg  avrd  rd  ngdyixaTa  SsSijlwxe.  Mochte  der  König  noch  SO  sehr 
den  Thebanern  zürnen,  nicht  mit  ihnen  (sie  Waren  noch  seine  ovfifiaxoi), 
sondern  mit  den  Athenern  lag  er  im  wirklichen  Kriege,  und  Athen  nach 
der  bei  Byzantium  erlittenen  Schlappe  zu  demüthigen,  musste  seine  erste 
und   grösste  Sorge    sein.     War   aber    der  Krieg   einmal  in  die  Nähe  der 


1)  liier  wie  an  vielen  Stellen  haben  beide  Redner  Recht,  aber  beide  nur  einseitig;  Aeschines 
•weil  er  den  P^influss  der  Beredtsamkeit  des  Dem.,  dirscr  weil  er  den  xciiQog  nicht  erkennen 
will  und  sich  allein  Alles  zuschreibt  §.  212. 


73 

Athener  gerückt,  so  durften  sie  kein  Opfer  scheuen,  die  andern  Griechen 
und  vor  allen  die  Thebaner,  welche  dann  den  Gefahren  zunächst  aus- 
gesetzt waren,  an  sich  zu  ziehen;  da  konnte  von  Bedingungen  setzen 
keine  Rede  mehr  sein,  und  Demosthenes  Verfahren  war  für  die  dama- 
hge  höchst  gefährliche  Lage  Athens  wie  die  einzig  natürliche,  so  auch 
die  einzig  richtige  Politik,  Wundersam  bleibt  nur,  dass  er  allein  es 
gewesen  sei,  der  das  erkannt  habe ;  dass  in  jenem  Momente  nach  der 
Nachricht  der  Einnahme  Elateias  ^)  in  der  Versammlung  alle  Redner  und 
Feldherren,  die  Reichen,  ja  Alle,  die  es  gut  und  ehrlich  mit  dem  Vater- 
lande meinten,  rath-  und  kopflos  gewesen  seien ,  dass  ausser  ihm  kein 
Mensch  aufzutreten  und  ein  Wort  zu  sagen  gewusst  habe.  Indessen 
Demosthenes  kann  es  nun  einmal  nicht  lassen,  allen  Andern  gegenüber 
sich  als  den  einzigen  einsichtsvollen  und  unbestochenen  Politiker  zu 
rühmen,  der  überall  dem  Philippus  aufgesessen  sei  und  daher  auch  all 
sein  Thun  und  Lassen  ihm  abgelauscht  habe ;  das  habe  ausser  ihm  nie- 
mand gethan,  daher  auch  damals  niemand  die  nöthige  Abhilfe  gewusst. 
Die  Gründe,  welche  er  auffindet,  warum  Philippus  Elateia  eingenommen, 
sind  untergeordnet  und  nicht  die  wahren,  den  einfachsten  und  natür- 
lichsten verschweigt  er ;  der  König  musste  die  Feste,  welche  die  Strasse 
beherrschte ,  wenn  er  weiter  nach  Boeotien  und  Attica  ziehen  wollte, 
besetzen,  um  sich  den  Rückzug  zu  sichern;  dieser  strategische  Grund 
allein  erklärt  Alles  genügend,  wir  brauchen  die  Vermuthungen  des 
Demosthenes  nicht.  Wenn  Aeschines  sagt,  nachdem  Philippus  Nikaea 
den  Thebanern  genommen  und  den  Thessalern  übergeben,  den  Krieg  in 


1)  Auch  Hyperides  hatte  eine  Schilderung  von  dem  Eindrucke  jener  Kunde  gegeben,  fand  aber 
nicht  den  Beifall  wie  die  des  Dem.  Theon  prog.  2.  Rhet.  gr.  I,  167.  —  §.  176  ol/xca  xai 
rd  dioyrcc  Xiyiiv  do^tiy  xai  xov  y.ivSvvov  .  .  dtcckvatiy.  ist  hier  vielleicht  absichtlich  do^tiv, 
wegen  axontiy  «AA«  jMjj  (piXoytixtir?  denn  eigentlich  erwartet  man  i'^iiv,  wie  kurz  vorher 
§.  172  ov&ey  jxaXloy  i'fxtXXiv  o  ri  /q^  (xQ'I^"^)  fioalv  tiaiad-cci  ov&'  vfiiv  i'^tiv  avfißovXtvfiy. 
p.  57  §.  3  ol[M((i  .  .  liv  i&t).>3arjTt  Tov  9oQvßtty  xcti  (pikofdxeiy  dnoaxKVTog  dxovnv  .  . 
i^iiv  xai  ktyiiy  xai  avfißovXtvtiy.  p.  140  §.  36  olfiai  i'^nv  .  .  tintiv.  —  In  dem  falschen 
Decrete  §.  181  <i>iXt,nnog  o  MaxtSoviov  [ßuaiXtvg]  hat  nur  die  zweite  Recension  (Aug.  I  etc.) 
das  eingeschlossene  Wort;  es  war  also  einfach  im  verächtlichen  Sinne  o  Maxtdioy,  wie 
§.  155  ähnlich  nQog  •Pihnnoy  röy  Maxtdoya  derselbe  Falsarius  (dort  aber  von  den  Amphi- 
ktyonen  noch  auffallender)  gesagt  hat.  Auch  j).  183  tx  fMixQov  xai  tov  rv/öytoi  yiyoye 
uyt'Aniaroig  \^fj.iyag]  scheint  es,  dass  das  Wort  absichtlich  vermieden  werden  und  dasVerbum 
im  prägnanten  Sinne  genügen  soll. 
Abh.  d.  I.  Cl.d.k.Ak.d.Wiss.X.Bd.  I.Abth.  10 


ihr  Land  gespielt  und  Elateia  befestigt  habe,  evrav^"  ijSrj,  iml  z6  6siv6v 

r^TtrtTo  avrtöy,  j.i£r(7T£f.npccrro  \4i^tpatovc ,  xai  vfieig  s^t'^Xx^frs  xal  sigj^eiTS  fig  rag 
^/ßag  ii-  ToTg  onXoic  dtfOxevaGf^isvoi  xal  ol  InTZfig  xal  ot  ns^ol  ttqIv  nsgl  GVfi- 
f.iaxiag  /.iiai'  /.tovov  Oi'XXaßtJv  yQ'iipf^i  ^ rjfioOd-svrjv,  6  ß'  tigdycov  rjv  vfiag  elg 
rdc  Qi'.ßag  xatqoc  xal  (fößog  xal  /(»«m  övfiinaxiag  dXX^  ot'  JrjfioGi^t'vr^g ,  SO  ist, 
falls  damit  bedeutet  werden  soll,  die  Thebaner  hätten  aus  eigenem  An- 
triebe die  Hilfe  der  Athener  angerufen,  dieses  dem  ganzen  Hergange, 
wie  ihn  Demosthenes  erzählt  und  wie  er  auch  sonst  beglaubigt  ist,  ent- 
gegen ;  enthalten  aber  die  Worte  tiqIv  .  .  Jrj/^ioo^s'vrjv  dennoch  Wahrheit, 
so  folgt  daraus  nur,  dass  das  Psephisma,  welches  Dem.  §.  181  vorlesen 
lässt,  noch  nicht  den  eigentlichen  Antrag  auf  die  avfifiaxi'a  enthielt,  diese 
vielmehr,  was  ganz  natürlich  und  einleuchtend  ist,  erst  nachdem  er  mit 
den  übrigen  athenischen  Gesandten  in  Theben  selbst  die  Thebaner  auf 
Athens  Seite  gebracht  hatte ,  geschlossen  und  urkundlich  ausgefertigt 
worden  ist.^)  Dieses  geschah  aber  durch  die  Thätigkeit  des  Demo- 
sthenes, so  dass  alle  diese  Angaben  des  Aeschines  absichtlich  das  Ver- 
dienst seines  Gegners  verschweigen. 

Demosthenes  ist  sich  vollkommen  bewusst,  dass  die  Verbindung  mit 
Theben  für  Athen  damals  die  einzig  vernünftige  und  richtige  PoHtik 
gewesen  sei,  er  hebt  dieses  §.  188  —  210  mit  allem  Nachdrucke  ,•  aller 
rhetorischen  Kunst  und  Begeisterung  hervor;  auch  jetzt  noch  können 
weder  Aeschines  noch  sonst  jemand  einen  bessern  Rath,  den  man  hätte 
befolgen  sollen,  auffinden,  sein  Verfahren  sei  unter  jenen  Umständen  das 
beste,  das  einzige  Athens  würdige  gewesen.  Indem  er  sich  mit  Verach- 
tung von  seinem  Gegner  abwendet,  der  gar  nicht  werth  sei,  dass  man 
sich  viel  mit  ihm  abgebe  §.  196  —  8,  sucht  er  die  Richter  (er  selbst 
nennt  es  ein  nägaSo^ov,  eine  vmqßoXt])  zu  überzeugen,  dass  wenn  auch 
jeder  den  unglücklichen  Ausgang  vorausgewusst ,  wenn  Aeschines  ihn 
mit  lauter  Stimme  voraus  verkündet  hatte ,  man  doch  nicht  hätte  ab- 
stehen dürfen ,  sondern  der  Ehre  wegen  den  Kampf  wagen  müssen. 

Es  ist  dieses  eine  der  erhabensten  Stellen  der  ganzen  Rede  §.  199 
—  210,    in    welcher    das  Ehrgefühl    der  Athener,    ihr  hochherziger  Sinn 


1)   Ganz  willkürlich  ist  Dissens  Annahme  p.  375;  haeccine  manifesta  mendacia  potuisse  coram 
iudicibus  dici?  Immo  cum  ederet  orationem,  haec  et  talia  addidit.  Vgl.Schaefer  II,  520,  1.  522. 


75 

und  das  alte  Herkommen,  dass  ihre  Stadt  von  jeher  der  Schutz  und 
Hort  gegen  innere  und  äussere  Angriffe  auf  die  Freiheit  der  Hellenen 
gewesen ,  recht  eindringlich ,  der  Kampf  demnach  als  nothwendig  und 
unvermeidlich  geschildert  ist.  Das  ist  das  xaXdv,  welches  Theopompus, 
Panaetius,  die  Alten  überhaupt  an  ihrem  Demosthenes  bewundert  haben, 
wodurch  er  über  dieses  irdische  Leben  hinaus  zu  Höherem  und  Geistigem 
zu  entflammen  weiss,  dass  jeder  Einzelne  sich  selbst  vergisst,  Ehre  und 
Ruhm  des  Vaterlandes  für  das  Höchste  hält  und  freiwillig  diesem  Alles 
zum  Opfer  bringt. 

Die  Thatsachen  liegen  im  Allgemeinen  klar  und  deutlich  vor  in  den 
Aussagen  der  beiden  Redner  selbst,  von  denen  zwar  jeder  einseitig  ist, 
aber  eben  deswegen  den  andern  ergänzt  oder  berichtigt,  dann  durch 
sichere  Angaben  der  Zeitgenossen,  des  Phokion,  Theopompus,  Aristoteles. 
Philippus,  der  nach  Schlichtung  der  delphischen  Wirren  mit  seinem 
Heere  in  Elateia  stand,  hatte  in  Theben  durch  Gesandte  eine  Verbindung 
gegen  Athen  beantragt  oder  wenigstens  deren  Neutralität  und  freien 
Durchzug  nach  Attica  gefordert.  Gegen  Athen  zu  ziehen  war  wohl 
gleich  anfangs  sein  Gedanke,  er  musste  darin  um  so  mehr  bestärkt 
werden,  da  man  von  dort  aus  auf  den  Rath  des  Demosthenes  den  Am- 
phisseern  10000  Miethtruppen  unter  Chares  überlassen  hatte.  Das  war 
höchst  unklug,  oder  glaubte  Demosthenes  mit  dieser  geringen  Mann- 
schaft den  Philippus  in  Phokis  aufhalten  und  besiegen  zu  können  ?  Fast 
scheint  es  so.  Sie  haben  dadurch,  wie  Aeschines  ihm  mit  Recht  vor- 
wirft, nur  ihre  eigene  Macht  geschwächt  und  den  Plänen  des  Königs  in 
die  Hände  gearbeitet;  jene  zehntausend  wären  in  Chaeronea  weit  nütz- 
licher gewesen,  hätte  man  sie  nicht  in  Amphissa  geopfert.  Die  Ge- 
sandten erklärten,  wenn  der  König  im  phokischen  Kriege  voii  den 
Thebanern  den  freien  Durchzug  nach  Athen  als  Bedingung  seiner  Hilfe- 
leistung gesetzt  hätte,  so  würden  sie  ihm  diesen  damals  mit  Freude 
zugestanden  haben;  es  sei  aber  ungereimt,  jetzt  nachdem  er  sie  von 
dem  drückendem  Kriege  befreit  und  ihnen  so  viele  Wohlthaten  erwiesen 
habe,  was  er  damals  im  Vertrauen  auf  sie  nicht  gefordert,  zu  ver- 
weigern. ^) 


1)   Aesch.  3,  146—7.     Aristot.  Rhet.  2,  23. 

10* 


76 

Man  tsielit,  die  Zeiten  hatten  sich  geändert;  allerdings  verdankten 
sie  dem  Könige  sehr  viel,  aber  er  hatte  ihnen  nicht  genug  gegeben, 
anderes  wieder  genommen,  und  die  Bestrafung  der  Lokrer,  welche  von 
Thebanern  und  Athenern  unterstützt  worden ,  war  für  sie  höchst  em- 
ptindlich,  sie  galt  auch  ihnen ;  gerade  diese  zufällige  Verbindung  mochte 
dem  Demosthenes  seine  schwere  Arbeit  erleichtern;  es  gelang  seiner 
feurigen  Ueberredungsgabe ,  in  ihnen  das  Nationalgefühl,  dass  Griechen 
ein  Volk  seien  und  als  solche  gegen  aussen  stehen  und  fallen  müssen, 
zu  beleben  und  die  Thebaner  zu  einem  Schutz-  und  Trutzbündnisse 
gegen  Philippus  zu  bewegen,  gewiss  der  höchste  und  schönste  Sieg,  den 
die  Beredtsamkeit  des  Demosthenes  je  errungen  hatte.  Das  kam  auch 
dem  Philippus  ganz  unerwartet,  er  hatte  auf  den  Hass  beider  Völker- 
schaften sicher  gerechnet  und  fand  sich  jetzt  getäuscht;  er  sah,  dass 
das  edle  Gefühl  der  Freiheit  und  Unabhängigkeit  noch  nicht  erloschen 
war  und  musste  befürchten,  dass  der  ganze  Peloponnes  sich  gegen  ihn 
erhebe ;  er  lenkte  ein  und  liess  sich  selbst  zu  einem  Friedensbündniss 
mit  Athen  herbei  —  gleich  anfangs,  wie  es  scheint,  nicht  erst  nachdem 
die  verbündeten  Athener  und  Thebaner  zwei  glückliche  Treffen  gegen 
ihn  geliefert  hatten  —  aber  Demosthenes ,  welcher  sich  jetzt  auf  dem 
Höhepunkt  seiner  Macht  fühlte,  wollte  von  keinem  Vergleiche,  der  ihm 
ja  doch  nur  abgezwungen  und  momentan  scheinen  mochte, .  etwas  wissen 
und  wies  alle  Unterhandlungen  zurück.  Ruhe,  Vorsicht  und  kalte  Ueber- 
legung  waren  überhaupt  nicht  seine  Tugenden,  und  wer  sich  ein  klares 
Bild  seines  Wesens  und  Charakters,  wie  solches  uns  in  dessen  öffent- 
lichen und  coiitroversen  Reden  kenntlich  genug  vorliegt,  geschaffen  hat, 
weiss  von  vorne  herein,  dass  Demosthenes  nicht  der  Mann  war,  welcher 
das,  was  mit  äusserster  Anstrengung  gewonnen  worden,  leichthin  preis- 
geben ,  die  Einigkeit  wieder  in  alten  Hader  und  Hass  umgeschlagen 
sehen  wollte,  dass  er  vielmehr,  die  eigenen  Kräfte  überschätzend,  durch 
zwei  glückliche  Treffen  ermuthigt,  jetzt  den  Zeitpunkt  gekommen  wähnte, 
die  makedonische  Macht  für  immer  aus  Griechenland  zu  verjagen.  In 
einem  solchen  Momente  sich  zu  massigen,  mochte  auch  andern  Männern, 
so  leicht  es  uns  ist  jetzt  darüber  zu  urtheilen,  schwer  fallen.  Eine 
völlige  Besiegung  des  Philippus  und  festes  Zusammenhalten  der  Griechen 
konnte  die  Weltgeschichte  ändern,  es  gab  keinen  Alexander. 


77 

Schön  schildert  Theopompus  (Phit.  Dem.  18)  die  damaligen  Zustände 
mit  den  W  orten :  t6  /.iH'  ovv  ovi^cfftgov  ov  distfvys  roiig  rwv  Orjßaitov  XoyiO(iodg^ 
dlX'  iv  o/^if-iaotv  exaOTog  st'xf  icc  xov  7XoX£f.iov  ösivd,  sri  tcov  (Jimxixwv  rqavfidxüiv 
vsagwv  nc(Qui.iav6vTMV  •  r  dk  rov  ^r^roQog  6v%'a[xtg,  fti'g  (prjGc  OsoTTO/iTiog,  ixqniiXovGa 
xov  x^vf-iov  avxböv  xal  diaxaCovOa  xvv  (fiXoxijxCav  iTVsOxöxrjOs  xoTg  aXXoig  anaOiv, 
mOxs  (foßov  xal  XoyiOi-tov  xal  %dQiv  ixßaXalv  avxovg  iv-d-ovOiöivxag  vno  xov 
Xoyov  TZQog  x6  xuXdr.  ovxw  Si  ßsya  xal  XaixjiQov  i(pdvrj  x6  xov  QrjxoQog  e'qyov, 
üioxe  xov  [xiv  (t>iXiTiTTOV  £vi)^vg  inixriQvxsvsOi)  ai  dsö  iisvov  slqr^vtjg,  oQ&rjV 
6e  xrjV  'EXXdda  ysvs'od^ai  xal  Ovvs^avaOxrivai  TiQog  x6  /is'XXov,  vnrjQsxsTv  6^  /.irj 
l-iovov  Tovg  Gxqaxrjyovg  r<>~  ^rji^ioO^t'vsi  rcoiovvxag  x6  nQogxaxx6f.i£Vov ,  dXXd  xal  xovg 
BoiwxdQX^?}  dioixsiG^ai  xs  xdg  sxxXrjGiag  dndGag  ovdiv  tjxxov  vn  sxsivov  xoxs  rag 
Orjßaiwv  rj  xdg  'A^rjvaicov  dyanm^itvov  nao^  di.i,(poxsqoig  xal  dvvaGxsvovxog  ovx 
dSixcog  ovSi  nag'  d^iav ,  wgjisQ  dnocpaivsxai  QtojioiJinog,  dXXd  xal  ndvv  nqog- 
rjxövxwg.  Wie  herrisch  hiebei  Demosthenes  sich  benahm ,  gegen  Boeotar- 
chen  wie  gegen  Athener,  wie  gering  er  in  seinem  Hochgefühle  die  Stra- 
tegen achtete,  welchen  Terrorismus  er  übte ,  lernt  man  aus  Aeschines 
§.145 — 51.  Plutarch  und  die  Neuern  ^)  haben  Unrecht  dem  Theopompus 
zu  widersprechen,  nur  wenn  dieser  sein  Urtheil  aus  Aeschines  allein 
genommen  —  und  die  ausserordentliche  Aehnlichkeit  ist  nicht  zu  ver- 
kennen —  wie  er  auch  aus  Demosthenes  Reden  Vieles  entlehnt  hat, 
kann  er  nicht  als  besonderer  Zeuge  gelten;  selbst  Demosthenes  Lob 
könnte  blos  aus  unserer  Rede  gezogen  sein.  Die  Stimmung  und  Gesin- 
nung des  Demosthenes  und  seiner  Anhänger  in  jener  Zeit  erkennt  man 
am  deutlichsten  aus  Plut.  Phoc.  c.  16.  IjSrj  Jt  TXQog  (DiXmnov  ixrcsnoXsiiw- 
fX£V(i)v  TtttVxdTcaGi  xal  GXQaxrjywv  avxov  firj  Tiaqovxog  Sxs'qoov  inl  xov  tioXs^ov  tjqtj- 
(is'vwv,  (lüg  xax&TiXsvGtv  dno  xcSv  vrjGcov,  tzqcoxov  /.icv  snaid^s  xov  ätjfxov  eiQtjvixcSg 
k'xovxog  xov  WiXinnov  xal  (poßot'im'vov  xov  xivövvov  iGxvQÖog  Ss'/sG^at 
xdg  S laXvGsig'  xai  xivog  dvxixgovGavxog  avxcTi  xwv  sicoO^öxwv  xvXivösiGüai  naql  xrjv 
"^HXiaiav  xal  GvxocpavxsTv  xal  elnovxog,  Gv  6i  xoXfiag  w  (Dcaxiuiv  dnoxqsTiaiv  'A&r]- 
vai'ovg  i'jSrj  xd  önXa  did  xsiqiSv  s^ovxag;  aywys,  sircs,  xal  xavx^  sidcog  oxi  noXs/xov 
fiiv  ovxog  iyo)  Gov,  eiQrjvrjg  d^  ysvofisvrjg  Gv  ij^iov  dq^sig.  mg  dh  ovx  snsi/d-sv ,  dXX 
6  JrmoG^^svYjg  ixqdxsi  xsXivwv  cJg  TtoQQiaxdxm  xrjg  'Axxixr^g  S^sG^ai  jxdxrjv  xovg  'A^rj- 
vaiovg,  (a  xäv,   l'cprj ,  /ir]  nov  /j^axcofisd-a  Gxonwfxsv,    dXXd  Ttwg  vixrjGofisv.     ovxw  ydq 


1)    Schacfer  II,  524. 


für«/  finxQcir  6  rroXff^ioc,  ii]xTa>f.isvoig  6^  rrccv  dsl  dsivov  syyik  ticcqsOti.  Dies  ist 
gewiss  nicht  aus  Aeschiiies,  wie  man  es  vielleicht  oben  von  Theopompus 
sagen  wird,  und  enthält  zugleich  die  geeignete  Antwort  auf  das,  worauf 
Dem.  §.  195  so  grossen  Werth  legt.  Phokion  war  kein  Freund  von  den 
grosssprechevischen  Rednern ,  welche  das  leichtfertige  Volk  aufgeblasen 
machten  und  zu  verwegenen  Unternehmungen  über  seine  Kräfte  verlei- 
teten, er  Hess  es  an  beissendem  Spotte  nicht  fehlen.  Bei  einer  solchen 
Gelegenheit  mochte  er  gegen  Demosthenes  die  cap.  9  erwähnte  Aeusse- 
rung  fallen  lassen:  riöv  6h  dwirroXiTsvof^isvbov  avro)  QijTOQwv  JrjfJoG^s'vovg  fxkv 
fiTTOiroc,  uTTOxtsrovöi  Os  'A^t^valoi  (P(axicav,  äv  fxavüioiv,  eins,  Gh  öh  äv 
OcocfQorcöOir.^)  IIoXvsvxtov  dh  tov  2(prjTTiov  oQwv  iv  xavi-iari  GvußovXsvovra  roTg 
jt&r^vaioig  noksfisTv  tiqoq  <I>iXi7i7rov,  ska  vu'  aG^f-iarog  noXXov  xal  iSQÜrog  ars  Sr] 
xat  vne'QTTaxvv  ovra  TioXXdxig  iniQQOifovvTa  rov  vdarog,  a^iov  e'(p7]  tovtoj  ttiGvsv- 
Gavtag  v/.iäg  xprjipiGccGd^cci  tov  ttoXs/iov,  ov  ti  oTsG^s  Ttoit'JGsiv  iv  tm  &ü)Qaxi  xal 
Tfj  aGm'di  räv  noXe/iiMi'  f'y/i'c  ottojv,  övs  XsyoiV  n^ög  vficcg  d  8Gx8Tttai  xivdvvsvsi 
Tiviyr^vut.  Nichts  zeigt  schneidender  den  Gegensatz  der  beiden  trefflichen 
Männer,  die  mit  gleicher  Liebe  und  Aufrichtigkeit  ihrem  Vaterlande 
anhingen ,  aber  der  eine  aller  Begeisterung  bar ,  jeder  Selbsttäuschung 
ferne,  betrachtete  die  Dinge  wie  sie  in  Wirklichkeit  waren  und  wollte 
mit  Ruhe  und  Besonnenheit  nachhelfen,  der  andere,  nur  vom  Ideale  der 
Vorzeit  und  dem  was  Athen  einst  gewesen,  begeistert,  schätzte  alles 
Andere  gering  und  fühlte  sich  berufen ,  der  Schöpfer  jener  geträumten 
£vSaißovia  ZU  werden.^)  Da  Demosthenes  nur  Redner,  Phokion  Feldherr 
war,  Hess  sich  eine  wahre  Eintracht  beider  Patrioten  nicht  leicht  er- 
warten. 

Nach  diesen  historischen  Erinnerungen  wird  es  nicht  schwer  halten, 
das  Auffallende  und  Uebertriebene  —  naQuSo'^ov,  imsgßoXt]  —  dessen,  was 
unser  Redner  sagt,  des  rhetorischen  Schmuckes  entblösst,  auf  sein  rechtes 
Maas  zurückzuführen,  ohne  das  Schöne  und  Begeisternde  der  Darstellung 


1)  Vollständiger  Apophth.  p.  188  elnoxrsi'ovai  ae  '^.9-.  täv  {ittv~<n,  xai  eine,  f/^i  f^iv  iiiv  fxctywOi, 
(jt  dt  (iv  (!ü)(fQoi'b}(jL,  wonach  die  Worte  iay  fxayojai  entschieden  dem  Dem.  in  den  Mund 
gelegt  werden;  dann  ist  das  verbum  zweideutigen  Sinnes;  wenn  sie  einmal  in  Hitze  gera- 
then,  zornig  werden.  Sonst  möchte  man  jene  Worte  dem  Phokion  zuschreiben:  ja  wohl, 
wenn  sie  einmal  ganz  von  Verstände  kommen,  dich  aber  wenn  sie  einmal  ganz  zu  Ver- 
stand kommen. 

2)  In  Mid.  §.   143. 


79 

zu  verkennen.  Es  war  ruhmwürdig  und  im  Geiste  der  Vorzeit,  dass 
Athen,  nachdem  der  Frieden  gleichviel  durch  wessen  Schuld  in  Krieg 
umgeschlagen ,  gegen  Philippus  sich  muthig  erhob  und  durch  die  Ver- 
bindung mit  Theben  diesem  eine  so  achtungswerthe  Stellung  abgewann, 
dass  der  besonnene  König  es  für  angemessen  hielt ,  den  Athenern  den 
Frieden  anzubieten.  Dieses  Angebot  durften  sie,  wenn  sie  anders  nicht 
ihre  Kräfte  denen  des  Gegnern  entschieden  überlegen  sahen,  was  durch- 
aus nicht  der  Fall  war,  nicht  schnöde  von  der  Hand  weisen,  der  Ehre 
des  Landes  war  Genüge  geleistet,  Aufgabe  war,  die  griechischen  Ver- 
hältnisse durch  grösseres  Ineinandergreifen  zu  einem  festeren  Bunde 
gegen  aussen  zu  regeln  und  zu  schützen.  Demosthenes  sagt  von  Frie- 
densanträgen des  Philippus  kein  Wort,  natürlich;  nach  dem  unglück- 
lichen Ausgange  des  Kampfes  kommen  diese  seiner  Vertheidigung  höchst 
ungelegen,  und  nach  Sitte  der  alten  Redner  schweigt  er  lieber  gänzlich 
davon;  Aeschines  sieht  hierin  richtig  den  grössten  Vorwurf,  den  man 
machen  könne ,  aber  er  hat  Näheres  darüber  anzugeben  versäumt  und 
dadurch,  dass  er  seinem  Gegner  wieder  unedle  Motive  unterlegt',  sich 
selbst  geschadet;  dass  aber  von  Seite  des  Philippus  Friedensanträge 
gemacht  worden,  ist  nicht  zu  bezweifeln,  und  dadurch  erledigen  sich 
die  Betheuerungen  des  Redners  grossentheils  von  selbt.  Wenn  er  be- 
hauptet: si  ydg  rjv  anaöi  nqoSrjXa  rd  fiäXXovta  yev/jOeO^ai,  xal  nQofjSsöav 
anavtsg  xal  Gv  TzqovXsysg  .  .  ovd^  otnoog  dnoOTare'ov  Tjj  noXei  tovzwv  rjv,  il'ntQ 
r]  66§r]g  r]  ngoyorcov  rj  fisXXovTog  alcovog  six^  Xoyov,  SO  ist  einfach  ZU  erinnern: 
hätten  die  Athener  gewusst ,  dass  Philippus  siegen  würde ,  von  ihnen 
dagegen  tausend  fallen,  zweitausend  gefangen  würden,  so  hätten  sie  den 
angebotenen  ehrenvollen  Frieden  hübsch  angenommen  und  wären  unver- 
sehrt nach  Hause  gezogen ;  aber  Demosthenes ,  indem  er  dieses  Aner- 
bieten verschweigt,  weiss  wie  einst  seine  Zuhörer,  so  jetzt  seine  Leser 
durch  die  Idee  der  Ehre  und  des  Ruhmes  zu  begeistern ,  dass  sie  von 
diesem  xakov  befangen,  ohne  weiter  nachzudenken,  seiner  begeisternden 
Rede  sich  ganz  hingeben.  Rhetorisch  schön  aber  gehaltlos  ist  auch  was 
folgt  §.  201  Tioi  d"  6(f,&akiJioig  itQog  Jiog  swqwfxsv  av  Tovg  dg  trjv  noXiv  dv^Qco- 
novg  atpixvovfie'vovg,  el  rd  fiiv  ngäyfiara  elg  ortsq  vvvl  nsgieOrrj ,  riyefuav  ö^  xal 
xvqiog  -i^Qs^rj  (^(XiTZTiog  dndvTwv,  tov  d'  vnkq  tov  firj  yevi'O&cci  tuvt^  dycova  iregoi 
Xfoqlg  rjixbäv  rjoav  Tisnoirjusvoi;    dazu,  müssen  wir  sagen,  wäre  es  gar  nicht 


80. 

gekommen,  es  handelte  sich  einen  festen  Frieden,  den  Philippus  ange- 
boten, Demosthenes  weggeworfen  hat,  zu  erlangen,  und  so  wenig  der 
frühere  Friede  die  Athener  zu  Verräthern  der  Grriechen  gemacht  hat, 
so  wenig  würde  es  der  neue  gethan  haben.  Wer  aber  hätte  für  die 
Freiheit  gegen  Philippus  kämpfen  sollen?  Dieses  ist  nur  willkürlich  er- 
sonnen ;  der  Redner  fingirt  sich  Hellenen,  welche  für  die  Unß,bhängigkeit 
Griechenlands  gegen  Philijjpus  auftreten,  während  er  die  Athener  mit 
diesem  gegen  die  Griechen  verbunden  sich  vorstellt,  um  nach  einer  so 
grellen  Fiction  recht  pathetisch  sprechen  zu  können. 

Man  darf  erwarten,  dass  er  gerade  da,  wo  er  vom  Geiste  der  Vor- 
zeit spricht,  welchem  zu  folgen  er  auch  sein  Volk  aneiferte,  seiner  eigenen 
Person  nur  einen  bescheidenen  Antheil  zugestehen  wird;  die  Wirkung 
wird  um  so  grösser,  wenn  das  Volk  an  sich  schon  von  dieser  edlen  und 
hochherzigen  Gesinnung  belebt  ist  und  nicht  einen  vonnöthen  hat,  der 
es  erst  lehre  zu  tliun,  was  Ehre  und  Anstand  fordern.  Demosthenes 
hat  dieses  seinem  Publicum  gegenüber  mit  der  ihm  eigenen  Kunst  nQoq 
XctQiv  Xiysiv  §.  206  ausgedrückt;  keineswegs  gehe  das  von  ihm  aus,  er 
habe  seinerseits  nur  auch  dazu  geholfen,  das  Seinige  dazu  beigetragen: 
«  jW^r  Toivvv  TOtr'  insyieiQovv  Xs'yeiv ,  o5c  syco  n qoY^yuyov  vf^iäg  a^ia  rcov  ttqo- 
yorav  (pQorsTv,  ovx  s'ot'  oOrig  ovx  dv  slxoToyg  smTint'^Oeie  fxoi.  vvv  J"  iytß  (.ikv 
vfiexsQag  rag  roiavTug  TiQoaiQsOsig  dnotpaivM  xal  dsCxvvfxt,  ozi  xal  ttqo  sfxov  tovt' 
iiyi^s  ro  (fQowina  rj  nöhg,  vrjg  fievroi,  äiaxoviag  vfjg  i(p^  ixccGroig  twv  nsTVQay- 
fi£vw%'  xal  iixavT^i  ixsreivuC  (pr]fii.  Absichtlich  weist  er  diese  untergeord- 
nete Stellung  nur  hier  sich  zu ;  wie  ganz  spricht  er  sonst  überall  in 
dieser  Rede !  Er  deutet  es  nicht  blos  an ,  sondern  sagt  es  gerade  aus, 
dass  Alles  von  ihm  ausgegangen,  dass  er  Alles  gewesen  sei.  Eine  auf- 
fallende Uebertreibung,  nur  um  den  Contrast  stärker  zu  bezeichnen,  ist 
das  nächste  rfjg  fxkv  alg  TÖ  naqdv  Tifxfjg  i/j,^  dn:oOT€()fjOai  yXi'x^rai,  rd  6'  slg 
anavta  töv  kotnov  %q6vov  iyxoSixia  vjxwv  dcpaiQttzai ,  als  ginge  mit  diesem 
Kranze  alles  Heil  und  aller  Ruhm  Athens  verloren.  Der  Tadel  über  den 
excursus  des  Aeschines  (§.  177  —  92):  rqonaia  xal  fidxag  xal  naXaid  foya 
Ü.tyi-g  o.v  Tivog  ngogtösTvo  6  naquiv  dyah'  ovtoOi;  ist  ungerecht ;  es  verdiente 
allerdings  starke  Rüge,  dass  die  Athener  mit  iln-en  Ehrenbezeigungen  so 
verschwenderisch  waren.  Die  Schilderung  der  Richter  afia  xfl  ßaxrrjQia  xal  tm 
oi'ußfj/.o)  konnte  aus  dem  Philokieon  der  Wespen  noch  vervollständigt  werden. 


81 

Dass  die  Thebaner  das  athenische  Heer  in  ihre  Stadt  aufgenommen 
haben  §.  215,  ist  nichts  so  Ausserordentliches;  auch  die  Bjzantier 
hatten,  als  Phokion  ihnen  zu  Hilfe  eilte,  dasselbe  gethan ;  es  waren  wohl 
auch  nur  Bürger,  nicht  ^s'voi,  denn  vor  diesem  Gesindel  hatte  man 
Schrecken.  Demosthenes  lobt  die  Athener  ihres  Wohlverhaltens  wegen, 
sie  haben,  nach  dem  ürtheile  der  Thebaner,  drei  Cardinaltugenden  be- 
wiesen, dvdQia,  öixaioGvvrj,  oo}(pQoat'rrj ,  nur  die  vierte  fehlt  noch,  um  den 
Begriff  der  Gesammttugend  zu  vollenden;  wir  wollen,  weil  Demosthenes 
sie  absichtlich  für  sich  behalten  hat,  auch  die  ootfia  ihnen  nicht  ab- 
sprechen ,  gewiss  ebenfalls  mit  Zustimmung  der  Thebaner ,  dass  sie 
nämlich  so  klug  gewesen  sind,  die  Verbindung  mit  Theben  zu  Stande 
zu  bringen.  Den  rhetorischen  Glanz  und  das  Streben,  an  sich  gering- 
fügigen Dingen  grosse  Bedeutung  zu  leihen,  wird  in  diesem  wie  im  Vor- 
ausgehenden niemand,  wenn  er  einmal  darauf  aufmerksam  gemacht  ist, 
verkennen.^) 

Die  starken  Ausfälle  gegen  Aeschines  §.223  —  31   sind  um  so  mehr 


1)  Höchst  verfänglich  ist  das  §.  217  gestellte  Dilemma;  Aeschines  würde  sagen,  er  habe  zu 
den  Göttern  gefleht,  den  Athenern  das  Zuträgliche  zu  gewähren,  nach  dem  spartanischen 
Gebete  r«  fjti'  t'ad^kd  didov,  dass  diese,  wenn  Philippus  den  Frieden  anbiete,  vernünftiger- 
weise ihn  annehmen.  Das  §.  139  gegebene  Dilemma  (der  Vorwurf,  dass  sein  Gegner  nicht 
sogleich  gegen  ihn  aufgetreten,  ihn  widerlegt  oder  Besseres  vorgebracht  habe,  wird  stets 
wiederholt)  hat  Aeschines  gründlich  widerlegt;  in  einem  Freistaate  ist  niemand  genöthigt, 
das  von  einem  Andern  Gesprochene  oder  Ausgeführte  öffentlich  zu  missbilligen,  er  kann  es 
stillschweigend  thun.  Noch  ein  Beispiel  einer  solchen  divisio  ist  §.124 — 5. —  In  den  Worten 
oTt  rnvz'  in^uTzixo  y.ul  t,^Xov  xid  jfUQug  xtci  inuiviMV  rj  nokig  lijt'  fxiarij  findet  Cobet  var. 
lect.  p.  128.  383  ein  vetus  et  turpe  vitium  und  corrigirt  naiüvwv.  Ich  habe  diese  Aen- 
derung  wahrscheinlich  genannt,  Demeg.  p  7,  zweifle  aber  jetzt  an  deren  Richtigkeit,  sie 
ist  keineswegs  nothwendig;  in  Athen  war  eine  grosse  Masse  .ftVot,  Nichtathener ,  auf  diese 
bezieht  sich  das  Wort  inawiDv,  der  eigentliche  Ausdruck  in  dieser  Sache  §.  80.  86.  94.  108. 
216.  Die  übrigen  Aenderungen  in  unserer  Rede,  welche  die  novae  lect.  geben  sind:  §.  82 
ö'tiöj?  (xij  anifitv  statt  uniuifjitv.  §.  35  oic,  ^tv  i)(9^Qdg  rjxs  für  rjxti.  §.  114  t'i  rw  rirtx 
(CQ^riv  (c^Xovri,  inepte  nfu.  §.  153  rovSaiipyrig  für  to  y'  i'^aixprrig.  §.  164 — 5  naqay.alovaiv 
für  nuQuy.a'f.toov(jiv ,  und  doch  weiss  er,  was  er  in  den  var.  lect.  noch  nicht  wusste,  dass 
diese  Decrete  erst  in  später  Zeit  fabricirt  worden  sind!  §.  218  will  er  statt  iv'  iMrjXi,  <j 
tfj.rl  avyt/iKi  .  .  .  tC  (tTifiyqdaaTo  die  gewöhnliche  grammatische  und  schulgerechte  Ord- 
nung: tl^rjri  t(  rj  ..  dnnqyuaaro;  ein  Verkennen  alles  oratorischen  Rhythmus.  Besser  wäre 
es  gewesen,  er  hätte  über  ctnrjQyciaaro  ein  Wort  gesagt;  so  nämlich  hat  .S  und  was  mehr 
ist,  selbst  attische  Inschriften,  Schaef.  ad  p.  1359,  1.  §.  304  ovdtig  .  .  i'xixQir'  ccr,  weil  in 
2  ixi XQK"^'  steht,  will  er  ovSti'tg.  §.  313  iv  riow  ovv  av  viai'ixog  xcti  ntjvixa;  statt 
vtaviug  x<n  nrjvixa  kafxriQog ; 

Abb.  d.  I.  Gl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth.  1 1 


82 

zu  beachten,  als  die  Vorwürfe,  welche  dem  Gegner  getnacht  werden, 
nicht  nur  ungegTündet  sind,  sondern  Demosthenes  auch  hierin  wieder 
dessen,  was  er  dem  andern  zur  Last  legt,  sich  selbst  schuldig  macht. 

I)ie  zwei  Psophismata  des  Demomeles  und  Hyperides  waren,  wie 
man  annehmen  muss,  vor  der  Schlacht  bei  Chaeronea  beantragt ;  damals 
befand  sich  die  Kriegspartei  im  allgemeinen  Siegesjubel,  und  es  ist 
keineswegs  zu  verwundern,  dass  Diondas  den  fünften  Theil  Stimmen 
nicht  bekam,  wohl  aber,  dass  er  es  wagen  konnte,  in  einer  solchen 
Zeitstimmung  mit  seiner  Klage  aufzutreten.^)  Aeschines  Klagie  ist  keine 
actio  iudicati,  wie  uns  der  Redner  glauben  machen  will;  dieses  hat 
bereits  Bissen  p.  381  bemerkt,  und  war  Diondas  Einspruch,  yQocfpr]  ^«ga- 
v6f.i(ov,  vor  der  Schlacht,  so  konnte  er  manche  Vorwürfe,  auf  welche  sich 
Aeschines  stützt,  gar  nicht  vorbringen.  Die  tadelnden  Gründe,  warum 
Aeschines  nicht  damals  statt  oder  mit  Diondas  gegen  ihn  aufgetreten 
sei,  haben  auf  diesen  Gegenstand,  die  Symmachie  mit  Theben,  denn  nur 
davon  ist  jetzt  die  Rede,  gar  keine  Anwendung  und  sind  ganz  willkür- 
lich: d?.V  ovx  rjv  olfxai  tots  o  vvvl  ttoisT,  ix  7iaXai(Sv  XQOvav  xccl  xjjrjtpiOiJiaTOJV 
jxoXhSv  ixXs^avxa  .  .  diaßdXXsiv,  xal  fxsTsveyxorTa  rovg  XQovovg  xal  TCQOcpäOfig  dvrl 
TfüV  dXrjx^cüV  xpsvSstg  fisra^ävta  roTg  nsTXQuynevoig  doxetv  vi  Xs'ysiv.  ovx  rjv  töts 
Tavra,  dXX'  snl  Ttjg  dXrj^eiag  syyvg  twv  sqyoav ,  sn  fji€fivr]fi£V<i}V  vfiwv  xal  {xovov 
ovx  iv  vaig  x^qoIv  ^'xaOra  i^ovroav  -ndvtsg  iyCyvovT^  äv  ol  Xdyoi.  Von  einer  Ver- 
drehung der  Zeiten  und  Urkunden  kann  um  so  weniger  die  Rede  sein, 
als  Aeschines  für  diese  Periode  überhaupt  gar  keine  Urkunde  vorge- 
bracht hatte;  Demosthenes  kann  nur  ^ie  frühern  Zeiten  meinen,  für 
welche  er  oben  ihm  diesen  Vorwurf  bereits  gemacht  hatte,  er  verwech- 
selt also  boshaft  selbst  die  Zeiten.  Da  aber  die  Klagen  noch  bei  Leb- 
zeiten des  Philippus  eingereicht  wurde  und  die  sechsjährige  Verzöge- 
rung des  Processes  gewiss  nicht  Schuld  des  Klägers  war,  so  ist  auch 
dieser  Tadel  ungegründet;  damals  war  alles  iyyvg  rwv  sqywv.  Was  aber 
der  Redner  unmittelbar  anfügt:  dionsq  Tovg  nag"  amd  rd  nqdyiiax"  iXiyxovg 
(fvyojv  vvv  r'jxsi  ^tjroQüiv  dywva  vofii^wv,  wg  ys  [loi  t^oxsT,  xal  oi'xl  twv  tistto- 
XiTsvfiävoiV    s^eraöiv    uoirjOeiv    vfxag,    xal    Xoyov    xqi'Oiv,    ovxl    tov    vrj    noXsi    Gvfi- 


1)    Aus  §.  249  könnte  leicht  die  Vermuthung  entstehen,  Diondes  sei  nicht  vor,   sondern   nach 
der  Schlacht  als  Kläger  aufgetreten. 


8 


Q 


(psQovtog  eofod-m,  diese  subjective  Meinung  ist  im  Grunde  nichts  als  ein 
Spott;  oben  §.  121  nannte  er  es  (fdovov  6ixrjv,  das  hatte  noch  Sinn. 
Dass  Aeschines  es  in  der  Kunst  der  Rede  mit  dem  (^eivog,  y6r]g,  oo(piGv7]g 
(§.  276)  nicht  aufnehmen  konnte,  das  wusste  er  sicher  am  besten,  so 
gut  wie  Demosthenes,  welcher  seine  Ueberlegenheit  auf  diesem  Gebiete 
deutlich  genug  zu  verstehen  gibt,  indem  er  die  rhetorische  Schwäche 
seines  Gegners  ironisch  höhnt.  ^) 

Das  Aergste  ist,  was  §.  227  —  31  folgt.  Demosthenes  war  gleich 
nach  dem  Friedensschlüsse  von  Neuem  wider  Philippus  und  die  make- 
donische Herrschaft  aufgetreten  und  hatte  dieselbe  ununterbrochen  sech- 
zehn Jahre  hindurch  als  der  entschiedenste  Gegner  bekämpft.  Es  musste 
daher  den  meisten  Zuhörern  unglaublich,  ja  geradezu  falsch  scheinen, 
wenn  Aeschines  beweisen  wollte,  Demosthenes  sei  ein  besonderer  Beför- 
derer des  108,  2  geschlossenen  Friedens  gewesen ,  gegen  welchen  er 
doch  alle  möglichen  Mittel  in  Anwendung  gebracht  habe.  Um  sich 
Glauben  und  Eingang  zu  verschaffen,  gebraucht  Aeschines  59 — 61  das 
Gleichniss,  sie  sollten  denken,  es  wäre  wie  wenn  sie  nach  langer  Zeit 
in  Gedanken  an  Erübrigungen  zur  Abrechnung  zusammenkämen;  zeuge 
nach  gehöriger  Annahme  aller  einzelnen  Posten  die  Rechnung  zuletzt 
auch  gegen  alle  Erwartung,  dass  keine  Activa  vorhanden  sind,  so  zweifle 
doch  niemand  an  der  Richtigkeit  des  Ergebnisses  und  jeder  gebe  seine 
frühere  Meinung  von  Ueberschüssen  als  eine  irrige  auf.  Wenn  nun  er 
aus  den  Urkunden  nachweise,  dass  Demosthenes,  der  fiioo^pCXinnog,  um 
jenen  Frieden  zu  Stande  zu  bringen,  mehr  Psephismen  als  Philokrates 
selbst  beantragt  habe  u.  s.  w.,  so  sollen  auch  sie  dem  glauben  und  ihre 
bisherige  Meinung  über  Demosthenes,  als  habe  er  nie  etwas  für  Philippus 
gethan,  für  jene  Zeit  als  eine  irrige  anerkennen. 

Nichts  ist  einfacher  und  deutlicher  als  dieses  naqddsiyixa^  Aeschines 
spricht  nur  von  der  Theilnahme  des  Demosthenes  an  dem  philokratischen 
Frieden,  sonst  nichts,  und  dass  im  Gerichte  nichts  Anderes  gesagt  wurde 


1)  Aeschines  hatte  ein  angenehmes  Organ  der  Aussprache,  dessen  Eindi'uck  Dem.  fürchtete; 
er  hatte  schon  zwölf  Jahre  früher  dieselbe  Bemerkung  gemacht  p.  408  §.  217  fitjSi  yt  ti 
xuXov  xui  fitya  ovTog  (p&iy^txui,  fJ.rj^'  ti  (ficvlov  t'yw.  ov  yd^  Qtjr oqüjv  ov&t  Xoyixii/  x^iaiv 
Vfxäg  Tt'ifxhqov ,  tintg  tv  cpQOPiiit  nQogtjxn  noitlv ,  u^'k  vntQ  n^ay fj.aKUP  xi'l.  p.  405. 
§.  206.  337. 

11* 


8-t 

als  was  wir  in  der  geschriebenen  Rede  lesen,  darf  als  unbezweifelt 
behanptet  werden.  Demostlienes  aber  verdreht  dieses,  als  wäre  es 
allgemein  von  den  beiden  Rednern  und  dem  Volksurtheile  über  sie 
gesprochen,  dass  er  athenisch,  Aeschines  makedonisch  gesinnt  sei,  und 
als  würde  jetzt  von  den  Richtern  gefordert,  sie  sollten  ihre  Meinung 
über  beide  ändern,  den  Demosthenes  für  einen  Freund  und  Anhänger 
des  Philippus,  den  Aeschines  für  den  der  Athener  halten:  eha  ao(pi- 
^erai  xctl  (fi^ol  TCQocr^xsiv  rig  f^ih'  oTxo^tv  »;W  s'xovtsg  dö^rjg  nsgl  vficov  dj^slrjOai 
.  .  cAfcrdadv^f  Tot'vi'V  (ag  Oax/^QOi'  (og  soixsv  iorl  (fvOei  o  zi  av  /.itj  'iixaCcog  ^  ttstiqu- 
yj-iivor.  ex  yceg  aihov  rov  Ootpov  tovtov  nafyadsiyiiarog  ojfioXdytjxs  vvvl  vfiag  vnuQXsiv 
€yrü}Oi.u'rovg  e/j.^  /.liv  Xäysiv  vnhq  rrjg  naxQiSog,  ainov  ä'  vn^Q  (ViXiTinov  ov  yccQ 
äv  /,i€ran:ei^€iv  v/uccg  iCrjrei  fxrj  Toiavzrjg  ovörjg  rfjg  vnccQxovOrjg  vTioXrjtpscog  ttsqI 
sxareqov.  So  wird  das ,  was  Aeschines  in  vollster  Berechtigung  gesagt 
hat,  was  heute  noch  jeder  als  wahr  und  unbestritten  anerkennen  muss, 
zu  einer  förmlichen  Invective  gegen  ihn  selbst,  und  Folgerungen  werden 
daraus  gezogen,  an  welche  er  nicht  gedacht  hat.  Weiter  und  offener 
kann  die  Sophistik  nicht  getrieben  werden ,  und  dieses  geschieht  in 
einem  Momente,  wo  unser  Redner  selbst  seinem  Gegner  Sophistik,  Ver- 
drehung, Verläumdung  und  jede  Falschheit  zum  Vorwurfe  macht!  Das 
ist  die  öeivoTTjg,  die  Ueberlegenheit  und  Gewandtheit  des  Demosthenes, 
welche  das  Einfachste  und  Richtigste,  was  sein  Gegner  sagt,  zu  eigenem 
Vortheile  und  zum  Nachtheile  jenes  auszubeuten  versteht.  Ehre  macht 
ein  solcher  dolus  malus  nicht  und  wird  selbst  durch  politischen  wie 
persönlichen  Hass  und  Leidenschaft  nicht  entschuldigt.^) 

So  wenig  man  hier  dem  Demosthenes  beistimmen  kann,  wenn  er 
tadelt,  was  nicht  zu  tadeln  ist,  oder  anderes  als  wichtig  hervorhebt, 
was  sein  Gegner  nur  nebenbei  bemerkt  hat,  wie  §.  232,  so  gegründet 
ist  die  folgende  Belehrung,  §.  233 — 9,  welches  seine  und  des  Königs 
Stellung   gewesen,    wie    er  die  Macht  des  Staates  möglichst  vergrössert 


1)  Zu  bemerken  ist,  dass  selbst  Dem.  §.  231  die  (pLXavd-Qwnia  des  Philippus  nach  der  Schlacht 
gegen  die  Athener  anerkennt,  aber  sie  sei  nicht  von  Herzen  gegangen,  sondern  nur  Ver- 
stellung gewesen,  ^V  td  Xoi,nd  rmv  nQayfxdnov  exttyog  nt^ißcMo/xfyog  inkdiriTo.  Die  Griechen 
hatten  sich  tapfer  geschlagen,  das  musste  dem  Könige,  der  Muth. und  Tapferkeit  zu  schätzen 
verstand,  Achtung  abgewinnen,  aber  er  hatte  noch  Grösseres  vor,  den  Zug  gegen  die  Perser, 
dazu  bedurfte  er  der  Unterstützung  der  Hellenen,  zumeist  der  Athener;  und  in  diesem  Sinne 
ist  der  Verdacht  unsers  Redners  vielleicht  nicht  ganz  ungegründet. 


85 

habe ;  das  ist  acht  politisch ,  erhebt  freudig  das  Herz  des  Lesers  und 
entschuldigt  für  viele  Schwächen  der  Rede.  Auch  der  Beweis  ex  tov 
ivavTiov  §.  240 ,  was  die  Gegner  sagen  würden ,  wenn  Theben ,  Euboea, 
Byzantium  nicht  mit  Athen ,  sondern  mit  Philippus  verbunden  wären, 
mit  welchen  Vorwürfen  sie  ihn  überhäufen  würden ,  ist  vollkommen 
gültig;  denn  gerade  daraus  erkennt  man  die  Richtigkeit  seiner  Politik. ^) 
Schön  und  hinreissend  ist  die  Schilderung,  dass  was  von  ihm  abhänge, 
der  Staat  nicht  besiegt  worden,  dass  er  überall  den  Sieg  über  die 
Gesandten  des  Philippus  davongetragen ,  dass  er  Alles ,  was  von  ihm 
gefordert  werden  könne,  geleistet,  dass  Philippus  nicht  ihn,  vielmehr 
er  den  Philippus  besiegt  habe,  weil  er  sich  von  diesem  —  nicht  bestechen 
Hess.  Man  vergisst  über  diese  bezaubernde  Vertheidigung  das  Wich- 
tigste ,  dass  der  Staat  die  Niederlage  überhaupt  nicht  erlitten  hätte, 
wäre  von  Demosthenes  nicht  der  angebotene  Frieden  zurückgewiesen 
worden. 

Dass  nach  dem  unglücklichen  Ausgange  der  Schlacht  die  Friedens- 
partei oder  die  makedonische ,  wie  man  sie  nannte ,  gegen  den  Urheber 
des  Kampfes  sich  erhob,  ist  begreiflich.  Nach  dem  was  Demosthenes 
§.  248 — 50  erzählt,  ist  ihm  die  Zuneigung  des  Volkes  auch  jetzt  noch 
geblieben,  alle  Anordnungen  zum  Schutze  des  Landes  gegen  etwaige 
Angriffe  des  Königs  geschahen  nach  seinen  Anträgen,  die  täglichen 
Klagen  seiner  Feinde  blieben  erfolglos,  sie  erhielten  nicht  das  Fünftheil 
Stimmen ;  damit  ist  thatsächlich  bewiesen,  dass  die  Mehrheit  des  Volkes 
auch  jetzt  noch  ihn  als  ihren  Führer  anerkannte.  Anders  spricht 
Aeschines   §.    150    rovg    i^^v    nQootovg    XQ^vovg    vnorqonog    rjv    o    avi^Qwnog    xai 


1)  Es  ist  wie  schon  Andere  bemerkt  haben,  höchst  wahrscheinlich,  dass  Aeschines  das  Beispiel 
von  dem  tuTqog  §.  245  erst  im  Gerichte  aus  dem  Munde  des  Vertheidigers  vernommen  und 
in  Form  einer  nqoy.urulrjxpig  nachher  seiner  geschriebenen  Rede  §.  225 — 7  eingeflochten 
habe;  Dem.  thut  sich  zu  viel  darauf  zu  gut,  t fxßfjoyriji  t  tha  yip  Ityng;  hätten  die  Zu- 
hörer das  Beispiel  schon  von  dem  Kläger  vernommen,  so  würde  er  schwerlich  so  sprechen. 
'Aber  die  Antwort  des  Aeschines  ist  nicht  so  ungeschickt;  die  Worte  öaiig  xov  dr^^ov  d-vj- 
ntvaui  Svvuiro,  lovg  dt  y.ui^ovg  i'y  o/g  acil^iaAm  rjv  tiiv  nokir,  unodoiro,  rovg  ö"  tvcpQorovf- 
rag  xioXvoi  &  laßäki^ioy  av  fj.ßovXtv  tiv ,  deuten  jenen  Moment  an,  als  Philippus  den 
Frieden  angeboten,  Dem.  und  sein  Anhang  diesen  abgewiesen  hatte,  wogegen  die  Opposition 
nicht  aufkommen  konnte.  Dem.  will  von  diesen  Friedensanträgen  begreiflicher  Weise  nichts 
wissen  und  verschweigt  daher  diese  gänzlich.  —  §.  234  steht  im  Widerspruche  mit  Phil. 
III,  40,  wo  das  Einkommen  und  die  Macht  Athens  ganz  anders  dargestellt  wird. 


8G 

TXttQioii'  y««?-»'»;»;  ent  t6  ßi]f.icc  higt^vocfidax«  vfiag  ainov  ixt'Xsvs  xsiqotovsiv ,  v^siq 
6i  xctici  j.iiv  ToiK  TiQCüTovg  x?o''ovg  ovd'  e/ii  i«  ipi^cpiOijiaza  iiaxs  to  J rjixoü^tvovg 
smyQciiffiv  oroiia,  cxXXn  NnvöixXsT  tovto  ngogsrärTSTs ,  vvvi  c5"  ijdr^  xal  ortipa- 
yovü&ni  d^Ku.  Damit  stiniint  auch  Plut.  Dem.  21  überein:  totg  di  ipr^tpia- 
uccOir  ovx  *«i'rö»'  ((Xk'  €v  /.u'qh  tcSr  (piXcov  i'xaöTov  inäyQaifsv  i'§oi(avi^6^i£VOV 
lor  i6iov  6i(i(.K)it(  xal  t  rjv  tvxt]v,  i'cog  av^ig  dvsÖ-aQQyjOs  (DiXinirov  TsXsvTrj- 
aavTog.  Wäre  dieses  wahr,  so  gäbe  es  keine  glänzendere  Rechtfertigung 
dessen ,  was  Aeschines  über  den  daificjv  unsers  Redners  gesagt  hatte, 
aber  es  scheint  aus  diesem  übertragen  und  daher  unzuverlässig;  dass 
es  jedoch  in  Athen  nach  der  Schlacht  höchst  stürmisch  zugegangen, 
beweisen  Plutarchs  Worte  Phok,  16  y€voi.u'vrjg  Si  iJTtrjg  xal  xwv  ^oqvßo- 
TTOiüJy  xtd  rtü}TeQiOT(iov  rwr  ev  aöret,  rov  XaQidr^/nov  iXxdvrcov  inl  xo  ßfjfitt  xai 
OxQccxrjY^Tv  d^iovvxav  i(foßiqS-iqOav  ol  ßa'XxiOxoi,  xal  xifv  s^  jigsiov  ndyov  ßovXrJv 
txovxsg  ev  X(^  ^f/f^t^V  <^*o;W^^oi  xal  SaxQvovxeg  (.loXig  snsiOav  smxQsipai  xo)  (pMxion't 
xi]v  TiöXtv  6  6^  xrjv  n^v  dXXvjV  xov  (I^iXijxtiov  noXixsiav  xal  (piXaviJ^Qwniav  (jiexo 
äfiv  TiQogda'x^a^ai.  Diese  beachtenswerthe  Ueberlieferung  lässt  einen  tiefern 
Blick  in  die  damaligen  Zustände  der  Stadt  werfen. 

Was  über  die  xvxfj  weitläufig  gesagt  ist,  §.  252  —  75 ,  zeigt  wieder 
die  Kunst  und  Ueberlegenheit  des  Redners.  Aeschines  betrachtet  ihn 
me  einen  bösen  Dämon,  der  Alles,  was  er  berühre,  ins  Unglück  stürze,^) 
als  einen  jener  Leute,  vor  welchen  Hesiodus  warne  und  sage 

noXXdxi  xai  ^vfinaGa  TiöXig  xaxov  dvÖQog  snavQsT, 
ög  xsv  dXixgaivr]  xal  dxdod-aXa  fxrjxavdaxai,. 

Die  Zweideutigkeit  des  griechischen  Wortes  xvxrj  gibt  unserm  Redner 
Gelegenheit  in  ganz  anderm  Sinne  davon  zu  sprechen ,  die  dyvwfioovvrj 
und  ßaoxavCa  Seines  Gegners  anzustaunen,  und  da  nach  dem  Glauben 
der  Alten  auch  der  Staat  gleich  den  Individuen  sein  Fatum,  seine  xvx,iq 
hat,  diese  als  incommensurabel  zu  scheiden,  dagegen  sein  und  des 
Aeschines  Lebensschicksal  neben  einander  und  gegenüber  zu  stellen, 
ergetzlich  aber  auch  boshaft  genug,  da  er  einer  wohlhabenden  Familie 
entstammte ,    Aeschines    aber   in   Dürftigkeit    erzogen    sich    kümmerlich. 


1)  §.  lo7.  tÖv  d'uifj.oi'a  xal  trjy  tv/i/v  riii'  av/unci()i(xo'/.ov!^ovacii'  tw  avS-^mnio  (pv'i^a^aa&ui.  ovTt 
noXtg  yuQ  oiii'  iifiuiirjg  «V/yp  ovöii-s  noijioTt  xukuig  anr^kku^t  Jr^fiüaihivti  avfjißov'Au)  XQI'^"' 
fxtyog.     §.  135. 


87 

wie  es  scheint,  fortzubringen  hatte,  zuerst  im  Dienste  des  Vaters,  dann 
der  Mutter,^)  dann  als  Schreiber,  später  Schauspieler, 2)  endlich  Redner. 
Das  Ganze  ist  unter  dem  Vorgeben  von  Milde  und  Zartgefühl  mit  allem 
Spott  und  Hohn  durchgeführt;  bedeutend  kann  scheinen,  was  von  der 
letzten  Lebensstufe  des  Aeschines  gesagt  wird:  Toiaikrjv  ydg  dlov  noh- 
Tsiav ,  STisiSi'j  TioTs  xcd  to?t'  snrjXds  Ooi  noirJGai ,  Jt'  rjv  sihvxovOrjg  f^ikv  ryg 
7ittT(}C6og  Xaybi  ßi'ov  eCrjg  6eömg  xal  TQefiMV  xal  uel  TrXr^yr^OfO^ai  TTQogSoxcöv  €(p' 
olg  GavT^)  GvvfjSsig  döixoTvxi,  iv  olg  J"  rjTvxr'Oav  ot  aXXoi,  ^qaOvg  mv  v(f)'  dnavTcov 
(üiliai.  xaizoi  oOng  x'^'Wi'  noXncäv  dTcodavovrmv  sddqqrjOs,  %i  ovxog  na^sTv  vno 
TMv  CüivTcov  öixaiog  soriv ;  doch  ist  CS  nur  Uebermuth.  Dass  die  Opposi- 
tion, durch  die  Kriegspartei  zurückgedrängt  und  eingeschüchtert,  nach 
der  Schlacht  gegen  ihn  ihr  Haupt  erhob,  ist  ihm  ein  des  Todes  würdiges 
Verbrechen.^) 

Nach  diesen  Personalien  kehrt  der  Redner  wieder  zu  den  Staats- 
verhältnissen zurück  §.  270  —  5  und  weist,  wenn  je  eine  Schuld  darin 
zu  finden,  diese  dem  Gegner  zu,  nicht  ohne  den  grössten  Tadel  gegen 
das  inhumane  Verfahren  des  Aeschines  auszusprechen,  Dass  Demosthenes 
unter  dem  Vorwande,  durch  den  makedonischen  Druck  haben  Alle 
gelitten,  Barbaren  und  Griechen,    wie   kannst    du    also    sagen,    dass    die 


1)  Aus  §.  259 — 60  könnte  man  schliessen,  dass  Dem.  sich  über  die  Tt^errj  selbst,  lustig  macht 
und  diese  verspottet;  dass  dem  nicht  so  ist,  beweist  §.  265  triXii?,  tym  tJ"  tTikov/urjy.  Nur 
der  Ministrant  wird  lächerlich  gemacht,  wie  auch  jdas  Schulmeistern  etwas  Gemeines  ist, 
in  die  Schule  zu  gehen  dagegen  anständig,  tdiifccaxsis  yqa^ifiara,  iyai  6'  icpoiruiv.  Ob  Röth's 
Erklärung  (II,  598,  not.  892.  904.  Lobeck  p.  646.  1041)  der  unverständlichen  Formel  iit^g 
(CTTrjg,  arrrjg  v'rjg  =  es  lebt  der  Vermisste,  der  Vermisste  lebt,  richtig  ist,  müssen  Sprach- 
kundige entscheiden.  Die  Weihung  mag  sich  an  Tod  und  Auferstehen  des  Dionysos  oder 
Osiris  anknüpfen;  dass  es  aber  nicht  blosser  Todtencultus  ist,  sondern  Alles  auf  die  Person 
geht,  welche  sich  von  den  Sünden  reinigt  und  der  Gottheit  nälier  tritt,  lehrt  die  grie- 
chische Formel  deutlich  genug. 

2)  Das  Glied  i/oQevt?,  iyaH  d"  txoQtjyovr  kennt  -  nicht,  auch  nicht  die  Rhetoren  des  II.  Jahr- 
hunderts; es  würde  als  Beispiel  der  Liturgie  passen  und  Aeschines  war  l'^uQ/og,  nQorjytfioji'. 
Aber  auch  das  letzte  i^tTnnrig,  iyü)  cT*  iavQizTov  ist  nichts  als  ein  noch  älterer  Zusatz  eines 
launigen  Lesers,  wie  ich  Gel.  Anz.  1838.  p.  1005 — 7  und  Rhet.  gr.  II,  XVIII  bewiesen  habe. 
Die  Sache  hat  kein  Bedenken,  Dem.  hat  früher  p.  449  es  ausgesprochen ,  aber  die  Concin- 
nität  verwirft  diesen  Zusatz,  da  überall  nur  ein  Satz  angeführt  werden  kann.  Ein  Beispiel, 
wie  schon  in  früher  Zeit  diese  Reden  allerlei  Zusätze  und  Aenderungen  erlitten  haben. 

3)  §.  266  verdankt  wohl  erst  dem  Erfolge  des  Processes  sein  Entstehen  und  war  im  Gerichte 
nicht  gesprochen.  §.  269  vntC'/.rifx/uai,  während  in  demselben  Sinne  vorher  vnulrjqju  gesagt 
ist.  haben  jene  zu  merken,  die  bei  den  Attikern  Alles  gleich  machen  wollen. 


88 

«rr'xy<«T«  von  mir  ausgehen,  alle  Verantwortung  ablehnt,  ist  dem,  was 
er  oben  gesagt  hat ,  widersprechend ;  dass  er  seinen  Gegnern ,  welche 
damals  von  der  Kriogspnrtei  überstinnnt  Alles  annehmen  mussten  und 
mit  nichts  durchdringen  konnten,  zuruft,  ihr  selbst  seid  Schuld,  ihr 
wäret  Alle  in  allen  Versammlungen  zugegen ,  hättet  ihr  etwas  Besseres 
gewusst,  so  hättet  ihr  es  vorgebracht,  ist  nicht  nur  ungerecht,  sondern 
auch  Hohn;  so  konnte  ein  Kleon  und  Hjperbolus  und  jeder  Demagog 
sich  vertheidigen  und  behaupten ,  Alles  was  sie  durchgesetzt  und  das 
Volk  angenommen  habe ,  hätten  auch  ihre  Gegner  gebilligt  dlr]&etag 
/^T-T»;/<tro/  di^Xordn  xal  Tftj  ^rjSh'  f'xsiv  Hnstv  ßäXxMv.  dass  er  durch  den  Unter- 
schied der  Begriffe  von  ddixTu^m,  d/xdgtrjfia,  dTvxwa,  wie  sie  die  Theorie 
der  Rhetorik  aufgenommen  hat.  Alles  was  geschehen  als  unbedeutend 
darzustellen  sucht,  da  man  niemandem  ein  Unglück,  das  ihn  getroffen 
(«Vi'x»^,««)  ^'iim  Vorwurfe  mache,  und  nun  mit  den  Worten  schliesst: 
AiOx't'^tC  Toirvv  toOovxov  vnsgßsßkrjxsv  anavrccq  dvd-QbSnovg  (ofidrrjTi,  xal  Ovxoipavria, 
wOTS  xal  UV  aihoc  wg  aTVxrjjndKav  ffiifivrjTO,  xal  xam'  i^iov  xarrjyoQsT.  ist  arge 
Sophistik  ^)  und  zu  den  vielen  ein  Beispiel  mehr ,  wie  unser  Redner  in 
Momente,  wo  er  seinem  Gegner  ovxocpavzi'a  vorwirft,  sie  selbst  anzuwen- 
den nicht  verschmäht;  aber  Alles  dieses  ist  so  einnehmend  und  bezau- 
bernd dargestellt,  dass  wie  die  Richter  so  auch  jetzt  noch  die  Leser 
davon  hingerissen  werden  und  das  Gesagte  als  völlig  erwiesen  erachten. 
Demosthenes  fühlt  sich  beleidigt,  dass  Aeschines  die  Athener  vor 
ihm  warnt  §.  176  (pvXdtTsiv  i^ik  xal  rriqetv  ixskevOfV ,  oTtcog  firj  naQaxqovOofxai 
iii^d'  s^aTtazrjOo) ,  Sfirdv  xal  ydrjra  xal  oocfiOrrjv  xal  rd  roiain^  ovofid^cov.  aber 
Alle  kennen  ihn  xal  noXv  tovto)  (laXXov  rj  sfiol  vofxi^srs  raHa  nqogsivai.  man 
könne  von  der  SsivoTrjg  eines  Redners  eigentlich  gar  nicht  sprechen,  das 
hänge  nur  ron  dem  Publicum  ab,  ob  es  den  Redner  annehme  oder  nicht, 
und    keineswegs    vom    Redner;^)    wenn    indessen    auch    ihm    ng  efineiqta 


1)  Aeschines  hat  nicht  pfesagt,  es  seien  nur  ctTv/i]juara,  keine  nSixrjfxaru,  sondern  die  rv^i, 
der  böse  Dämon  des  Dem.  habe  alles  Unglück  herbeigeführt;  das  ist  etwas  ganz  Anderes, 
er  hat  sich  auf  Ilesiodus  berufen  und  ist  weit  entfernt,  den  Dem.  von  dem  däcxilv  frei 
zu  sprechen. 

2)  Derselbe  (iedanke  kehrt,  was  zu  l)eachten  ist,  im  Epitaphius  wieder  p.  1393  §.  14  Keich- 
thum,  Stärke  u.  a.  steht  in  der  Macht  derer,   die  diese  Vorzüge   besitzen,    rj   St   rmv  koymf 


89 

Toiamrj  innewoline,  so  habe  er  diese  nur  für  das  Volk,  nie  dagegen  oder 
in  eigenem  Interesse  angewendet,  Aeschines  aber  für  die  Feinde  und 
zum  eigenen  VOrtneile,  z^'^v  6i  zovroif  tovvavrCov  ov  inovov  to)  Xsy^iv  vtt^q  rmv 
iXxhgcov ,  äXXd  xal  sl'  rtc  iXvnijös  ti  Tj  nQogsxqovGs  nov ,  xard  rovTOiV.  ov  ycicQ 
avtij  dixatcog,  ovd"  £(p'  ä  gv/li^sqh  rfi  ttöXsi  y^qrixai.  Dieses  ist  eine  deutliche 
Beziehung  auf  die  Klage  gegen  Timarchus ,  welche  Demosthenes  nicht 
verschmerzen  kann ;  er  hätte  besser  gethan ,  diese  Andeutung  hier  und 
unten  §,  507.  308  zu  unterlassen,  die  Zuneigung  für  jenen  Wüstling 
ist  kein  empfehlendes  Zeugniss  für  ihn ,  der  einst  selbst  gegen  solche 
Leute  gesprochen;^)  auch  kann  dem  Aeschines  sonst  nicht  der  Vorwurf 
gemacht  werden,  dass  er  XoyoyQäcpoü,  gewesen  oder  Andere  angegriffen 
habe;  jene  dvziyQacpr]  ist  natürlich  und  vollkommen  gerechtfertigt.  Ein 
Redner,  fährt  Demosthenes  fort,  müsse  frei  von  Leidenschaften  gegen 
Andere  sein,  nur  der  Hass  gegen  die  Feinde  des  Volkes  sei  gerecht; 
dass  aber  sein  Gegner  mit  dieser  Klage  gegen  ihn  auftrete,  sei  doch  zu 
schlecht,  näoav  s'xti  xaxiav ,  er  habe  nur  ^.öyav  iniSsi^iv  Ziva  xal  (ponaOxicxg 
beabsichtigt;  nicht  auf  den  XSyog  und  zovog  zfjg  (fwvrjg,  sondern  auf  die 
Gesinnung  komme  es  an ,  diese  mache  den  Redner ,  Liebe  und  Hass 
müsse  er  mit  dem  Volke  gemeinsam  haben. 

Zu  bemerken  ist  hier,  dass  Demosthenes  nicht  leugnet  ein  Ssivog, 
aocpiözrjg  zu  sein,  dasselbe  aber  im  höhern  Grade  seinem  Gegner  vorwirft, 
schwerlich  mit  innerer  Ueberzeugung ;  um  das  klare  Organ  und  die 
kräftige  Stimme  mochte  er  ihn  beneiden ;  auf  dessen  Beredtsamkeit  hat 
er  gewiss  wenig  gehalten.  Doch  wir  kennen  diese  Vorwürfe  schon  aus 
dem  frühern  und  haben  darüber  gesprochen;  es  ist  Sitte  aller  Redner, 
denselben  Gedanken,  wenn  es  geeignet  scheint,  um  die  Aufmerksam|veit 
desto  mehr  darauf  zu  lenken,  in  anderer  Weise  wiederzugeben,  und  wir 
stehen  im  letzten  Theile  der  Rede,  der  av^rjoig,  in  welcher  man  alle 
Kraft  der  Ueberredung  anzuwenden  pflegt,  Muss  man  auch  hier  diese 
Kraft  und  Kunst  unsers  Redners  besonders  bewundern,  und  kann  man 
an  diesem  Theile  seine  daivozrjg  recht  anschaulich  kennen  lernen,  so  wird 


ijfiyy.i  xcd  /«p«'  ngogin  >iit,    livtv  tfi  ravTtjg,    xuv  vntQßdXrj    rio    kiyti,v    xalm^ ,    n^ogiarrj   zotg 
uxovovaiv. 

1)   In  Androt.  §.  30—2. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X .  Bd.  I.  Abth.  1 2 


90 

die  nähere  Betrachtung  den  Leser  doch  wenig  befriedigen,  die  Gründe 
sind  nur  halb  wahr,  schwach,  oft  ganz  gehaltlos,  ihn  entschädigt,  wenn 
er  auch  das,  was  der  Redner  bewiesen  zu  haben  glaubt,  vergebens 
sucht,  die  geistreiche  Form  der  Darstellung  und  die  Ueberzeugung,  dass 
Demosthenes  stets  nur  das  Beste  seines  Vaterlandes  gewollt  hat. 

Dass  Aeschines  nach  der  Schlacht  als  Gesandter  zum  Philippus 
gegangen  und  von  dem  Sieger  einen  für  Athen  günstigen  Frieden  zu 
erwirken  suchte,  wird  ihm  als  der  sicherste  Beweis  seines  Verrathes 
vorgeworfen  §.  282  —  4 ;  er  habe  immer  geleugnet ,  dass  er  mit  dem 
Philippus  etwas  zu  thun  habe.  Alles  sei  nur  falsche  und  gehässige  An- 
schuldigung, die  von  mir  ausgehe,  aber  nach  der  Schlacht  ovSkv  tovtcov 
(pQOVTiOag  fvd-s'cog  w^ioXoysig  xai  uQogsTioiov  (fiXiav  xal  '^tviav  slvaC  Ooi  ngog  avTov, 
T>J  i.uOdaQVia  vavza  (xsTaTi-d^insvog  tcc  ovöfiara  .  .  .  (f)ttV£Q(J5g  avzog  eiXrjfifisvog  tcqo- 
Sötrjg  xal  xazä  Occvtov  fXirjvvTtjg  inl  zoTg  OvfißäOi  ysyorwg.  Vgl.  §.  286.  Es  ist 
unbegreiflich,  wie  Demosthenes  in  diesem  nothweudigen  Ereignisse  einen 
augenscheinlichen  Beweis  der  Bestechlichkeit  finden  kann,  es  beweist 
nur,  wie  er  Alles,  was  sein  Gegner  thut,  gegen  ihn  zu  wenden  versteht. 
Gesandte  mussten  nach  der  Schlacht  an  Philippus  abgeschickt  werden, 
unter  diesen  war  Aeschines,  wie  er  selbst  sagt  §.  227  vnhq  Tfjg  owrriqCag 
Tiiq  nöhcog  inqsoßevoixsv.  man  konnte  nicht  den  Demosthenes  oder  einen 
dem  Demosthenes,  Hegesippus  oder  andern  Exaltirten  Gleichgesinnten 
wählen;  Philippus  hätte  sie  nicht  angehört,  oder  vielmehr  sie  wären 
schon  selbst  nicht  gegangen,  es  mussten  Männer  der  Opposition  sein, 
und  Aeschines  war  bereits  dreimal  in  derselben  Eigenschaft  bei  dem 
Könige  gewesen.  Es  war  Pflicht  in  diesem  Momente  für  das  Vaterland 
zu  thun  was  möglich  war,  der  (fdCa  hat  er  sich  gewiss  nicht  gerühmt. 
Hatte  Demosthenes  keine  besseren  Beweise  der  [xio&aqvCa,  so  konnte  er 
getrost  auch  diesen  übergehen,  er  beweist  gar  nichts. 

Als  eine  Anerkennung  seiner  Verdienste  betrachtet  er  es,  dass  das 
Volk,  obschon  vom  Rathe  auch  Aeschines  vorgeschlagen  war,  ihn  erwählt 
habe,  die  Grabrede  auf  die  Gefallenen  zu  halten,  und  ungeachtet  der 
Einsprache  seines  Gegners  bei  seinem  Entschlüsse  verharrte;  es  sei 
geschehen,  weil  dieser  es  mit  dem  Philippus,  nicht  mit  dem  Volke  hielt. 
Dieses  ist  allerdings  ein  sicherer  Beweis,  dass  die  Gesinnung  des  Volkes 
auch  jetzt   noch   ihm   günstig   war.     Erinnern   wir   uns  der  oben  ange- 


91 

führten  Stelle  Plutarch's  (Phok.  16),  dass  die  -i^oQvßoTtoiol  und  vswzeQiOral 
auch  nach  der  Schlacht  in  Athen  die  Fortsetzung  des  Krieges  wollten 
und  den  Charidemus  als  Feldherrn  verlangten ,  dass  der  Areopag  und 
die  ßsXriOToi  nur  mit  Mühe  und  unter  Bitten  und  Thränen  das  Volk 
dahin  brachten,  den  Pliokion  zum  Commandanten  der  Stadt  zu  ernennen, 
so  sehen  wir,  dass  die  kriegslustige  Partei  noch  keineswegs  durch  die 
Niederlage  eingeschüchtert  war,  sondern  das  üebergewicht  hatte,  und 
dann  verstand  es  sich  von  selbst,  dass  niemand  als  Demosthenes  die 
Rede  halten  konnte.  •*)  Dass  die  Verwandten  der  Gefallenen  das  Todten- 
mahl  bei  ihm  nahmen,  scheint  nichts  Besonderes  zu  sein,  aber  er  weiss 
dieses  recht  schön  als  gebührend  und  natürlich  hervorzuheben.^) 

Selbst  das  Epigramm,  das  von  Staatswegen  den  Gefallenen  gesetzt 
wurde,  muSS  herhalten,  tV  sldfjg  Aloxivrj  xal  iv  avTo^  tovtoi  Guvtov  dyvwfxova 
xai  GvxofpdvTrjv  ovra  xal  (iiaqov.     Der  Vers  daselbst 

IXYjd^v  d/A,aQT£iv  sGtI  S^scöv  xal  ndvxa  xaroQ^ovv 
sagt  deutlich  aus ,  dass  der  günstige  Erfolg  und  das  Gelingen  in  der 
Macht  der  Götter,  nicht  in  der  des  Rathgebers ,  ov/ußov/iog,  stehe.  Ein 
derber  Fluch ,  welcher ,  wenn  auch  nicht  überzeugender ,  doch  kräftiger 
als  der  Beweis  wirkt,  bildet  den  Schluss  dieser  Argumentation:  ti  ovv 
(o  xardgaz'  sfiol  tcsqI  tovtcov  XoiSoqsT,  xal  Xsysig  a  Goi  xal  rolg  Goig  ol  S^sol 
tQSXp6iav  slg  xscpalrjv ; 

Nicht  besser  ist  der  Beweis,  welcher  folgt  §.  291.  Nichts,  sagt 
Demosthenes,  habe  ihn  mehr  in  Erstaunen   gesetzt,    als    dass  Aeschines, 


1)  Dass  der  inirafpiog  niclit  genügt  und  man  von  Dem.  jedenfalls  Besseres  erwarten  durfte, 
ist  gewiss;  die  Aufzählung  der  zehn  Phylen  und  deren  Anwendung  ist  und  bleibt  abge- 
schmackt. Wie  unsicher  aber  und  täuschend  es  ist,  aus  den  Ueberresten  eines  vorzüglichen 
Autors  sich  ein  Ideal  zu  schaffen  und  nach  diesem  über  Aechtheit  und  Unächtheit  zu  ent- 
scheiden, hat  man  an  dem  Beispiele  der  platonischen  Kritik  erfahren.  Dass  man  an  eine 
solche  Leichenrede  keinen  grossen  Masstab  anlegen  darf,  kann  der  von  den  Alten  gerühmte 
i-nirdcpio?  des  Hyperides  lehren.  Die  einzige  Stelle,  welche  von  Philippus  redet  p.  1394 
§.  20:  ausser  seiner  Dummheit,  nqog  rrj  xmv  ivuvrimv  ayvmfxoovvn ,  sei  die  Tapferkeit  der 
Gefallenen  Ursache  gewesen,  dass  er  nicht  sogleich  nach  Athen  gezogen  sei  und  den  Frieden 
vorgezogen  habe ,  rov  riäv  ivavxmv  xvQioy  (piXov  yty{a9txi,  rolg  ixiivoiv  oixtioig  ßovXia&ca 
l^fMov  fj  nahv  vntQ  rmv  oXwf  yJydvvou  aQuad-cu,  ist  ganz  im  Sinne  und  Geiste  des  Dem. 
Auch  dort  wird  §.  22  der  Verlust  der  Schlacht  den  thebanischen  Feldherren  zugeschrieben, 
wie  in  unserer  Rede  §.  300.  313. 

2)  Hat  vielleicht  Dem.  diese  zu  sich  geladen,  wie  er  sich  auch  rühmt,  die  makedonischen 
Gesandten  splendid  bewirthet  zu  haben? 

12* 


92 

nachdem  er  ihm  bei  jener  Wahl  entgegengetreten  sei,  kein  Herz  für  das 
erlittene  Unglück  gezeigt,  nicht  geweint  und  dadurch  sich  selbst  als 
Feind  und  Gegner  des  Volkes  verrathen  habe,  ovx  ak  «V  svvovg  xal  öixaiog 
noXt'rt^g  foxs  ti]v  yvoii.irj%' ,  ovS'  iSdxQx^Gs^',  ovd^  STcait^s  roiovxov  ovSH'  rfj  ipvx'^, 
dXX'  snäQuc  Tt^v  (p(ovr]v  xal  ysy/yi^wg  xal  XaQvyyC^wv  meto..  Aeschines  wird  im 
Momente,  als  er  den  Demosthenes  für  das  geschehene  Unglück  verant- 
wortlich machte,  sicher  gewusst  haben,  warum  er  in  diesem  Tone  sprach 
und  nicht  anders;  so  zu  reden,  wie  Demosthenes  hier  fordert,  war 
diesem  nur  eine  erwünschte  Gelegenheit  zu  sagen,  es  sei  nichts  als 
Heuchelei  gewesen ,  wie  er  ja  selbst  kurz  vorher  von  ihm  bemerkte 
§.  287  rfj  <p(ovij  V 7t oxQ IV 6 fisvov  xTqv  ixsivcov  rv%rjv ,  mit  dergleichen  wohl- 
feilen Beweisen  hatte  den  angehenden  Redner,  damit  ihm  ja  nie  das 
"Wort  fehle,   schon  die  triviale  Theorie  der  Rhetorik  hinreichend  versorgt. 

Der  Vorwurf,  dass  Aeschines  ihn  als  Anhänger  des  Philippus  be- 
zeichne §.  294  og  yuQ  sf.iov  (ptXinniGnov  co  yTi  xal  ^sot  xaTTqyoQeT ,  xi  ovxoq  ovx 
UV  stnoi ;  ist  allerdings  abgeschmackt  und  durch  die  That  hinreichend 
widerlegt ,  aber  dem  Gegner  ist  es  auch  nicht  eingefallen ,  dieses  so 
allgemein  zu  behaupten ;  Aeschines  sagt  nur,  dass  Demosthenes  CVHI,  2 
sich  alle  Mühe,  den  Frieden,  welchen  Philijjpus  wünschte,  zu  Stande  zu 
bringen,  gegeben  und  dessen  Gesandten  über  Gebühr  geschmeichelt  habe, 
was,  wie  wir  gesehen  haben,  dieser  vergebens  in  Abrede  zu  stellen  sucht. 

Von  der  Liste  der  Verräther  war  oben  die  Rede  §.48,  wir  kennen 
die  Geschichte  der  einzelnen  Staaten  und  der  hier  namentlich  bezeich- 
neten Staatsmänner  nicht,  um  darüber  entscheiden  zu  können,  müssen 
aber  Polybius  Dank  wissen  für  das,  was  er  uns  darüber  mittheilt ;  nach 
ihm  ist  Aeschines  viel  niedriger  anzusetzen,  weil  er  keine  solche  poli- 
tische Rolle  gespielt  hat.  Dass  dieser  Verrath,  sagt  Demosthenes,  nicht 
wie  in  den  andern  griechischen  Staaten ,  auch  in  Athen  stattgefunden 
habe,  sei  sein  Werk,^)    er  habe  sich    nicht   durch    den  Philij)pus,    nicht 


1)  §.  297  ri  Tiokii  iii'uCnog  ytyovtv  ix  rcüy  i/uuiy  nohrtvfxaTOJi'.  285  d't'  t'/nov  und  sonst  uft  im 
Gegensatze  von  294,  wo  er  sagt,  der  Staat  liabe  von  selbst  diese  Tendenz  immer  verfolgt, 
es  wäre  eine  zu  grosse  unverdiente  Ehre,  wenn  man  sie  ihm  zuschreiben  wollte:  ciXk  ovt 
tiu  tyto  Tdvra  (fi^oinfii  (ud'ixoirjV  yuQ  (iy  vfiu?),  ovt'  liv  v[j,tig  tv  oid'^  öji  ovy/w^rjauiTt,  Dieses 
ist  auch  rhetorische  Sitte,  aus  Cicero  bekannt  genug;  bald  hebt  er  sich  als  den  einzigen, 
von  dem  Alles  ausgehe,  hervor;  kommt  es  aber  darauf  an  sich  zu  rechtfertigen,  so  weiss  der 


93 

durch  den  Alexander  ^)  besteclien  lassen,  seine  Politik  sei  gewesen,  ohne 
die  Sorge  für  das  Innere  zu  vernachlässigen,  alle  hellenischen  Stämme 
den  Athenern  befreundet  zu  machen  und  als  äussere  Bollwerke  dem 
Feinde  entgegenzustellen ;  wäre  überall  nur  ein  Mann  wie  er  gewesen, 
ja  hätte  nur  Thessalien,  hätte  nur  Arkadien  einen  einzigen  Demosthenes 
gehabt,  ganz  Griechenland  inner  und  ausser  den  Pylae  wäre  frei  und 
würde  von  dem  jetzigen  Drucke  nichts  erleiden.  Zu  diesem  hohen  und 
stolzen  Selbstgefühle  —  es  ist  die  schönste  und  berühmtste  Stelle  unserer 
Rede  —  berechtigte  den  Demosthenes  das  Bewusstsein,  rein  und  unbe- 
scholten im  Interesse  der  Freiheit  den  Feind  aller  Griechen  bekämpft 
zu  haben ;  selbst  dieses  grosse  Wort  vermag  ihm  noch  nicht  die  volle 
Wahrheit  auszudrücken,  facta  dictis  exaequare ,  §,  305  Iva  J'  etSrJTt;  on 
TtoXho  ToTg  Xöyotg  slaTzoOi  XQ^l^'''^''  '^^^'  ^Qywv ,  fv^aßovfisvog  tov  (p&örov ,  Xsys  ^loi 
xavvL  gelang  dieser  Kampf,  und  er  war  von  solcher  Zuversicht  erfüllt, 
dass  er  an  dem  Gelingen  nicht  zweifelte ,  so  war  Athen  an  der  Sj^itze 
von  ganz  Hellas  und  die  alte  Macht  und  Herrlichkeit  wieder  errungen, 
§.  306  (üv  xaroqx^ovusvuiv  (isyCOtoig  äva/,i(fiOßrJTU)g  VTtfjQX^v  elvai,  xal  %d  dixaCmg 
TCQogfjV.  und  so  mag  man  es  erklärlich  finden,  dass  er  auch  jeden  Wider- 
stand, ja  jeden  Widerspruch  gegen  das,  was  er  seinem  Zwecke  zuträglich 
hielt,  als  Verrath  brandmarkte.  Selbst  wenn  sein  Gegner  sich  ruhig 
verhält,  ist  dieses  keine  ehrliche,  sondern  heimtückische  Ruhe,  welche 
nur  auf  einen  günstigen  Moment  lauert,  um  zum  Schimpf  und  Schande 
des  Landes  ehrliche  Leute  angreifen  zu  können.  An  den  Früchten 
musste  man  ihn  erkennen  §.  309,  wenn  er  etwas  taugte,  aber  Athen 
habe  noch  nicht  den  mindesten  Vortheil  von  ihm  gezogen,'^)  nie  liess 
er  sich  sehen,  wo  es  eine  Aufopferung  galt,  nur  wo  es  galt  zum  Ver- 
derben und  Schaden  des  Volkes  zu  wirken ,  zeigte  er  seine  Kraft  und 
seine  Kunst.  ■^) 

Eedner  alle  Andern  vorzuschützen,  er  habe  nur  ausgeführt,   was  das  Volk,   was  der  Senat 
beschlossen  habe. 

1)  Hat  auch  Alexander  noch  bestochen?    Gewiss  hatte  er  es  nicht  nothwendig. 

2)  Diese  Klagen  sind  ungegründet ,  wie  konnten  an  Aeschines  solche  Forderungen  gestellt 
werden,  der  nie  am  Euder  des  Staates  gewesen?  Merkwürdig  aber  ist,  dass  Dinarchus 
§.  96  dieselben  Vorwürfe  gegen  Dem.  selbst  vorbringt,  der  nichts  von  dem  geleistet  habe, 
was  unter  der  Verwaltung  des  Eubulus  geschehen  sei.  Fast  möchte  man  darin  eine  Ant- 
wort auf  unsere  Stelle  vermuthen. 

3)  §.  306  ist  ein  noch  nicht  beachteter  Fehler,  die  Worte  ruvra  . .  n^urrtw  . .  xöv  xaXoy  xilya- 


i)4 

Die  Vergleichung  mit  den  Staatsmännern  der  Vorzeit  weist  Demo- 
sthenes  als  ungebührlich  zurück,  er  will  nur  den  lebenden  gegenüber- 
gestellt werden ;  Aeschines  antwortet  in  Form  einer  TtgoxaTdXrjipig  nicht 
mit  Unrecht,  dass  es  in  Politik  und  Moral  allgemeine  feststehende  Nor- 
men gebe,  die  für  immer  gelten  und  nach  welchen  der,  welcher  auf 
aQfrt]  Anspruch  mache,  beurtheilt  werde;  er  gewinnt  jedoch  damit  wenig, 
denn  das  Ziel,  das  Demosthenes  anstrebte,  die  Freiheit  gegen  die  Fremd- 
herrschaft zu  wahren,  muss  jeder  als  edel  und  ruhmvoll  erkennen,  wenn 
er  auch  mit  der  Art  und  Weise,  wie  dieses  geschehen,  nicht  einver- 
standen ist,  dagegen  ist  Aeschines  zu  dem  Tadel  über  die  maasslose  Ver- 
schwendung von  Ehren  in  seiner  Zeit  vollkommen  berechtigt.  Noch 
einmal  hebt  Demosthenes  hervor,  welcher  Unterschied  zwischen  ihm,  der 
Alles  für  das  Wohl  seiner  Bürger  erduldet  habe,  und  seinen  Gegnern, 
den  Feinden  des  Vaterlandes  sei,  und  er  schliesst  mit  dem  Gebete,^)  die 
Götter  mögen  diese  bessern ,  und  wenn  sie  unverbesserlich  seien ,  zum 
Heile  der  Andern  von  Grund  aus  vertilgen. 


Damit  ist  das  Wichtigste  hervorgehoben,  was  sich,  nicht  vom  Stand- 
punkte des  Gegners  aus,  sondern  von  dem  des  Lesers,  welcher  über 
die  streitenden  Parteien  steht,  so  wenig  wir  auch  bei  dem  Mangel 
bewährter  Ueberlieferung  in  vielen  Dingen  tiefer  zu  schauen  vermögen, 
wie  wir  glauben  mit  Recht  einwenden  lässt.  Ueberall  aber  muss  man, 
auch  wo  man  dem  Redner  nicht  beistimmen  kann,  die  Kunst  bewundern. 


d-öy  noXirrjt/  d e  i  schliessen  die  Frage  §.  301  ab  rt  /Qtji'  zw  ivvovv  nokirtjy  noittv;  der  Cor- 
rector  der  zweiten  Recension  unsers  Textes,  der  gute  Kenntnisse  verräth,  hat  den  Mangel 
der  Concinnität  wohl  bemerkt,  an  der  Verbesserung  aber  fehl  gegriffen;  er  schrieb  oben 
XQfi  für  XQ^''^  aber  Alles  weist  darauf  hin,  dass  es  nicht  ein  allgemeiner  Satz  sein  soll, 
sondern  auf  die  Zeit  und  Person  des  Dem.  beschränkt,  und  so  fordert  die  Sprache  i'Sti,, 
nicht  rfff.  Das  Ganze  ist  übrigens  zugleich  Antwort  auf  den  Sr,fA.orM6?  dytJQ  des  Aeschines. 
—  §.  320  tyoi  XQttrKSzu  kiyiou  i(paw6fxrip  ist  schwerlich  richtig;  der  eigentliche  Ausdruck 
ist  TU  uQiaTa,  wofür  auch  rä  ßi^Tiara  gesagt  wird;  ich  zweifle  nicht,  dass  auch  hier 
tuQiata  gestanden  hat;  bei  Anaximenes  42,  13  steht  allerdings  ßovXtixso^ivov?  lä  xqutiaza, 
bei  Dem.  und  sonst  meines  Erinnerns  nicht. 
1)  Unserer  Rede  eigen  ist  die  wiederholte  Anrufung  der  Götter  am  Anfange  und  Ende  des 
Exordium  §.  1 — 8,  in  der  Mitte  141  und  am  Schlüsse  324. 


95 

mit  welcher  er  dem  Gegner  selbst  die  triftigsten  Gründe  abzuringen  und 
zu  seinen  Gunsten  zu  wenden  versteht.^)  So  ist  diese  Rede  zugleich 
auch  ein  Meisterstück  der  Sophistik,  und  wenn  schon  Andere  es  eben- 
falls daran  nicht  fehlen  lassen,  Demosthenes  übertrifft  sie  Alle  an  Ge- 
wandtheit und  Geist;  bei  ihm  sie  zu  erkennen  und  zu  durchschauen  ist 
deswegen  um  so  nöthiger.  Die  Schilderung  der  Tvy^ij  beider  ist  ein 
anschauliches  Bild  der  ganzen  Rede  im  Kleinen ;  sie  ist  nicht  ersonnen 
aber  ebenso  wenig  wahr;  unter  der  gleissnerischen  Versicherung  diesen 
Gegenstand  nur  mit  Zartgefühl  und  Milde  zu  berühren,  überschüttet  er 
den  armseligen  Gegner,  dem  kein  so  günstiges  Loos  des  Glückes  wie 
ihm  geworden  ist,  mit  allem  Hohn  und  Spotte,  und  hat  nicht  nothwen- 
dig  sich  irgendwie  zu  erheben ;  Aeschines  ist  so  tief  gestellt ,  dass 
Demosthenes  schon  dadurch  erhaben  dasteht  und  man  ihm  nicht  vor- 
werfen kann,  er  habe  sich  selbst  gerühmt.  Hass  und  Verachtung  des 
Gegners  spricht  sich,  so  sehr  es  auch  immer  in  Abrede  gestellt  wird 
in  der  ganzen  Rede  aus,  er  ist  höchst  reizbarer  Natur  und  was  Plutarch 

sagt  c.   12 

ov  yäq  n  y^^'^^^^f^og  dvrJQ  rjv  ovd^  dyavö^Qcov 

dXX"  i'vTovog  xal  ßi'aiog  negl  tag  dfivvag  leuchtet  Überall  hervor.^)  Politische 
Streitigkeiten  aber  waren  den  Alten  eine  vorzügliche  Quelle  sich  zu 
verfeinden.  Oligarchie  und  Demokratie  standen  sich  schroff  gegenüber 
nicht  bloss  im  Grossen  wie  Athen  und  Sparta ;  jede  einzelne  Stadt  nährte 
in  sich  diesen  Dualismus,  und  die  beiden  grössten  Staaten  thaten  das 
Mögliche,  überall  ihrer  Verwaltungsform  mit  List  oder  Gewalt  Eingang 
zu  verschaffen;  die  Sieger  erledigten  sich  ihrer  Gegner  durch  die  Ver- 
bannung,  was  selbst  wieder  die  Wurzel   unsäglicher  Streitigkeiten    war. 


1)  Sextus  adv.  rhet.  40  roV  yovf  y^aipiviu  xaru  KTijaicpüiyTog  Jrj/uoa&ii/tjg  noXXa 
ßoMV  xai  r€^arev6^tuog  tj^naatv.  od-lv  xal  6  Ala^ifrig  (§.  193)  xctxov  i'd-og  cprjalv  (ig 
t6  dixctaTtjQWv  TiUQrjXStV  6  fitr  yuQ  xaT^yO(>og  ctTTokoysiTcti,  6  (ft  axvywf  Trjy  ypumm  xax- 
rjyoQti,  Ol  di  dixaaral  (oy  fiij  liai  xqirui  ni^i  joviioy  xprjCpocpoQtty  clvayxul^ovTai.  Was  hier 
aus  Aeschines  vorgebracht  wird,  ist  ein  locus  communis,  den  auch  andere  Redner  vor  ihm 
wider  ihre  Gegner  anzuführen  nicht  verfehlt  haben,  was  aber  gegen  Demosthenes  in  Bezie- 
hung auf  die  Klagerede  des  Aeschines  gesagt  wird,  ist  nicht  ungegründet. 

2)  Wer  sich  die  Mühe  geben  will,  sämmtliche  Schmähwörter  aus  beiden  Reden  zusammenzu- 
stellen, wird  finden,  dass  obschon  es  Aeschines  hierin  keineswegs  fehlen  lässt.  Dem.  ihn 
doch  weit  übertrifft.  Auch  zu  vergleichen,  wie  beide  seit  den  Reden  ntqi  nagang.  an  dieser 
Bildung  zugenommen  haben,  ist  nicht  ohne  Interesse. 


DG 

Dabei  waren  die  Griechen  dem  Gelde  sehr  zugänglich;  kein  Wunder  also 
wenn  bei  der  Leichtigkeit  sich  bestechen  zu  lassen,  auch  bald  die  Klage 
bestochen  zu  sein  folgte.  Hatte  aber  die  Eris  von  aussen  ihre  goldenen 
Aepfel  zwar  nicht  öÖentlich  unter  den  Haufen  geworfen ,  aber  heimlich 
in  den  Busen  dieses  oder  jenes  gesteckt,  oder  auch  nur  zu  stecken 
Miene  gemacht,  so  war  innerem  Hader  und  Zank  desto  grössere  Nah- 
rung gegeben.  So  ist  Geldgierde  und  Bestechlichkeit  das  Grundübel, 
das  sie  gegenseitig  einander  vorwerfen,  jeder  betrachtet  den  andern  in 
Folge  dessen  als  den  einzigen  Urheber  alles  über  Hellas  hereingebrochenen 
Unglückes.^)  Unsere  Bewunderung  der  Reden  wird  durch  den  Gedanken 
nicht  wenig  abgeschwächt,  dass  der  Staat  am  meisten  gelitten  hatte. 
Sind  die  Anschuldigungen  des  Demosthenes  wahr  und  hat  Aeschines 
Alles  absichtlich  zu  Gunsten  makedonischer  Herrschaft  getlian,  dann  ist 
der  Staat  zu  beklagen,  der  solche  Verräther  im  Innern  hatte;  sind  die- 
selben aber  nicht  wahr  und  hat  nur  verschiedene  politische  Anschauung 
zu  solche  maasslosen  Vorwürfen ,  wie  sie  hier  gegenseitig  vorgebracht 
werden,  geführt,  so  ist  er  nicht  minder  zu  beklagen,  wenn  seine  tüch- 
tigsten und  fähigsten  Geister  in  solch  leidenschaftlichem  Kampfe  sich 
aufrieben  und  einander  zu  vernichten  trachteten;  der  Staat  wurde  da- 
durch selbst  vernichtet.  Es  war  das  Natürlichste  und  Klügste ,  dass 
der  Besiegte  den  längst  vergessenen  Ostrakismus  an  sich  selbst  ausübte 
und  die  Heimath  verliess ,  in  welcher  der  Gegner  all  sein  Thun  und 
Lassen  verdächtigte.     Ruhe  und  Besonnenheit  darf  man ,    wo  Hass    und 


1)  Auch  Aeschines  den  Demosth.  §.  57  aiiws  chv/ij/uiizaiy  äjidyTutv.  188.  226.  253.  besonders 
134 — 6  xm  Tavr'  i^/j.ty  (Jti/ißißt]Xfy  t|  örov  Jrjfioad-iyrjg  ji^ög  rrjy  nohttCav  TiQo?t^^Xv\)tv.  Hier 
kommt  ganz  unerwartet  Aristoteles  dem  Dem.  zu  Hilfe,  Rhet.  11,  24  ulXoq  (ronog  tüi'  (pca- 
yuiAiyojy  t'y&vfiri/Liuiijy)  nuQii  t6  uyuiiioi'  w?  ahioy ,  oiny  rm  ujua  >]  fiiTcl  tovto  ytyoyivui'  ro 
ydp  utzu  TOVTO  (üg  diu  tovto  'Mifxßurovai,  xui  [MukiOTa  oi  tv  tu  ig  nokizliuig,  oiov 
lüg  6  Jtjfiddrjg  r^y  d  njxoaO  t  yovg  jiokir  t  iay  nävTiüy  Tmv  xay.üjy  uiTiay  just'  ixti- 
yr,y  yti^  avyißi]  6  noktfiog,  eine  Stelle,  auf  welche  der  gelehrte  Biograph  des  Redners 
HI,  1,  71  mit  Recht  grossen  Werth  legt.  Wenn  man  sich  wundert,  dass  hier  Demades  und 
nicht  Aeschines,  der  doch  dasselbe  ausführlich  genug  behauptet,  genannt  wird,  so  liegt  die 
Ursache  wahrscheinlich  darin,  dass  unser  Process,  als  Aristoteles  jenes  Capitel  der  Rhetorik 
uiederschrieb,  noch  nicht  vorlag.  Von  ihm,  der  dieses  Beispiel  des  post  hoc  und  propter 
hoc  gibt,  wünschte  ich  besonders  dessen  nähere  Begründung  und  die  Erläuterung  jener 
wichtigen  Zeitepoche.  Frei  von  aller  Schuld  an  dem  Kriege  hat  wold  auch  Aristoteles  den 
Dem.  nicht  gehalten,  aber  seine  noAntiu  war  nicht  nuyrwy  zujy  xuxüv  uhia. 


97 

Leidenschaft  ungebunden  herrschen  und  auf  die  Menge  zumeist  wirken, 
nicht  suchen,  und  je  mehr  wir  diese  Reden  begreifen  und  verstehen 
lernen,  desto  mehr  macht  sich  auch  bei  uns  das  Uefühl  geltend,  welchem 
der  geistreiche  Verfasser  des  Dialogus  das  Wort  leiht, ^)  wenn  er  von 
der  ähnlichen  republikanischen  Beredtsamkeit  seines  Vaterlandes  und 
deren  Vertretern  sagt,  man  müsse  diese  grossartigen  Wundergestalten 
anstaunen,  aber  auch  Gott  danken,  dass  wir  in  andern  Zeiten  leben, 
welche  durch  die  Strenge  der  Gesetze  und  die  Milde  der  Sitten  Erschei- 
nungen jener  Art  unmöglich  machen. 


1)  In  der  Rede  des  Matemus  c.  3() — 41. 


Abb.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wis3.  X.  Bd.  I.  Abth.  1 3 


CORRIGENDA. 

S.  33  ^  7  Anm.  1  Zeile  1  ducpoti'  statt  üuq-otg. 

S.  35  :^  9  Z.  20  oTi. 

S.  36^10,  letzte  Zeile:  von  erster  Hand  statt  vom  ersti-n  Stand. 

S.  47  =  91,  Z.  5  könntp. 

S.  48^=22,  Z.  11   iTiKpitt'taTUTOii. 


Ueber  eine 


allische  Silbermünze 


mit  dem  ang-eblichen  Bilde  eines  Druiden 


von 


Franz  Streber. 


13^ 


lieber  eine 

gallische  Silbermünze 

mit  dem  angeblichen  Bilde  eines  Druiden 


von 


f:r.a.i^z   sxi^ebeü. 


Gelesen  in  der  Sitzung  der  philos.-philolog.  Classe  der  k.  b.  Akademie  der  Wissenschaften 

am  1.  Juni  1861. 


Während  man  früher  bei  der  Beschreibung  und  Erklärung  der  antiken 
Münzen  das  Augenmerk  vornehmlich  nur  auf  die  griechischen  und  römi- 
schen Gepräge  gerichtet,  die  gallischen  dagegen,  zunächst  wohl  darum, 
weil  deren  rohe  Arbeit  für  das  Auge  nichts  Anziehendes  darbietet,  der 
Mangel  an  Schrift  aber  die  Erklärung  ungemein  erschwert,  kaum  der 
Beachtung  gewürdiget  hat :  ist  in  den  fünf  letzten  Lustren  in  diesem 
Betreffe  ein  merklicher  Umschwung  eingetreten.  Dem  Fleisse  und  Scharf- 
sinne Einzelner  und  dem  Zusammenwirken  Vieler  ist  es,  nachdem  man 
vorerst  all  die  Münzfunde,  die  in  neuerer  Zeit  gemacht  worden,  sorg- 
fältig verzeichnet  und  beschrieben,  allmählig  gelungen,  in  die  bunte  Reihe 
derjenigen  Denkmäler,  die  man  bis  dahin  unter  der  allgemeinen  Rubrik  ,, un- 
bekannt" oder  ,,reguli  gallici"  zusammengefasst,  eine  Sichtung  zu  bringen ; 
mancher  vorher  unverstandene  Typus  ist  erklärt,  viele  bis  dahin  unedirte 


102 

Stempel  sind  bekaimt  geinaclit,  kui-/  das  Gebiet  der  altgallischen  Numis- 
matik ist  beträchtlich  aufgehellt  und  erweitert  worden. 

Nichts  destoweniger  bleibt  noch  viel  zu  tliun  übrig.  Das  gilt  nament- 
lich von  dem  Verständnisse  der  Typen,  Viele  derselben  bedürfen  noch 
einer  näheren  Erklärung. 

Dahin  gehört  denn  auch  vorliegende  Münze,  von  welcher  LeleweP) 
versichert,  dass  sie  häutig  zwischen  Rlieims  und  Trier  gefunden  werde. 
Das  liild  zwar  der  Vorderseite  bietet,  da  ein  springendes  Pferd  auf  gal- 
lischen Münzen  unzähligemal  wiederkehrt ,  nichts  dar ,  was  unsere  Auf- 
merksamkeit besonders  auf  sich  ziehen  könnte ,  aber  der  Typus  der 
Rückseite  ist  so  eigenthümlich  und  so  sehr  von  andern  gallischen  und 
wir  dürfen  hinzusetzen  auch  nicht  gallischen  Typen  abweichend,  dass  es 
schon  Duchalais,  und  gewiss  mit  Recht,  für  geboten  erachtete,  gerade 
diese  Münze  unter  die  wenigen  Exem})lare  aufzunehmen ,  von  denen  er 
zugleich  mit  der  Beschreibung  eine  Abbildung  zur  Vorlage  bringt.^) 

Was  bedeutet  die  menschliche  Gestalt  auf  der  Rückseite  unserer 
Münze?  das  ist  die  erste  Frage,  die  uns  entgegentritt.  Erst  wenn  wir 
diese  beantwortet ,  können  wir  weiter  untersuchen ,  ob  dieses  Bild  der 
Rückseite  mit  dem  springenden  Pferde  der  Vorderseite  in  Zusammenhang 
stehe  und  in  welchem  ?  Um  aber  die  Bedeutung  der  menschlichen  Gestalt 
zu  erkennen,  müssen  wir  uns  zuerst  über  eine  richtige  Beschreibung 
derselben  verständigen. 

Von  den  bisher  gegebenen  Beschreibungen  sind  mir  vier  bekannt. 
Sie  sind,  in  chronologischer  Aufeinanderfolge,  nachstehende. 

Mionnet  unterscheidet  zwei  Bilder,  nämlich  eine  sitzende  mensch- 
liche Gestalt  von  der  linken  Seite,  die  er  übrigens  nicht  näher  beschreibt, 
und  einen  Altar  vor  derselben,  ,,Figure  assise,  ä  gauche,  de- 
vant  un  autel"^).  Diese  Beschreibung  ist  jedoch  unrichtig.  Mionnet 
muss  ein  sehr  undeutliches  Exemplar  vor  sich  gehabt  haben,  denn  ein 
Altar  ist  auf  den  Originalen  selbst  nicht  sichtbar.  Was  er  für  einen 
Altar  gehalten,  erscheint  auf  deutlicheren  Exemplaren  als  ein  Zweig 
oder  Baum. 


1)  Lelcwel,  Etudes  numismatiques  iian^.  271. 

■2)  Duclialais,  I^escription  des  medailles  gauloiscs.   1840.  PI.  III.  Fig.  7. 

'6)  Miomif;t,  Descrii)tion,  Suppl.  Tom.  1.  1819.  medailles  incsrt.  äea  Gaules,  n.  279. 


103 

Lelewel  bezeichnet  die  menschliche  Gestalt  als  die  eines  sitzenden 
Druiden,  der  den  Zweig  einer  Mistel  vor  sich  auf  den  Knieen  hält. 
,,Les  mannequins  acariätres  d'un  druide  assis  ayant  sur  les 
genoux  un  rameau  de  gui"  ^).  Da  wir  es  vorläufig  nur  mit  der 
Beschreibung  und  noch  nicht  mit  der  Erklärung  des  Bildes  zu  thun 
haben,  so  sei  hier  nur  bemerkt,  dass  erstens  die  menschliche  Figur  un- 
bekleidet dargestellt  ist  und  zweitens  der  Zweig  oder  Baum  von  der- 
selben nicht  auf  den  Knieen  gehalten  wird,  sondern  ihr  aus  dem  Leibe 
herauswächst. 

Letzteres  hat  der  Verfasser  des  Catalogs  der  Reich el'schen  Münz- 
sammlung richtig  erkannt,  beschreibt  aber  das  Bild  als  eine  liegende 
Figur  und  den  Zweig,  der  aus  ihrem  Leibe  hervorwächst,  als  einen 
Palmbaum-).  Von  dem  Zweige  oder  Baume  wird  später  die  Rede 
sein ;  dass  aber  der  Stempelschneider  nicht  eine  liegende ,  sondern  eine 
sitzende  Figur  vorstellen  wollte,  beweist  die  Stellung  der  Beine  nicht 
minder  wie  die  der  Arme. 

Duchalais  endlich  glaubte  auf  unserer  Münze  eine  sitzende  mensch- 
liche Gestalt  zu  sehen,  von  der  linken  Seite  dargestellt,  den  Kopf  rück- 
wärts gewendet,  die  rechte  Hand  erhoben,  in  der  linken  einen  Zweig 
haltend,  hinter  ihr  das  Zeichen  V.  ,,De  la  main  gauche  il  tient 
un  rameau  compose  de  quelques  feuilles  opposees  les  unes 
aux  autres,  et  au  milieu  desquelles  se  trouve  un  globule 
en  forme  de  baie;  vis-a-vis  lui  un  rinceau;  il  tourne  sa 
tete  ä  droite  et  ses  cheveux  sont  releves  en  chignon;  der- 
riere  lui  la  lettre  ou  le  symbol  V  et  un  autre  objet,  qui 
est  peut-etre  un  gland"^).  Auch  hier  hat  sich  ein  Irrthum  ein- 
geschlichen. Die  menschliche  Gestalt  hat  den  Zweig  oder  Baum  nicht 
in  der  linken  Hand;  sie  hält  vielmehr,  wie  die  Rechte  aufwärts,  so  die 
Linke  abwärts  und  zwar  mit  ausgestreckten  Fingern.  Was  Duchalais 
für  ein  hinter  der  Figur  angebrachtes  Zeichen  V  angesehen ,  ist  der 
linke  Arm  dieser  Figur ,  der  Zweig  oder  Baum  aber  wächst  ihr ,  wie 
bereits  erwähnt,  aus  dem  Leibe  hervor. 


1)  Lelewel,  Etudes  numismatiques.  1841.  pag.  359. 

2)  Reichel'sche  Münzsammlung,  Frankreich.  1842.  S.  5.  n.  42. 

3)  Duchalais,  Description  des  medailles  gauloises.  1846.  n.  701. 


104 

Unsere  Frage  ist  demnacli  näher  dahin  zu  formuliren :  Was  bedeutet  die 
unbekleidete,  sitzende,  rückwärts  bHckende  menschliche  Figur  mit  der 
erhobenen  Rechten  und  der  abwärts  gerichteten  Linken,  aus  deren  Leib 
ein  Zweig  oder  Baum  herauswächst? 

L 

Betrachten  wir  zuerst ,  ohne  schon  jetzt  auf  alle  Einzelheiten  des 
Gesammtbildes  einzugehen,  die  menschliche  Gestalt  an  sich,  so 
wird  sicherlich  Niemand  auf  den  Einfall  kommen,  in  derselben  etwa  das 
Bild  eines  Fürsten  oder  einer  andern  der  Geschichte  angehörigen  Per- 
sönlichkeit erkennen  zu  wollen.  Einer  solchen  Deutung  widerspräche 
schon,  wenn  auch  derartige  Typen,  was  sehr  in  Zweifel  gezogen  werden 
muss ,  auf  andern  gallischen  Münzen  vorkommen  sollten ,  Stellung  und 
Geberde  und  überhaupt  der  ganze  Habitus  unserer  Figur.  Mit  Recht 
glaubte  daher  Lelewel  dieser  Gestalt  eine  m^hr  allgemeine  Deutung 
geben  zu  müssen.  Er  erkannte  in  derselben  das  Bild  eines  Druiden^). 
Aber  auch  diese  Annahme  ist  unhaltbar;  ja  wir  dürfen  umgekehrt  be- 
haupten, dass  unsere  Figur  einen  Druiden  sicherlich  nicht  vorstelle; 
denn  wenn  wir  auch  nicht,  durch  verschiedene  Monumente  belehrt,  mit 
Bestimmtheit  wüssten,  dass  die  Männer  dieses  Ordens,  der  das  Amt  der 
Priester,  Lehrer,  Zeichendeuter,  Aerzte  und  Richter  zumal  inne  hatte, 
weite  und  faltenreiche  Mäntel  getragen  haben ,  so  wird  doch  nicht  im 
Ernste  behauptet  werden  wollen,  dass  sie  unbekleidet  gewesen,  am  aller- 
wenigsten wenn  sie,  wie  in  vorliegendem  Falle  von  Ij  e  1  e  w  e  1  angenommen 
wird,  die  Mistel  in  der  Hand  trugen,  da  Plinius  ausdrücklich  berichtet, 
sie  hätten  mit  weissem  Gewände  angethan  ,, Candida  veste"  den  Baum 
bestiegen,  die  Mistel  mit  goldener  Sichel  abgeschnitten  und  dieselbe 
,,candido  sago"  aufgefangen.  Die  menschliche  Figur  auf  unserer  Münze 
erscheint  aber  unbekleidet. 

Wir  werden  darum  nicht  irren,  wenn  wir  behaupten,  dass  wir  hier 
das  Bild  eines  göttlichen  oder  halbgöttlichen  Wesens  vor  uns 
haben,  welches  bei  dem  Volksstamme,  dem  fragliche  Münze  angehört, 
besondere  Verehrung    genossen    hat.     Zu  dieser  Deutung  berechtigt  uns 


1)  Lelewel,  Etudes  numismatiques  pag.  359. 


105 

sckoja  die  Vergleichung  mit  andern  antiken  Münztypen.  Ich  erinnere 
hier  nur,  um  nicht  der  zahh'eichen  Cultusbilder  auf  den  Geprägen  der 
verschiedensten  Völker  des  Alterthiuns  zu  gedenken,  an  die  vielen  Heroen, 
welche  wir,  sei  es  als  Städtegründer,  sei  es  als  Helden  eines  ganzen 
Stammes ,  auf  den  griechischen  Münzen  in  Brustbildern  und  noch  viel 
häufiger  in  ganzer  Gestalt  vorgestellt  finden,  wie  beispielweise  Achilles 
in  Epirus  und  in  Thessalien,  Aiax  bei  den  Opontiern,  Agathyrnus 
in  Tyndaris,  Cydon  in  Cydonia,  Eurypylos  zu  Pergamus,  Gorgos 
in  Ambracia,  Hector  zu  Ophrynium,  Kephalos  in  Cephallenia,  Leu- 
c  a  p  s  i  s  in  Syracus,  L  e  u  c  i  p  p  o  s  in  Metapontum,  P  h  e  r  ä  m  o  n  in  Messina, 
Taras  in  Tarent,  Ulysses  in  Ithaka  u.  s.  w. 

^\a,s  für  ein  höheres  Wesen  jedoch  mag  hier  vorgestellt  sein? 
Angesichts  der  Dürftigkeit  der  Nachrichten  über  den  Glauben  und  Cultus 
der  Gallier  überhaupt  und  der  Remi  und  Treveri,  in  deren  Gegend  unsere 
Münzen  gefunden  werden,  insbesondere  sind  wir  bei  Beantwortung  dieser 
Frage  zunächst  an  das  vorliegende  Bild  selbst  gewiesen.  Die  mensch- 
liche Figur  als  solche  aber  gibt  uns  einen  ausreichenden  Anhaltspunkt 
für  die  Deutung  nicht  an  die  Hand.  Das  Bild  selbst  ist  so  roh  gear- 
beitet, dass  nicht  einmal  mit  Sicherheit  gesagt  werden  kann ,  ob  wir 
eine  männliche  oder  weibliche  Gestalt  vor  uns  haben.  Allerdings 
erscheint  als  charakteristisch,  dass  dieselbe  unbekleidet,  sitzend,  rück- 
wärts blickend  und  mit  erhobener  Rechten  dargestellt  ist,  aber  auch 
diese  Merkmale  sind  nicht  unterscheidend  genug,  um  der  Gestalt  einen 
bestimmten  Namen  geben  zu  können. 

Wir  müssen  daher  den  Ausgang  unserer  Untersuchung  von  einem 
anderen  Theile  des  Gesammtbildes  nehmen,  der  möglicher  Weise  geeignet 
ist,  auf  die  Bedeutung  der  menschlichen  Gestalt  einiges  Licht  zu  werfen. 
Dahin  gehört  zunächst  der  Zweig  oder  Baum,  der  ihr  aus  dem  Leibe 
wächst. 

n. 

Was  magder  Zweig  oder  Baum  bedeuten,  der  auf  unserer  Münze 
mit  der  menschlichen  Gestalt  in  Verbindung  gebracht  ist? 

Die  Beziehungen,  welche  Veranlassung  geben  mochten,  einen  Zwei^' 
oder  Baum  und  zwar  in  so  augenfälliger  Weise,  wie  hier  gescliehun  ist, 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d,  Wiss.  X.Bd.  I.  Abtli.  14 


106 

auf  dio  Münze  zu  setzen,  konnten  verschiedener  Art  sein.  Ich  erinnere 
zunächst  daran ,  dass  man  sich  im  Alterthume  das  Schicksal  einzelner 
Staaten  nicht  nur  sondern  auch  einzelner  Stände  im  Staate,  ja  selbst 
einzelner  Familien  in  unmittelbarem  Zusammenhange  mit  dem  Schicksale 
einzelner  Bäume  gedacht  hat  ^). 

Bekanntlich  nahm  Athene  durch  Anpflanzung  des  Oelbaums  Besitz 
von  ihrer  heiligen  Stätte  zu  Athen.  Auf  dem  Oelbaume  ruhten  die 
Sacra  der  Athene;  er  hatte  das  Numen  der  Göttin,  war  ihr  Tempel 
und  Agalma  zugleich.  Bei  der  Zerstörung  der  Heiligthümer  der  Burg 
durch  die  Perser  war  auch  dieser  heilige  Baum  versengt  worden;  als 
aber  die  Athenienser,  denen  Xerxes  spottweise  befohlen  hatte  auf  die 
Burg  zu  gehen  und  die  väterlichen  Opfer  darzubringen,  sahen,  wie  dieser 
Baum  über  Nacht  bereits  wieder  einen  neuen  frischen  Spross  zweier 
Ellen  lang  ausgetrieben,  erkannten  sie  hierin  ein  unwiderlegliches  Zeugniss 
von  der  Unzerstörbarkeit  und  dem  Wiederaufleben  ihrer  väterlichen  Sacra, 
wie  von  dem  kommenden  Siege  über  die  Schänder  derselben  ^).  Der 
Oelbaum  galt  ihnen  als  Lebens-  und  Schicksalsbaum,  oder,  wie  der  Chor 
in  Oedipus  auf  Kolonos  sich  ausdrückt  ^) : 

To  fie'v  Ttg  ov-S-'  dßog  oms  yr'jQai 

Orjfiaivcov  dXimOei  x^Qi'  TtäQOac'  6  yccQ  aiiv  ogwv  xvxXog 

XevOOei  viv  MoQiov  Jtdg 

fit,  yXavxüÖTtig  'A^äva. 
Ebenso  war  der  Feigenbaum  des  Navius  mit  der  Entstehung  nicht 
nur  sondern  auch  mit  dem  Leben  und  Schicksale  Roms  verflochten. 
Ein  Abpflanzer  des  ruminalischen  Feigenbaums  am  Tiber,  unter  welchem 
man  Romulus  und  Remus  an  den  Brüsten  der  Lupa  säugend  gefunden 
hatte,  stand  er  auf  dem  Comitium,  auf  dem  Platze,  wo  nach  der  Sage 
zwischen  Romulus  und  den  Sabinern  das  Friedensbündniss  geschlossen 
wurde.  Seine  Abstammung  und  Bedeutung  zu  bezeichnen,  weihte  Attius 
Navius  das  eherne  Bild  der  Lupa  unter  seinen  Zweigen,  weshalb  er  auch 
navia  ficus  hiess.  Die  Römer  aber  glaubten,  durch  die  Aussprüche  der 
ilar'uspices  und  durch  heilige  Anzeichen  hierin  bestärkt,  dass  ihre  Freiheit 


1)  Vgl.  Bötticher,  der  Baumcultus  der  Hellenen.     S.  165,  170  u    s   w. 

2)  Bötticher,  a.  a.  0     S.   172. 

3)  Sophocl,  Oedip.  auf  Kolonos.  V.  702. 


107 

so  lange  unversehrt  dastehen  würde  als  dieser  Feigenbaum  grünend 
wäre.  Daher,  wie  Tacitus  berichtet,  ihr  Schrecken,  als  dieser  Baum 
unter  Nero  zu  welken  und  zu  dorren  begann.  Sie  erkannten  hierin  ein 
Zeichen  des  Unterganges  ihres  Staates  ').  Auch  M  e  g  a  r  a  hatte  einen 
solchen  Schicksalsbaum ,  von  dessen  Leben  sein  Bestand  abhing.  Ein 
Orakelspruch  hatte  vorherverkündet,  es  würde  der  Staat  untergehen, 
sobald  ein  Baum  Wafien  gebäre.  Es  stand  aber  auf  der  Agora  der 
Stadt  ein  alter  geweihter  Oelbaum.  Als  dieser  gefällt  wurde,  kamen 
im  Stamme  Beinschienen  zum  Vorschein.  Es  war  nämlich  dieser  Baum 
vor  alten  Zeiten  mit  Waflfenbeute  geschmückt  worden,  die  sich  mit  dem 
Stamme  verwachsen  hatte  und  von  dessen  Rinde  bedeckt  worden  war. 
Mit  dem  P'alle  des  Baums  war  der  Fall  von  Megara  entschieden^).  In 
ähnlicher  Weise  ist  nach  den  Sagen  und  Anschauungen  des  Nordens 
das  Schicksal  der  Völker  und  ihr  Blühen  und  Verwelken  aufs  engste 
mit  dem  Blühen  und  Welken  bestimmter  Bäume  in  Verbindung  gebracht^), 
nur  sind  es  hier  nicht  der  Oel-  oder  Feigenbaum ,  sondern  zumeist  die 
Esche  und  der  Birnbaum,  an  welche  die  Sage  anknüpft.  Bei  den  Dieth- 
marsen  ging  die  Rede,  ihre  Freiheit  werde  zu  Grunde  gehen,  wenn  der 
Wunderbaum  bei  der  Aubrücke  neben  Süderheidstedt  verdorrt"*).  Auf 
einer  der  Orkaden,  wo  sich  Norweger  angesiedelt  hatten,  wurde  der 
Sperberbaum  als  eine  heilige  Pflanze  bewacht,  weil  man  glaubte,  wenn 
ein  Fremder  einen  Zweig  davon  wegbrächte,  werde  die  Insel  unter 
fremde  Herrschaft  kommen  ^).  Die  niedersächsische  Sage  lässt  die  Welt- 
schlacht geschlagen  werden,  wenn  die  Nortorfer  Eiche,  die  Tiroler  Sage, 
wenn  die  Bäume  auf  der  Ulfiswiese  bei  Innsbruck  so  herangewachsen 
sind,  dass  man  ein  Ross  darunter  festbinden  kann.  Sibilla  Weiss 
prophezeit  das  Ende,  wenn  der  Ast  des  kalten  Baums  stark  genug  ist, 
um  einen  Reiter  sammt  dem  Rosse  zu  tragen.  Eine  Oberpfälzer  Prophe- 
zeiung lässt  Elias  am  Ende  der  Tage  die  Getreuen  unter  einem  Birn- 
baum sammeln.    In  denselben  Sagenkreis  gehören  auch  der  dürre  Birn- 


1)  Bötticher,  a.  a.  0.    S.  128,  130.  166. 

2)  Bötticher,  a.  a.  0.    S.  167. 

ii)  Vgl.  Quitzmann,  die  heidnische  Religion  der  Baiwaren,  S.  50. 

4)  Mone,  Geschichte  des  Heideiithunis  im  nördl.  Europa.     B.  II.    S.  87. 

5)  Friedreich,  die  Symbolik  und  Mythologie  der  Natur.     S.  215. 

14* 


los 

])aum  auf  der  "Walserhaide  bei  Salzburg  und  der  kalte  Baum  bei  Vohen- 
stranss  in  der  Oberptalz  ^). 

Aber  nicht  blos  die  verschiedenen  Völkerstämme  und  Staaten, 
sondern  auch  einzelne  Gliederiuigen  derselben  hatten  ihre  besonderen 
SchicksalsbiVnnie.  Wenigstens  gilt  das  von  den  beiden  Ständen  des 
römischen  Volkes,  den  Patriciern  und  Plebejern,  und  von  den  beiden 
^lyrten,  die  vor  der  Aedes  des  Quirinus  oder  Romulus  auf  dem  Quirinal 
standen.  Die  eine  hiess  patricia,  die  andere  plebeja,  und  Plinius  spricht 
es  geradezu  aus,  wie  man  sie  mit  den  beiden  Ständen  in  Verbindung 
gedacht  habe  und  beider  Schicksal  an  ihnen  geoii'enbart  schien.  Von 
diesem  habe  lange  die  patricische  grössere  Kraft  gehabt  und  sich,  mit 
der  Macht  des  Senates  wachsend,  anmuthig  ausgebreitet,  nur  die  plebe- 
jische habe  dürre  und  traurig  dagestanden,  das  Schicksal  der  Plebejer 
andeutend;  dann  endlich  sei  auch  diese  kräftig  geworden,  während  die 
patricische  zur  Zeit  des  Marsischen  Krieges  zu  welken  begann  und  hiemit 
zugleich  sei  die  Majestät  der  Patres  allmählig  vergangen  und  endlich 
zu  Nichts  herabgesunken  ^). 

Das  Grleiche  galt  selbst  von  einzelnen  Familien  und  hervorragenden 
Persönlichkeiten.  Von  dem  Lorbeer,  welchen  Augustus  auf  seiner  Vejen- 
tischen  Villa  an  der  Flaminischen  Strasse  gepflanzt  hatte  und  von 
welchem  nach  und  nach  ein  ganzes  Wäldchen   entstanden  war,  brachen 


1)  Nach  Dr.  J.  Zingerle  (Bericht  über  die  Wiltener  Meistersänger-Handschrift.  Wien  1861. 
S.  14)  findet  sich  die  erste  Aufzeichnung  dei"  Sage  vom  Kaiser,  der  seinen  Schild  an  den  dürren 
Baum  hängen  wird,  in  der  Schrift  des  Engelbert  von  Admont:  de  ortu  et  iine  imperii  romani. 
Daselbst  heisst  es: 

das  heilig  grab  ze  wcre 

den  cristen  wirt  helcant 

26  eylen  vber  mere 

Clin  kaiser  ans  tetttsdmii  landt. 

der  cristenhait  zw  ere 

sein  spere 

naigt  er  auf  Schildes  ivant. 

an  aincm  dürren  paunie 

sein  scMldt  gehangen  ivirdt 

an  dti/rres  astes  zäume, 

der  grünet  vnde  piert 

der  criatenimit  ze  lobe. 

2)  Bötticher  a.  a.  0.    «.  166. 


109 

alle  triumphirenden  Cäsaren  seiner  Familie  die  Lorbeerzweige ,  welche 
sie  in  der  Hand  trugen  und  pflanzten  dieselben  nachher  wieder.  Es 
war  ein  Wunder,  wie  jedesmal  dieser  geptlanzte  junge  Raum  nur  so 
lange  frisch  grünte  als  der  lebte,  welcher  ihn  gepflanzt  liatte.  denn  bei 
dem  Tode  desselben  starb  auch  der  Baum  wieder  ab,  bei  dem  Tode  des 
Nero  aber  verdorrte  der  ganze  Lorbeerhain  ^).  In  demselben  Sinne 
bezeichnet  die  nordische  Sage  den  Zeitpunkt  der  Wiedererscheinung 
einzelner  verzaubertei'  Volkshelden  mit  dem  Wiederblühen  verdorrter 
sagenhafter  Bäume. 

Solche  heilige  Bäume  nun  waren  ein  nicht  unpassender  Gegenstand 
für  die  Denkmäler  der  bildenden  Kunst.  In  der  That  flnden  wir,  um 
nur  bei  den  erwähnten  Schicksalsbäumen  stehen  zu  bleiben,  den  Oelbaum 
der  Athene ,  den  Feigenbaum  des  Navius ,  den  Lorbeer  des  Augustus 
und  seiner  Nachfolger  zu  wiederholten  Malen  nicht  nur  in  Reliefs  und 
auf  geschnittenen  Steinen ,  sondern  auch  auf  Münzen  dargestellt.  Wir 
schliessen  daher,  wie  mir  scheint,  mit  Recht,  dass  auch  dem  Zweige 
oder  Baume  auf  unserer  Münze  eine  Bedeutung  zu  Grunde  liege,  die 
mit  den  religiösen  Anschauungen  und  Hoffnungen  des  Volksstammes, 
dem  das  Gepräge  angehört,  in  unmittelbarem  Zusammenhange  steht. 

Aber  was  für  ein  Baunj  ist  hier  vorgestellt?  Welche  symbolische 
Bedeutung  liegt  ihm  zu  Grunde?  Diese  Frage  ist  um  so  schwieriger  zu 
beantworten  als  bei  dem  kleinen  Umfange  des  Bildes  und  der  Unvoll- 
kominenheit  der  Darstellung  nicht  einmal  mit  Sicherheit  gesagt  werden 
kann,   welcher  Gattung  und  Art  derselbe  angehört. 

Der  Verfasser  des  Reic hei' sehen  Catalogs  glaubte  in  demselben 
einen  Palmbaum  erkennen  zu  müssen  -) ;  aber  wie  sollten  die  Stempel- 
schneider der  Remi  und  Treveri  dazu  gekommen  sein .  die  Palme  auf 
die  Münze  zu  setzen  ?  Haben  ihnen  vielleicht  die  Gepräge  anderer 
Völker ,  namentlich  die  punischen  Münzen ,  auf  denen  der  Palmbaum 
öfter  wiederkehrt,  zum  Vorbilde  gedient?  Wir  können  immerhin  zugeben, 
dass  die  gallischen  Münzmeister  die  Münzen  anderer  Länder,  soweit 
solche  in    ihrer  Heimath    durch    den   Handelsverkehr  Eingang    gefunden, 


1)  Bötticher  a.  a.  0.    S.  171. 

•2)  Keichel'sche  Münzsammlung.    Frankreich.    S.  5.    N.  42. 


110 

nicht  unbeachtet  Hessen,  ja  sie  mögen  diese  in  mannigfacher  Beziehung 
sogar  als  Vorbilder  gebraucht  haben ;  aber  ich  kann  mich  mit  dem 
Gedanken  nicht  befreunden,  weder  dass  sie  jene  fremden  Bilder  blos 
äusserlich  und  ohne  nähere  Bezugnahme  auf  deren  tiefere  Bedeutung 
sollen  nachgeahmt ,  noch  dass  sie  von  anderen  Völkern ,  wenn  sie  sich 
auch  ihren  mythologischen  Anschauungen  nicht  gänzlich  verschlossen, 
solche  Symbole  sollten  herübergenommen  haben,  die,  wie  beispielweise 
der  Palmbaum,  ihrem  heimathlichen  Boden  von  Anfang  an  völlig  fremd 
gewesen  sind  und  es  auch  nach  den  climatischen  Verhältnissen  des  Landes 
bleiben   mussten. 

Mehr  Wahrscheinlichkeit  hätte ,  wenn  überhaupt  eine  der  bisher 
gegebenen  Beschreibungen  richtig  sein  sollte,  die  Annahme  Lelewel's 
für  sich,  dass  hier  eine  Mistel  vorgestellt  sei^);  denn  diese  galt 
bekanntlich  allenthalben,  insbesondere  aber  bei  den  nordischen  Völkern, 
als  eine  heilige  und  heilbringende  Pflanze.  Namentlich  kannte  der 
Druide  nichts  Heiligeres  als  die  Mistel  und  die  Eiche,  darauf  sie  wuchs. 
Ohne  das  Laub  der  Eiche  oder  der  Staude ,  die  vom  Himmel  auf  sie 
niedergefallen  und  den  Baum  erkoren  zu  haben  schien,  beging  er  keine 
heilige  Handlung.  Wcissgekleidet  stieg  er  auf  den  Baum,  mit  goldener 
Sichel  schnitt  er  den  Zweig,  in  weissem  Mantel  fing  er  ihn  auf.  Gründe 
genug,  so  scheint  es  wenigstens ,  die  Mistel  auf  einer  gallischen  Münze 
zu  suchen ,  zumal  wenn  die  sitzende  menschliche  Figur  den  Zweig  in 
der  Hand  hält  und  uns  sonach,  wie  Lelewel  annimmt,  von  selbst  das 
Bild  eines  Druiden  nahe  gelegt  wird.  Nichts  destoweniger  können  wir 
auch  dieser  Deutung  nicht  beitreten.  Fürs  Erste  vermissen  wir  an 
der  Gestalt  unserer  Pflanze  gerade  dasjenige  Merkmal,  welches  der 
Mistel  zukommt  und,  weil  ihr  zum  Unterschiede  von  anderen  Pflanzen 
allein  eigenthümlich,  auch  nothwendig  ausgedrückt  sein  sollte,  ich  meine 
hier  die  Zweitheilung  der  Zweige.  Auf  unserem  Bilde  nämlich  lassen 
sich  deutlich  unterscheiden,  einmal  der  geradlinige  Stamm  oder  Stengel 
des  Baumes  oder  der  Pflanze,  und  dann  die  aus  diesem  Stamme  paar- 
weise herauswachsenden  Zweige    oder  Blätter.     Auf  den    mir  bekannten 


1)  Lelewel)  EludcB  uuiuiBmatiqueB.  pag.  359. 


111 

Exemplaren  sind  jedesmal  vier  solche  Zweige  vorgestellt  ^),  Ein 
Unterschied  besteht  nur  darin ,  dass  erstens  auf  dem  Exemplare  Nr.  4 
das  untere  Paar  kleiner  ist  als  das  obere,  während  auf  den  übrigen 
Exemplaren  beide  Paare  gleiche  Grösse  haben,  dann  zweitens,  dass  auf 
dem  Exemplare  Nr.  1  die  zwei  unteren,  auf  dem  Exemplare  Nr.  4  die 
zwei  oberen  Zweige  in  Kugeln  oder  Beeren  enden,  während  bei  den 
übrigen  eine  Eruclit  nicht  bemerkbar  ist;  alle  stimmen  jedoch  darin 
überein,  dass  die  Zweige  paarweise  und  zwar  nach  entgegengesetzten 
Richtungen  aus  dem  Stamme  herauswachsen.  Das  ist  aber  nicht  die 
Gestalt,  die  wir  an  der  Mistel  wieder  ßnden.  Diese  folgt,  hievon  völlig 
abweichend,  dem  Gesetze  einer  fortgesetzten  Zweitheilung  der  Zweige, 
d.  h.  sie  bildet ,  nach  dem  Gesetze  einer  Zwiesel ,  an  der  Spitze  jedes 
Triebes  eine  mittlere  Endknospe  und  zwei  Seitenknospen.  Erstere  — 
die  sich  auf  dem  weiblichen  Strauche  zu  einer  Beere,  auf  dem  männ- 
lichen zu  einem  Blüthenbüschel  gestaltet  —  setzt  niemals  den  Trieb 
fort;  es  sind  jedesmal  nur  die  zwei  Seitenknospen,  die  selbst  wieder 
Triebe  bilden,  so  dass  die  Zweitheilung  der  Zweige  sich  beständig 
wiederholt.  Wenn  wir  aber  auch  mit  Rücksicht  auf  die  rohe  Arbeit, 
die  uns  vorliegt,  und  auf  die  kleinen  Dimensionen,  in  denen  sie  gegeben 
ist,  von  der  Gestalt  der  Pflanze  und  von  der  Erage,  inwieweit  sie  richtig- 
gezeichnet  sein  möge  oder  nicht,  völlig  Umgang  nehmen :  so  hätte  doch 
die  von  Lelewel  gegebene  Erklärung  nur  in  dem  Ealle  einige  Wahr- 
scheinlichkeit für  sich,  wenn  erstens  die  sitzende  menschliche  Gestalt  den 
besagten  Zweig  in  der  That  in  der  Hand  halten  würde,  und  zweitens 
in  ihr  möglicherweise  das  Bild  eines  Druiden  erkannt  werden  könnte, 
dass  jedoch  weder  das  eine  noch  das  andere  der  Eall  sei,  ist  bereits 
oben  hervorgehoben  worden. 

Wir  werden  daher  —  da  die  bisher  gegebenen  Erklärungen  nicht 
stichhaltig  sind,  das  vorliegende  Bild  aber  mit  seinem  geradlinigen 
Stamme  und  den  rechts  und  links  auslaufenden  Zweigen  die  verschie- 
densten Deutungen  zulässt  —  wie  wir  das  Gleiche  schon  Betreffs  der 
menschlichen  Figur   zu    bekennen    genöthigt   waren ,    so    auch    bezüglich 


1)  Wenn  auf  dem  Exemplare  Nr.  1  nur  zwei  Zweige  sichtbar  sind,  so  liegt  der  Grund  darin, 
dass  die  Münze  zu  klein  war  um  den  Stempel  vollständig  aufzunehmen. 


112 

lies  Zwi'iges  oder  r.aiiiues  daniuf  verziclitoii  müssen,  uus  dessen  Gestalt, 
iliese  für  sich  allein  betraclitet,  mit  einiger  iSiclieriieit  einen  Schluss  auf 
die  Hedeutuitg'  der  menschlichen   Figur  zu  ziehen. 

Vii'Ueicht  gelingt  es  uns,  dieselbe  aus  der  Verbindung  beider  Bilder 
oder  vielmehr  aus  dem  Merkmale  abzuleiten,  dass  der  Baum  oder  Zweig 
aus  dem  Leibe  der  menschlichen  Figur  herauswächst.  Bevor  wir  jedoch 
näher  auf  diese  Figenthündichkeit  eingehen,  scheint  es  gerathen  die 
Aufmerksaiiikeit  auf  ein  drittes  Bild  zu  lenken,  welches  die  Gruppe 
erst  zu  einem  vollständigen  Ganzen  abschliesst,  von  den  bisherigen 
Frklärern  aber,  unzweifelhaft  weil  ihnen  nur  mangelhafte  Exemplare 
vorlagen,  unbeachtet  geblieben  ist.  Es  ist  das  die  Schlange,  welche 
den  unteren  Tlieil  des  Gesammtbildes  einnimmt.  Nur  Duchalais,  der 
bei  seiner  Beschreibung  der  Münzen  überall  sehr  genau  zu  Werke  ging, 
hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  hinter  der  menschlichen  F^igur 
noch  ein  undeutlicher  Gegenstand  sichtbar  sei,  einer  Eichel  nicht 
imähnlich.  Besser  erhaltene  Exemplare  jedoch  lassen  deutlich  eine 
^chlange  erkennen.  Was  Duchalais  für  eine  Eichel  gehalten,  ist  der 
Kopf  der  Schlange. 

m. 

Wenn  auf  unserer  Münze  zugleich  mit  einem  B?ume  eine  Schlange 
vorgestellt  ist ,  was  liegt  da  näher  als  der  Gedanke ,  dass  diese  beiden 
Bilder  in  irgend  welchem  Bezüge  zu  einander  stehen,  zumal  Schlange 
und  Baum  auch  anderwärts,  in  den  einzelnen  Sagen  der  Völker  sowohl, 
wie  auf  verschiedenen  Denkmälern  des  Alterthums  in  mannigfache 
Beziehung  zu  einander  gebracht  sind? 

,,Wie  im  Bildercultus  der  Tempel,  das  Gottesbild,  der  Altar,  der 
heilige  Weihequell,  überhaupt  die  Cultusstätte,  so  ündet  sich  auch  stets 
der  lieilige  Baum  durch  eine  Schlange  bewacht  und  vor  Entheiligung 
behütet.  Ja,  die  Sage  bezeugt  häufig,  wie  zugleich  mit  den  Bäumen 
deren  Schlange  als  Wächter  geboren  ward.  Gäa  gebar  den  hespe- 
lischen  Baum  und  mit  ihm  zugleich  entstand  dessen  ewig  wachender 
l)r-ache.  Athene  brachte  den  Oelbaum  auf  der  Burg  zu  Athen  hervor, 
und    zugleich    setzte    sie    die     Erichthoni^s  -  Schlange ,     den    Sohn    der 


113 

Gäa,  als  Hüter  des  Heiligthums  ^)."  Eine  solche  Schlange  jedoch  kann 
hier  nicht  gemeint  sein,  denn  als  Hüterin  und  Beschützerin  eines  heiligen 
Baumes  ist  sie  auf  den  zahlreichen  Bildwerken  jedesmal  so  dargestellt, 
dass  sie  sich  um  den  Baum  herumwindet,  was  bei  unserer  Darstellung 
nicht  der  Fall  ist. 

Ausser  dieser  Hüterin  eines  Heiligthums  ist  es  die  Manenschlange, 
welche  auf  mehreren  Denkmälern  mit  einem  Baume  in  Verbindung 
gebracht  wird.  Man  dachte  sich  nämlich  die  Seele  eines  Verstorbenen 
in  einen  Baum  aufgenommen,  also  seinen  Leib  in  einen  solchen  umge- 
wandelt ,  und  so  wurde  auch  die  Schlange  die  Hüterin  seiner  Manen. 
Dies  macht  eine  beträchtliche  Zahl  von  Bildwerken  deutlich,  welche 
Todten-Erinnerungs- Mahlzeiten  darstellen,  wo  die  Manenschlange  des 
Ahnen,  um  den  Familienbaum  geschlungen,  von  den  Speisenden  geäzt 
wird,  denn  bekanntlich  rief  man  bei  diesen  Mahlzeiten  die  Manen  der 
Familie  zum  Symposion  herbei^).  Aber  auch  an  die  Manenschlange 
können  wir  bei  unserem  Bilde  nicht  denken,  denn  abgesehen  davon, 
dass  ein  solcher  Gegenstand  auf  einer  Münze  überhaupt  nicht  erwartet 
werden  kann,  besteht  das  Charakteristische  der  vorliegenden  Darstellung 
nicht  darin,  dass  die  Schlange  in  unmittelbarer  Verbindung,  sondern 
vielmehr,  dass  sie  in  einem  gewissen  Gegensatze  zu  dem  Baume  gedacht 
und  dargestellt  ist;  denn  während  der  Baum  seinen  Platz  unmittelbar 
vor  der  sitzenden  menschlichen  Gestalt  gefunden  hat,  ist  der  Schlange 
der  Raum  hinter  und  unter  derselben  angewiesen ,  und  während  der 
erstere  sich  vorwärts  neigt,  folgt  letztere,  sich  rückwärts  krümmend, 
der  entgegengesetzten  Richtung. 

Angesichts  dieser  Anordnung  der  Bilder  scheint  mir  nun  in  hohem 
Grade  beachtenswerth ,  dass  der  Volksglaube  allenthalben  von  einem 
Gegensatze,  ja  von  einer  Feindschaft  zu  berichten  weiss,  die 
zwischen  der  Schlange  und  verschiedenen  Pflanzen ,  Gesträuchen  und 
Bäumen  besteht. 

Aus  der  Hasel  wird,  und  zwar  vorzugsweise  die  Wünschelruthe 
genommen.     Ein    in    der  Neujahrsnacht   geschnittener   Haselzweig    weist 


1)  Bötticher,  der  Baumcultus  der  Hellenen.     S.  204. 

2)  Bötticher  a.  a.  0.    S.  205. 

Abb.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth.  15 


114 

am  ersten  Mai  zur  Glücksbliime.  Dass  in  die  Hasel  kein  Blitz  einschlage, 
ist  fast  allgemein  verbreiteter  Glaube ,  wesshalb  man  in  der  Oberpfalz 
während  eines  Gewitters  Haselnusszweige  in  die  Fenster  steckt.  Mit 
der  Hasel  kann  man  daher  auch  das  Feuer  beschwören.  Namentlich 
aber  steht  sie  in  einem  Gegensatze  zur  Schlange.  Dass  durch  die  Hasel 
die  Schlangen  vertrieben  werden,  wird  mehrfach  berichtet.  In  Schweden 
herrscht  der  Glaube,  dass  die  Berührung  der  Schlange  mit  einer  Hasel 
derselben  das  Gift  nehme.  In  einem  Märchen  bei  Panzer  schlägt  der 
Held  dem  Drachen  mit  einer  Haselgerte  sieben  Köpfe  ab  ^). 

Derselbe  Gegensatz  besteht  nach  dem  Glauben  verschiedener  selbst 
weit  von  einander  entlegener  Völker  zwischen  der  Schlange  und  dem 
Farnkraut.  Der  Scholiast  zu  Theokrit  berichtet,  dass  das  Farnkraut, 
dessen  Blätter  er  mit  der  Straussenfeder  vergleicht,  um  seiner  Weichheit 
willen  von  den  Landleuten  als  Lagerstätte  benutzt  werde,  dass  es  aber 
zugleich ,  um  seines  Geruches  willen ,  eine  schlangenvertreibende  Kraft 
habe  -).  Hieran  schliesst  sich  der  thüringische  Aberglaube ,  dass  den 
Otterkraut  (so  heisst  das  Farnkraut  in  Thüringen)  bei  sich  Tragenden 
die  Schlangen  so  lange  verfolgen,  bis  er  es  wegwerfe.  Bei  den  Slowenen 
sagt  man ,  dass  Schlaf,  den  befalle ,  welcher  sich  der  Blüthe  des  Farn- 
krautes nahe  und  dass  Ungeheuer  den  vertreiben,  der  die  Hand  nach 
ihr  ausstrecke  ^). 

Aehnliches  wird  von  der  zauberwehrenden  Kraft  der  Eberesche 
oder  des  Vogelbeerbaumes  gemeldet.  Nicht  nur  ist  es  Glaube  der  Bauern 
m  Norwegen,  dass  die  Blätter  des  Baume^  kranke  Ziegen  heilen,  und 
wird  der  Vogelbeerbaum  auch  in  Jütland  und  Fühnen  für  heilig  gehalten, 
sondern  nach  dem  Aberglauben  der  Esthen  darf  man  eine  gefällte  Eber- 
esche in  seinem  Hofe  nicht  aufrecht  stellen,  am  allerwenigsten  zum 
Zaunpfahl  benutzen,  denn  sonst  verliert  sie  ihre  Schlangen  vertreibende 


1)  Die  hieher  gehörigen  Belege  aus  Vernaleken  Alpensagen,  Leoprechting  aus  dem 
Lechrain,  Zingerle  Tiroler  Sitten,  Schönwerth  Sagen  der  Oberpfalz,  Dybek  Kuna,  Panzer 
Beiträge  u.  s.  w.  bei  Kuhn,  die  Herabkunft  des  Feuers  S.  228. 

2)  miQig  ö't  tid'og  ilozuvr^g  6/^oiug  7n(()0}  aT()ovrhoy.afA.rjXov,  dcp  t]g  xai  azißdätg  inl  x^Cytjg  iyivovTo 
xüv  üyftoiy.iuy.  öice  n])'  fu/Xay.6jr{TO..  xci  &iä  lö  dnod iwxtiv  rrj  oafA.fi  lovg  ocptig.  Schol.  Theocr. 
3,   14.     Kuhn  a.  a.  0.     S.  220. 

3)  Vernaleken  Alpensagen  S.  374.    Nr.  46  bei  Kuhn  a.  a.  0.     S.  222. 


115 

Kraft,  lockt  sie  vielmehr  an  ^).  Eine  besondere  Zauberkraft  aber  hat 
der  Zweig  der  Eberesche ,  wenn  er  von  einem  solchen  Baume  stammt, 
der  auf  anderen  Bäumen  gewachsen  ist^).  In  Schweden  wird  einem 
solchen  Schössling  —  Flögronn  genannt  —  noch  jetzt  eine  wunderbare 
Kraft  zugeschrieben.  Derjenige,  wird  behauptet,  der  bei  Nacht  draussen 
ist  und  nicht  Flögronn  bei  sich  hat,  um  darauf  zu  kauen,  mag  sich 
wohl  vorsehen ,  dass  er  nicht  bethört  oder  unvermögend  werde ,  sich 
von  der  Stelle  zu  rühren.  Dasselbe  gilt  in  Norwegen ,  wo  dem  Holze 
eines  solchen  Baumes  zaubervernichtende  Kraft  zugeschrieben  wird  ^). 

Was  hier  von  dem  Flögronn  gesagt  worden,  führt  uns  auf  die 
Mistel  zurück  und  warum  diese  für  besonders  heilig  gehalten  wird. 
Ihr  werden  heute  noch  bei  den  Kelten  sowohl,  wie  bei  den  Germanen 
all  die  Eigenschaften  zugeschrieben,  die  an  der  Hasel,  dem  Farnkraut, 
dem  Vogelbeerbaum  und  anderen  verwandten  Pflanzen  gerühmt  werden. 
Sie  schützt  gegen  jegliches  Gift  und  heilt  alle  Krankheiten.  Nach  Plinius*) 
hatte  sie  hievon  sogar  ihren  Namen :  omnia  sanantem  appellantes 
suo  nomine.  Diese  Eigenschaft  wurde  ihr  wegen  ihrer  Entstehung 
zugelegt;  man  glaubte  nämlich,  dass  Vögel  ihren  Samen  auf  Bäume, 
namentlich  Eichen ,  Eschen ,  Fichten  tragen  und  sie  so  in  der  Rinde 
derselben  emporspriesst,  dass  also  keine  Menschenhand  dabei  im  Spiele 
sei,  sondern  offenbar  göttliche  Fügung.  Auch  dies  war  bereits  die 
Ansicht  der  Alten.  Omnino  autem  satum  nullo  modo  nascitur, 
schreibt  Plinius^),  nee  nisi  per  alvum  avium  redditum,  maxime 
palumbis  ac  turdis.  Ja,  die  Gallier  schreiben  das  Entstehen  derselben 
unmittelbar  den  Göttern  zu,  Plinius  bemerkt  ausdrücklich:  enimvert) 
quidquid  adnascatur  illis  (den  Steineichen)  e  coelo  missum  putant 
signumque  esse  electae  ab  ipso  deo  arboris.  Daher  auch  die 
besonderen  Gebräuche,  die  bei  Gewinnung  derselben  beobachtet  wurden 
und  noch  werden. 

Alles  aber,  was  bisher  von  der  Hasel,    dem  Farnkraut,   der  Eber- 


1)  Kreuzwald  Aberglaube  der  Esthen.     S.  141.     Bei  Kuhn  a.  a.  0.    S.  203 

2)  Dybecks  Runa  bei  Kuhn  a.  a.  0.    S.  199. 

3)  Kuhn  a.  a.  0.    S.  199. 

4)  Plin.  Hist.  Nat.  XVI.  44. 

5)  Plin.  loc.  cit. 

15* 


116 

esche  und  der  Mistel,  und  von  deren  Verhältniss  zur  Schlange  erwähnt 
worden,  wird  auch,  nur  noch  viel  bestimmter,  von  der  Esche  ausgesagt. 
Ihr  wird  vor  Allem  eine  schlangen  verderbende  Kraft  zugeschrieben.  Es 
herrscht  die  Meinung,  wenn  die  Schlange  mit  einem  eschenen  Stabe 
berülu't  werde,  bleibe  sie  todt  liegen.  Ein  Jäger  in  Passau  tödtete  einst 
eine  Schlange  durch  einen  leichten  Schlag  mit  einem  Eschenzweige, 
worüber  er  sich  wunderte  und  sagte:  nun  glaube  ich,  dass  man  eine 
Schlange  durch  Berührung  mit  einem  Eschenzweige  tödten  kann  ^).  Oken 
theilt  die  Sage  mit,  dass  Jemand  eine  grosse  Schlange  mit  einem  Eschen- 
zweige berührt  habe,  worauf  sich  die  Schlange  sogleich  zusammenrollte, 
krümmte  und  die  grösste  Angst  verrieth^).  Macht  man  mit  einem 
Eschenzweige  einen  Kreis  um  eine  Schlange,  so  bleibt  sie  ruhig  in  dem 
Ki'eise  liegen  und  man  sei  vor  ihr  gesichert.  Dieselbe  Kraft  wird  den 
Blättern  der  Esche  zugeschrieben.  Am  Ohio  versehen  sich  die  Jäger 
mit  den  Blättern  der  Esche,  um  sich  gegen  die  Schlangen  zu  sichern  ^). 
Der  Eschen-Saft,  im  Frühlinge  an  den  Loos-  und  Zieltagen  abgezapft, 
%\di'd  von  denen  getrunken,  die  von  Schlangen  gestochen  worden  *),  Ja 
selbst  der  Schatten  der  Esche  übt  schon  eine  Gewalt  über  die  Schlange. 
In  den  Arcanitäten  wider  Zauberei  1715  wird  berichtet:  ,,die  Antipathie 
zwischen  dem  von  Gott  gesegneten  Eschbaume  und  der  den  Menschen 
sehr  aufsetzigen  Schlange  ist  so  gross,  dass  eine  Schlange  eher  in  das 
Feuer  springen  würde  als  in  den  Schatten  eines  Eschbaums"  ^),  und  im 
Froschmäusler  II.  4.  4.  heisst  es : 

Ich  bin  von  den  Alten  gelart,  , 

der  Eschenbaum  hab  diese  Arth, 

dass  keine  Schlang  unter  ihm  bleib, 

der  Schatten  sie  auch  hinwegtreib, 

ja  die  Schlang  eher  ins  Feuer  hinleufft, 

ehe  sie  durch  seinen  Schatten  sclileyfft.  ^) 
Wenn  in  der  Nähe  eines  Hauses  Eschenbäume  stehen,  deren  Zweige 


1)  Panzer  Beitr.  z.  deutsch.  Mythol.  I.  251. 

2)  Oken  Naturgeschichte.  B.  VI.  S.  377. 

3)  Friedreich,  Symbolik  und  Mythologie  der  Natur.    S.  286. 

4)  Rochholz  bei  Kuhn,  Herabkunft  des  Feuers.    S.  229. 

5)  Friedreich,  Symbolik  und  Mythologie  der  Natur.    S.  285.    Anm.  5. 

6)  Friedreich  a.  a.  0.    S.  286. 


117 

Schatten  auf  das  Haus  Averfen ,  sei  dieses  vor  Schlangen  sicher.  Diese 
der  Esche  inwohnende  Kraft  war  auch  den  Griechen  bekannt,  denn 
dass  sich  im  Haine  des  Apollo  Clarios  weder  Nattern  noch  andere  giftige 
Thiere  aufhielten ,  schrieben  sie  dem  Schatten  der  Eschen  zu ,  wie  aus 
einem  Fragmente  des  Nicander  XX.  ersichtlich,  des  Inhalts : 
ovx  e'xiQ  ovSi  (fäXayysg  ansyi^ssg  ovdi  ßuxf-VTxXrj^ 

aXOsOiv  SV  ^(lioiq  OxoQTiCoq  iv  Klaqioig' 
C>oißog  irrsi   ^'  avXwva  ßad-vv  fjbskiaiOi  xakvipag 
nohTjQOV  öansdov  drjxsv  ixdg  Saxs'rcov  ^). 

Auch  Sutor  bemerkt  in  seinem  Chaos  Latin.  II.  881:  ,,fraxinus 
nihil  venenati  sub  sua  umbra  patitur," 

Unter  allen  diesen  Sagen  ist  unstreitig  die  zuletzt  erwähnte,  wie 
die  am  weitesten  verbreitete  und  am  vollständigsten  ausgebildete,  so  auch 
die  älteste  und  darum  für  uns  die  wichtigste.  Denn  was  im  Munde 
des  Volkes  je  nach  dem  Wechsel  der  Gegend  oder  nach  den  verschie- 
denen Wahrnehmungen  der  Berichterstatter  bald  von  der  Gerte  der 
Hasel,  bald  von  dem  Gerüche  des  Farnkrautes,  dann  wieder  von  der 
zaubervernichtenden  und  heilbringenden  Kraft  des  Vogelbeerbaums  und 
der  Mistel  gegenüber  der  verderbenbringenden  Schlange  ausgesagt  wird, 
ist  dem  Grundgedanken  nach  offenbar  nur  eine  verschiedene  Ausdrucks- 
weise dessen ,  was  anderwärts  von  der  Esche  und  zwar  von  ihren 
Zweigen  und  Blättern  nicht  minder  wie  von  ihrem  Safte  und  ihrem 
Schatten  gilt ;  dieses  selbst  aber  ist  hinwieder  nur  der  Nachklang  einer 
noch  älteren,  ja  bis  in  die  frühesten  Zeiten  zurückgehenden  Anschauungs- 
weise. Wie  nämlich  die  Eingangs  erwähnten  Sagen  von  dem  dereinstigen 
Wiedergrünen  des  dürren  Birnbaums  auf  der  Walserhaide  oder  des 
kalten  Baumes  bei  Vohenstrauss  u.  s.  w,  nur  Erinnerungen  sind  an  die 
nordische  Weltesche  Yggdrasil],  welche  nach  dem  Weltbrande  der  Götter- 
dämmerung wiedei-  aufs  neue  grünen  und  blühen  wird :  ebenso  mahnen 
uns  jene  Legenden  von  der  Feindschaft  zwischen  der  Schlange  und  der 
Esche,  wenigstens  insoweit  sie  sich  bei  den  nordischen  Völkern  ausge- 
bildet haben,  unwillkührlich  an  Nidhöggr,  jene  neidische  Schlange, 
welche   die   Esche   Yggdrasill,    —    diesen    besten    und    grössten   aller 


1)  Kuhn,  Herabkunft  des  Feuers.    S.  229. 


118 

Räume ,  diesen  allnährenden  Weltbanm ,  dessen  Aeste  durch  die  ganze 
Welt  treiben  und  weit  über  die  Erde  hinausreiciien  —  in  den  Wurzeln 
bedroht  und  /u  beschädigen  sucht. 

Dieses  zugegeben,  ist  auch  der  Gesichtskreis,  innerhalb  dessen  wir 
eine  Erklärung  unseres  Münztypus  zu  suchen  haben,  bereits  in  Etwas 
näher  abgegränzt.  Es  steht  wenigstens  so  viel  fest,  dass  es  sich  bei 
der  Deutung  der  sitzenden  Figur,  aus  deren  Leib  ein  Zweig  oder  Baum 
herauswächst,  wenn  wir  auch  hiebei  nicht  an  die  Esche  selbst  denken 
wollten ,  doch  jedenfalls  um  einen  solchen  Zweig  oder  Baum  handelt, 
dc'ssen  symbolische  Bedeutung  erst  durch  seinen  Bezug  zur  Schlange  in 
das  rechte  Licht  gestellt  wird. 

IV. 

Kehren  wir  nunmehr,  nachdem  wir  der  Reihe  nach  die  einzelnen 
lUlder  näher  betrachtet,  zu  der  menschlichen  Gestalt  als  dem  Hauptbilde 
zurück,  dem  der  Baum  und  die  Schlange  offenbar  nur  untergeordnet 
sind :  was  sollte  durch  das  Bild  einer  sitzenden  menschlichen  Eigur, 
aus  deren  Leib  ein  Baum  mit  seinen  ringsum  sich  ausbreitenden  Zweigen 
und  Aesten  herauswächst,  vorgestellt  werden,  wenn  nicht  ein  Stamm- 
baum, wie  er  uns  auf  so  vielen  relativ  jüngeren  Monumenten  begegnet, 
auf  denen  der  Urahn  dargestellt  ist,  sitzend  oder  liegend,  und  aus  ihm 
sprosst  ein  Baum  hervor,  sich  verzweigend  und  ausbreitend  mit  den 
Früchten  der  Sippschaft  nach  herkömmlicher  Ordnung  der  Ascendenz 
und  Descendenz?  ein  Stammbaum  jedoch,  der  nicht  in  der  historischen 
Zeit,  sondern,  wie  ich  bereits  im  ersten  Abschnitte  nachgewiesen  zu 
haben   glaube,  in  dem  Grunde  der  Götter-  und  Heroengeschichte  wurzelt. 

Es  ist  eine  derartige  bildliche  Darstellung  der  Anschauungsweise 
des  Alterthums  nicht  so  fremd  als  es ,  den  zumeist  modernen  Bildern 
von  Stammbäumen  gegenüber,  auf  den  ersten  Anblick  scheinen  möchte ; 
der  Glaube,  dass  der  Baum  der  Stammbaum  der  Menschen  sei,  scheint 
vielmehr  den  alten  Völkern  sehr  geläufig  gewesen  zu  sein. 

Schon  Jeieraias  spottet  der  Götzendiener,  die  zum  Baume  sagen, 
du  bist  mein  Vater,  und  zum  Steine,  du  hast  mich  erzeugt;  ,,dicentes 
ligno:    Pater    mens    es  tu;    et    lapidi:    Tu   me   genuisti"  ^).     Hiemit 

1)  Prophetia  Jeremiae,  Cap.  2.  V.  27. 


119 

stimmt  wortwörtlich  die  Frage  überein,  welche  bei  Homer  Penelope  an 
ihren  Gast  stellt,   ob  er  von  der  Eiche  stamme  oder  vom  Felsen: 
Ol'  yccQ  arrd  ^qvoc  iool  TtaXaig^chov,  ovS'  dno  Tre'TQrjg, 
dXX  dvöqwv  yävoi;  sOOi^). 
Die  Vorstellung  der  Abstammung  der  Menschen  von  Bäumen  scheint 
auch  in  Italien  volksthümlich  gewesen  zu   sein,   da  Virgil   schreibt: 

Haec  nemora  indigenae  Fauni  Nymphaeque  tenebant 

Gensque  virum  truncis  et  duro  robore  nata  ^). 
und  in  üebereinstimmung  hiemit  Juvenal: 

Quippe  aliter  tunc  orbe  novo  coeloque  recenti 

Vivebant  homines,  qui  rupto  robore  nati 

Compositive  luto  nuUos  habuere  parentes  *). 
Hiemit  hängt  auch  die  Sage  zusammen,  wonach  Petrus,  als  er  mit 
Christus  in  das  damals  noch  menschenleere  Böhmen  kam,  letzteren  bat, 
er  möchte  doch  in  diesem  Lande  Menschen  schaffen ,  worauf  Christus 
zu  einem  Baumstocke  sagte :  ,, werde  ein  Mensch",  und  sogleich  sich  ein 
Stock  regte  und  Mensch  wurde  *). 

Was  hier  vom  Baume  im  Allgemeinen  gesagt  ist,  wird  anderwärts 
an  bestimmte  Bäume  geknüpft.  Nach  der  persischen  Mythe  sind  Meschia 
und  Meschiane  aus  dem  Raibabaume  hervorgegangen ;  während  hinwieder 
in  den  Kenningar  der  Mann  Weide,  Mispel,  Wald,  Säule,  Esche,  Platane, 
Stab,  Dorn;  das  Weib  Wald,  Pfeiler,  Säule,  Birke,  Eiche,  Linde  heisst, 
und  bei  Resenius  unter  dem  Worte  Kappar  heiti  versichert  wird,  dass 
man  den  Mann  mit  allen  männlichen  Baumnamen  bezeichnen  könne,  z.  B. 
Schwertweide,  WafFenwald,  Heersäule,  Fruchtstab  u.  s.  w.  ^).  Am 
•bestimmtesten  und  ausführlichsten  aber  spricht  sich  hierüber  die  nor- 
dische Mythologie  aus.  Als  Bors  Söhne,  heisst  es  in  der  jüngeren 
Edda  (9),  am  Seestrande  gingen,  fanden  sie  zwei  Bäume.  Sie  nahmen 
die  Bäume  und  schufen  Menschen  daraus.  Der  erste  gab  Geist 
und  Leben ,  der  andere  Verstand  und  Bewegung ,  der  dritte  Antlitz, 
Sprache,    Gehör    und    Gesicht.      Sie    gaben    auch    Kleider    und    Namen. 


1)  Hom.  Od.  XIX.  162. 

2)  Virg.  Aen.  Vin.  314. 

3)  Juvenal.  Sat.  VI.  11. 

4)  Wolf,  Zeitschrift  f.  d.  Myth,  2  B.  S.  157. 

5)  Mone,  Gesch.  d.  Heidenthums  im  nördl.  Europa.  B.  I.  S    349.  Anm.  101. 


120 

Den  Mann  nannten  sie  Ask  (Esche)  und  die  Frau  Embla,  und 
von  ihnen  kommt  das  Menschengeschlecht,  welchem  Midgard  zur  Woh- 
nung verliehen  ward.  Die  ältere  Edda  lässt  zwar  den  Menschen  nicht 
von  den  drei  Söhnen  Bors,  sondern  von  einer  anderen  Trilogie  der 
Götter:  Odin,  Hönir  und  Lodur  erschaffen,  aber  auch  nach  ihr  stammt 
der  Mann  von  der  Esche : 

Gingen  da  dreie  Aus  dieser  Versammlung, 

Mächtige,   milde  Äsen  zumal, 

Fanden  am  Ufer  Unmächtig 

Ask  und  Embla  Und  ohne  Bestimmung. 

Besassen  nicht  Seele,  Hatten  nicht  Sinn, 

Nicht  Blut  noch  Bewegung,  Noch  blühende  Farbe. 

Seele  gab  Odin,  Hönir  gab  Sinn, 

Blut  gab  Lodur  Und  blühende  Farbe  ^). 

Dieselbe  Sage  kennt  Hesiod,  wenn  er  das  dritte  Menschengeschlecht 
aus  der  Esche,  ix  [nehav,  entsprossen  lässt: 

Wieder  erschul"  ein  drittes  Geschlecht  viellautiger  Menschen 
Zeus  der  Vater  aus  Erz,  ungleich  dem  silbernen  völlig, 
Eschen  entsprosst^). 

Nur  wenig  hievon  abweichend  lässt  die  peloponnesische  Sage  den 
Phoroneus,  der,  ein  anderer  Prometheus,  den  Menschen  das  Feuer 
gegeben-^),  von  Inachos  abstammen  und  von  der  Melia  d.  i.  der  Esche*). 
Auch  den  Römern  war  die  Sage  der  Abstanmmng  des  Menschengeschlechts 
von  der  Esche  bekannt.     Statius  (III.  Theb.)  schreibt: 

Populos  umhrosa  creavit 
Fraxinus,  et  faeta  viridis  puer  excidit  orno. 

Wie  lebendig  endlich  die  Erinnerung  hievon  dem  deutschen  Volke 
geblieben,  zeigt  der  noch  heute  bestehende  Kinderglaube,  der  die  Kleinen 
bald  aus  dem  Brunnen ,  bald  aus  dem  Baume ,  und  zwar  in  Tyrol  aus 
dem  hohlen  Eschenbaume  stammen  lässt,  wie  auch  die  Sprache  in 
,, Stamm"  und  ,, Stammbaum"  diese  Vorstellung  bis  jetzt  bewahrt  hat. 


1)  Wöluspa  17  und  18. 

2)  Hesiod.  Op.,  V.  147. 

3)  Ov  yuQ  rot  öfio^oyovai  6'ovvai  nvQ  UqofzriS-ia  civS-qmiioK;.  kA/I«  tV  'poQUf^c  tov  nvQog  finccytiv 
ilki'Aovai  Tr,v  tvQtaty.    Pausaii.  Corinth.  Cap.  10,  4. 

4)  Vgl.  Kuhn,  Herahkunft  des  Feuers.    S.  28. 


121 

Hiemit  werden  wir  wieder  zu  dem  bereits  oben  erwähnten  Welt- 
baume geführt ,  zu  der  Esche  Yggdrasill ,  die  ihre  Aeste  gegen  den 
Himmel  ausbreitet  und  ihre  Wurzeln  tief  in  die  Erde  versenkt,  eine 
Anschauung,  die  nicht  dem  Norden  allein  angehört,  sondern  gleichfalls 
ein  Gemeingut  verschiedener  Völker  gewesen ;  denn  die  Indier  ver- 
gleichen das  unvergängliche  Wesen  dem  Baume  Aswatha,  dessen  Wurzel 
in  der  Höhe  ist,  die  Aeste  aber  sind  niedrig ;  seine  Zweige,  deren  kleinste 
Sprossen  die  Objecte  der  Sinnorgane  sind,  verbreiten  sich  theils  auf- 
wärts, theils  abwärts ;  an  den  Wurzeln,  welche  sich  abwärts  in  die  von 
Menschen  bewohnten  Regionen  verbreiten,  kann  man  weder  seine  Form, 
noch  seinen  Anfang,  noch  sein  Ende  finden  ^).  Auch  bei  den  Römern 
begegnen  wir  derselben  Vorstellung,  wenn  wir  die  bereits  von  Grimm^) 
angezogene  Stelle  Virgils,  Georg.  2,  29,  über  den  dem  Jupiter  heiligen 
aesculus  (eine  Eichenart)  vergleichen : 

Aesculus  in  primis,  quae  quantum  vortice  ad  auras 
Aetherias,  tantum  radice  in  Tartara  tendit, 
wonach   Plinius    16,31    bemerkt:     si    Virgilio    credimus    esculus 
quantum  corpore  eminet  tantum  radice  descendit. 

Vielleicht  findet  in  dieser  mythischen  Vorstellung  von  dem  Welt- 
baume auch  die  von  Clemens  Alexandrinus  aufbewahrte  und  bisher  sehr 
verschieden  ausgelegte  Stelle  des  Pherekydes  ihre  Deutung ,  wenn 
dieser,  von  der  Weltschöpfung  redend,  und  von  einem  Baume  und  einem 
grossen ,  schönen  und  bunten  Mantel  darüber ,  sich  in  nachstehender 
Weise  ausdrückt: 

Zdq  TTOisT  (fdqog  fieya  zs  xai  xaXov,  xal  iv  avzo)  noixCXXsi  yfjv  xal  oyriyov  xal 
TU  oyriyov  dw^iara  —  ti  iötiv  ij  vnontsqoc  dqvq,  xal  td  sti'  avrfj  nsnoixtliiävov 
(fidqog,  navTa  oOa   0€Qfxv6rjg  dXXrjyoQriOag  s^soXoyrjGsv^). 

An  diese  Lehre  nun,  von  der  Abstammung  der  Menschen  von 
Bäumen,  knüpft  meines  Dafürhaltens  unser  Münztypus  an.  Wie  nämlich 
einzelne  der  oben  erwähnten  griechischen  Städte  und  Völker  das  Bild 
des  Aiax  oder  Achilles  oder  Kephalos  oder  Taras  u.  s.  w.  auf  ihre 
Münzen  setzten ,    weil    sie  in  diesen  die  Gründer  ihrer  Mauern  oder  die 


1)  Creuzer,  Symbol,  und  Mythol.    Bd.  1.  S.  445. 

2)  Grimm,  deutsche  Mythol.    S.  758. 

3)  Clem.  Alex.  Strom.  Lib.  VI. 

Abh.d.  I.  Cl.  d.k.Ak.d.Wiss.X.Bd.I.Abth.  16 


122 

Helden  ihres  ganzen  Stammes  verelirten:  in  ähnlicher  Weise  wollten 
auch  die  Münzmeister,  welche  die  vorliegenden  Stempel  schlagen  Hessen, 
durch  das  Bild  eines  Stammbaumes  unzweifelhaft  an  die  Ahnen  erinnern, 
von  denen  der  Fürst  oder  das  Volk,  in  deren  Namen  sie  handelten,  ihr 
Geschlecht  ableiteten.  Diese  Ahnen  aber  werden  bis  zu  den  Halbgöttern, 
ja  mittelbar  selbst  bis  zu  den  Göttern  hinaufgeführt,  denn  die  Schlange 
gegenüber  dem  Baume  lässt  uns  —  da  man  nach  den  eben  erwähnten 
Mittheilungen  so  viel  von  der  Feindschaft  zu  erzählen  wusste ,  die 
zwischen  der  Schlange  und  der  Esche  besteht  —  kaum  verkennen,  dass 
der  Baum,  der  hier  als  Stammbaum  erscheint,  kein  anderer  sei  als  die 
Esche.  Die  Esche  aber  erinnert  hinwieder  nicht  nur  an  denjenigen 
Baum,  dem  die  Götter  selbst  Seele  und  Sinn  gegeben,  Blut  und  Bewe- 
gung, sonach  an  Askr,  den  ersten  Menschen,  sondern  auch  an  den 
Weltbaum,  den  heiligsten  aller  Bäume,  an  die  Esche  Yggdrasill  und  mit 
ihr  zugleich  an  die  Schlange  Nidhöggr,  die  unten  bei  Hvergelmir  liegt 
und  an  den  Wurzeln  des  Baumes  nagt.  Die  Erinnerung  an  die  letzt- 
genannte Lehre  tritt  uns  in  dem  vorliegenden  Bilde  sogar  mit  einer 
gewissen  Ausführlichkeit  entgegen,  nur  ist  bereits  zu  dem  Baume,  um 
ihn  näher  als  Stammbamn  zu  kennzeichnen,  die  menschliche  Gestalt 
hinzugetreten,  und  sucht  darum  die  Schlange  statt  der  Wurzel  des 
Baumes  die  Ferse  des  Menschen  zu  verwunden.  Dies  wird  deutlich 
durch  die  künstlerische  Anordnung  der  einzelnen  Gestalten  ausgedrückt. 
Die  sitzende  menschliche  Gestalt  nämlich  macht  mit  beiden  Armen  eine 
heftige  Bewegung  als  wäre  sie  von  Schrecken  ergriffen ;  dieser  Schrecken 
aber  scheint  von  einem  Schmerze  herzurühren,  von  dem  die  Gestalt 
plötzlich  überrascht  wurde,  denn  sie  zieht  wie  krampfhaft  die  beiden 
Beine  in  die  Höhe.  Es  ist  jedoch  nicht  etwa  das  Hervorsprossen  des 
Baumes  aus  ihrem  Leibe,  was  diese  krampfhafte  Zuckung  veranlasst, 
denn  in  diesem  Falle  würde  ihre  Bewegung  sich  unwillkührlich  nach 
dieser  Seite  hin  richten.  Der  Kopf  ist  rückwärts ,  die  linke  Hand  mit 
ausgestreckten  Fingern  nach  unten  gewendet.  Der  Schmerz  muss  dem- 
nach von  dieser  Stelle  kommen.  Er  ist  durch  die  Schlange  verursacht, 
die  wir  an  dem  unteren  Theile  des  Bildes  bemerken.  Diese  hat  ihren 
Platz  unmittelbar  unter  den  Füssen  der  sitzenden  Gestalt  eingenommen. 
Sie   wendet   sich   in   ringelnder  Bewegung   seitwärts    als   wolle    sie   sich 


123 

entfernen,  dreht  aber  zu  gleicher  Zeit  ihren  Kopf  zurück.  Dieser  ist 
genau  gegen  die  Ferse  gerichtet.  Sie  scheint  die  sitzende  Gestalt  so 
eben  rücklings  in  die  Ferse  gestochen  zu  haben. 

V. 

"Welchen  Namen  wir  schliesslich  dieser  menschlichen  Gestalt,  die 
von  der  Schlange  in  die  Ferse  gestochen  wird,  geben  sollen,  d.  h.  von 
welchem  Halbgotte  diejenigen,  welche  die  vorliegende  Münze  schlagen 
Hessen ,  ihr  Geschlecht  ableiteten ,  wird  sich  —  zumal  die  Umrisse  der 
Zeichnung  so  roh  sind,  dass  sie  uns  sogar  darüber  in  Zweifel  lassen, 
ob  wir  an  einen  Stammvater  oder  eine  Stammmutter  zu  denken  haben 
—  mit  völliger  Sicherheit  schwer  bestimmen  lassen.  Einigen  Anhalts- 
punkt jedoch  finden  wir  in  dem  Bilde  der  Vorderseite,  da  dieses 
mit  der  Rückseite  in  der  Regel  in  Zusammenhang  steht. 

Die  Vorderseite  hat  ein  springendes  Pferd  und  mehrere 
Kugeln  zum  Gepräge.  Es  ist  das  ein  Typus,  der  auf  gallischen  Münzen 
oft  wiederkehrt.  Dass  demselben  eine  symbolische  Bedeutung  zu  Grunde 
liege,  wird  Niemand  in  Zweifel  ziehen.  Ich  habe  nun  bereits  an  einem 
anderen  Orte,  zunächst  veranlasst  durch  die  drei  Kugeln  oder  Ringe, 
die  wir  auf  so  vielen  gallischen  Münzen  selbst  der  verschiedensten  Zeiten 
und  der  entlegensten  Gegenden  mit  dem  Pferde  in  Verbindung  gebracht 
finden ,  ausführlich  nachzuweisen  gesucht ,  dass  wir  in  den  Kugeln  ein 
Sinnbild  der  Gestirne  und  in  dem  Pferde  das  Sonnenross  zu  erkennen 
haben  ^),  Diese  Erklärung  erhält  durch  die  vorliegenden  Gepräge  eine 
auffallende  Bestätigung.  Der  Kopf  des  Pferdes  ist  aus  zwei  grossen 
Kugeln  gebildet.  Der  Hals  erscheint  in  der  Gestalt  des  Halbmondes. 
Die  Mähne  des  Rosses,  welche  bei  den  Kelten  wie  bei  den  Germanen 
als  Sinnbild  des  Lichtes  und  seiner  Strahlen  betrachtet  wurde ,  hat 
gleichfalls  deutlich  die  Form  von  Kugeln  angenommen.  Selbst  die  drei 
Kugeln,  denen  wir  so  oft,  auf  den  ältesten  keltischen  Münzen  von  einem 
Bogen  überspannt,  auf  den  jüngeren  gallischen  Geprägen  in  Verbindung 
mit  dem  Pferde,  begegnen,  kehren  hier  wieder.  Sie  sind,  und  zwar, 
was    ich  besonders    betonen   möchte,    grösser   wie    die    anderen    und   in 


1)  lieber  die  s.  g.  Regenbogenschüsselchen.  II.  Abth,  S.  37 — 54. 

16* 


124 

derselben  Ordnung  wie  auf  den  sogenannten  Regenbogen  -  Scliüsselchen 
und  auf  den  jüngeren  gallischen  Münzen,  nämlich  zu  2  und  1,  d.  i.  in 
der  Form  eines  Dreieckes  im  Felde  der  Münze  über  dem  Rücken  des 
Pferdes  angebracht^).  Kurz  Alles  weist  auf  Sinnbilder  des  Lichtes  hin. 
Im  Zusammenhange  nun  mit  diesen  Bildern  der  Vorderseite  glaube 
ich,  dass  wir  auch  in  dem  auf  der  Rückseite  dargestellten  Halbgotte 
einen  jener  starken  Helden  des  Lichtes  zu  erkennen  haben,  die  wegen 
ihres  mächtigen  Ringens  imd  siegreichen  Kämpfeus  gegen  das  Reich  der 
Finsterniss  als  Retter  und  Befreier  besungen  und  verehrt  wurden.  Ich 
denke  hiebei  an  Hercules,  nicht  weil  der  Baum ,  der  ihm  aus  dem 
Leibe  wächst,  etwa  an  die  Keule  von  wildem  Oelbaumholze  erinnern 
könnte,  welche  frische  Wurzeln  schlug  und  wieder  aufblühte  als  sie 
Hercules  vor  der  Bildsäule  des  'Eg/.ifjg  noXvyiog  in  Trözene  aufstellte  ^), 
sondern  einmal  wegen  der  Schlange,  diesem  Sinnbilde  des  Neides  und 
der  Finsterniss,  die  ihm  hinterlistig  nachstellt,  und  dann  weil  Hercules 
von  den  Kelten  sowohl  wie  von  den  Germanen  in  der  That  besonders 
verehrt  wurde;  von  den  Kelten,  denn  diese  betrachteten  ihn  als  ihren 
Stammvater;  die  einen  sagten:  er  habe  mit  Celtine  den  Celtus,  andere: 
er  habe  mit  Asterope,  der  Tochter  des  Atlas,  zwei  Söhne,  den  Iber  und 
Celtus  ^),  Diodor  von  Sicilien :  er  habe  mit  einer  (nicht  genannten)  Königs- 
tochter von  seltener  Grösse  und  Schönheit,  als  er  Alesia  gründete,  den 
Galates  erzeugt *) ;  von  den  Germanen,  denn  von  diesen  bezeugt  Tacitus 
ausdrücklich,  dass  ihr  Schlachtgesang  vor  Allem  dem  Hercules  gegolten^), 


1)  Auf  dem  Exemplare  Nr.  3  scheint  die  Anordnung  dieser  symbolischen  Zeichen  von  der 
der  übrigen  Stempel  verschieden  zu  sein,  namentlich  vermissen  wir  die  drei  so  charakteristischen 
Kugeln  über  dem  Rücken  des  Pferdes;  allein  diese  Abweichung  ist  nur  eine  scheinbare.  Bei 
genauerer  Prüfung  unterscheiden  wir  auch  hier  1)  die  Kugeln,  aus  welchen  die  Mähne  des  Pferdes 
gebildet  ist,  2)  die  Kugeln,  die  über  dem  Rücken  des  Pferdes  angebracht  sind.  Von  den  ersteren 
ei-scheinen  statt  fünf  nur  drei,  von  letzteren  statt  drei  nur  eine,  aber  einzig  aus  dem  Grunde, 
weil  die  Münze  nicht  gross  genug  war,  um  den  Stempel  vollständig  aufzunehmen.  Es  ist  beim 
.\u8prägen  der  obere  Theil  nicht  zum  Vorschein  gekommen. 

2)  Kai  EQfitji  ivTtcvif-ii  iari,  JloXvyiog  xcc^ov/xfi'og.  Ilpog  loviio  ilyak/uaii  rö  qotik'/.oi'  H-tii'ui  (puaiv 
Hquy.kiic  xai  {i^y  yuQ  xoxwov)  Tovzo  fiiy  (ot(i>  niard)  ti'i(pv  irj  y^  y.al  afißkaarrjCtf  «t)'9tf,  xai  i'ariv 
ö  xonyog  nitpvxojs  in.    Pausan.  Corinth.  Cap.  31. 

3)  Vgl.  Creuzer  Symbolik.   B.  II.   S.  239.    Anm.  298. 

4)  Diodor.  Sicul.  Lib.  V.    Cap.  25. 

5J  Fuisse  apud  eos  et  Herculem  memorant,  primumque  oninium  virorum  fortiutn  itu/ri  in  proelia 
canunt.   Tacit.  Germ.  Cap.  8, 


'  125 

und  dass  sie  ihm  wie  den  höclisten  Göttern  geopfert  ^).  Wenn  ich  hier, 
obgleich  wir  eine  gallische  Münze  vor  uns  haben,  dennoch  neben  den 
Kelten  zugleich  der  Germanen  gedenke ,  so  geschieht  dies  darum',  weil 
wir  die  Heimath  dieser  Gepräge  zur  Zeit  noch  nicht  näher  zu  bestimmen 
vermögen,  sondern  von  denselben  nur  wissen,  dass  sie  zwischen  Rheims 
und  Trier  gefunden  zu  werden  pflegen ,  die  Remi  aber  zu  den  Beigen 
gehörten ,  von  denen  Cäsar  erfahren  hat ,  dass  sie  zumeist  von  den 
Germanen  abstammen'^),  und  die  Treveri  sogar  einen  Stolz  darein  setzten, 
germanischer  Abkunft  zu  sein  '^).  Durch  letztere  Bemerkung  wird  es 
auch  gerechtfertiget  erscheinen,  wenn  ich  bei  der  vorstehenden  Unter- 
suchung, mehr  als  vielleicht  billig  scheinen  mochte,  auf  die  nordische 
Mythologie  Bezug  genommen  habe. 


1)  Herculem  ac  Martern  concessis  animalibus  placant.   Tacit.   Germ.   Cap.  9 

2)  Plerosque  Beigas  esse  ortos  ab  Germanis. 

3)  Treveri  et  Nervii  circa  affectationem   Germanicae  originis  idtro  ambitiosi  sunt,  tanquani  per 
hanc  gloriam  sanguinis  a  similitudine  et  inertia  Gallorum  separentur.    Tacit 


Aus   den 

Herculanischen  Rollen. 


Philodemus 

HEPI 
Er2EBEIA2 

von 

Leonhard    Spengel. 

Vorgetragen  in  der  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  6.  Junius  1863. 


Die  ersten  vierzig  Kupfertafeln  des  zweiten  Bandes  der  Hercula- 
nensium  Voluminum  collectio  altera  1862  enthalten  die  Schrift  wiAO- 
JHMOY  IIEPI  EY2EBEIA2.  Man  wird  von  einer  moralischen  Abhand- 
lung dieser  Art  aus  der  Feder  des  Philodemus  nicht  viel  erwarten,  aber 
die  Theologie  der  Epikureer,  welche  nicht  wie  die  Atheisten  die  Götter 
aufheben,  vielmehr  sie  so  hoch  stellen,  dass  sie  sich  um  die  o'C^vqoI 
äv^QcoTtoi,  nicht  im  mindesten  bekümmern  —  nam  si  curent,  bene  bonis 
sit ,  male  malis ,  quod  nunc  abest  —  ist  so  eigenthümlich ,  dass  eine 
solche  Schrift  immer  einige  Belehrung  geben  könnte. 

Tafel   1  gibt    obigen    Titel,    zwar    sehr   verwischt,    aber    noch    sicher 
erkennbar, 
,,      2  —  7  enthalten  24  Fragmente,    überall  nur    die   letzten  Zeilen 

einer  Columne. 
,,     8  —  22    15   Columnen,  die  ersten    3    grösstentheils    verstümmelt, 
auch  die  4.  vielfach  verletzt,  die  übrigen  aber  fast  vollständig 
erhalten    zu  je    33  —  5  Zeilen,  die  letzte  mit  23  Zeilen  lässt 
den  Rest  des  Blattes  rein,   da  damit  ein  grösserer  Abschluss 
der  Untersuchung  stattfindet,  wie  es  sonst  bei  dem  Schlüsse 
eines  Buches  gewöhnlich  ist. 
,,   23 — 31   9  mehr  oder  minder  verstümmelte  Columnen,  wenigstens 
der  Länge,  wenn  auch  nicht  der  Breite  nach  erhalten,  während 
,,  32  —  36   10  Fragmente  aus  dem  unteren  Theile  bieten. 
,,  37  —  39   3  Columnen  in  ihrer  Länge,  aber  am  Rande  beschädigt. 

,,  40  2  Fragmente  aus  dem  Anfange  zweier  Columnen. 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth.  1 7 


130 

In  den  ersten  24  Fragmenten  liest  man  noch  mehrere  Namen  von 
Autoren ,  über  ^velche  und  aus  welchen  manches  angegeben  war ,  wie 
3  naQct  (DikoxoQioi ,  4  3,«/<7'ag,  10  IJvO^ayoQov ,  12  nccQ(.isv£i^rjg,  lü  JrjfxöxQirog, 
22  naq'  '.-igtüioieXfi  6'  fi'  twi  TQi'rm  7Ti()i  (fiXoOo(fiaq.  Um  SO  begieriger  greift 
man  nach  den  Columuen  selbst;  davon  geben  die  ersten  3  Hliitter  nicht 
den  mindesten  Aufschluss;  sie  sind  zu  verstümmelt,  aber  wie  betroffen 
wird  der  deutsche  Philolog,  wenn  er  in  den  nächsten  12  Columnen 
nichts  anderes  vor  sich  sieht,  als  was  sich  bei  uns  schon  längst  unter 
dem  Namen  Pliaedrus  de  natura  deormn  eingebürgert  hat? 

Die  Engländer  W.  Drummond  und  Hob.  Walpole  haben  diesen  Theil, 
London  1810,  in  dem  Buche  Herculanensia ,  or  Archeological  and  phi- 
lological  dissertations ,  containing  a  manuscript  found  among  the  Kuins 
of  Herculanum  p,  144 — 56  als  von  einem  unbekannten  Autor  unter  dem 
Titel  neQi  T(3v  x^scov  herausgegeben.  1833  aber  erschien  in  Hamburg  eine 
neue  Bearbeitung  dieses  Stückes  mit  dem  Titel :  Phaedri  Epicurei,  vulgo 
anonymi  Herculanensis  de  natura  deorum  fragmentum  instauratum  et 
ülustratum  a  Christiaöo  Petersen.  Cicero  benutzt  in  der  gleichnamigen 
Schrift  unsere  Quelle,  und  da  1,  33  unter  denen,  welche  über  Theo- 
logie geschrieben  haben,  Epicurus,  Metrodorus,  Hermarchus,  Leontium, 
Zeno  und  Pliaedrus  genannt  werden,  glaubte  Petersen  in  dem  letzt- 
irenannten  Phaedrus  um  so  mehr  den  Verfasser  unserer  Columnen  zu 
erkennen,  als  Murr  bereits  schon  180G  aus  Neapel  die  Nachricht  ver- 
breitet hatte:  andere  Rollen  enthalten  eines  Ungenannten 
Abhandlung  über  den  Zorn;  (pAIJPOr  HEPI  (DY2Eii2  0ESiN, 
er  war  ein  Freund  des  Cicero,  welcher  vieles  daraus  in 
seinen  Büchern  de  natura  deorum  übersetzte.  Dieseund 
eine  logische 'Schrift  Philodems  liegen  zum  Drucke  bereit. 
Die  Engländer  haben  aber  nach  dem  Abdrucke  des  noch  erhaltenen 
Textes  p.  157  —  68  mitgetheilt:  The  precedent  fragment  as  read  and 
supplied  by  the  Academicians  of  Portici,  und  so  schien  es  eine  ebenso 
sichere  als  naheliegende  Vermuthung,  das  entdeckte  Manuscript  auf  eben 
jenen  Phaedrus  zu  beziehen. 

Wir  werden  jetzt  ganz  anders  darüber  belehrt ;  Cicero  hatte  unsern 
Autor  vor  Augen,  aber  seine  Quelle  nicht  genannt.  Die  gelehrten  Ita- 
liener haben  das  Unrichtige  dieser  Hypothese  längst  erkannt,  und  schon 


131 

1835  konnte  man  im  Bulletino  archeolog.  p.  46  nachstehende  auch  jetzt 
noch  für  unsere  40  Tafeln  interessante  Erklärung  lesen :  Fra  breve 
possiamo  sperare  di  vedere  compiuta  del  sig.  (Quaranta  l'edizione  di  un' 
opera  JIEPI  EY2EBEIA2  di  un  filosofo  epicureo  Filodemo,  nella  quäle  si 
trovano  esposte  le  massime  le  piü  importanti  dell'  Epicuro  intorno  i 
dei  principalmeute  ed  il  loro  culto,  e  dove  si  trovano  non  poche  dilu- 
cidazioni  della  mitologia  antica.  Ältri  ^)  hanno  voluto  pretendere  che 
Vautore  si  chiami  Fedro  (non  restono  che  le  sole  iniziali  del  nome)  e 
che  il  titulo  deW  opera  sia  iiEPI  (DY2E£iI  GESiN,  ma  questa  pretensione 
pare  senza  fondamento ,  secondo  che  dicono  i  sigg.  Quaranta  ed  Avellino. 
II  papiro  trovandosi  ora  in  frammenti  distarcati  e  stato  difficile  assai 
l'ordinarlo  con  sicurezza;  meno  difficile  perö  e  stata  l'ordinazione  della 
prima  parte  dell'  opera,  la  quäle  contiene  39  diverse  colonne  conser- 
vate  abbastanza  per  giudicare  del  loro  contenuto.  Die  Bearbeitung  des 
Quaranta  ist  nicht  erschienen ,  aber  diese  wichtige  Notiz  hatte  der  viel 
belesene  Osann  1839  nicht  versäumt-)  seinen  Landsleuten  mitzutheilen ; 
sie  wurde  indessen  von  niemandem  beachtet,  und  das  Fragment  cursirt 
noch  immer  unter  Phaedrus  Namen  ttsqI  (pvGewg  &swv.  Es  ist  dieses  ein 
recht  einleuchtendes  Beispiel,  wie  wir  Deutsche  mit  unserm  philologischen 
Handwerk,  wenn  es  nicht  strenge  mathematisch  geübt  wird  und  der 
Unterschied  von  fixdg  und  Ttxfxriqwv ,  von  Sö'^a  und  imOTrjfxr]  stets  vor 
Augen  schwebt,  so  leicht  auf  Abwege  gerathen  und  der  Nachwelt  nur 
die  undankbare  Mühe  hinterlassen,  das  Verfehlte  wieder  gut  zu  machen. 
Dieser  Irrthum  mindert  indessen  Petersens  Verdienst"  da  nicht,  wo  er 
das  Richtige  zuerst  gefunden  und  nachgewiesen  hat. 

Wir  haben  demnach  ein  Facsimile  unserer  Schrift  vor  uns,  was  um 
so  höher  zu  achten  ist,  weil  die  englische  Ausgabe  den  Text  nur  in 
gewöhnlichen  Cursivbuchsaben  mittheilt  und  die  Zahl  der  fehlenden 
Buchstaben    sich   nicht    sicher   bestimmen    lässt.     Auffallend    finden   wir 


1)  T'nter  altri  ist  vielleicht  Petersen  gemeint,  Avenn  anders  dessen  Ausgabe  damals  in  Neapel 
bekannt  war;  aber  Murrs  Angabe  beweist,  dass  schon  andere  vor  Petersen  auf  die  Ver- 
muthung  gefallen  sind,  in  unsern  Fragmenten  Phaedrus  Buch  niQi  q)vasw?  &tC}v  zu  erkennen, 
sonst  konnte  nicht  gesagt  werden,  dass  Cicero  in  seinen  Büchern  de  natura  deorum  vieles 
daraus  übersetzt  habe. 

2)  Beiträge  zur  gr.  u.  röm.  Litteraturgeschichte.     2,  Bd.   S.  116, 

17* 


132 

auch  hier  denselben  Unterschied  des  englischen  und  neapolitanischen 
Apographuni ,  welchen  ich  schon  früher  in  den  andern  Werken  nach- 
goNviesen  habe;^)  jenes  ist  vollständiger  und  hat  noch  manche  Buch- 
staben ,  ja  oft  ganze  Wörter  erhalten ,  welche  in  diesem  fehlen ;  beide 
sind  also  von  einander  unabhängig  und  berichtigen  sich  oft  gegenseitig. 
Kin  recht  anschauliches  Beispiel  ist  col.  II,   3 : 

Anol.  Neapol. 

xM   ir^v  ttvr)]v  sirai  KAI  THN  AYTHN  EIN.I 

xtti  fvioi.uai'  xca  Jf  K..  EYNOMIAN  KAI  JI 

xi]V  ai   onovoiav  xa  K.N.AI  OMONOIAN 

iQt]vtp'  xai  Ä(p^o6i  I..NHN  KAI  A^POJ. 

TJj»'  xai  T . .  KAI 

Es  ist  nach  ofidvoiav  keine  Lücke  angedeutet  und  man  sollte  kaum 
erlauben,  dass  noch  Raum  für  die  Buchstaben  KAIE  vorhanden  sei,  aber 
ebenso  gewiss  ist,  dass  wenn  in  der  vorletzten  Zeile  des  Originals  nichts 
zu  lesen  war,  als  was  der  Abdruck  jetzt  zeigt,  niemand  in  jener  Zeit 
t^Tjvjjv  ex  ingenio  ergänzte ;  die  Engländer  haben  es  also  noch  vorgefun- 
den, die  Italiener  hatten  den  papyrus  nicht  mehr -so  vollständig;  anders 
vermag  ich  solche  Abweichungen  nicht  zu  erklären.  Dagegen  war  auch 
manches  unrichtig  abgeschrieben,  was  jetzt  erst  in  seiner  wahren  Gestalt 
auftritt,  wie  II,  28  'Fsav  Si  vrjv  yrjV ,  Ji'a  Sh  rdv  al^iga,  rovg  Si  i6v  AnoXlo), 
xai  tr]v  JrjfirjTQa  yrjv  r]  x6  sv  avrn  yovevfxa.  Das  letzte  ist  kein  griechisches 
Wort,  unsere  Tafel  gibt  deutlich  AYTHI  niSlEYMA.  IV,  5  xäv  rui  nfQ\X] 
dqazwv,  aber  unser  Apographum  hat  KAN.Sil.EPl.APITSiN,  also  Xaqitwv, 
wie  der  Zusammenhang  lehrt,  ein  Buch  des  Chrjsippus. 

Unsere  Tafeln  sollen ,  da  sie  die  Form  der  Buchstaben ,  sowie  den 
Kaum  grösserer  und  kleinerer  Lücken  getreu  darzustellen  haben ,  ein 
anschauliches  Bild  des  Originals  geben.  Sucht  nun  jemand  nach  diesem 
Facsimile  die  Columnen,  wie  es  Sache  und  Sprache  fordern,  so  weit  es 
möglich  ist,  zu  vervollständigen  und  wendet  sich  dann  zur  Einsicht  des 
englischen  Apographum,  so  wird  er  die  Verschiedenheit,  aber  auch  dessen 
Werth  erst  recht  würdigen.  Mag  er  sich  freuen  manche  seiner  Berich- 
tigungen dort  bestätigt  zu  sehen,  er  wird  entgegen  Stellen  genug  finden, 

I;  rhilologus  XIX,  143.    Supplementband  II,  499  —  500. 


welche  er  falsch  gedeutet,  oder  weil  sem  Abdruck  zu  wenig  erhalten 
hat,  überhaupt  zu  deuten  unterlassen  hat ,  während  jenes  Apographum 
noch  Wörter  oder  Buchstaben  gibt ,  Avelche  über  Gedanken  und  Form 
keinen  Zweifel  lassen  und  die  richtige  Herstellung  allein  ermöglichen. 
Es  ist  auch  in  dieser  Schrift  fast  dasselbe  Verhältniss,  wie  es  früher 
bereits  von  dem  Werke  ttsqI  dQyijg  nachgewiesen  worden,  und  an  ent- 
schiedenen Fehlern  des  Zeichners  fehlt  es  gleichfalls  nicht,  wenn  sie 
auch  keineswegs  so  zahlreich  wie  dort  sind,  z.  B,  V,  4  KA  0 . .  statt 
xal  ^edv,  und  6  ANTJ2  für  avrdg,  V,  22  KA  TON  xal  rov,  VII,  25  K0I2NH 
xoivr],  38  Oliri  ol'ovg,  XI,  28  AJIKA2  dSixiag,  29  JEJnKiil  6f6oixoig. 
Selbst  das  Spatium  ist  nicht  überall  strenge  eingehalten ;  man  kann  an 
der  einen  oder  andern  Stelle  nachweisen,  dass  die  Lücke  um  einen 
Buchstaben  zu  gross  oder  zu  klein  ist;  aber  dessenungeachtet  muss 
dieser  Text  die  Grundlage  jeder  künftigen  Bearbeitung  bilden ,  und 
Petersen  mag  nicht  ohne  Befremden  gewahren,  wie  so  viele  seiner  Ver- 
muthungen  schon  durch  den  Anblick  dieses  Facsimiles  sich  als  unmög- 
lich erweisen*  So  leicht  es  ist  dieses  zu  erkennen ,  so  schwer  hält  es 
oft,  das  Richtige  an  dessen  Stelle  zu  setzen.  Es  zeigt  von  wenig  Ein- 
sicht, Alles  ergänzen  zu  wollen  und  durch  Einsetzung  falscher  Gedanken 
andere  nur  zu  verwirren  und  zu  hindern,  das  Richtige  zu  finden.  Ich 
will,  da  diese  Fragmente  des  Cicero  wegen  eine  besondere  Bedeutung 
haben.  Einiges  versuchen  und  Andern  dadurch  Besseres  zu  leisten  Gele- 
genheit geben. 

Die  Ergänzung  stammt  nach  obiger  x4ngabe  von  den  neapolitanischen 
Gelehrten  (Itali)^)  und  stützt  sich  allein  auf  das  Apographum  der  Eng- 
länder, unseres  ist  ihnen  ganz  unbekannt;  vieles  ist  nicht  ohne  Geist 
und  Kenntniss  der  Sache ,  um  so  schwächer  ist  die  sprachliche  Seite ; 
ein  Anderer  würde  den  Muth  nicht  haben,  ganze  Zeilen  von  Lücken, 
wie  col.  I  (IV  Neap.)  ist,  mit  griechischen  Buchstaben  und  Wörtern  zu 
füllen ;  Petersen  hat  manches  gebessert ,  einiges  aber ,  was  die  Itali, 
welche  die  Grösse  der  Lücken  und  demnach  die  Zahl  der  fehlenden 
Buchstaben  genau  beachteten,  richtig  gefunden  haben,  mit  Unrecht  wieder 
aufgegeben.     Es    muss   jedenfalls    auf   die    Unsicherheit    des  jetzt   gang- 


1)  [Sie  ist  Tielroehr  nur  von  dem  Engländer  I.  Hayter.     Suche  den  Nachtrag.] 


134 

baren    Textes,     wie    weiiii»-    mau    diesem    vertrauen    könne,    hingewiesen 
werden. 

rhili)denms  erwähnt,  was  Chrysippus  und  Diogenes  der  Habylonier  ^) 
von  ilen  ein/.ehien  Göttern  sagen,  um  sodann  sein  Urtlieil  über  die  Theo- 
logie der  Stoiker  überhaupt  auszuspi'echen.  Die  Götter  erscheinen  nur 
als  Personitication  ethischer  und  physischer  Begriöe ;  verwiesen  wird 
auf   Chrysippus    erstes    und    zw^eites    Buch   rrfQi   ^fo'v,^'^)    die    Schrift   ttsqI 


1)  Kiinilich  in  dem,  was  wir  iiocli  lesen  können:  da  er  aber  VII, 8  n(ti>Ttc:  ovi'  ol  dno  Zrjftoi'o^ 
sagt,  so  folgt  nothwendig,  dass  er  mitZenon  begonnen  und  auch  andere  bedeutende  Stoiker 
vor  Chrysippus  und  Diogenes  erwähnt  hat.  Chrysippus  Name  erscheint  I,  13,  also  ist  das 
Vorausgehende  von  einem  Vorgänger  desselben,  nämlich  Persaeus,  wie  man  aus  Cicero 
sieht,  gesagt,  nicht  von  ihm.  Dort  ist  v.  2  o'vroig  von  Petersen  kaum  richtig  aufgefasst; 
es  scheint  vielmehr  eine  Vergleicliung,  wie  man  vorzügliche  Männer  bei  ihrem  Lebzeiten 
durcli  7i()oid'ni((  ehrt,  so  ist  es  natürlich,  dass  solche,  welche  als  besondere  Wohlthäter  des 
Menschengeschles  überliefert  sind,  auch  noch  im  Tode  —  göttliche  Ehren  erhalten,  ein 
Gedanke,  den  auch  .\ristoteles  wiederholt  ausspricht.  Mit  Sicherheit  ist  wenig  herzu- 
stellen: V.  24:  j>  -       ■  rj-^ 

'  ov?  Oio  x(ti  Aijya 

25  xi<'Aiia&(a  Ji((  doT 

QIOV    rof    TS    XOa/LlOV    ZU)V    tlfOffU) 

tuij/v^oy  liyta  xai. 
ütov 
ist  rwi'  ih'oaiüi'.  was  man  gesehrieben  hat,  ganz  unstatthaft  und  gehört  nicht  hieher,  da  die 
Worte  rof  it  xoa/xof  i\u^pv)(oi'  iii/ai   einen   vollständigen  Gedanken    geben;    unsere  Urkunde 
kennt  nur  Folgendes: 

.  ...  10  KAI  Z  .NA 

JOTI  f   r^ 
TON  TEK02M0N  ^f 
ON  EINAI  KAI  "^ 

Das  in  kleinern  Uncialen  am  l^and  geschriebene  steht  zwischen  Zeile  25  u.  26;  die  Worte 
herzustellen  vermag  auch  ich  nicht  —  Petersens  Ergänzung  öiö  xtd  'Llivu  xcdetad^ai,  Jia, 
dot^ntc  jiiov,  avioy  it  xoafxoy  ziäv  uvoawi'  i/LHpv'(oy  ilpcu  ist  entschieden  verfehlt  —  aber  der 
Gedanke  lässt  sich  mit  Sicherheit  nachweisen,  er  enthält  nichts  als  die  bekannte  stoische 
Etymologie  von  Z^»'«  und  Ji«,  jenes  von  Crjf,  was  die  vorhergehenden  Zeilen  aussprachen, 
letzteres  aber  vou  i)'id.  Aus  Chrysippus  selbst  werden  bei  Stobaeus  1,  48  die  Worte  ange- 
führt Zfi}?  fxtf  ovy  cpiii'yiTui  lofofxdari-ai  dno  rov  niitn  d'tdioxiyui,  ro  t^j',  Jict  St  avzw  Xtyovaiy 
ölt,  ndvTiav  iaziv  a'iriog  x(d  clV  uvzov  zu  ndvza.  Lyd.  de  mens.  IV,  48  noatuStovio;  zov  Jin 
zov  ndvzcc  d'ioixovvzti,  Xpvanniog  dt  did  zo  di'  avzöu  tlvcci  zu  ndi'zu.  Diese  Erklärung  des 
Chrysippus  ist  es,  die  auch  hier  gemeint  ist;  die  am  Rand  geschriebenen  Buchstaben, 
scliwerlich  vollstäjidig,  gehören  zu  v.  25,  nicht  zu  26,  es  konnte  nicht  viel  anderes  stehen 
als:   rf'tö  xtd  '/Jr^vu  xuktia^hii,  Jia  6'  özi  ndvzow  «tno?  xal  ndvzK  cTt     uvzoy. 

2)  Die  Ergänzung  der  Itali  I,  14  .  .  X()i'rT/7(|770i,-  .  .  t'f]  zon  nQO)\zon  ntfii  Ht<ur  ...  ist  durch 
Cicero  1,  15  et  haec  quidem  in  primo  de  natura  deorum  gesichert.  Auch  Diog.  VII,  148 
ovaiay   de   9iov    Z^vu)y  (xiv   (priai   zw  ö'Kov  xoafiov  xai  töt>  ov^uvov ,   6/xoCmg   dt  xai  Xqvaimxog 


135 

xagiTüiv,  die  Bücher  ti^qI  (pvoscog  und  tisqI  nqovoiac',  nebenbei  sieht  man 
aus  diesen  Stellen ,  dass  der  Stoiker  keineswegs  sich  überall  in  seiner 
Erklärung  consequent  geblieben   ist. 

Im  ersten  IJuche  ttsqI  ^sdiv  sagt  Chrysippus ,  das  Weltall  sei  belebt 
und  beseelt,  sei  (iott,  xdGfiov  s'i^ixin'xov  tlvai  xal  i^foV,  Zeus  sei  die  gesannnte 
Natur,  die  dficcQfis'vrj  und  dvdyxrj,  Begriffe  wie  svvoiu'a,  dixtj,  ofiövota,  etqrjvrj, 
'AifQodCTrj  bedeuten  dasselbe,  es  gebe  keine  männliche  und  weibliche 
Götter,  so  wenig  wie  männliche  und  weibliche  Städte  oder  Tugenden, 
aber  die  Sprache  gebrauche  masculine  und  feminine  Formen,  man  sage 
OsXrjvrj  und  ^irjv,^)  man  bezeichne  den  Krieg  durch  "Agrig,  das  Feuer  durcli 
"H(paiOTog,  die  Zeit  durch  Kqövoq,  die  Erde  durch  "Pm,  den  Aether  durch 
Zi-vg,  Andere  nehmen  den  Apollon  um  aid-äga,  die  Demeter  um  y^r  /;  co 
SV  ainfji  TTvsvfia'^)  auszudrücken;  es  sei  kindisch,  wie  die  Menschen  von 
Göttern  reden,    sie  in  Gemälden  und  Figuren  darstellen,^)  nicht  anders 


fV  riZ  la  ns^i  ft-iüp  ist  iv  rüi  ~ä  zu  schreiben;  denn  im  ersten  Buche  stand  daä,  wie 
unser  Fragment  lehrt,  und  wenn  auch  Chrysippus  sich  oft  wiederholte,  so  liegt  es  doch 
viel  näher,  das  erste  als  das  eilfte  Buch  zu  citiren,  wenn  anders  das  Werk  von  solchem 
Umfange  gewesen  ist. 

1)  II,  15  atXrivriv  x(d  [//i;]j'k,  wahrscheinliche  Ergänzung  Petersens  statt  [ttk]//«  der  Itali; 
unsicher  ist  das  Folgende: 

y.cti  Toif  '-^^r/ 
X  . . . .  ov  noXifxov 
Tt ....  Kl  xal  tTi? 
Ta[ffu>f]  xal  dfTiTcc- 

Petersen  xv^o;  tov  ..  zi  ilvai,  wenig  geeignet,  war  vielleicht  >!«rK  xov  noktf^ov  zt&ilad-ai'i 
Die  Ergänzung  rd^ttug  von  den  Itali  ist  wohl  richtig,  obschon  unser  Apographum  nicht  la 
sondern  IIA  gibt.     Das  nächste 

ffwf,  "HfpaiaTov  d'i 

nvq  tlvai  xal  KQoyoy 

f    TOV    Q[tVf^\(K. 

zog   Q\6oy\. 
haben  die  Itali  nicht  unpassend  durch  aluiywy  ausgefüllt,   vgl.  de  mundo  cap.  7,  jedenfalls 
besser  als  Petersen,  dessen  (xxQiTi.x6y  schon  durch  den  Raum  unmöglich  ist;  schwerlich  hat 
das  nächstliegende  Wort  gefehlt   K^ofOf   /gofoy   z6t>.     Auch   das   auffallende   ^iv/Liarog   qovv 
stammt  von  den  Itali,  man  hat  /Qo^og  allerdings  auch  von  ^iiy  abgeleitet. 

2)  So  hat  unser  Apographum  statt  avrrj  yovivfia. 

3)  Wahrscheinlich  zu  ergänzen  nMzxtafi-ca  \zot\g  auH-qilojnoig  y)-tovg.  III,  4  hat  unser  Text 
nicht  xoi/  (ft  Jitt  zrjg  yrjg,  sondern  TON  JEA  .  THS ,  nur  ein  Buchstabe  fehlt  also  zof  St 
avztjg  yrig.  III,  10  X«»  zoy  '^hov  ..  xal  z^y  atXrjyrjy,  nur  zwei  oder  drei  Buchstaben  (f^iy 
Itali)  fehlen,  also  nicht  «uro»?  wie  Petersen,  was  schon  sprachlich  abzuweisen  ist,  es  scheint 


136 

als  wie  man  Städte,  Flüsse,  Oerter  und  Leidenschaften  bildlich  darstelle. 
Im  zweiten  Buche  sucht  er  zu  beweisen ,  wie  vor  ihm  schon  Kleanthes 
gethan,  dass  diese  Vorstellungen  bereits  in  den  sogenannten  Orphica/) 
im  Musaeus,  Homer,  llesiodus,  Kuripides  u.  s.  w.  vorliegen;  anav  yccQ 
'■'üiif  iti^t^Q  ö  avidc  wV  xat  rrart^Q  xai  vtdc,'^)  wie  er  schon  im  ersten  Buche 
bemerkt,  es  sei  kein  Widerspruch,  die  Rhea  für  die  Mutter  und  Tochter 
lies  Zeus  anzunehmen. 

Dieselbe  allegorische  Erklärung  findet  sich  auch  im  Buche  TteQl 
Xagniov.  Unverständlich  ist  der  jetzige  Text  sprachlich  wie  sachlich 
IV,  a  O^rynTioa'  rdc  <f'  avrdg  noisi  laig  OvvotxficiiOeOi.  Kar  tc^j  ttsqI  dgercov, 
rotovxov  6icc  tov  vdfioj'  (pr^alv  f7rai  xai  rag  Xaqnccg.  Die  ersten  Worte  hängen 
nicht  mit  dem  vorausgehenden  zusammen,  und  das  ganze  ist  sicher  so 
herzustellen  : 

Tag   J'  avTCcg 
noishai  Ovvoixti-  ^) 
5  ujOfig  xdv  Twi  Ttsql 
[X^aQiTOdv  . .  .   [r]oV 
Jia  voi-iov  (frjül  fi-  *j 
vai  xai  rag  Xägizag 
Tag  iffifTSQag  xa-  ^) 
10  raqxth  ^c^i  ^«V  «'- 
ranodoOfig  tcov 
svsQyeOiwv 


nichts  als  rt  zu  sein.  III,  15  fitrctßuXXiiv  statt  fiiraßaXttv.  III,  2G  uct?  ifoSmg  «i;Tft>[>']. 
Petersen  hat  p.  39  nach  Isler's  Verrauthung  «vtov  geschrieben,  was  Cicero,  der  unsern 
Satz  vor  Augen  hat,  zu  bestätigen  scheint,  1,  15  accommodare  ad  ea  quae  ipse  .  .  prinio 
libro  dixerit:  aber  unser  Text  zeigt,  dass  uvtCji'  gewesen,  und  dieses  kann  gehalten  werden. 

1)  Zu  beachten   der  Ausdruck   III,  17  rd  rt  ti?  'OQcpia  xui  Movaaiot'  dvafptQofiivtt ,   sie    galten 
als  solche  ohne  es  zu  sein. 

2)  III,  29  xui  naj^q  y.cd  vlog  ...  xdf  rwi,   zwei  oder  drei  Buchstaben  fehlen,  cprici  Ital.,   Jiog 
Petersen,  vielleicht  w?. 

3)  Das  englische  Apographum  gibt  vollständiger  aber  doch  unrichtig: 

noiti  ruig  a  voixti- 
a  .  XUI 
unseres  dagegen  hat  nur 

ITJ12 .  NOIKEI 

...12  KAN 

4)  iJie  Worte  rw  Jiu  yo/uot^  (pijali'  ilvui  übersetzt  Cicero  §.  40  idemque  etiam  legis  perpetuae 
et  aeternae  vim  quae  quasi  dux  vitae  et  magistra  officiorum  sit,  lovem  dicit  esse. 

6)  xuzuQ/i'i  Petersen  richtig  für  xuiu^x"-^^  unser  Apographum  hat  KA  .  AV .  AI'. 


137 

die  engliscTie  Abschrift  hat  xa%'  tm  negl  uqstwv  ,  natürlich  konnten 
daraus  die  Itali  nur  xdv  %w  negl  dqsTwv  geben ,  aber  unser  Apographum 
hat  KAN .  ai.  EPI .  APITSiN,  die  nächste  Lücke  umfasst  nur  vier  Buch- 
staben, es  war  wohl  nichts  als  ev  oh  oder  xal.  Das  Werk  des  Chrysippus 
ttsqI  d()8Tö)v  bestand  aus  mehrern  Büchern,  unseres  nur  aus  einem,  es  ist 
dasselbe,  was  Seneca,  ohne  es  zu  nennen,  de  beneficiis  cap.  3 — 4  vor 
Augen  hat,  woraus  Menage  zu  Diog.  VII,  202  u.  a.  (Baguet  p.  337) 
schlössen,  Chrysippus  habe  auch  de  beneficiis  geschrieben.  Was  Seneca 
aus  dem  Buche  erwähnt,  weist  deutlich  auf  unsere  Schrift  hin,  deren 
Titel  hier  allein  erhalten  ist.  Die  Trinität  der  Grazien  hatte  Chrysippus 
als  Darstellung  des  geben,  nehmen  und  entgegengeben  erklärt;  hier  wird 
der  Kürze  wegen  nur  das  erste  und  letzte  genannt,  weil  sich  das  mitt- 
lere dann  von  selbst  versteht.  Der  Hiatus  ^ijol  flvai  entstand  dadurch, 
dass  anfangs  nur  (DH2EI  geschrieben  und  nur  mit  Mühe  /  eingesetzt, 
für  den  Buchstaben  jv  demnach  kein  Raum  mehr  übrig  geblieben  war. 
Auch  in  seinen  Büchern  usqX  (pvOstoq^  in  welchen  er  heraklitische 
Sätze  für  seine  Erklärung  in  Anspruch  nimmt,  ist  dieselbe  Tendenz  ;i) 
xdojjiog  weilt  unter  den  Göttern,  TtöXsfiog  und  Zsvg  sind  identisch,  wie 
schon  Heraklitus  sagte,  und  im  fünften  Buche  gibt  er  sich  alle  Mühe-) 


1)  Die  Worte  IV  (VII)  16  —  8  ^a  ncc- 

^ankr^aia  &€  xuv 
Toig  TifQt,  (pvatcüs 
yQC((ptl   fxtd-'    U)V 

jjL     xai,  Toig  H  qk- 

yX     ov     awoixiioiv 

X     ri 
sind  nicht  sicher  zu  ergänzen,  ganz  misslungen  ist  Petersens  Versuch  yQc<q>gi  fifS-{Qu>iyn'(Df 
fiv&ovg  xai  rtZ  'HfiaxXtirov   avyoixumv  xvxeüiyi.    Es  wird  um  so  schwieriger,  als  unser  Apo- 
graphum davon  abweicht 

rPA-f-El  ME9  SiN  EI. 
M  .  ..AI  TON  HPA 
K..TOY 
Wahrscheinlich  ist  rotg  das  richtige  und  roi/  nichts  als  nachlässige  Abschrift;   wüsste   man 
das  letzte  Wort  x...rj,  so  würde  sich  auch  das  andere  von  selbst   ergeben;    der  Endbuch- 
stabe ist  nur  fragmentarisch  in  derselben  Form  wie  v.  4  erhalten  und  dort  ist  es  El  nicht 
H,  das  «[otv]^  der  Itali  füllt  wenigstens  den  Raum,    so  ungeeignet   es   sonst   ist,    es    fehlen 
nur   zwei  oder   drei  Buchstaben.     Aus  den  Ueberresten  des  Heraklit   ein   geeignetes   Wort 
aufzufinden  ist  vergebene  Mühe. 

2)  IV,  31:  tf  de  rüi  nift- 

nrtoi  xccl  Xöyovg  i- 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth.  18 


138 

zu   beweisen,    xdo/^iog  sei  ^iöiov  xal  Xoyixöv  xal  (pQovovv  xttl  d-edc,   ebenso  in 
den    Rüchern    rregl  rrgovotag. 

Dem  Chrysipj)us  folgt  Diogenes  der  Babylonier,  der  in  demselben 
Geiste  die  Mythologie  erklärte ;  das  sagt  auch  Cicero  ausdrücklich ,  der 
IMiilodemus  vor  Augen  hatte  und  dessen  Rede  in  wenige  Worte  zusammen- 
fasst:  quem  (Chrysippum)  Diogenes  Babylonius  consequens  in  eo  libro 
qui  inscribitur  de  Minerva,  partum  lovis  ortumque  virginis  ad  physio- 
logiam  traducens  deiungit  a  fabula.  Gerade  der  Athenemythus  ist, 
weswegen  das  Zeugniss  dieses  Stoikers  angeführt  wird;  denn  auch  ihm 
sind  die  Götternamen  nur  Natur-  oder  Verstandesbegriffe.  Die  Stelle 
ist  gänzlich  falsch  verstanden  und  ergänzt  worden ,  bedarf  vielfacher 
.Nachhilfe  und  ist  deswegen  hier  vollständig  mitzutheilen,  V,   14 

Jioyävriq  6'  o  Baßv- 
lb Xooviog  SV  TÖSi  tcsqI 
rfjg  'A^rjvccg  zov 
xöOfiov  yQäifSi  xtöt 
Ju'  Tov  avTov  vnccQ- 
%eiv  rj  7teQi£%£iv  ^) 
20  ToV  Jitt  xa^ccTtSQ 
av^QU)7iov  xpvy^r'jV, 
xccl  zdv  "HXiov  ixH' 
'AnoXXwva,  Tr]v  dk  2e- 
Xr^vrjv  "Aqts/juv 
25  xo  Ji  ä     Osiv 

■^£  vg  %q   ovg 

äeig  X     V  xal  dSv- 
varov       ai     ts  tov 
Jidg  t6  (xkv  dg  ti]v 
30  ^aXatrav  Siate-  ^) 

Col.  V  (VIII) 
vioTca  nuvTKs  \j\ov 
xoa/noy  QbJioy  tiyai, 
xcei  Xoyixov  xai  (pqo- 
vovv  xui  S-tov. 
Unser  Apographum  gibt  den  Anfang  der  Columne 

.  siTAi  ns 0  . . 

gebe  nicht  der  englische  Text  navtag,   so  würde  man   eher  an  niQi  tov   rov  denken;   was 
(ybiT€u  sein  soll,  muss  ich  Andern  überlassen,  mit  Petersens  ivovxai  ist  nicht  geholfen. 
Ij  ^  fehlt  in  dem  englischen  Apographum. 
2)  dutTiTayöf  Itali,  Petersen. 


139 

ta[x]6g  IloOfiSco- 
%'a,  ro  ä'  slg  zrjv  yfjv 

Tov  dsqa  "Hqav,  xa- 

Col.  VI  (IX). 
O-dneQ  X 
Tcova  Xs'yetv  wg 
av  noXXäxig  drJQ  Xe- 
yrj  Tig  i^stv  H 
5  ^sig  ^0  asQu  'Ad-tj- 
vav  TOVTO  ydq  Xs'yeO- 
^ai  t6  ix  tfjg  X8(fcc- 
Xfjg  xai  Zevg  d^Qtjv, 
Zsvg  -d-r^Xvg. 

die  unrichtige  Ergänzung  der  Itali  v,  25  xai  tov  Jia  fir]  övasiv  ^sovg 
dXXozQiovg  ovSslg  Xrixpsiv  xai  ddvvaxov  slvaC  ttots  tov  Jiög  .  . ,  dann  VI,  5  ovöelg 
TOV  dsQu  jt^rjväv  hat  schon  Drummond  zu  der  Ansicht  verleitet,  als 
würde  Diogenes  gegen  Chrysippus  und  die  Stoiker  behaupten,  dass 
Zeus  nicht  die  andern  Elemente  durchdringe,  also  auch  nicht  diese  sein 
könne,  und  das  Wort  dSvvarov  scheint  zu  diesen  Gedanken  zu  führen; 
aber  wenn  Zeus  nur  der  Inbegriff  und  Ausdruck  des  Weltalls,  xöafxog, 
ist,  so  sind  die  Elemente  auch  in  diesem  enthalten,  also  auch  die  andern 
Götter  unter  Zeus  und  von  ihm ;  dieses  lehrt  deutlich  die  Athene,  welche 
der  Mythus  unmittelbar  aus  seinem  Haupte  entspringen  lässt.  Petersens 
Ergänzung  leidet  an  allen  Gebrechen,  sie  ist  willkürlich,  nicht  griechisch 
und  gibt  keinen  zusammenhängenden  Gedanken:  xai  %6v  /iia  vnodvönv 
^fovg  dXXoTQiovg  firjSsig  Xa'yoi,  dv  xai  ddvvarov  aivai  v6  Tf  tov  Jiog  ....  xa^dusQ 
xai  Zrjvcova  Xsysiv.  "^'iiOnsQ  J'  dv  noXXdxig  drjQ  Xsyoiro,  SQot  dv  rjärj  fiijSsig  tov 
dsqa  "A^rjvav.  Ber  Fehler  liegt  darin,  dass  VI,  5  Ssig  die  Itali  mit  ov\d£ig^ 
Petersen  noch  schlimmer  mit  fxrf\S£ig  ausfüllten;  aber  dsig  tov  asqa  steht 
auf  gleicher  Linie  mit  dem  vorausgehenden  ro  (i^v  dg  Trjv-d^dXaTTav  ..  t6 
6'  dg  rrjv  yfjv  ..  t6  6'  eig  tov  deQa"HQav,  also  auch  hier  nur  die  weitere 
Fortsetzung,  worauf  es  allein  ankommt:  tö]S'  elg  tov  dsQa  "A^rjvdv.  Nur 
kann  es  nicht  dsga  heissen,  denn  diess  war  schon  von  der  Hera  prae- 
dicirt ;  es  muss  ein  höheres  Element  sein ,  das  höchste ,  wie  xsfpaXr]  im 
Menschen  das  höchste  ist;  dieses  ist  aber  nichts  anderes  als  dg  tov 
ai^äqa.    Sollte  der  Papyrus   wirklich   däqa   gehabt   haben  (unser  Apogra- 

18* 


liO 

phum  hat  TO . ,  EPA,  dass  zwei,  höchstens  drei  Buchstaben  fehlen),  so 
ist  es  als  Schreibfehler  zu  betrachten,  aber  ich  zweitie  nicht,  dass  da- 
selbst das  Richtige  stand. 

Jene  vier  Zeilen  25  —  8  sicher  herzustellen  ist  um  so  schwieriger, 
weil  unser  Apographum  nicht  mehr,  sondern  weniger  Buchstaben  und 
selbst  diese  abweichend  gibt,  doch  ist  es  schon  wichtig  den  Raum 
dessen,  was  fehlt,  zu  kennen,  um  nicht  zu  glauben,  Alles  beliebige  ein- 
setzen zu  dürfen 

25  n.J...J.2EIN 

@E.Y2....nOE 

JE.2A..NKAIA  JY 

NA.ON.N.TETOY 

Das  Ende  der  Zeilen  19 — 26  ist  unvollständig,  es  ist  ein  Stück  abgeris- 
sen und  fehlen  zwei  oder  drei  Buchstaben,  es  ist  daher  nicht  unmöglich, 
dass  V.  24  nach  'Aqtshiv  noch  xal  folgte.  Das  Verbum  war  weder  SvOaiv 
noch  v:xo6vGHv,  denn  das  Futurum  passt  nicht,  und  nach  diesem  waren, 
wie  bemerkt,  noch  zwei  oder  drei  Buchstaben,  z.  B.  £h[ai,  übrigens  ist 
Alles  im  Accusativ  und  Infinitiv  der  oratio  indirecta,  und  daher  v.  27 
ov]delc  entschieden  abzuweisen.  Nachstehender  Versuch  ist  weit  entfernt, 
die  Worte  des  Diogenes  verbürgen  zu  wollen,  glaubt  aber  wenigstens 
dessen  Gedanken  nahe  zu  kommen:  xal  röv  JC  dXrjd^wg  afvai,  d-sotk  6"  dXXo- 
TQi'ovg  i^ifvSsTg  Xiav  xal  ddvvaxov  öv  ats  tov  Jioq  to  fj,h>  . .  nur  Zeus,  das  Welt- 
all,  der  beseelte  xöofjioc  ist  wahrhaft,  die  übrigen  sogenannten  Götter 
sind  nichts  als  Elemente  oder  Attribute  des  Weltalls  und  der  Weltseele. 
Darauf  gründet  sich  die  unten  folgende  Klage  des  Epicureers ,  dass  die 
Stoiker  nur  einen  Gott  anerkennen. 

Desto  gewisser  lässt  sich  die  Lücke  VI,  1  aus  dem  Cratylus  her- 
stellen ,  Petersens  Zrjvwva  ist  schon  gegen  die  Endsilben  des  Nomens 
toyru.  Dass  Platon  gemeint  ist,  zeugen  folgende  Worte  p.  47  Bekk.  (404) 
rocog  Si  [XftetogoXoywv  6  vofio&s'trjg  roV  dt'ga  "Hqav  MVo/xaOtv  iixixQvntofiBvog,  d-slg 
Tiy  UQxr^v  sTil  TsXsvTr'iV  yvoirig  6'  äv,  el  noXXdxig  Xiyoig  ro  rfjg  "Hgag  ovofia. 
Hier  ist  nur  ein  unbedeutendes  Versehen  mit  untergelaufen.  Platon  sagt, 
dass  "liQa  von  dr]Q  stamme,  könne  man  sehen,  wenn  das  Wort  "Hqa  öfter 
gesetzt  werde,  also  rjgatjQarjQa',  umgekehrt  lässt  Diogenes  den  Platon 
sagen,  wenn  man  das  Wort  drjg  wiederhole,  komme    "jga  zum  Vorschein, 


141 

nämlich  atjgarjQccrjg  —  die  Sache  bleibt  dieselbe.    Folglich  ist  die  Stelle 

mit  Sicherheit  so  zu  geben : 

To  o    eig 
TÖv  dega   Hqav  xa- 
x^änsQ  x[al  Jlld- 
rcova  Xsysiv,  ftjffjr'  i- 
dv  noXXdxig  drJQ  Xe- 
yrj  rig  sqsiv  ''H[Qav'  zo   6^ 
slg  Tov  ald-eqa  ^A^tj- 
VttV. 

Um  das  unmittelbar  Folgende  zu  verstehen,  ist  zu  bemerken,  dass 
bei  den  Alten  das  Herz  xaqSia  als  das  Organ  des  Verstandes  betrachtet 
wurde;  wie  die  Leber  der  Sitz  des  Weissagens  war,  so  das  Herz  der 
der  Einsicht;  en  cor  Zenodoti,  en  iecur  Cratetis.  Daraus  erklärt  sich 
die  schöne  Fabel  des  Babrius  vom  Löwen  und  Fuchse ,  welcher  die 
xaqdia  des  Hirschen  frisst,  und  auf  die  Frage  des  Löwen,  wo  das  Herz 
wäre,  spottend  antwortet,  der  hat  keines  gehabt;  denn  sonst  wäre  er 
nicht  zu  dir  gekommen.  Unserm  Volke  würde  das  nur  verständlich 
sein,  wenn  man  an  die  Stelle  des  Herzens  das  Gehirn  setzte.  Dass  diese 
Ansicht  nicht  den  Griechen  allein  eigen  war,  sondern  auch  andern 
Völkern,  beweist  die  lateinische  Sprache  mit  vecors  u.  dergl.  Meines 
Wissens  ist  Piaton  der  erste ,  der  das  iyxs(faXov  als  das  Organ  des  Den- 
kens und  Sinnens  annahm.  Aristoteles  hat  sich  auch  hier,  wie  sonst 
häufig,  auf  die  Seite  der  allgemeinen  Annahme  geschlagen  —  was  ist, 
ist  vernünftig.  —  Von  da  aus  ging  dieser  Dualismus ,  wie  in  vielen 
andern  Ansichten  beider  Philosophen,  so  auch  hier  auf  die  Stoiker 
über,  und  mit  Beziehung  darauf  fährt  Diogenes  bei  Philodemus  so  fort : 

Tivdg 

\0    6k    TWV    2t(01X(ÖV 

(fdOXSlV    OTl    TÖ    Tf/S- 

fiovixöv  sx  rfjg  xs- 
(paXfjg,   (fQovrjOiv  ya[?  ^ ) 
£ivai,   6id  xai  fifjTiv 
15   xaXeTo^ai,  XqvOitt- 
7T0V  S'  iv  Toüf  Orrj- 

1)  y((Q]  habe  ich  aus  y'a  gemacht,  damit  ort  nicht  mit  dem  Infinitiv  verbunden  wird,  Petersen 
schrieb  ort  und  machte  aus  y'a  sogar  ravTrjy.   Unser  Apogr.  hat  nur  einen  halbrunden  Strich. 


142 

$■€1,  td  t)ysfiovi,x6v 

fiiai  xdxfT  t)p'  \'A^) 

^} '/  ''[«J »'  ysyovävai 
20  (fQovi^Giv  ovöav,  rw 

6i  T)jv  (pwvfjv  ix 

r/;c  x€(paXrjg  sxxqi-  \ 

reaO^ai  [Ije'Yeiv  ex  rfjg 

x£(palfjg  vnoSeiq 
25       ai  oTt  xi- 

XV  Vj      vfd-rj      (fQovtj- 

Gig,  xai  Ax^Tjvav  (xkv 

otov  'Ax^     vav     siqrj- 

Oä-ai  [,    TQit(o]viS(x  Se  xal 
30   T()iTOYer\fia[v  Sid 

td  T?yV  (fQovrjOiv 

ix  TQiwv  Ovvea- 

Tijxivai  Xoyün' 

Ganz  undeutlich  ist  v.  24  —  26;  die  Itali  haben  die  Lücke  nur  mit 
griechischen  Buchstaben  ausgefüllt  vnoSsr^aat,  oisiv  on  if/v/y  owsOi]  (pQovrjoig, 
aber  auch  was  Petei'sen  gibt  vttoSstj  stvai  aQxrjv  ort  rixvrj  ivsfirj^rj  (pQovr^oig, 
bringt  die  Sache  nicht  viel  weiter,  unser  Apographum  hat  v,  25 

.  JIO  ....  2TI  TC 

X  W  H  .  .  NE0H(PPONH 

ist  vielleicht  eine  Andeutung,  dass  Hephaestus  der  Künstler  das  Haupt 
gespaltet  hat?  v.  26  scheint  nichts  anderes  zu  sein,  als  L'ti  tix^V  «V*»'«^'  ^  VQo- 
vijOig.  /eile  28  ist  von  den  Itali  und  Petersen  falsch  durch  olov  'A^rjXr^v 
nv  eigr^a^ai  ergänzt,  wie  schon  die  Partikel  «V  zeugt,  das  Apographum 
hat  A& . .  AN,  es  fehlen  nur  zwei  Buchstaben ,  kann  also  nicht  d^{rj^v] 
UV  geheissen  haben ,  das  auch  zur  Verständigung  der  Sache  nichts  bei- 
trägt. Da  es  sich  hier  um  eine  verkehrte  und  lächerliche  Etymologie 
handelt,  dergleichen  die  Alten  in  Unzahl  vorgebracht,  die  Neuern  noch 
nicht  verlernt  haben,  so  würde  wohl  niemand  das  Richtige  errathen, 
wenn  es  nicht  bereits  anders  wo  erhalten  wäre,    Cornut.   cap.   2ü   to  6' 


I)  'JO^r^i/äy  einfache  und  selbstverständliche  Flrgänzung  für  rijV  gxoytjy  Si/  yiyovivca  der  Itali 
und  Petersens:  die  englische  Abschrift  gfibt  selbst  tiv  av ,  unsere  .HA'  .^V,  also  fehlt  kein 
Hiichstabe  /wischen  jenen  zwei  Silben;  die  falsche  Abtheilun«'  in  der  Currentschrift  hat 
manche  Verwirrung  hervorgebracht,   welche  durch  die  Ansicht  der  Uncialen  verschwindet. 


143 

ovofia  rrjg  ^A^rjväg  SvOervuoXoyrjtov  .  .  twv  [.liv  duo  tov  d-d^gsTv  ndvTa  oiov 
'Ai^QTjväv  amrjv  dnorrm'  shai  (vgl.  Osann  p,  305).  Dasselbe  hat  auch 
hier  gestanden  und  füllt  genau  die  Lücke.  V.  29 — 30  ist  von  Petersen 
dem  Gedanken  gemäss  trefflich  ergänzt  worden,  wofür  die  Itali  nuQ^sviöa 
dk  xat  roQYO(p6v€iav  6id  gegeben  haben. 

Aus  diesen  den  Schriften  berühmter  Häupter  der  Schule  entnom- 
menen Angaben  schliesst  Philodemus,  dass  die  Stoiker,  wenn  sie  auch 
den  Gottesbegriff  nicht  wie  andere,  absolut  oder  relativ  aufheben,  doch 
höchstens  nur  einen  Gott  anerkennen,  nämlich  die  Weltseele,  dadurch 
aber  der  gemeinen  Volksreligion  sich  entgegenstellen  VII,  8 

TidvTfg  ovv  Ol  d- 

710  Zrjvoavog  ei  xal  d- 
10  nsXsinov  z6  Saifiö- 

viov  wOtisq  Ol  [ljii]v  ov-  ^) 

X  d[Tr]£X£i7iov ,  [oi]  S'  iv 


1)  Die  Herstellung  von  ol  fiiv  .  .  ol  <fi  ist  sicher  und  haben  schon  die  Itali;  ganz  unrichtig 
ist,  was  Petersen  Alles  gemacht  hat,  uianE^  oitjToi/  ov  xariXiinov  tl  d'  i'f  tlcw  ov  xctt- 
iXimov,  iva  S-tor  Myovaw  tivai,  was  heissen  soll  non  tarnen  ita  concesserunt  ut  creditur; 
sicubi  vero  non  concesserunt,  unum  esse  deum  dicunt.  Der  Gedanke  ist  nach  unserer 
Abtheilung  klar,  üebrigens  ist  das  verbum  hier  in  dieser  Sache  ((noXiiniiv ,  nicht  xitra- 
^einsiy,  v.  12  ist  von /I  nur  die  eine  Hälfte  erhalten,  daher  hat  man  unrichtig  ov  xccriXanoy 
statt  ovx  ciniXtinoy  geschrieben;  eben  so  v.  13,  wo  unser  Apographum  deutlich  II  hat;  nur 
unten  IX,  26  ist  sicher  r«  S-tta  rouivra  x(t[TC(p,tinov(Jif.  Ob  v.  14  fiolfOf  wie  v.  22  zu 
ergänzen  ist,  oder  ^fJoV  wie  Itali  und  Petersen,  kann  man  zweifeln,  v.  15  sind  die  zwei 
fehlenden  Buchstaben  sicher  nicht  &i,  es  müsste  jedenfalls  #)?  heissen,  vielleicht  ist  oV  ein- 
zusetzen. Die  folgenden  Zeilen  19 — 20  zu  ergänzen  wird  um  so  schwieriger,  weil  die 
Apographa  von  einander  abgehen; 

Neap.  Anglic. 

ccnoX  movx       w?  AHOA  .m.N ...  ii,2E  . 

av  ti  fi.  vo  .  lAN  .  M  .  S 

aiv  a  V  CHQ  IV  im  .  INA  .  . .  NAIPE  IN  Eni 

in  dem  vorletzten  Worte  ist  zwischen  E  und  /  ein  kleiner  Bruch,  es  könnte  ein  Buchstabe 
ausgefallen  sein,  scheint  aber  nicht  und  nur  das  ävui^iiv  zu  sein.  v.  18  war  vielleicht 
<äa&'  mit  folgender  Aspirata;  denn  der  Gedanke  hängt  mit  dem  vorausgehenden  wohl  so 
zusammen:  sie  täuschen,  so  dass  man,  wenn  sie  behaupten,  sie  heben  die  Götter  nicht  auf. 
dem  Volke  zeigen  muss,  nur  das  All  werde  von  ihnen  als  Gott  anerkannt,  keineswegs  aber 
mehrere  und  die  gewöhnlichen  Götter.  Ganz  unverständlich  ist  mir  Petersen  Ergänzung 
und  Uebersetzung  cinoXtinovrt?,  want^affi  fxovov  Xiyovair  avrüjv  ai^taw  'Enidiixvvaf^oiaav  .  . 
quasi  suae  tantum  sectae  rationem  habeant.  —  v.  30.  Xiyovriop . .  tuff  ort  ist  eine  Lücke 
von  zwei  Buchstaben,  es  war  i'niixi-'.  Bedenklicher  ist  das  Wort  der  letzten  Zeile  oiov^ 
aißoyrui  ndvrts  x«i  tji/  rt  oXo,  die  Buchstaben  der  nächsten  Columne  VIII,  1  . .  v/^  p  (unser 
Apographum  hat  nur  den  ersten  Buchstaben  r  der  gerade  dort  fehlt)  lassen   an  der  Rieh- 


144 

riotv  oi>x  ansXsinov, 

l'vu  \^i(>\yov  Xt-'yovütr  el- 
1")    rtti  .  yivta^co  .  .  xctl 

10   näy  tivv  xfji   ifivxt],   nXa- 
vwüii'  d'  ov  noXXovq 
(XTToXsinovteq  . . 
was    sie    sonst  noch  zurücklassen,    sind  keine    persönlichen  Wesen,    wie 
sie    das    Volk   glaubt    und    verehrt,    sondern    nur    Nebelgestalten,    Luft, 
Feuer,  Erde,  Wasser  u.  s.  w.     Die  Stoiker  sind  daher  auch  gefährlicher 
als  Diagoras,    dessen  Atheismus    nicht  einmal  ernstlich  gemeint   ist  und 
der  in  seinen  Gedichten  wiederholt  ganz  religiös  von  den  Göttern  spricht, 
während  diese  Philosophen  zwar  die  Namen    der  tirötter  beibehalten ,    in 
Wii'klichkeit  aber  sie  gleich  den  Atheisten  aufheben,  IX,  3 

oiioi  6^  ^£ot>g  SV  toTg 
Oi'YYQcciJilJ'CiOiv  ino- 
5  vofxd^ovzsg  dv/jQ- 
qovv  h'^sQyaGtixöäg 
rotg  TtgäyfiaOi  xal  /lu- 
td  GTCovdijg  dveXev- 
^SQooTSQOV  yiv6[is- 

10    VOl    (PlXi/lTTOV    xal    TMV 

aXXayv  Xiäv  djiXdSg  xd 

x^eTov  dvaiQovvTCöv. 
Die  Stoiker  sagen  fast  allgemein,  dass  die  Götter  keine  ungerechten 
Handlungen  begehen  und  darum  auch  nicht  den  Menschen  die  Urheber 
des  Unglücks  sind ;  ^)  solche  stoische  Götter  sind  nicht  unsterbliche 
Wesen,  sie  sind  yswrjxol  xal  (pi^aQzoL  Vorzüglich  aber  ist  zu  beachten,  dass 
nach  dieser  stoischen  Theologie  kein  Mensch  sich  enthalten  werde  Böses 
zu  thun  oder  seine  Lüste  einzuschränken ;  denn  kein  Vernünftiger  werde 
sich  vor  Luft,  Nebel  u.  dgl.  so  wenig  als  wie  vor  einem  Haufe  Sande 
fürchten  IX,  33. 

tigkeit  des  'ofxoknyovfiif  der  Itali  nicht  zweifeln;  damit  ist  HNTI . .  MOAO  nicht  zu  vereinen ; 
passend  ist  Petersens  r/f^ik,  ich  dachte  an  nufTtg,  aber  das  richtige  ist  wahrscheinlich 
etwas  anderes.  VIII,  2  ixttroi  ov  und  3  diqag  von  Petersen  hergestellt.  Ueber  die  Verse 
des  I)iagüras  vergl.  Meineke  fragm.  com.  I,  52ß,  unser  Apogr.  hat  v.  28  richtig  vu^al. 
1)  Die  Abtheilung  IX,  18  bei  Petersen  doSdi^oyTttg.  'Jni/ia&iti  .  .  ist  unrichtig;  es  muss  sein 
d'o^a^oyrui;  u7ll/Kf<'>-tti  rdv  u(fixo7i()(cyr/UfKr(oy  .  i'vioi  cpuaiv,  ijfifig  .  .  n(((t(txo^ov9tiy  xcci  rtöy  .  . 
<fuivn(a.  Das  folgende  didioi'g  x«i  (p9ii()Tovg  ist  Krasis  xdupfHiqxovg ,  denn  der  Gedanke 
fordert  xui  <e(f,,'hi()Tovg. 


145 

To  S^  Ovve'xov  (s'v  yäq 

aXXoig  v7ioYQa<frjü£- 
1   tut,  TU  uXkcc)   Sioxi  xa[r  ^) 

dnoipaivwvTtti  ßXä- 

meiv  xal  wipeXsTv 

Tovg  ^sovg  m[071^£Q  ov- 
5  äi,  TO  dsvTSQOv  av- 

ToTg  dxoXov&rjTov  s- 

Tiidsi^d-i^OsTat  TOV- 

[.y'J  o  yt  tiuvtI  6ijX6v 

iOTiv,  (og  ovSh  sig  TtdJ' 

10    TTWrrOTS    dv&QCÖTlOOV 

Tov  de'Qa  xal  tov  «l- 
^a'Qa  (foßov^svog  rj  ^) 
TO   Tiäv  dnsx^f^ci  fi'- 
vog  ddixov  ngäyfia- 

15    TOg,     OVX    OTl    T(ZV    TTQOg 

d  ^isyCOTOig  s^isqoig^) 
övvs'xfiai,  fidXXov  rj  ni-Q-*) 
i  Tovg  [e]v  dfi/xco  ^Ivccg 
tj  TU  .   .  .  inl  Twv  d-  ^) 
20  xav^imv  nanntav,  d 
ys  (favsQÖög  dvaio^rj- 
%ii  xccTaXa/jißdvovOi. 

Philodemus    wendet    auf   solche    die    Verse    des    Timokles ,    welche 
dieser  von  dem  ägyjotischen   Ibis  u.  a.  in  seinem  Al'yvTiTog^)    aussagt,  an 


1)  Die  Stelle  lautet  ))ei  Petersen  ganz  unverständlich  .  .  tiXka  .  Jiori  xul  anocpKiviavjut.  .  . 
9-iovg ,  xcäntQ  ov&i  .  .  tniifti/iti^atTui.  Tovro  yi  .  .  Die  Construction  fordert  v.  1  deutlich 
xaf,  obschon  auch  unser  Apographum  nur  KAI  bietet.  Durch  die  Annahme,  dass  v.  8  rov 
.  o  yt  der  fehlende  Buchstabe  nicht  r.  sondern  H-  ist,  rov9-'  byt  ist  der  Zusammenhang 
passend  hergestellt.  Auffallend  bleibt  nur  v.  4  üant^  ovd'i  für  wantQ  ov/i  (nämlich  clno- 
giaiyofzai) ,  was  ich  nicht  zu  belegen  vermag,  aber  oianiQ  ist  sicher  und  haben  schon 
die  Itali. 

2)  t]  steht  hier  allein,  man  erwartet  einen  Gegensatz  rj  lo  nav  tlnixtrcu  >i  iiuos  ddixov  nQÜyfxuTog. 

3)  dfityaQTois  Petersen. 

4)  Man  erwartet  vielmehr  tjniQ  tovc,  nämlich  aus  v.  12  (poßov/utrog.  Petersen  roi;?  rov  ufj,fj.ov  -D-ifctg. 

5)  T«  i'QUi  Petersen,  man  sieht  noch  die  Spuren  des  ersten  fehlenden  Buchstaben,  es  war  H  oder 
n.  die  oft  nicht  zu  unterscheiden  sind. 

6)  Auch  unser  Text  hat  X,  25,  wo  die  andere  Abschrift  vollständig  *V  Jiyvnrm  d'QufiuTi  gibt, 
E  .  .  .  rYUTSil,  während  Athenaeiis  J/'y^inrini  anführt,     vid.  Meineke  1,  421.  111.  5!)0. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  1.  Abth.  1 9 


146 

onov  yctg  elg  tot^c  6fioXoyot^i.i€VOVq  ii-eovq 
düfßoirTet;  ov  didöaaiv  sv^e'ioc  ^ix}jV, 
r/'j'  aifXovffOv  ßw/nöc  inirgiipeisv  av ; 

habe  man  keine  andern  Götter  zu  fürchten,  so  treibe  jeder  ungescheut 
Alles,  was  er  wolle  und  könne.  Würde  man  aber  auch  wirklich  anneh- 
men, dass  dergleichen  tingirte  Götter  jemanden  vom  Unrechte  abhalten, 
so  wäre  dieses  —  und  das  sei  ein  sehr  gravirender  Vorwurf,  welchen 
man  den  Stoikern  machen  könne  —  eine  Erniedrigung  des  Menschen 
zum  Thiere ,  zumal  wenn  sie  nach  ihrer  Maxime  sich  nicht  um  den 
Tadel  anderer  kümmern  und  nicht  danach  fragen,  was  die  Leute  von 
ihnen  sagen,  XI,  2. 

nä]vt[£g\  yov[v     To]vg^) 

d^fovg  zoiomovg  vno- 

XafxßdvovTsg  oTovg 
5  0  TV(pog  doifyayav 

diftTOig  XQiJävttti,  xa- 

rd  Svvafxiv  i'xaöToi, 

zaig  xaxovQyi'aig,  rj 

nov  vofiiCofisv  av- 
10  Tovg  deqa  (foßovfxs- 

vovg  d(p£§£0\^ai  tivog;  ^) 

Tcov  xaXeiKüTdtoiV 

li\hv  el  tovt'  iöTiv 

To  TTig  «[Jjtxmg  d-  ^) 
15  naXXuTTOv,  sixoTiog 


1)  Ich  habe  vorläufig  so  ergänzt,  was  jedenfalls  von  dem  richtigen  nicht  weit  abgeht;  das 
englische  Apographum  hat 

«*"       »T       tyov      v; 
woraus  Itali  und  Petersen  'JyTdiyovaiy  ■  Tovg  gemacht  haben,    l^m  die  Unmöglichkeit  dieser 
Ergänzung  darzuthun  —  denn  th'ci'kiyovaii'  ist  ganz  sinnlos,    man    sehe  nur  die  lateinische 
Uebersetzung  Petersens  —  will  ich   hier   anführen,    was  in  unserem  Texte  in  den  ersten 
zwei  Zeilen  dieser  Columne  erscheint^ 

MO  .   EH  .   TPEliI'  .   lEN 

AN OV 

2)  ti(f{zt(y't<a  hat  unser  Text:  ("«piv^ta^ai,  das  andere  Apographum  falsch;  Petersen  anocptv- 
^la&ai  rifo;  tmv  /«it7i<«>r«rw»'  .  Ehv  .  Ei  Tovt.  Ich  habe  nur  die  richtige  Abtheilung 
gegeben :  denn  schon  die  Itali  haben  f^if  ergänzt. 

3)  r;)f  u  ixuci ,  was  itali  und  Petersen  in  ntixtug  geändert  haben,  falsch  hat  unser  Text 
TllüA  .  KA  ....  woraus  allein  das  richtige  uSixiiig  niemand  errathen  kömite. 


147 

av  Tig  inifpegoi  tov' 
Toig,  ort  TOV  zcHv  ^r]- 
Qt'wr  ßiov  flg  rovg 
dvd-Qbmovg  fxsra- 
20  (fSQOvOiv  xal  (.idXiG- 
r'  idv  firjö^  smOtQä- 
(pwvTai  xa^äneQ  cpa- 

Olv    TOV    T(J5V    TtoXXdäv 

6id  zavta  xpoyov. 

Der  Autor  schliesst  seine  Einleitung  über  die  verschiedenen  reli- 
giösen Ansichten,  indem  er  das  gesagte  kurz  zusammenfasst.  Man 
betrachte  nur  sämmtliche  von  den  Philosophen  vorgetragenen  Aeusser- 
ungen;  nicht  ein  Mensch  werde  sich  durch  die  Lehre  der  Stoiker, 
welche  solch  herz-  und  gefühllose  Götter  einführen,  oder  durch  die 
Lehre  jener  Philosophen ,  welche  es  unentschieden  lassen ,  ob  es  Göttgr 
gebe  oder  was  und  wie  sie  sind,  noch  endlich  durch  die  eigentlichen 
Atheisten  von  irgend  einer  unrechten  Handlung  abhalten  lassen ,  nach 
der  Lehre  jener  aber,  welche  unter  den  Göttern  selbst  Kampf  und 
Streit  einführen,  werde  er  eher  zum  Unrecht  verleitet  werden ,  so  dass 
nach  diesen  Voruntersuchungen  es  nun  Zeit  sei,  die  Epikurische  Lehre 
über  diesen  Gegenstand  näher  zu  entwickeln.  Philodemus  hat  also  im 
vorausgehenden  nicht  bloss  von  den  Stoikern  gesprochen  —  nur  diesen 
Theil  haben  wir  und  selbst  diesen  nicht  ganz  —  sondern  auch  von  den 
Zweiflern  an  der  Gottheit  und  den  förmlichen  Gottesleugnern,  so  wie 
von  der  gangbaren  Ansicht,  welche  wir  in  Homer,  Heraklitus,  Empe- 
dokles,  Parmenides  finden  und  sich  dadurch  den  Weg  zu  seinem  eigent- 
lichen Zwecke  gebahnt,  XI,  24 

ßXs- 
25  7i[rjT]ai  J'  ovr  xal  xa- 

td  ndvTug  rovg  nqo 

ttVTüiv  exx£i[xs'vovg, 

ovSi  €ig  äV   d^ixfag 

dTTilQXdsilj    dfSoi- 

30  xcüg  Tovg  ovS'  enixsi- 
vr^^fjvai  äwa/ie- 
vovg  rj  Toi'g  iraq- 
yöög  dvaiO&r^Tovg 

19* 


148 

Col.  XII  (XV) 
t^  Tovc  äyvitHiioy 
xCifc  fiai  i!/f  Sfx  M 
rag  tj  ttoToi  riveg  fi- 
air,   ^  Toik  6(a^Q)'^-  • 

5  Srjv  oTi  ovx  tioiv  a- 

TTOtfaHOfttlOlK    )■    (fiCt- 

vsqovc  hriixc.  wc  ur- 
i]iQovv,  x(xi'  syi'ovc 
()7  xdr  fV  avrtp'  ttqo- 
10  tqunn'i^   tovc  xdv  rote 
if-soTg  und  (fiXnQxi'a? 
TTO^tioi'  ihiTioy6ov 
naQfiOdyovTac^  okl- 

T€    Xal    tOV    fie'QOlK 

15  Tovrov  irjc  diaigt- 
*  .    Ofwc  rTjg  xca'  dg^iig 

ixit  dsi'Ot^ g  dno- 

XQoh'ioic  Finfyyaö- 

l^is'rov  xaiQog  dv  f--) 
20  ir]   idv  ttsqI  r'ijg  tv- 

Oißtiag  Xöyuv   i  i~g 

xai'  'ETTtxovQor  av-^} 

Tov  TTaoay()d(ftiv. 

Da  es  ausser  Frage  gestellt  ist,  dass  Cicero  de  nat.  deor.  1,  15  in 
seinen  Angaben  über  stoische  Theologie,  bezüglich  des  Chrysippus  und 
Diogenes,  unser  Buch  rrfg)  fi'ofßfiag  benutzt  und  ausgezogen  hat,  so  darf 
von    den    bei    ihm    vorausgehenden    Stoikern,    Zeno,    Aristo,    Cleanthes, 


1)  I'nser  Apojrraphum  giht  nur  von  den  letztern  zwei  Wörtern  f?K  ..../..  Petersen  ti^ioi 
'/.kyoi'Tc.^ ,  gemeint  scheint  Protagoras,  welcher  sein  Buch  mit  den  Worten  begann:  TliQi 
iitiüv  ovTt  ti  tiow  oi;i>'  önoiot  ztyig  fiai  dvi'cfna  'Aiytiv  nokkü  yüq  tan  lü  xvAt'ovTU.  Diesen 
Gedanken  sprechen  aber  unsere  Worte  nicht  aus ;  da  nach  tcyvMorov  etwas  fehlen  kann 
fschon  der  letzte  Buchstabe  N  ist  nicht  vollständig),  so  möchte  man  vielleicht  ri  rovg 
icyi><o<iToi'  li  Tifig  iffft  i'/fo(,  '/.iyoi'tcig  (oder  i'^oviicc)  vermuthen,  aber  Philodemus  versteht 
hier  nicht  allein  den  Protagoras,  sondern  alle  von  ihm  früher  angeführten  Philosophen, 
welche  keinen  deutlichen  BegrifiF  geben,  wie  man  sicli  Gott  vorstellen  soll,  wie  selbst 
Plato,  Xenocrates,  Strato,  Ariston. 

2)  i'it)  Petersen  aus  itii  richtig,  unser  Text  hat  Etil,  wahrsclieinlich  auch  nur  l''older  des 
Zeichners,  sonst  sind  //  un<l  //,  wie  schon  bemerkt,  oft  kaum  zu  unterscheiden. 

ö)  itviöv  Petersen,  nicht  nothwendig,  avrov  ist  hier,  jetzt,    so  fort  nach    dem   vorausgehenden. 


149 

Persaeus  dasselbe  angenommen  werden.  Wir  können  nocli  weiter  gehen. 
Die  ganze  epikurische  Lehre  des  Velleius  cap.  8 — 20,  sowohl  der  kritische 
Theil  derselben  als  auch  der  dogmatische  cap.  17 — 2Ö  ist  dem  Inhalte 
und  Wesen  nach  nur  abgekürzt  und  im  Auszuge  aus  unserer  Schrift 
geHossen.  Die  oben  bezeichneten  Fragmente  sind  in  einem  trostlosen 
Zustande,  wo  aber  die  abgerissenen  Worte  einen  sichern  Gedanken 
geben  oder  errathen  lassen ,  kann  man  die  lateinische  Uebersetzung 
davon  bei  Cicero  finden;  fragin.  21  naQ'  'AvTiod^t'vfi  ^'  sr  fih'  rm  ^voixm 
läysTui  t6  xard  vdjuov  hvui  nokkovg  .>forc,  xnrd  6i  <fvüiv  tva  tmv  .  .  §.  32 
atque  etiam  Antisthenes  in  eo  libro  qui  physicus  iuscri- 
bitur,  populäres  deos  multos,  naturalem  unum  esse  dicens 
tollit  vim  et  natu r am  deorum,  und  was  daselbst  unmittelbar 
weiter  folgt :  nee  m  u  1 1  o  s  e  c  u  s  S  p  e  u  s  i  p  p  u  s  .  .  vim  q  u  a  n  d  a  m 
dicens  qua  omnia  regantur  eamque  animalem  evellere  ex 
animis  conatur  cognitionem  deorum.  Aristotelesque  in 
tertio  de  philosophia  libro  multa  tu r bat,  ist  noch  kennbar 
genug  erhalten  fragm.  22  .  .  j//r/ag  twv  xaXwv  xdyu&äv  ^siag  It'yurr  Svvdimc 
TToXv  xaTa6€£GT6'gnc  xal  iXksinovöug-  nag'  'AgiOroTtXsi  (J'  iv  rm  tqCxox  negl  (piXo- 
Gocpiag  .  . 

Mag  Philodemus  bei  der  Erklärung  der  stoischen  Theologie,  wie 
er  auch  sonst  gerade  die  Stoiker  zumeist  anzugreifen  pflegt,  ausführ- 
licher als  bei  den  übrigen  gewesen  sein ,  immerhin  sieht  man ,  dass 
diese  historische  Kritik  —  es  sind  bei  Cicero  von  Thaies  bis  Diogenes 
nicht  weniger  als  27  Philosophen,  deren  Bekenntniss  über  die  Gottes- 
lehre Velleius  daselbst  ausspricht  —  als  Vorläuferin  der  Epikurischen 
Dogmatik  über  die  Götter  ausführlich  genug  gewesen  und  wohl  das 
ganze  Buch  umfasst  habe.  Es  sind  39  Columnen  mit  wenigstens  1200 
Zeilen,  15  mehr  oder  minder  vollständig,  24  von  denen  sich  immer 
nur  die  letzten  Zeilen  erhalten  haben ,  und  wie  viele  Columnen  mögen 
sein,  von  denen,  weil  ganz  unleserlich,   sich  nichts  erhalten  hat? 

Der  dogmatische  Theil  der  epikurischen  Theologie  (bei  Cicero 
capp.  17  —  D)  konnte  hinreichend  auf  den  nächsten  29  Columnen  — 
so  viel  zählen  wir  noch  —  dargestellt  werden.  Es  sind  nach  Cicero 
folgende  drei  Hauptsätze :  jn-imum  esse  deos ,  (juod  in  omnium  animis 
eorum  notionem  impressisset  ijjsa   natura;    dann    eine  Folge   davon:    ut 


150 

deos  beatos  et  iinmortales  putenius,  endlich  :  quod  beatum  aeternumque 
Sit,  id  nee  liabere  ipsuni  negotii  quidquam  nee  exhibere  alteri,  und 
weil  die  andern  Philosophen  so  auffallend  zeigten,  dass  sie  nieht  wussten, 
was  sie  aus  den  Göttern  maehen  sollten,  rn-ec  flai  i^fol  xat  noToi  tive'g  eloiv, 
so  wird  über  deren  forma  und  vita  das  Nähere  naehgewiesen.  ^) 

Nur  wenige  Seiten  sind  im  Ganzen  leserlieh  und  man  vermisst 
ungerne  das  vollständigere  englische  Apographum,  ^)  aber  so  viel  sieht 
man  auch  noch  aus  dem,  was  zugänglich  ist,  dass  zwar  von  der  svoeßeia, 
aber  nicht  von  dem,  was  hier  folgen  musste,  gesprochen  wird,  vielmehr 
wird  hier  jene  Dogmatik  schon  als  bekannt  vorausgesetzt ,  es  werden 
aber  praktische  P'olgen  daraus  gezogen,  dass  eine  solche  Lehre  z.  B. 
keinen  sokratischen  Process  zu  fürchten  habe,  während  andere  Philo- 
sophen sich  dem  Volksglauben  schroff  entgegenstellten  und  deswegen 
vielen  Verfolgungen  ausgesetzt  waren.  Ich  will  zur  Ueberzeugung  dessen, 
damit  niemand  darüber  einen  Zweifel  hege,  zwei  Columnen  mittheilen, 
tab.  27 

^fQYct^cfifVoi,  rrjv  ^) 

c(0(f)dXeiav   rj  rjjV  i- 

ttVTOjr  Tiagd  tüjv 

TioXXwv  rj  Trjr  ixfi'- 
5  vo)V  iXttQ'  dXXrjXcov, 

dXXd  To  (pcdvofie- 


\)  Cic.  §.  45  sed  ad  liaiic  confirmandam  opinionem  anquirit  animus  et  formam 
et  vitain  et  actione m  mentis  atque  agitationem  in  deo:  Daraus  möchte  man  an 
eine  Dreitheilung  schliessen;  es  sind  aber  nur  zwei  Puncte,  die  forma  §.  46 — 50,  und  die 
vita.  Der  üebergang  zu  dieser  ist  in  den  Worten:  Et  quaerere  a  nobis  Balbe  soletis,  quae 
vita  deorum  sit  quaeque  ab  iis  degatur  aetas.  Ein  solcher  Üebergang  zum  zweiten  Puncte 
wird  nicht  durch  et  eingeleitet;  man  erwartet  vielmehr  at.  Jetzt  schreibt  man  nach  Beiers 
(-'(jrrectur,  auf  welche  auch  Schoemann  opusc.  III,  363  gefallen  ist.  et  vitae  actionem  men- 
tisque  agitationem.  wie  unten  einfach  forma  und  vita  steht,  erwartet  man  auch  hier  nur 
dieses,  aber  eine  nähere  Bestimmung  und  Erklärung  kann  folgen,  und  dieses  ist,  wenn 
man  das  Unnütze  streicht:  et  formam  et  vitam,  [et]  actionem  [mentis]  atque  agitationem 
in  deo.  Die  actio  der  Gottheit  ist  eben,  ut  nil  agat,  die  agitatio  alter,  dass  der  deus  an 
seiner  sapientia  und  virtus  Freude  hat. 

2)  Gewiss  hatten  die  Engländer  auch  von  diesem  eine  eben  so  sorgfältige  Abschrift,  wie  von 
dem  ersten  Theile,  so  auffallend  es  scheinen  mag,  dass  weder  im  Catalog  dieses  Werk 
ntQi  ivatßfiai  noch  sonst  unter  einem  andern  Titel  erwähnt  ist;  dagegen  findet  sich  daselbst 
ftin  ähnliches  'f-i'Aod'r/fiov  iitQi  H^kituf  24  Columnen.  Die  Oxforder  Universität  hat  das  ganze 
wahrsclieiiilicli  ültergangen,  weil  es  kein  Ineditum  mehr  war. 

.3)  zu  ergänzen  ovx  iitqyu^ojityoi. 


151 

vov  i'xttOtot  Ttaöiv 

i fG..  i6t 

fjiv^ovg  fJtH'  elafjyov,  ^) 
10  dfieksi  xal  TfQursi- 
ag,  oi'Te  6i  Totg  tiqo- 
Tsgov  iSöxovv  ioi- 
xdva  favT    eigipegsiv, 
0VT8  GcoTtjQiag  AN.  ^) 
*  15   TToXeiTsiaig  CYN. 

-d-ai  fisvwtg 

if  lOxvovOtt  .... 
dXXd  6id  rjy[»'  dv(a- 
<  20  piaXiav  xa.l\in)  dOeßsi- 

ttV    S711710EIV[0VX    d- 

öeßfig  idoxovv 

fiövov,  dXXd  xal  (ps- 

vaxiOraC,   [Ovvel6]v- 
25  ^^  J'«m[frjf  Trjg  naq- 

^TjGiag  (fiXoOotpwi 

TiQfTiovGrjg  ovds- 

vdg  ovS'  i^  dnomov 

tu  doxovvra  negl  ^s- 
30  c5v  'Ettixovqcoi  Gt'v- 

£i6oi'  oi'd^  s'Xsyov 

xal  öieTTQacTovTo 

die  nächste  Columne,   tab.   28,    hängt  zwar  mit  dieser  nicht  zusammen, 
beweist  aber  um  so  deutlicher,  was  wir  wollen 

Seivovg  vTTolrj- 
ipovTui  TVQÜrvovg 
xal  [xdhor^  avtol 
dl    a  GwoiöaGiv 
5  avtoTg  fitydXag  e- 
^  avToov  ovfxg^o- 
qdg  ngoodox/jGov- 
Giv,  ovT(o  6i  toy    e- 
(f    rjfiäg  elvai  ät    ijv 


1)  tia?tyo,']  EICniON,  falsch  copirt  statt  ElCHroS. 

2)  vielleicht  auri^^ia  raig. 


152 

10  ovx  iOxtjxaai  niö- 

in\  ovdiv  av  nqdi- 

louv,  Ol    ^i  naiOi^t'v- 

if-g  oig  fXQijOi^ioii- 

ötjOafjitv  nfQi  ^t- 
ir»   (äv  TTQwroy  /iiiv 

teSc  S-rtiToi  i,t£ifi[tTc- 

O'Ut  irjv  exti'vcov 

fvdaifioriar  ' 

it^th^Oovmv,  bjm'  e- 
20  7i£(d/j7i€Q  £^  dßXa- 

ßiuc  ii)t(oqelco  ioTk 

TiäOiv  «(»;{o/te'j'/y, 

^laXiOta  (fiXoTifxi- 

üovrai  näOiv  av- 
25  tor?  naQEj^tiv  d- 

XvTtovg  [(ajg[7idv'cac]   e- 

avtotg,  sTTiiTa  rf* 

ovT(o  /tefyaAo]  7TQ£[Ti:c5g 

TT£iO^'jg[ovT«i\  dv. 
so  konnte  der  Autor  nur  sprechen,  wenn  er  die  svdmuovia  der  Götter 
bereits  dargestellt  hatte.  Auch  der  Ausdruck  o\c  fXQWiMSi]aa߀%>  nsgl  ^swv 
ist  zu  beachten ;  die  Anhänger  betrachten  den  Kpikur  als  einen  ( lott, 
aus  dessen  Munde  wie  von  einem  Orakel  den  Menschen  die  Glückseligkeit 
dargeboten  wird,  so  Velleius  bei  Cicero  §.  43  ;  was  Lucretius  wiederholt 
in  seinen  Prooemien  von  ihm  aussagt,  ist  nicht  poetischer  Erguss,  sondern 
aus  innerer  Ueberzeugung  gesprochen. 

Der  zweite  Theil  der  Rede  des  Velleius  bei  Cicero ,  die  eigentliche 
Lehre  Epikurs  thqI  ^ewr  ist  demnach  hier  nicht  zu  finden ;  die  Fort- 
setzung dieser  Collectio  wird  zeigen,  ob  derselbe  sich  anderswohin  verirrt 
hat,   oder  gänzlich  untergegangen  ist. 


NACHTRAG. 


Die  Frage,  ob  die  vielfachen  Ergänzungen  unserer  Schrift  von  dem 
Engländer  Hayter  oder  von  italienischen  Gelehrten,  den  Mitgliedern  der 
academia  ercolanese  stammen,  ist  an  sich  wenig  bedeutend,  überall  ist 
die  erste  Frage,  ob  das  richtige  gefunden  worden,  untergeordnet  erscheint, 
von  wem  es  gefunden  worden,  doch  soll  auch  dem  Verdienste  die  gebüh- 
rende Ehre  nicht  entzogen  werden.  Petersen,  welcher  meint,  Hayter 
habe  während  seines  Aufenthaltes  in  Neapel  und  Sicilien  sich  leicht 
mit  den  Academikern  benehmen  und  verständigen  können,  urtheilt  etwas 
zu  geringschätzig ,  wenn  er  pag.  5  sagt :  ceterum  non  est ,  quod  de 
instaurationis  honore  inter  se  certent ;  quamvis  enim  multa  bene  et 
sagaciter  sint  restituta,  plura  tamen,  cum  sensu  omnino  careant,  ferri 
non  possunt,  magna  ex  parte  ne  graeca  quidem  sunt ,  certe  neutiquam 
comparanda  cum  iis,  quae  prius  ab  Rosinio  V.  Cl.  hoc  in  genere  prae- 
stita  sunt.  Aber  Hayters  Bericht  gibt  so  wichtige  Aufschlüsse  zum 
Verständnisse  des  gesammten  Gegenstandes,  und  sein  Buch  ist  so  wenigen 
zugänglich  ')  —  auch  Petersen  kannte  es  nicht  —  dass  es  nothwendig 
erscheint,  auf  das  Bedeutendste  kurz  hinzuweisen.  Sein  erster  Brief 
vom  20.  März  1800  enthält  nur  das  Verfahren,  wie  solche  Rollen 
geöffnet  werden,  nebst  Beschreibung  und  Zeichnung  der  Papyrusstaude, 
welche   noch   heutzutage    häufig    in    Sicilien    wächst.     Dagegen    ist    sein 


1)  A  report  upon  the  Herculaneum  MaiiuscriptR ,  in  a  second  letter,  addressed  by  permission 
to   his  Royal  Highness    the   Prince   Regent,   by   tlie   rev.   John   Hayter   A.    M.    CÜiaplain    in 
ordinary   to   the   prince   and   his    Superintendent    of   those    manuscripts,     London    1811.    4, 
woselbst  auch  der  erste  Brief  S.  115 — 37  abgedruckt  ist. 
Abb.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth.  20 


154 

zweites  Schreiben  vom  20.  April  1811  eine  Nachweisung  seiner  ge- 
summten Thütigkeit,  wie  er  seine  Aufgabe  gelöst  hat,  und  dieses  ist  es, 
was  hier  in  besondere  Betrachtung  kommt. 

Im  Anfange  dieses  Jahrhunderts  hatte  der  Prinz  von  Wales  nach 
vorher  genommenen  Einverständnisse  mit  dem  neapolit.  Hofe,  welcher 
in  Folge  der  entstandenen  Unruhen  sich  nach  Palermo  zurückgezogen 
hatte,  den  Dr.  Hayter  dahin  gesandt,  um  die  herkulanischen  Rollen 
genau  zu  untersuchen  und  das  wichtige  mit  aller  Sorgfalt  zu  öffnen, 
damit  dieses  sofort  der  gelehrten  Welt  mitgetheilt  werden  könnte.  So 
kam  dieser  Mitte  Juuius  1800  nach  Palermo,  wurde  von  da  nach  Neapel 
gewiesen,  wo  er  zu  seinem  nicht  geringen  Erstaunen  erfuhr,  dass  diese 
Schätze  nicht  in  Portici  sich  befinden ,  sondern  nach  Palermo  gebracht 
worden  seien.  Er  musste  also  wieder  dahin,  wo  ihm  Schwierigkeiten 
jeder  Art  gemacht  wurden ;  nur  der  thätigsten  Verwendung  des  englischen 
Gesandten,  W,  Drummond^  welcher  selbst  Gelehrter  war  und  daher  das 
grösste  Interesse  für  Hayter's  Aufgabe  zeigte,  gelang  es,  dass,  als  der 
Hof  wieder  nach  Neapel  zog,  im  Januar  1802  auch  diese  Manuscripte 
nach  Portici,  ihrem  frühern  Platze  gebracht,  dem  Dr.  Ha.yter  selbst  aber  die 
Möglichkeit  gegeben  worden,  seinem  Auftrage  nachzukommen ;  hier  nun 
lebte  er  vier  Jahre  in  ununterbrochener  Thätigkeit,  bis  die  französische 
Invasion  1806  ihn  nach  Sicilien  zurückzukehren  nöthigte  und  das  ganze 
Unternehmen  englischerseits  aufgegeben  werden  musste. 

Bis  zum  Beginne  seiner  Thätigkeit  1802,  sagt  Hayter,  sind  in  mehr 
als  vierzig  Jahren  nur  achtzehn  Manuscripte  geöffnet  worden,  S.  41, 
126.  Die  Sache  war  höchst  lässig  betrieben;  eine,  zwei,  höchstens  drei 
Personen  wurden  dazu  verwendet,  S.  123;  Piaggi,  der  Erfinder  der 
Abwiklungsmethode  verstand  von  dem  Inhalte  nichts,  stand  aber  unter 
Aufsicht  des  Mazzochi,  des  gelehrten  Bearbeiters  der  tabula  Heracl,, 
dem  er  jede  entrollte  Columne  mittheilen  musste.  Dieser  hatte  einen 
ausführlichen  Commentar  zu  Philodemus  de  musica  zur  Herausgabe 
ausgearbeitet,  wurde  aber  zuletzt  kindisch  und  geistesschwach,  und  nun 
kümmerte  sich  auch  Piaggi  wenig  mehr  um  diese  papiri,  1787  bei  der 
neuen  Phnrichtung  der  Akademie,  die  ganz  verkommen  war,  erhielt 
C,  Rosini,  Bischof  von  Puzzuoli,  die  Direction  über  diese  Manuscripte, 
welcher   den    ersten  Band   1793,   nämlich    obige  Schrift  des  Philodemus 


155 

negt  fxovöixfjg  herausgab,  wie  Hayter  behauptet  S.  40 — 4,  126,  ganz  aus 
dem  Nachlasse  Mazzochi's,  ohne  auch  nur  mit  einer  Sylbe  dessen  Namen 
zu  erwähnen.  ^) 

Hayter  hatte  vier  fähige  Männer,  worunter  einer  schon  unter  dem 
verstorbenen  Biaggi  gearbeitet  hatte,  an  sich  gezogen,  welche  wieder 
zehn  andere  unterrichteten  und  heranbildeten ;  ihre  Aufgabe  war  die 
sorgfältigste  Aufrollung  der  volumina;  ausser  diesen  waren  Copisten 
bestellt,  welche  das  Entwickelte  in  Facsimiles  genau  zu  zeichnen  hatten. 
Sie  erhielten  nicht  nur  einen  monatlichen  Gehalt  —  die  sämmtlichen 
Kosten  bestritt  der  englische  Prinz  —  sondern  es  wurde,  um  sie  beson- 
ders anzueifern,  überdiess  für  jede  Zeile,  die  sie  abwickelten,  ein  Carlini 
(12  kr.)  bezahlt.  Das  Verfahren,  wie  es  S.  52 — 68  beschrieben  wird, 
ist  der  Sache  ganz  angemessen ;  an  vielfachen  Anständen  jedoch  fehlte 
es  nie.  Hayter  hatte  die  Bücher  des  Epikur  negl  (pvoswg  entdeckt,  was 
begreiflicher  Weise  die  grösste  Aufmerksamkeit  der  Gelehrten  auf  sich 
zog ;  der  Director  des  k,  Museum ,  Oberst  La  Vega ,  wusste  nun  nicht 
nur  den  Druck  derselben  zu  verhindern,  sondern  unter  allerlei  Vorwänden 
auch  die  Facsimiles  und  die  gravirten  Kupfertafeln  von  vierthalb  Büchern 
—  with  the  unexspected  connivance  of  the  Court  —  gänzlich  zurück- 
zuhalten ;  sie  fielen  später  den  Franzosen  in  die  Hände  S.  42.   100. 

Durch  unausgesetzte  Thätigkeit  gelang  es  in  den  vier  Jahren,  wäh- 
rend Hayters  Anwesenheit,  mehr  als  200  Rollen  ganz  oder  theilweise 
zu  entwickeln ;  die  dazu  bestellten  Leute  hatten  bereits  eine  solche 
Uebung  und  Erfahrung  gewonnen,  dass  in  einem  Zeiträume  von  sechs 
Jahren  die  noch  vorhandenen  1500  Stücke  vollständig  geöffnet  werden 
konnten   S.   102.     Die    französische  Invasion    hatte  Alles    vernichtet,    es 


1)  Auch  Drummond  sagt  in  seinen  Hercul.  von  Rosinis  Commentar,  which  will  bear  a  lasting 
testimony  to  the  profound  learning,  either  of  the  ecUtor  liimself,  or  of  his  master,  the  cclebrated 
Mazzochi.  Rosini  war  als  Italiener  auf  den  Engländer  und  das  ganze  Unternehmen  der 
Fremden  höchst  eifersüchtig,  überdiess  weit  mehr  französisch  gesinnt.  Die  Erklärung  der 
Fragmente  Epikurs  von  demselben  (Neapel  1809)  zeigt  keinen  so  ganz  unwissenden  Men- 
schen, wie  ihn  Hayter  schildert,  und  hier  konnte  er  Mazzoc/ü's  Gelehrsamkeit  nicht  aus- 
nutzen. Aber  so  sehr  der  Engländer  gegen  Rosini  eifert,  eben  so  rühmt  er  das  herzliche 
Entgegenkommen  des  alten  Abt  Foti,  den  ihm  der  neapolitanische  Hof  gleichfalls  zur  Seite 
gegeben  hatte.  He  was  the  best  Grcek  scholar,  with  whom  I  ever  met  in  Naples  er  in 
Sicily.    S.  44—5. 

20* 


Iöl5 

kostete  dem  englischen  Gesandten  Drummond  nicht  wenige  Mühe,  selbst 
die  Facsiiuües  von  1)4  Rollen,  welche  Hayter  noch  nach  Palermo  gerettet 
hatte,  ans  den  Händen  der  sicilischen  Regierung  in  die  des  englischen 
Prinz-Regenten  liefern  zu  kchnien,  welcher  sie  der  Universität  Oxford 
zum  Geschenke  machte,  es  sind  die,  welche  in  der  Praefatio  des  ersten 
Bandes  der  Oxon;  Hercul.   Vol.   verzeichnet  stehen. 

Dieses  ist  der  wesentliche  Inhalt  des  weitläufigen  und  keineswegs 
sehr  geniessbar  geschriebenen  P)riefes  an  den  Prinz-Regenten ;  man  kann 
den  Erfolg  seiner  Thätigkeit  nur  n'iiimeii.  Beweise  und  Beispiele  philo- 
logischer Kenntniss  der  Sache  wie  der  Sprache  sind  allerdings  nirgends 
gegeben ,  das  war  auch  nicht  seine  Aufgabe ,  diese  war  vielmehr  nur, 
eine  möglichst  genaue  Abschrift,  ein  treues  Facsimile  der  Urkunde  zu 
liefern ,  die  weitere  Behandlung  des  Gegenstandes  selbst  konnte  andern 
Gelehrten  überlassen  werden,  aber  das  S.  G4 — 8  befolgte  Verftihren  bei 
den  Fragmenten  des  Epikurus  zeigt  jedenfalls  von  richtiger  Erkeuntniss, 
er  suchte  nur  nebenbei  das  Fehlende,  wenn  auch  sich  selbst  wenig  genü- 
gend, zu  ergänzen. 

Dass  der  englische  Gesandte  W.  Drummond,  welchem  nach  langen 
Streitigkeiten  die  sämmtlichen  noch  erhaltenen  Facsimiles  von  der  Sicil. 
Regierung  eingehändigt  wurden,  aus  diesen  gerade  ein  so  interessantes 
und  wichtiges  Stück  ausgewählt  und  mit  Genehmigung  des  Prinz- 
Regenten  als  eine  Probe  dessen ,  was  man  zu  erwarten  habe ,  zuerst 
veröffentlicht  hat,  zeigt  von  richtigem  Tacte;  wahrscheinlich  war  er 
durch  Hayter  auf  Cicero  aufmerksam  gemacht  und  dadurch  zur  Heraus- 
gabe veranlasst  worden;  jedenfalls  wollte  er  seine  orientalische  und 
occidentalische  Gelehrsamkeit  zeigen;  denn  das  Buch,  so  gelehrt  es  ist, 
enthält  des  überflüssigen  und  unnützen  nur  allzu  viel,  dessen  aber,  was 
gerade  gefordert  wurde,  zu  wenig.  Ihm,  der  in  so  vielfacher  Beziehung 
zu  Hayter  stand,  welcher  ihm  sicher  alles  wesentliche  mitgetheilt  hatte,  da 
er  dessen  Verwendung  so  oft  bedurfte,  mussten,  sollte  man  denken,  alle 
Verhältnisse  genau  bekannt  sein ,  es  konnte  ihm  also  kaum  unbekannt 
bleiben ,  ob  die  versuchte  Herstellung  des  Textes  seinem  Landsmanne 
gebühre,  oder  wie  er  wiederholt  sich  ausdrückt,  S.  XII.  124.  157  seqq. 
den  Akademikern  von  Portici.  In  der  Dedication  ist  Hayters  Name 
angedeutet,  wo  gesagt  wird,  dass  man  nach  Aufrollung  der  Manuscripte 


15,7 

fähiger  Männer  bedurfte,  diese  ab-  und  umzuschreiben  and  supply  those 
deficiencies  in  the  text  which  but  too  frequently  recurred.  At  the 
head  of  the  directors  of  this  difficult  undertaking  were  Rosini,  the 
editor  of  Philodeinus,  an  English  geutleman ,  sent  out  for  the  purpose 
bj  your  Royal  Highness,  and  we  believe  a  NeapoHtan  priest ,  supposed 
to  bee  deeply  versant  in  the  ancient  literature.  Dieser  neapolit,  Geist- 
hche  kann  nach  obigen  nur  der  gelehrte  Abt  Foti  gewesen  sein ;  wir 
haben  also  hier  bereits  drei  (jelehrte ,  welche  mit  der  Ergänzung  und 
Herstellung  des  Textes  beschäftigt  sind ,  und  da  Hayter ,  wie  er  selbst 
sagt  S.  !)1  vom  Könige  zum  Academico  Ercolanese  ernannt  wurde,  so 
ist  auch  er  unter  dem  Ausdrucke  der  Akademikei"  von  Portici  mitbe- 
griffen. Wichtig  ist  besonders  die  Stelle  der  Vorrede  über  den  Streit 
der  Auslieferung  dieser  Facsimiles  S.  XL  The  English  Minister  (nämlich 
Drummond  selbst)  made  several  applications  on  the  Court  of  Palermo 
to  have  the  copies  restored ,  but  without  success  until  the  month  of 
August  1807.  It  was  pretended,  that  according  to  the  original  agree- 
ment  the  MSS.  should  be  published  in  the  place  where  his  Sicilian  Majest}^ 
resided,  tliat  several  Neapolitans  had  assisted  in  correcting  sup- 
plying  and  translating  them,  that  his  Sicilian  Majesty  had  never 
resigned  his  right  to  the  possession  either  of  the  Originals  or  of  the 
copies ,  and  that  as  a  proof  of  this  right  being  fully  recognized ,  the 
copies  had  been  deposited  by  Mr.  Hayter  him  seif  in  the  Royal  Museum 
at  Palermo.  It  was  however  finally  agreed,  that  the  MSS.  should  be 
given  up  pro  tempore  to  Mr.  Drummond,  who  immediately  replaced 
them  in  the  hands  of  Mr.  Hayter. 

Danach  scheint  Drummonds  Ausdruck  völlig  gerechtfertigt  und  ein 
mit  vereinten  Kräften  gemachter  Versuch  angedeutet;  da  mir  dieses 
Verhältniss  nicht  bekannt  gewesen  ist,  habe  ich  der  Kürze  halber  diese 
Academici  gerade  zu  in  Itali  umgesetzt,  was  nicht  richtig  ist,  weil  auch 
ein  Engländer  unter  diesen  ist.  Nun  erklärt  aber  Hayter  in  einer  kurzen 
Bemerkung  zu  Drummonds  Herculanensia  als  Nachti-ag  seines  Briefes 
S.  139  —  41,  dass  die  Ergänzungen  der  Lücken  in  dieser  Schrift  von 
ihm  ausgehen,  the  Manuscript  rregl  rwv  ^f-wv  published  in  the  Hercula- 
nensia .  .  was  decyphered  and  its  lacunae  tilled  up  by  me  .  .  there  may 
be,  and  there  probably  are,  wrong  conjectures  in  my  Supplements,  nur 


158 

möge  man  ihn  iiiclit ,  wie  os  in  Recensionen  des  Buches  geschehen  sei, 
für  liio  Druckfehler  daselbst  /ur  Verantwortung  ziehen.  Diese  Angabe 
veraTilasste  mich,  solchen  Anzeigen  nachzugehen  und  ich  fand ,  was  ich 
nicht  erwartet  hatte. 

Schon  der  erste  Aufsatz  des  Februarheftes  in  Quarterly  Review 
desselben  .Jahres,  in  welchem  Drummond's  Herculanensia  erschienen  sind 
1810,  enthält  einen  tief  eingehenden  Bericht  über  unser  Manuscript 
Vol.  111,  S.  1 — 20.^)  Der  Recensent  hat  sich  nicht  genannt,  man 
erkennt  aber  leicht  schon  aus  der  Vorliebe  zu  den  griechischen  Dichtern 
einen  der  fähigsten  Schüler  Porson's,  wie  Dobree,  Elmsley  und  nur 
nocli  wenige  andere  gewesen  sind.  Was  einige  zwanzig  Jahre  später 
Petersen  richtiges  gegeben  hat,  ja  sehr  vieles,  und  keineswegs  das 
schlechteste,  was  nach  einem  halben  Jahrhundert  ich  in  vorliegender 
Abhandlung  zuerst  festgestellt  zu  haben  glaubte,  ist  bereits  hier  zu 
finden ,  ein  neuer  Beweis ,  wie  wenig  deutsche  Philologie  heutzutage 
grosse  Ansprüche  zu  machen  berechtigt  ist.  Er  erkennt  das  missliche, 
dass  der  Text  in  Cursivlettern  geschrieben  ist  und  verwandelt,  um 
sicherer  zu  gehen ,  die  erste  Columne  selbst  in  Uncialschrift ,  er  wolle 
zwar  nicht  für  jede  seiner  (lonjecturen  unbedingt  einstehen,  aber  vieles 
sei  doch  unwiderleglich ,  und  so  ist  es.  Auf  diesen  Bericht  bezieht 
sich  Hayters  Antwort :  Observations  upon  a  Review  of  the  Herculanensia 
in  tlie  Quarterly  Review  of  last  Febr.  in  a  letter  to  the  R.  H.  Sir 
W.  Drummond,  to  which  is  subjoined  a  Letter  to  the  Author  from  Sir 
W.  Drummond.  1810.  4.  Was  hier  dem  Kritiker  erwidert  wird,  was 
die  beiden  betheiligten  Personen  selbst  gegenseitig  einander  erklärt 
haben,  ist  mir  unbekannt,  da  auch  Göttingens  in  dieser  Literatur  so 
reichhaltige  Bibliothek  mir  das  Werk  nicht  zur  Einsicht  gewähren 
konnte.  Hayter  wird  wahrscheinlich  gezeigt  haben,  dass  es  nicht  seine 
Schuld  war,  wenn  die  Facsimiles  so  entstellt  veröffentlicht  worden,  und 
stand  iinn  deren  Einsicht  und  Benutzung  noch  zu  Gebote,  so  musste 
er  durcli  Proben  dieses  darthun ;  jetzt  hatte  er  Gelegenheit ,  wenn  er 
anders  der  kundige  und  fähige  Mann  war,  wie  von   seinem  Recensenten 

1)  Eine  andere  nicht  so  Ijcduiitciide  Aii/rifri;  steht  im  Edinburgh  Review  1810,  tom.  XVI, 
36Q_g4.  Ob  vii'Uiücht  auch  sonst  noch  später  solche  belehrende  Anzeigen  erschienen  sind, 
ist  mir  unbekannt. 


159 

Belehrung  anzunelimen,  so  auch  weitere  zu  geben,  und  hier  musste  die 
Erklärung  folgen ,  dass  die  Ergänzungen  der  Schrift  nur  sein  Product 
seien,  nicht  von  den  Italienern  ausgehen,  auch  nicht  als  das  gemeinsame 
Werk  beider  betrachtet  werden  dürfen.  Man  wird  schwerlich  von  dem 
richtigen  weit  abgehen,  wenn  man  überhaupt  den  im  nächsten  Jahre 
1811  erschienenen  ausführlichen  zweiten  Brief  Hajters  an  den  Prinz- 
llegenten  durch  die  Veröffentlichung  dieses  Manuscriptes  hervorgerufen 
betrachtet.  So  sehr  er  eine  deutliche  Lobeserhebung  des  Drummond 
als  Gresandten  für  seine  thätige  Verwendung  ist,  wozu  dieser  indessen 
durch  seine  amtliche  Stellung  verpflichtet  war,  eben  so  ist  er  eine 
stillschweigende  Klage  gegen  denselben  Drummond  als  Herausgeber  jener 
herkulanischen  Rolle.  Hayter  fühlte  seine  Thätigkeit  zu  wenig  beachtet 
und  sich  dadurch ,  dass  die  Ergänzungen ,  welche  von  ihm  allein  aus- 
gehen ,  den  Akademikern  von  Portici  zugeschrieben  werden ,  verletzt, 
eine  Empfindlichkeit,  die  leicht  begreiflich  ist.  ^) 

Um  die  Bedeutung  jener  Ilecension  zu  zeigen,  will  ich  hervorheben, 
was  daselbst  bereits  enthalten  ist,  Aenderungen,  welche  später  Petersen 
gegeben  hat,  sind  col.  II  (V  Neap.)  16  [Mfjjva  statt  [Jlajva  mit  Ver- 
weisung auf  Casaubonus  Note  zu  Script,  hist.  Aug.  p.  132.  v.  32  är^gu)- 
7io£i6sig  III  (VI)  3  Tor  statt  ro.  4.  t6v  ök  dicc  li^g  statt  Jta,  aber  unser  Apogr. 
hat  Tdv  <J*  a[v]TrJg,  für  JIA  ist  kein  Raum.  IV  (VI)  4  avroixfiooosoi,  auch 
der  Rec.  in  Edinb.  Rev.  glaubt  nur  einen  Druckfehler  zu  finden,  was 
keineswegs  der  Fall  ist.  9  xaragx^?  für  xai  uqxuc.  VI  (IX)  14  ^ir^Tiv  xaXfT- 
a^ai,  30  TQiToy£v]£iav.  VIII  (XI)  2  Zusatz  der  Negation  ov.  IX  (XII)  (pai- 
vso^ai,  aber  das  Apogr.  hat  vollständig  yjaivstai.  X  (XIII)  34  uisXovqov. 
XI,  33  ivaqyöjg  dvmOißrjiovq.  XII  (XV)  2  /.s'yovvag.  19  d'rj  statt  stti;  aus  den 
Schlussworten  wird  gefolgert,    das  Buch   habe  nicht  die  Aufschrift   Tregt 


1)  De  lorio  Real  Museo  Borbonico,  officina  de'  papiri,  Napoli  1825,  S.  55  gibt  folgende  Erklä- 
rung: vi  dimorö  (Hayter)  anni  cinque,  ed  in  questo  frattempo  nell"  officina  dai  soliti  svol- 
gitori  si  saggiarono  195  pezzi,  de'  quali  non  pochi  disegni  furono  partati  dal  Signor  Hayter 
in  Inghilterra.  Depo  qualche  tempo  comparve  un  frammeuto  di  i)apiro  pnblicato  in  Londra, 
e  tradotto  in  due  letture,  attribuendo  la  piü  inesatta  (! !)  di  esse  agli  Accademici  Ercolanesi. 
Ma  questa  pretesa  illustrazione  non  si  ritrova  ne'  due  volumi  giä  pubblicati,  ne  oltre  di 
questi  vi  esiste  un  sol  rigo  di  papiro  illustrato  dalla  dotta  Accademica.  Ob  der  Mann  die 
Londnerausgabe  je  gesehen  hat?  verstanden  hat  er  sicher  nichts  davon,  sonst  konnte  er 
nicht  So  unwissend  in  den  Tag  hineinreden. 


uüv  iVfwr,  sondern  ^t^qi  fi'atßti'ac  xcn'  ^ni'xovQov  getragen.  So  richtig  die 
r^ezeichnung  mit  den  ersten  zwei  Worten  tc^qI  evosßsiac,  getroffen  ist, 
so  falsch  ist  das  ganze,  die  Stelle  ist  dnrcli  flüchtige  Anschaunng  völlig 
uiissverstanden  und  dem  Verbnni  nnqaYQdffeiv  die  Bedentung  finire  gege- 
ben; richtig  dagegen  ist  der  Gedanke  im  Kdinb,  Rev.  anfgefasst,  wo 
ausser  tl')^  auch  noch  v.  22  avrov  (statt  aikov),  wie  Petersen  geschrieben 
hat.   vorlangt  wird. 

Ergänznngen  dagegen,  welche  ich  hier  mitgetheilt  habe,  finden  sich 
dort  schon  angegeben  II  (V)  18  Tf\^fTo^]ai.^)  2  die  ganze  wichtige  Stelle 
bereits  fast  gerade  so  hergestellt  xlal  rSv  nXd\ru)va  mg  sdv  (nur  toV  ist 
noch  hinzugesetzt  und  der  Artikel  nicht  unpassend,  auch  der  Raum  der 
Lücke  nicht  entgegen),  A:  jd  d'  fig  ^6Y  aliUQu.  \?i  ydQ.  18.  'A^tjvär.  X  (Xlll) 
1    xih-,    15    rrgdc  ä  {.isyiOTOic.    XI   (XIV)    14    uäixiag. 

Aber  es  ist  noch  viel  mehr  mitgetheilt,  welches  Beachtung  oder 
Zurückweisung  verdient,  damit  nicht  andere  dasselbe  Versehen  machen. 
Manches  erklärt  sich  durch  das  neue  Apographum ;  hätte  dieses  und 
das  englische  l-'acsimile  unserm  Kritiker  zu  Gebot  gestanden  und  er 
dem  Gegenstande  anhaltende  Aufmerksamkeit  geschenkt  —  dass  die 
Anzeige  unmittelbar  sogleich  nach  dem  Erscheinen  des  griechischen 
Textes  gedruckt  worden ,  deutet  auf  eine  flüchtige  Durchsicht  —  so 
würde  er,  ich  spreche  es  offen  aus,  weit  mehr  geleistet  haben ,  als  mir 
zu  leisten  möglich  war.  Darum  will  ich  nichts  von  dem  übergehen, 
was  er  zum  Verständnisse  des  Textes  beigetragen  hat.  Er  hat  sogleich 
die  erste  Columne,  die  unleserlichste,  als  Muster  gcAvählt  und  sie  in 
folgende  Weise  herzustellen  gesucht 

xaXfT\v  dg  jrjv  nqo- 
eÖQiav.  ovrmg  insl 
TicxQadidovTai  Tiveg 
(x]iv  dyadol  xal  svsQ- 
5  ysTixol,  xiXevGfiv 
TilJ,u\v  aihotfg  [^voi- 
ut,\g  TOiaihaig,  avtdg 
t)"]  ov[x]  svl^uOdcci  Toig 
^ioTg.  [fx]o)Q[C]av  ydq 


\)  Der  Kec.  in  Kd.  Uev.  vormutlict  rt[r«/*]«'' 


161 

10  äv  sivai  firßd-iv  6isi- 

X[rjg)ö^7C(  ttsqI  avTMV 

3^0QVfit]lv  iavTov.  dX- 

Xa  0£ß€U^]ai.  XqvOitt- 

Tzog  di  %d  n^äv  inl  Ji'a 
15  dva(f£'QO)V  e^']  rm  nqw- 

TM   ntQi   ^£(iör\  Jia  (prj- 

Oiv  slvai   vovvj  dndv- 

Toov  xul  Trd]vTa  Xöyov 

xai   rrp'  rov  oXov  xpv- 
20  /fyV  xal  -rrj  tovtov 

f.i,[^v  ngovoia]  ndvta 

7iavta%ov  yiv£l^o\ßat, 

x^al  \Td  ^oTa]  xcd  tovq  X[i- 

■if\ovg.   6iu  xa'i   Zfjva 
25  xuXeToi^ai  dtd  dotl  r>- 

QIOV,    TOV    le    XÖG/IOV    adö- 

fia]  s'i^ipvxov  slvai,  xal 

^edv  [srr^ai,  rd  )^[y£/iov(- 

xSv  [xja/.  trjv  [rov  xJoGfXOV 
30  tpt'xrjr,  xal   [ovT]co[g  /iM' 

a\vttXyo r  fvv\d^£0- 

^ai  TOV  Jia^  xal  rrjv . 

xoivijr  TrdvTwv  [slvai^  (pvOiv. 

muss  man  es  auch  für  eine  Verwegenheit  halten,  auf  diese  Weise  Scharf- 
sinn und  Kenntniss  zu  missbrauchen,  so  zeigt  doch  eine  nähere  Ver- 
gleichung  alsbald  die  Vorzüge  dieser  Ergänzung  sowohl  von  Seite  des 
Gedankens  als  der  Sprache,  v.  13  wird  Chrysippus.  eingeführt  und 
richtig  ist  erkannt,  dass  EIJIJIA  nicht  ein  Verbum  enthalte  [imdiaxQivm' 
Hayter,  sniSiaTdoowv  Petersen),  dass  der  Begriff  vielmehr  sei,  alle  Bedeu- 
tung werde  auf  Zeus  als  den  Inbegriff  alles  (iöttlichen  gelegt,  also 
£Trl  Jia.  Aber  Chrysippus  war  nicht  der  erste,  der  dieses  that,  und 
der  Uebergang  zu  ihm,  dem  Haupte  der  Stoa,  kaum  durch  ein  einfaches 
6i  eingeleitet,  wie  bei  seinem  Anhänger,  Diogenes,  v.  14.  iatu  vero 
Chrysippus  führt  ihn  Cicero  ein ;  wahrscheinlich  stand  hier  jtX[Xd  firjv 
x]al  XQvOiTinog.  Vortrefi'lich  ist  das  nächste  Jia  (frj[Oir  t-ivai  voPv]  anav. 
Die  editio  princeps  hat  6ta  Qtj,  so  dass  ein  Buchstabe  zu  fehlen  scheint, 
woraus  Hayter    diuQQrjdrjv  Tr]v  (pQ£va  ndvtwv  machte ,    was    Petersen    unbe- 

Abli.  d.  I.  (  1.  a.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  1.  Abth.  2 1 


UV2 

denklich  aufgvnomiuen  hat:  iU>r  Kritiker  aber  gibt  Jia  (prj[ah'  thai  vovr^ 
uTTttv,  und  in  (Ut  Tliat  hat  unser  A[)(>gr.  deütlieli  JlAd'U  ohne  irgend 
eine  Lücke:  der  Aus^druck  vovy  ist  eben  so  geeignet  als  i^^iva  falsch, 
dieses  Wort  wird  in  diesem  Sinne  bei  den  Philosophen  nie  für  votK 
oder  Xoyoc  gebraucht.  Auch  die  liereinziehung  der  Trqorota  v.  21  ist 
nicht  nnpassend,  aber  i^t[^.i\  das  schon  v.  4  auffallend  und  bedenklich 
ist,  kann  weder  hier  noch  \.  21  und  80  stehen;  sichere  Ergänzung  ist 
überhaupt  nicht  inr)glich.  v.  2G  findet  er  25  Buchstaben  (es  sind  23) 
was  für  eine  Zeile  /.u  viel  ist,  streicht  deswegen  rov  am  und  versteht 
nun  einen  gar  nicht  üblen  (bedanken  hineinzulegen.  Dieses  ist  ein  deut- 
liches Beispiel ,  welches  zur  Vorsicht  mahnen  muss ,  er  konnte  nicht 
wissen  oder  vei-nmthen ,  dass  im  Oiiginale  über  oder  unter  der  Zeile 
ausgefallene  Worte  eingeschaltet  sind;  hätte  er  Hayters  Facsimile  vor 
Augen  gehabt,  er  würde  vielleicht  wie  ich  darüber  geurtheilt  haben; 
die  Schuld  trifft  den  Herausgeber  Drummond,  der  so  unkritisch  und 
sorglos  mit  dem  Texte  verfahren  ist,  unserm  Kritiker  aber  dennoch 
Gelegenheit  gegeben  hat,  einen  geistreichen  Gedanken  aufzufinden  und 
in  die  Buchstaben  einzuilechten,  nämlich  tov  ts  xöGfiov  ow/i«  efixi'vxov  slvai. 
er  hat  jedenfalls  i-ichtig  erkannt,  dass  die  überflüssigen  Worte  nicht 
in  diesen  Satz  gehören,  v,  30  ist  Hayters  Supplement  beibehalten, 
aber  es  gil)t  weder  Sinn  noch  Zusammenhang,  ebensowenig  verständlich 
ist  die  Vermuthung  in  Edinb.  Kev.  580  xai  [ot'V](ö[s-  a]valyov  tv  vlofxiXso^&ui 
TOT  Ji'tt,  man  sagt  uvakytc  oder  dvdXyi^rov. 

Da  mit  Zeile  12  Chrysippus  eingeführt  wird,  ist  das  vorausgehende 
von  einem  Vorgänger,  wie  man  aus  Cicero  sieht,  Persaeus,  gesprochen. 
Lusere  Sammlnng  gibt  ausser  den  24  Fragmenten  noch  drei  Columnen, 
von  welchen  Diinnmond,  weil  sie  zu  schadhaft  sind,  gar  keine  Erwäh- 
nung macht.  Das  untere  Stück  der  zweiten  Columne  enthält  noch 
folgende  Buchstaben 

yior .  N  Hror 

EN  .   Sil  KOC 
KAI  .   ON  ENA 

noNAnoT  G 

5  &AI  .  HEICA  .   .  .  .  JH 

V 

AOCECTIN 


163 

ZS2  .    TO  .  AI  MONI  .  . 
H  MH0E  .  .   -    EP  AV^) 
10   TOr  riNüCKÜNOTAN 
BN  .  nEPI  &Ei2NMH 

schon  das  Randzeichen  lehrt,  dass  dort  ein  neuer  Abschnitt  beginnt, 
und  die  Ergänzung-  O^at.  [o]  nf-Qaa\Toc  61]  6'i]hk  sütiv  .  .  yivolaxurv  ergibt 
sich  von  selbst.  Was  Philodemus  in  fast  zwei  Seiten  von  diesem  Stoiker, 
mit  Beziehung  auf  dessen  Buch  thqI  dtmv,  gesagt  hat,  ist  von  Cicero  in 
einen  Satz  kurz  zusamrnengefasst :  at  Persaeus  eiusdem  Zenonis  auditor 
eos  dicit  esse  habitos  deos ,  a  quibus  magna  utilitas  ad  vitae  cultum 
esset  inventa ,  ipsasque  res  utiles  et  salutares ")  deorum  esse  vocabulis 
nnncupatas ,  ut  ne  hoc  quidem  diceret ,  illa  inventa  esse  deorum ,  sed 
ipsa  divina.  Darauf  nun  beziehen  sich  auch  die  zwölf  Zeilen  der  vierten, 
resp.  ersten  Columne,  aber  v.  7 — 12  aus  dem  erhaltenen  den  wahren 
Gedanken  zu  finden ,  und  diesen  in  seine  Worte  zu  kleiden ,  d,  h.  die 
Lücken  richtig  auszufüllen ,  ist  bis  jetzt  noch  nicht  gelungen.  Was 
unser  Kritiker  wollte,  lehrt  dessen  Uebersetzung,  er  hat  nämlich  das 
ganze  Stück  S.  12 — 5  in  seine  Sprache  übergetragen,  man  erkennt 
überall ,  auch  wo  man  nicht  beistimmen  kann ,  den  verständigen  und 
denkenden  Mann ,  aber  er  kann  öfters  seinen  Gedanken  nicht  ohne 
gewaltsame  Aenderung  Eingang  verschaffen.  So  ist  es  nicht  erlaubt 
V.  9  dwQsdv,  was  auch  unser  Apographum  ganz  deutlich  gibt  —  dasselbe 
hat  V,  8  das  Futurum  tv^eu^ai  übereinstimmend  mit  xeltvotiv  —  in 
fiMQtav  zu  verwandeln,  vielmehr  muss  dieses  duiQ^dv  eine  sichere  Basis 
bilden,  auf  welcher  der  richtige  Gedanke  erst  zu  finden  ist. 

II  (v)  10.  cog  [xal]  ^irj6i,  ein  unnöthiger  Zusatz,  wie  auch  sonst; 
hätte  Drummond  den  Text  in  der  Form  gegeben,  wie  er  ihm  überliefert 
war,  so  hätte  der  Anblick  der  Tafeln  und  die  entsprechenden  Buch- 
staben der  Zeilen  den  Rec.  von  allen  solchen  Versuchen    fern  gehalten. 


1)  Ob  v7Ti()  (iVTov  oder  fVfp'  uvtov  gewesen,  ist  mit  Sicherheit  nicht  zu  entscheiden,  gemeint 
aber  scheint  Ariston,  von  dem  Cicero  §.  37  sagt,  dubitetque  omnino  deus  animans  necne 
sit.  also  (jioiiqov)  ^täf  zo  äaifiofiov  ^  firi. 

2)  Darauf  beziehen   sich    wohl    die    Worte    Col.  III   ..   .  tpuivta^ai    ra   ntQ\i]    r«   T^irforra   xal 
wfpi'/.ovvTa  ....  vtvo[j.ia  .  .  . 

21* 


KU 

(^v.  22  tler  Kec.  dvv  \\d.  R.  oan/,  wiUkürlicli  dxoiixrj\Tov).  v,  25.  ro'  [ycoj^ 
Ja'  io»'  '.-i.TfUAw  statt  Toi>c  (f^,  was  das  Apographum  ganz  deutlich  gibt; 
nur  ein  Missverständniss  hat  zu  dieser  Vennuthung  geführt;  die  einen 
bezeichneten  den  ai^t'^Q  mit  dem  Namen  des  Zeus,  andere  aber  mit  dem 
de»  Apollo.  V.  31  nXüxTfGi^m  [arVorjc  drdqlwnosiSsTc,  x«^']  ov  tqötiov.  Der 
Anblick  des  Apogr.  zeigt,  dass  für  die  erste  Ergänzung  die  Lücke  zu 
klein  ist,  es  fehlen  nur  drei  Buchstaben,  daher  auch  o^tovg  von  Petersen, 
welcher  ebenfalls  dv&gwTToeidth  gegeben  hat,   nicht  wahrscheinlich  ist. 

III  (VI)  19  (eva(ftgft  {fiv,'/ix]d  statt  liayters  \OH\a,  falsch,  richtig 
dagegen  Petersen  druiftQÖ^usra.  23  ov]c,  dadurch  wird  das  Verbum  ntigdtai 
zu  Kleanthes  gezogen,  das  Subject  aber  ist  vielmehr  Chrysippus,  daher 
Petersens  wg  vorzuziehen,  auch  spricht  die  Lücke  mehr  für  einen,  als 
für  zwei  Buchstaben.  Dagegen  hat  unser  Censor  v.  2(i  mit  avtc5[v 
recht  gegen  Petersens  avrov.  «s  sind  die  beiden  Stoiker  gemeint, 
29  vtog  .  .  .  xur,  was  Hayter  mit  g/,ov  ergänzt,  unser  Kritiker  in  wc  (prjai 
verändert ;  aber  ridc  fordert  der  Uedanke  und  steht  im  Texte  ganz  deutlich, 
die  Lücke  umfasst  zwei,  höchstens  drei  Buchstaben,  ich  hatte  sie  durch 
vidc  [log]  xdv  ZU  füllen  gesucht.  24  wird  ohne  allen  Grund  (ir^dlv 
statt  |U?y  geschrieben,  da  nichts  ausgefallen  ist. 

IV  (VIT)  5  xdv  T(ü  tt£qI  uqstwv  [nQuho)  i]o»'  Jia  roßoi'  (prjol^v]  €ivai. 
Der  Gedanke  ist  richtig  erkannt,  JIA  ist  nicht  Praeposition ,  wie  noch 
Petersen  angenommen  dqfTmv.  [roiomlov  Sid  vofiov  (prjoiv  shui.  Der  Zusatz 
TtQunia  ist  unrichtig,  aber  es  ist  nicht  die  Schuld  des  Kritikers ;  er  hätte 
sicher  dasselbe,  was  ich  oben  S.  13G  gegeben,  wäre  er  nicht  durch  den 
falschen  Text  mQ  .  uqtroiv  statt  ntgi  .  agircov  ine  geführt  worden.  15  statt 
liayters  ovvo)'\f.i[oO£  wird  ownuoloysi  vermuthet,  was  schon  der  Raum 
nicht  gestattet,  eben  so  wenig  hat  v.  19  ein  [jxtv]  von  rryi-  Platz 
32  schliesst  die  Columne  mit  xai  Xoyovc  t,  die  nächste  aber  beginnt  mit 
ro)Ta(  navtac.  Da  tvonai  kein  griechisches  Wort  ist,  wird  geistreich  ver- 
muthet, es  sei  eine  Zeile  ausgefallen,  etwa  xal  Xdyovg  ilTidyn  .  .  olc  r)  dö^a 
TKTtvx^vcarai   navtac. 

V  (VIII)  16  wird  nach  rdv  am  Ende  der  Zeile  ^liv  eingesetzt,  was 
man  nach  dem  Cursivabdruck  für  thunlich  halten  könnte,  unser  Apogr. 
zeugt,  dass  dieses  wie  sprachlich  nicht  nothwendig,  so  räumlich  nicht 
möglich  ist;    richtiger    scheint  v.    10   niQiexi^\iy  dl,   oder   wie    in  Edin.  R. 


165 

7ifQisxs[a^ai  6i  der  Zusatz  der  Partikel,  aber  unser  Text  gibt  imdQlxfiv] 
rj  TtsQisxt  .  .  wodurch  die  grauimatische  Verbindung  hergestellt  ist.  25  ovS' 
fiaSvasiv  .  .  ot'J"  dokr'jXpsiv ,  man  sagt  krjipso^ai.  28  ftvm  rä  ts  rov  Jiog. 
31   TToOftSälra  [elrai]  nicht  nothwendig. 

VI  (IX)  IG  SV  [fx^v  wozu  hier  so  wenig  Platz  ist,  wie  21  zu  (fo)vt]v 
[fivai]  fx,  aber  auch  kein  Erforderniss.  24  vnod s^i'^ai  Ss  tov^"  fm  rrj 
Te'xvrj  ovvs^tj  i]  (pQovijoig.  Dem  Gedanken  ist  vTiodtT^ai  wohl  angemessen, 
stimmt  aber  wenig  mit  den  Buchstaben  unsers  Apogr.  Was  ows^t] 
soll,  verstehe  ich  nicht,  sonst  ist  die  Stelle  geordnet,  wie  ich  sie  S.  142 
gegeben  habe.     29  ilccXXdSa,  richtiger  Petersen   TQitwvida. 

VII  (X),  4  avltfjc.  (11.  Im  Edinb.  R.  ov%  oXo^g  xarslnrov  ...  V.  15  yin- 
Udai  ä^,  beides  falsch).  17  ol  TroXlovg.  19  xäv  Iva  jxuvov  XiiirwOiv, 
dvaiqdv.  21  toTg  noXXoig,  SO  hat  unser  Apogr.  31  (isßeX/jxaoiv  statt  des 
ungewöhnlichen  fifftrjxaoiv    34  tivdg. 

VIII  (XI)  12  xa&drrfQ  [xal]  nicht  noth wendig  und  kein  Platz  dafür. 
o4.   S'  woainoDg  nicht  richtig. 

IX  (XII)  20  [oJc]  l-vioi.  ol  d(f^d()ijvc,  dem  Gedanken  nach  richtig, 
aber  xaiy)^uQroi>g  ist  die  Krasis. 

X  (XIII)  19  td  [yr^Qfta]  Snl  sehr  schön  nach  Nikander  old  ra  6t]  yi^gna 
vilovg  Tf^Qv^inivu  ndjinov  vsq"  eTunXd'Cono,  doch  ist  der  Raum  ZU  so  vielen 
Buchstaben  nicht  ausreichend. 

XI  (XIV)  2  orav  re  X[syoi']oi ,  ein  grammatisches  Versehen,  das  nur 
die  damalige  Zeit  (1810)  entscliuldigt.  11  d(ps"ieG&ai ,  statt  d(fsv'§eoihai, 
woraus  Petersen  dnocpev^ea&ai  gemacht  hat,  das  neue  Apogr.  hat  das 
richtige  mit  unserm  Kritiker.  Dagegen  ist  13  ok  ii]bi'  unrichtig. 
24  fiX£7T[e]Tm  d'  ov[v  oVt]  xai.  Hayters  Correctur  ßXs7T[>f\Tai  im  Sinne: 
man  sehe  auf  alle ,  ist  sprachlich  etwas  auffallend  und  ungewöhnlich, 
aber  für  on  ist  kein  Platz,  man  könnte  auch  an  den  Imperativ  ßXt'nfie 
denken,  aber  man  sieht  keine  Spur  einer  Correctur. 

XII  (XV)  2  ^fol  doxovvxag  oder  Xkyuviag,  im  Edinb.  Rev.  wird  d^fol 
Ssixvvovjag  verum thet.      9    amfcojr. 

Die  Abweichung  des  englischen  und  neapolitanischen  Apographum 
wird  um  so  auffallender,  wenn  man  aus  den  Unterschriften  des  Letztern 
vernimmt,  dass  dieses  von  denselben  Copisten  ausgeht,  welche  Hayter 
für  seine  Arbeit  verwendet  hat.     Die  Vermuthung  liegt  nahe ,    dass  die 


16G 

erste  Abschrift  der  entwickelten  Columnen  nocli  ungenau  gewesen,  auch 
manches  abgerissene  Stück  des  Papyrus  anfangs  übergangen  und  erst 
bei  der  genauem  Durchsicht  Ilayters  eingetragen  worden.  Man  ver- 
gleiche die  ersten  sechs  Zeilen  beider; 

Neapol.  Anglic. 

.  ...   IN  EIC  THN  ...  V  eig  rtjP  n()o 

0  .  .  .  Ay  OYTSiC  EIT  .  fd  av  ovtwq  irrti 

HA  .  .  JE./OMTAI     .  E(^  na  nSadovrai   iivsc 

rA&OI  KAI  EIEP  evaya^oi  xm  tveq 

K       KE.4EYCEIN  yti     x     xeXsviSfiv 

NC  V     a     Tovg 

V.  li> — 30  gibt  ersteres  am  Anfange  der  Zeilen  nur  eine  grosse  Lücke, 
llavters  Abschrift  hat  noch  mehrere  Buchstaben,  theilweise  selbst  Wörter 
erlialten.  Man  möchte  also  meinen,  nur  solche  erste  Abschriften  seien 
in  (Ht^  Hände  der  Neapolitaner  gekommen.  Dieses  erklärt  vieles ,  aber 
keineswegs  alles.  Wenn  man  auch  annimmt,  dass  VIII  (XI)  16  eine 
ganze  Zeile  (r?;*  iiön^i  Soxovöij)  erst  bei  Uebertragung  in  die  Cursiv- 
schrift  übergangen,  dass  auch  anderes  wie  XI  (XIV)  11  uiptr^tOv/^m  für 
«y^ffoV/a/  auf  dieselbe  Rechnung  zn  setzen  sei,  so  hält  es  doch  schwer 
z,  B.  II  (V)  28  Yorsvfia  statt  yrrevina  eben  so  zu  erklären  ,  ganz  unbe- 
greiflich aV)er  wird,  wie  auf  diese  Art  das  italienische  Apographum  hier 
und  doi't  mehr  Buchstaben  enthalten  könne,  und  will  mau  in  dieser 
Schrift  auch  alles  dem  englischen  Heransgeber  Drunnnond  zii  Last  legen, 
so  tritt  derselbe  Fall  in  den  Büchern,  von  welchen  das  englische  Fac- 
simile  uns  selbst  vorliegt,  wie  negi  oQyTjg,  nicht  minder  ein.  Fs  ist  zu 
wünschen ,  dass  der  gelehrte  Herausgeber  dieser  nova  collectio  durch 
eigene  Fiinsicht  der  erhaltenen  Papyri  darüber  entscheidenden  Aufschluss 
ertheile. 


"Während  des  Druckes  dieser  Abhandlung  sind  die  Hefte  II,  III,  IV 
des  zweiten  Bandes  eingetroffen,  sie  enthalten  nicht  weniger  als  107 
Folia,  welche  die  Aufschrift  TrfQi,  ivOtßfi'ac  tragen,  im  Ganzen  also,  die 
des  ersten  Heftes  mitgerechnet,  liegen  147  Ctjlumnen  vor.  Lassen  sich 
auch     einzelne    Sätze    und    Gedanken,    theilweise    selbst    eine    oder   die 


167 

andere  Seite  genüg-end  erklären,  so  bleibt  das  Ganze  doch  so  unvoll- 
ständig und  ist  die  Ausführung  so  breit,  dass  niemand  aus  diesen  Frag- 
menten auch  nur  den  nähern  Inhalt  zu  bestimmen  vermag;  auch  ist 
die  Folge  der  C'olumnen ,  wie  die  Randzahlen  bezeugen,  nicht  die  rich- 
tige. Zur  Erklärung  des  zweiten  Theils ,  der  eigentlichen  Epikurischen 
Lehre ,  kann  demnach  aus  diesen  Fragmenten  nichts  gewonnen  werden, 
und  wir  nnissen  es  Cicero  Dank  wissen,  dass  er  den  Inhalt  derselben 
in  wenigen  Worten  zusammengefasst  hat.  Mit  richtigem  Tacte  haben 
die  Engländer  die  zusammenhängenden  Columnen ,  welche  eine  Kritik 
der  Theologie  des  Chrysippus  und  Diogenes  enthalten  und  noch  zumeist 
leserlich  sind,  zur  Bekanntmachung  auserwählt. 


Aristotelische    Studien 


von 


Leonhard  Spengel. 


I. 

^N'ikomacliisclie  Ethik. 

Vorgetragen  in  der  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  am  7.  Nov.  1863. 


Ethik  und  Politik  des  Aristoteles  sind  allgemein  anziehende  Schriften 
und  jedem  Gebildeten  empfehlenswerth ;  —  sie  heben  das  rein  mensch- 
liche klar  und  deutlich  hervor;  was  die  Natur  dem  Menschen  für  eine 
Aufgabe  gestellt  und  wie  er  dieser  nachzukommen  hat,  ist  hier  wie 
nirgends  nachgewiesen. 

Das  Princip  dieser  Ethik  ist,  dass  der  Mensch  iin  Allgemeinen  ein 
Streben  nach  dem  Wahren  hat,  dasselbe  auch  grossentheils  erreicht, 
dass  in  den  besseren  und  edleren  Naturen  überall  dasselbe  sich  geltend 
macht,  darum  auch  was  alle  besseren  wollen  und  aus  innerem  Triebe 
mit  bestem  Wissen  und  Gewissen  erstreben,  als  allgemeine  Regel,  als 
Richtschnur  alles  menschlichen  Handelns  betrachtet  werden  muss.  Aller 
Werth  wird  daher  auf  den  o()Mg  Xöyog  gelegt,  der  gesunde  Menschen- 
verstand spielt  die  Hauptrolle  in  der  Ethik  unseres  Philosophen.  ^) 


1)  Hier  die  Stellen  aus  der  ersten  Hälfte  der  Nikomachien  (im  sechsten  Buche  folgt  die 
eigentliche  Erläuterung)  zugleich  um  sprachlich  die  verschiedene  Anwendung  des  Ausdruckes 
kennen  zu  lernen.  11,  2  xo  fiiv  ovy  xuiic  zw  6Q,9öy  Xoyoy  n^diznv  xotvoy  xai  vnoxiiad^to. 
Dass  der  a7iovd'(tCoc  iliantQ  y.at'ujf  xiä  fxtzgoy  des  Handelns  ist,  wird  IH,  6  gezeigt.  HI,  8  xai 
ozi  i'(p'  Tjfiiv  xai  ixovaioi  {ai  d^tzui),  xai  ovzaig  oJf  «V  ö  o^tfös  Xoyog  n  qogz d^r^.  III,  10  oif 
Sti  ä't  xai  (og  6  Xoyog  vnofi.ivtt  zov  xaXov  i'ytxa;  ebendaselbst  xaz'  d^iav  ydg  xai  (Jf  «V  6 
Xoyog  nda/n  xai  Tigdzzn  6  dvdqitog.  III,  11.  1117,  8  ov  yaQ  dul  z6  xaXof  ovd'  tag  6  Xoyog. 
III,  14  6  dt  OdicpQUiv  ov  zoiovzos,  dXX'  (Jf  d  6q96s  Xoyog,  eben  so  III,  15  fine.  IV,  11  ^fj 
dyiaS-ai  vno  zov  nd&ovg ,  «AA'  aJc  «V  <5  Xoyog  rßffl.  V,  10,  1134,  35  dio  ovx  iCijxtv  ä();(iiy 
dvfkquinoi',  uXXd  zöf  Xoyoy  mit  Beziehung  auf  Protagoras  Ausspruch.  II,  6  dQtztj  .  .  t'y 
fxtaöztjzi  .  .  ujQiafxiyt}  Xoyia  xai  mg  au  6  (pqovifiog  o^ia tiiy.  Der  Nominativ  laqiafiivrj  bei 
Bekker  ist  wohl  nur  ein  Druckversehen,  die  frühern  Ausgaben  geben  alle  den  Dativ,  und 
dass  auch  Alexander  Aphr.  p.  295  nur  so  gelesen  hat,  —  er  gibt  r^f  futauzrjrog  .  .  zijg  wQia- 
ftiyrjg  —  hat  Nieländer  S  14  richtig  bemerkt  Der  Xoyog  bestimmt  die  richtige  Mitte,  nicht 
die  t'Sig,  dieser  muss  hier  in  der  Definition  hervorgehoben  werden.  Bei  Stobaeus  II.  300 
hat  Heeren  den  Nominativ  gesetzt. 

22* 


172 

Aristoteles  war  gewiss  nicht  der  erste ,  der  die  Wichtigkeit  dieses 
Princips  erkannte,  aber  wohl  der  erste,  der  es  zu  einer  solchen  Anwen- 
dung brachte.  Protagoras  hat  mit  seinem  verschrieenen  Satze  av^gwnog 
fitiQor  drrdyiwi-  xe',.««ia)r  schwerlich  etwas  anderes  gemeint,  wenn  auch 
der  zu  allgemeine  Ausdruck  avO^gconog  der  Missdeutung  und  vielfachen 
Chikane  ausgesetzt  war.  Kann  doch  Piaton  selbst  nicht  umhin,  in 
seiner  Widerlegung  zu  gestehen,  der  o'o(pog  sei  ^sxqov  dndvTwv  xqrmdttav, 
und  wenn  er  auch  anderswo  den  ^foe  dafür  setzt,  so  folgt  doch  sogleich, 
dass  der  ococfgcüv  die  nächste  Stelle  einnehmen  und  Gott  lieb  sei.  ^)  Daraus 
ist  der  stoische  oo^og,  das  Ideal  jener  Philosophie  geflossen,  im  Wesen 
nicht  so  abweichend  von  dem  Sgi^dg  Xoyog  des  Aristoteles ,  nur  beachte 
man,  was  dieser  wiederholt  hervorhebt,  dass  die  Ethik  ihre  ganze  Bedeu- 
tung in  der  Praxis  habe  und  im  Grossen  und  Groben  anschaulich  gemacht 
werden  soll,  von  ihr  man  also  keine  strengen  mathematischen  Beweise 
zu  fordern  habe. 

In  dieser  Ethik  kann  gezeigt  werden,  was  Aristoteles  mit  Piaton 
gemein  hat  und  worin  er  von  ihm  abweicht ;  wird  auch  der  Gegenstand 
bei  ihm  von  ganz  anderem  Standpunkte  dargestellt ,  in  der  Hauptsache 
und  in  dem  Resultate  begegnen  sie  sich  doch  häufiger,  als  man  gewöhnlich 
anzunehmen  pflegt;  ich  glaube  dieses  schon  früher  von  einem  Beispiele, 
die  reinen  Vergnügungen  betreffend,  nicht  ohne  Erfolg  nachgewiesen  zu 
haben.  -) 

Umsonst  war  die  Abhandlung  über  die  unter  dem  Namen  des 
Aristoteles  erhaltenen  Ethischen  Schriften  im  Jahre  1841  nicht  bekannt 
gemacht.  Bonitz,  mit  dem  Ergebniss  vollkommen  einverstanden,  ver- 
sichert^) durch  jene  angeregt  seine  Observationes  critic,  in  Aristotelis 
quae  feruntur  Magna  Moralia  et  Ethica  Eudemia  1843  ausgearbeitet  zu 


1)  Plat.  Theaet.  p.  262  Bkk.  (183)  .  .  ovnoi  cvyxuqovfiiy  avtm  ndvx^  ayd^a  nuvxoiv  /pi^/zarwj' 
fiiTQOy  icfui,  ciy  firj  qi (ioi' ifMoi  tig  p.  p.  25:5  (179)  «ydyxt]  avrio  ojuoXoyity  aocpujTt^oy  Tt 
i'M.oy  ii'/Xov  tiyca  xul  zoy  [xty  zoiovroy  [j,irqoy  tlyai.  De  legg.  IV,  355  (716)  6  (fij 
&töi  rjuty  nuytujy  ^(}i^fX(hojy  fiirQoy  uy  l'iij  fKtXiOTa,  X(d  nokv  .  f^üXXoy  rj  nov  rig  wf  (paaiy 
uyff^uiTiOi  .  . 

2)  In  der  nachher  angeführten  Abhandhing  S.  86  seqq.  Dass  auch  der  Satz  in  medio  virtus, 
die  /utaoTtjg,  der  platonischen  und  älteren  Philosophie  nicht  fremd  ist,  hat  Nieländer  Erläu- 
terung des  von  Ar.  in  der  Nile.  E.  gegebenen  Begriffes  der  Tugend  S.  9  seqq.  nachgewiesen. 
In  diesem  Sinne  müsste  so  viel  wie  möglich  weiter  geforscht  werden. 

3)  Jahn'8  Jahrbücher  LXXIX,  16. 


l73 

haben,  und  das  allein  ist  schon  viel  werth.  Die  controversen  Punkte, 
von  denen  manche  wichtige  Frage  von  mir  selbst  mehr  angeregt  als 
endgültig  entschieden  worden,  wurden  weiter  untersucht,  namentlich 
gebührt  Trendelenburgs  Schule  das  Verdienst,  diesem  Gegenstande  beson- 
dere Aufmerksamkeit  zugewendet  zu  haben.  Bendixen  hat  Philolog.  XI. 
XIV.  XVI  in  seiner  Uebersicht  über  die  neueste  des  Arist.  p]thik  und 
Politik  betreffende  Litteratur  alles  hieher  gehörige  sorgfältig  erörtert, 
anderes  ist  seitdem  zugegangen  und  es  hält  schwer  alles  einzelne  genau 
zu  untersuchen  und  zu  würdigen.  Ich  selbst  hielt  mich  ferne ,  nur 
Fritzsche's  freundliche  Aufforderung  konnte  ich  nicht  ablehnen,  und 
habe  seine  verdienstliche  Bearbeitung  der  Endemischen  Ethik  anzuzeigen 
nicht  unterlassen.  ^) 

Wann  ich  jetzt  nach  mehr  als  zwei  Decennien  manche  meiner  längst 
gemachten  Bemerkungen  hier  niederlege  und  die  Ueberzahl  des  Geschrie- 
benen vermehre,  so  geschieht  es,  weil  ich  wünsche,  dass  meine  Zweifel 
und  Bedenken  gleichfalls  zur  weiteren  Forschung  anregen  und  ihre 
Widerlegung  finden  mögen. 

Sprachliche  Bemerkungen,  welche  die  Eigenheit  des  Autors  nach- 
weisen, werden  stets  willkommen  sein  ;  um  aber  hier  mit  Erfolg  bestimmen 
zu  können,  bedürfei)  wir  eines  Hilfsmittels,  wie  wir  es  zu  Homer,  So- 
phokles und  einigen  andern  Autoren  besitzen,  eines  vollständigen  Lexicon 
Aristotelicum.  Bekker's  Vergleichungen  haben  das  klare  Ergebniss  ge- 
liefert, Avoran  man  vordem  nicht  denken  konnte,  dass  die  logischen 
und  naturhistorischen  Schriften ,  weil  sehr  alte  Handschriften  davon 
vorliegen ,    viel   reiner   und   besser    als    die    ethischen ,    die    Politik    und 


1)  Müncliner  gel.  Anzeigen  1852  XXXIV,  Nro.  54-6.  Aus  dieser  nur  wenigen  zugänglichen 
Zeitschrift  ist  von  jener  Anzeige  manches  herüber  genommen  worden;  Versuche  anderer 
werden  nur  insofern  berücksichtigt,  wenn  sie  dieselben  Stellen  behandeln.  Piatons  Freunde 
pflegen  ihm  ihr  ganzes  Leben  hindui'ch  anzuhängen,  Aristoteles  findet  oft  ungestüme  Lieb- 
haber, die  sich  ihm  mit  Zudringliclikeit  nähern,  aber  eben  so  schnell  ihn  verlassen;  einige 
halten  länger  aus,  selten  bleibt  ihm  der  eine  oder  andere  sein  ganzes  Leben  lang  treu;  zu 
diesen  letzten  glaubte  ich  damals  Fritzsche  reclinen  zu  dürfen;  bis  jetzt  hat  er  dieser  Hoff- 
nung nicht  entsprochen  und  es  sollte  mir  leid  thun ,  wenn  auch  er  thatsäehlich  bezeugen 
wollte,  wie  wenig  Glauljen  man  überhaupt  meinen  t'onjecturen  schenken  dürfe;  es  sind 
davon  bereits  nur  zu  viele  Beispiele  und  Beweise  vorhanden.  Hat  er  inzwischen  für  sich 
ruhig  in  seinem  Philosophen  fortgearbeitet,  desto  besser;  er  wird  dann  auch  umso  Vorzüg- 
licheres liefern. 


174 

einii>:e  andere  erhalten  sind ,  welche ,  nur  in  ganz  spätem  Abschriften 
überliefert,  vielen  Aenderungen  unterworfen  waren,  und  doch  ist  es  ein 
grosses  (xlück,  dass  diese  noch  so  leserlich  sind  und  nicht  alles  gleich 
dem   Schlüsse  der   Eudeniischen  Ethik,   d.  h.  ganz  unverständlich  ist. 

Bedeutung  und  Zusannnenhang  der  Gedanken  geben  die  meiste 
Schwierigkeit  und  veranlassen  oft  zu  gewaltsamen  Aenderungen,  wie 
die  neuesten  Versuche  nur  zu  deutlich  belegen.  Wichtiges  haben  bereits 
die  Gelehrten  des  XVI.  Jahrhunderts  geleistet,  in  welcher  Zeit  diese 
Schriften  an  den  hohen  Schulen  mit  besonderem  Eifer  betrieben  wurden, 
vieles  richtig  verbessertes  mag  wieder  verschwunden  (Muretus),  anderes 
noch  in  abgelegenen  Büchern  verborgen  sein,  was  wir  spätere  Epigonen 
zuerst  gesehen  zu  haben  uns  rühmen ;  man  kann  sich  davon  aus  einem 
Basler  Exemplare  in  der  Heidelbei'ger  Bibliothek  überzeugen ,  welches 
Jos.  Scaliger  (Nie.  Eth.  M.  Mor.  Polit.)  emendirte  ^)  und  wo  noch  immer 
des  neuen  und  brauchbaren  vieles  zu  finden  ist.  Nicom.  V,  7.  llo2,61 
— 11  ifftt  d^  .  .  loiovTov  stehen  drei  Zeilen,  welche  unten  1133,14  wie- 
derkehren. Bekker  macht  dazu  die  Bemerkung,  die  einzige,  welche  im 
Texte  der  kleinen  Ausgabe  zu  finden  ist:  addebant  quae  infra  leguntur 
.  .  expunxit  Trendelenburgus.  Die  Sache  ist  richtig,  aber  nicht  Tren- 
ilelenburg  hat  das  zuerst  bemerkt,  sondern  längst  viele  andere,  Muretus 
Giphanius,  Lambinus  (nicht  Zwinger  wie  Zell  angibt),  Coraes,  Cardwell; 
auch  Scaliger  hat  in  seinem  Handexemplare  den  ganzen  Satz  gestrichen. 
Man  lernt  daraus  wenigstens ,  dass  alle  unsere  Abschriften  aus  einem 
Exemplare  stammen,  und  dass  der  Fehler  alt  ist,  sieht  man,  weil  schon 
der  Paraphrast  wie  M.  Ephesius  diesen  ungeeigneten  Zusatz  hier  kennen 
und  erklären.  Wichtiger  wäre,  zu  wissen,  wie  ein  solch  früheres  Her- 
übertragen möglich  geworden;  dem  Anscheine  nach  kaum  anders,  als 
dass  ein  Blatt  zu  viel  umgeschlagen  wurde,  der  Schreiber  später  den 
Irrthum  l)emerkt,  aber  den  Satz  zu  streichen  unterlassen  hat;  dann 
würden  37  Zeilen  (^i'oTi  6i  .  .  .  loao'^rjvai)  auf  einem  Blatte  jener  Hand- 
schrift gestanden  haben.  Hier  ist  die  grösste  Vorsicht  nöthig,  leicht 
kann    man    die  Worte    niclit    in    dem   Sinne    und  Geiste  des  Philosophen 


1)  Duaü  zu  (1er  zumeist  curruinjjirten  Eudeniischen  Ktliik  Scaliui-r  nichts  gegeben  hat,  ist  sehr 
zu  beklagen. 


175 

auffassen  und  findet  sich  dann  zur  Aenderung  genötliigt,  welche,  hat 
man  den  Gedanken  des  Aristoteles  richtig  begriffen ,  überflüssig  wird. 
Man  darf  solche  Versuche  nur  mit  grossem  Argwohn  betrachten;  gar 
vieles,  was  neuere  in  dieser  Art  gegeben  haben,  halte  ich  für  miss- 
lungen,  und  wenn  andere  von  meinen  Versuchen  nicht  besser  urtheilen, 
so  ist  dieses  nicht  mehr  als  billig,  ich  warne  zumeist  vor  jeder  vor- 
eiligen Annahme  und  fordere  zur  strengen  Prüfung  auf;  nur  was  alle 
Probe  bestanden  hat,  soll  der  Zukunft  erhalten  bleiben. 


Die  Hauptfrage  der  frühern  Untersuchung  betraf  das  Verhältniss 
der  drei  Schriften  zu  einander  zu  bestimmen.  Häufig  war  man  der 
Ansicht,  in  ihnen  aus  den  Vorträgen  des  Aristoteles  von  Zuhörern 
zusammengeschriebene  Hefte  zu  besitzen,  Schleiermacher  dagegen  glaubte, 
dass  die  Magna  Mor.  den  ältesten  Ausspruch  haben  aus  Aristoteles  Nähe 
zu  stammen,  wenn  sie  auch  nicht  von  ihm  geschrieben  sein  sollten,  dass 
die  Eudemia  in  einer  etwas  spätem  Zeit  von  einem  ziemlich  unfähigen 
Peripatetiker  ausgehen,  die  Nikomachia  aber  am  meisten  von  der  Strenge 
der  Behandlung  des  Gegenstandes  abgehen.  Meine  Forschung  hatte  das 
Ergebniss  geliefert,  dass  die  Nikomachia,  wie  man  auch  bisher  allgemein 
angenommen  hatte,  das  ächte  Werk  des  Aristoteles  bilden,  die  Eudemia 
eine  spätere  Umarbeitung  aus  denselben  mit  theilweise  eigenen  Aender- 
ungen  und  "Zugaben  enthalten,  die  grosse  Ethik  aber,  nur  ein  Auszug 
von  beiden  Werken  aus  später  Zeit,  am  wenigsten  Beachtung  verdiene, 
wichtig  zwar  zur  Vergleichung ,  an  sich  aber  nicht  bedeutender  als  der 
Auszug  der  peripatetischen  Ethik  bei  Stobaeus.  Diese  Sätze  schienen 
mir  unbezweifelt  und  unanstreitbar. 

Aus  der  Aufschrift  "H&ixiöv  EvSrjfj,im'  glaubte  ich,  da  das  Alterthum 
ebenfalls  Ev6r'^fifia  Urakvtixd  besass  (zugleich,  mit  der  Aufschrift  Evö/ßiov 
vniq  ^AvaXvTixwv)  auch  hier  auf  den  Schüler  des  Aristoteles  als  Verfasser 
schliessen  zu  dürfen,  der  die  Schriften  seines  Lehrers  in  anderer  Form 
darzustellen  und  zu  verbreiten  suchte.  So  hatte  er  auch  nach  dem 
Tode  des  Philosophen  die  (pvaixr]  dxQÖaOig  umgearbeitet   und  hält   sich  so 


176 

genau  an  den  ilun  vorliegenclen  Text,  dass  er  über  eine  Stelle  an 
Theoplirastus,  die  Inhaber  der  Handschriften  des  Aristoteles,  die  Anfrage 
ergehen  Hess,  welches  die  Worte  im  Originale  des  Meisters  seien.  Diese 
Physik  stand  noch  dem  Simplicius  zu  Gebot,  er  führt  mehr  als  hundert 
umfassende  Stellen  ausführlich  an ,  um  die  Auffassung  und  Ueberein- 
stinmiung  dieses  ältesten  Schülers  zu  constatiren,  sie  bezeugen  sämmtlich 
eine  ähnliche  Bearbeitung,  wie  wir  sie  hier  in  der  Ethik  finden.  Diese 
Scherben  sind  so  zahlreich,  dass  man  sie  getrost  mit  einer  andern  grossen- 
theils  noch  erhaltenen  Vase  zusammenstellen  und  ihre  Uebereinstimmung 
bezeugen  darf.  Absolute  Gewissheit  gibt  allerdings  auch  das  nicht,  aber 
die  grosse  Wahrscheinlichkeit  ist  vorhanden;  mir  selbst  ist  inzwischen 
manches  Bedenken  gekommen;^)  wo  indessen  das  Werk  spricht,  hat 
der  Name  wenig  zu  bedeuten.  Dass  es  ein  wichtiges  Hilfsmittel  für 
das  Verständniss  der  aristotelischen  Ethik  ist  und  bleibt,  wird  Niemand 
in  Abrede  stellen. 

Dieses  Ergebniss  fand  fast  allgemeine  Anerkennung;  nur  zwei 
Stimmen  haben  sich  dagegen  erklärt,  die  eine  in  Frankreich,  die  andere 
in  Deutschland.  Barthelemy  St.  Hilaire  ^)  gibt  in  der  Einleitung  seiner 
üebersetzung  der  drei  Ethiken  eine  Uebersicht  der  Ueberlieferung  und 
stellt  die  verschiedenen  Urtheile  über  dieselben  in  alter  und  neuer  Zeit 
zusammen.  Im  Ganzen  ist  er  mit  mir  einverstanden ;  die  Eudemia  stehen 
ihm  niedriger  als  die  Nikomachia,  aber  er  hält  sie  nicht  für  ein  Werk 
des  Eudemus ;  die  grosse  Ethik  sei  nach  beiden  gemacht  und  zeige  eine 
weniger  kundige  Hand.  Auch  die  drei  controversen  Bücher  der  beiden 
ersten  Werke  —  um  dieses  hier  zugleich  mit  anzuführen  —  weist  er 
den  Nikomachien  zu,  glaubt  aber  nicht,  dass  die  erste  Abhandlung  über 


1)  Nach  wiederholter  Leetüre  habe  ich  1843  meine  Verbesserungen  zu  den  Eudemia  und  M. 
M.  zusammengeschrieben  und  dabei  mein  Bedenken  nicht  verschwiegen.  Das  mag  wenig- 
stens beweisen,  dass  ich  nicht  zähe  an  meinen  Forschungen  hafte,  man  kann  einiges 
anführen,  was  man  der  Zeit  des  Eudemus  ungerne  zutraut,  z.  B.  3,  7  o  txukovy  ot  ciQ^atoi 
fiixiaiv,  I,  5  iMXQuzr/g  6  7iQt(tßvTt()og,  VII,  I,  X  6  yiQioy.  VII,  14,  1248,  29  ol  ndkai  i'Xiyoy 
von  einer  Definition  der  eviv^i«,  aber  wo  keine  mathematische  Gewissheit  möglich  ist, 
muHS  man  sich  mit  dem  wahrsclieinlichen  begnügen. 

2)  Murale  d'Aristote  traduite  par  I  Barth.  St.-IIilaire-  Paris  1856.  3  Bände.  Dissertation  pre- 
limiiiaire  1,  Seite  CCLV— ('(TXXXIV.  Sein  Urtheil  über  meine  Arbeit  S.  CCXCIII  — V. 
Vgl.  Beiidixen  Jahresbericht  Philol.  XVI,  465—9. 


177 

die  Lust  VII,  12 — 15  von  Eudemus  sei.  Aristoteles  habe  seine  Werke 
grossentheils  unvollständig  hinterlassen,  also  auch  die  Ethik;  wäre  ihm 
eine  Umarbeitung  gegönnt  gewesen,  er  würde  das  nachlässige  und  wider- 
sprechende verbessert,  mehr  als  eine  Stelle  gänzlich  unterdrückt  haben. 
Man  habe  daher  hier  nur  den  ersten  Versuch  des  Autors  selbst  zu 
erkennen ,  welchen  er  später  vollständiger  ausgearbeitet  dem  zehnten 
Buche  eingelegt  habe ,  und  man  müsse  den  alten  Herausgebern  Dank 
wissen,  dass  sie  solche  Concepte,  wenn  auch  auf  Kosten  der  Anordnung 
und  des  Zusammenhanges  nicht  gestrichen  haben.  Es  ist  hier  zunächst 
der  Zweifel  an  der  Autorschaft  des  Eudemus ;  man  begreife  nicht ,  wie 
ein  so  gelehrter  Schüler  ein  derartiges  Werk,  das  nur  ein  Nachhall  der 
Nikomachien  sei,  in  seinem  Namen  als  ihm  eigen  ausgeben  konnte.  Man 
berufe  sich  auf  Alexanders  Ueberlieferung  von  Ev^r]i^isicov  'Avalvtixwv  und 
vorzüglich  auf  Simplicius ;  aus  Letzterem  scheine  allerdings  hervorzu- 
gehen, dass  Eudemus  Physik  sich  der  seines  Lehrers  vielfach  näherte 
und  in  einzelnen  Partien  nur  eine  Paraphrase  gewesen ;  aber  Simplicius 
sage  keineswegs,  dass  dieses  vom  ganzen  Werke  gelte,  dass  dieses  Ver- 
fahren dem  Eudemus  ganz  eigenthümlich  gewesen  sei,  er  scheine  viel- 
mehr das  Gegentheil  anzudeuten ;  da  er  es  sich  so  angelegentlich  sein 
lässt,  überall  hervorzuheben,  wo  Eudemus  den  Aristoteles  wiedergibt, 
müsse  man  daraus  schliessen ,  dass  dieses  nicht  durchaus  gewesen. 
Wollte  man  aber  aus  dem  Titel  auf  Eudemus  als  den  Verfasser  schliessen, 
so  würde  man  in  NixofxaxtCwv  gleichfalls  einen  Nikomachus  annehmen 
müssen.  Das  natürlichste  und  der  Wahrheit  vielleicht  zunächst  kom- 
mende sei,  in  den  Eudemia  die  Redaction  eines  Zuhörers  (eleve  intelli- 
gent, peut-etre  Eudeme)  anzuerkennen,  welche  Aristoteles  als  verdienst- 
lich aufbewahrt  und  vielleicht  an  einzelnen  Stellen  selbst  revidirt  habe. 
Daraus  lasse  sich  alles  genügender  als  sonst  erklären ;  man  könne 
annehmen,  dass  diese  Redaction,  auch  in  andern  Puncten  nicht  ausge- 
arbeitet ,  die  Gegenstände  der  drei  gemeinsamen  Bücher  unvollendet 
gelassen  habe ,  deren  Ergänzung  später  aus  den  Nikomachien  erfolgt. 
Die""  grosse  Ethik  stamme  aus  derselben  Zeit,  aber  ihre  Redaction  komme 
von  einer  weniger  befähigten  Hand ;  die  Verschiedenheit  des  Stils  bezeuge 
nur  die  Verschiedenheit  des  Verfassers ,  nicht  aber  des  Jahrhunderts. 
Die  drei  Ethiken  hängen  demnach  fast  untrennbar  zusammen  und  das, 
Abk  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth.  23 


178 

Alterthuni  habe  nicht  unrecht  gethan,  sie  sämnitlich  dem  Aristoteles 
zn/mveisen,   da   ilir  Inhalt  ganz  derselbe   sei.  ^) 

In  Dentschland  war  es  der  Berichterstatter  Bendixen,  welcher  im 
l'hilol.  XI,  57Ö  —  80  gegen  die  allseitige  Sicherheit  und  Bündigkeit  der 
bisherigen  Begründung  über  das  Verhältniss  der  drei  Ethiken,  wie  er 
selbst  sagt,  einige  Zweifel  und  Hedenken  vorlegen  zu  müssen  glaubte. 
Ueber  die  Nikomachia  hat  sic^^  derselbe  bis  jetzt  nicht  geäussert,  wohl 
aber  über  die  Kiidemia.  Da  die  allgemeine  Strömung  des  Urtheils  ihm 
entgegensteht,  hält  er  es  für  nothwendig,  vor  der  Hand  mit  möglichster 
Bescheidenheit,  Vorsicht  und  Zurückhaltung  aufzutreten.  Dazu  ist  kein 
Grund ;  nicht  die  Masse  der  Zustimmenden ,  nicht  deren  Autorität  ent- 
scheidet, entscheidend  ist  nur  das  Gewicht  der  Gründe,  die  Sicherheit 
der  Beweise.  Es  ist  herkömmlich,  dass  man  zeitweilig  einer  geltend 
gemachten  Ansicht  nachläuft,  bis  mau  unerwartet  einsieht,  den  wahren 
Weg  verfehlt  zu  haben  und  anderer  Richtung  folgen  zu  müssen.  Wer 
den  Irrweg  sieht ,  welchen  die  andern  gehen ,  und  den  rechten  W^eg 
kennt,  hat  auch  die  Pflicht  laut  und  offen  zu  warnen  und  den  wahren 
Pfad  zu  weisen. 

Bendixen  findet,  dass  die  Eudemia  an  recht  vielen  Stellen  bis  auf 
das  Wort  in  einer  für  die  bisherige  Hypothese  unerklärlichen  Weise 
mit  den  Büchern  der  Politik  übereinstinnnen,  und  zwar  zeige  sich  dieses 
bald  in  Beziehung  auf  den  ethischen  Lehrgehalt  der  Politik,  bald  in 
gleichen  Sentenzen ,  Bildern ,  Eintheilungen ,  bald  endlich  im  einzelnen 
zufälligen  Bezeichnungen  und  Ausdrücken.  Nicht  weniger  als  vier 
Seiten  hindurch  werden  solche  übereinstimmende  Stellen  aufgezählt  und 
noch  seien  nicht  alle  gesanuuelt.  Woher  nun  diese  Uebereinstimmung 
der  Eudemia  mit  der  Pohtik ,  von  welcher  weder  die  Nikomachia  noch 
die  M.  M.  eine  Spur  zeigen  ?  Aristoteles  habe  wohl  eben  so  gut  nach  den 
Vorträgen  über  die  Politik  als  vor  denselben  über  die  Sittenlehre  Vor- 
träge gehalten;  die  Menge  unwillkürlicher  Anklänge  an  die  Politik 
bestärke  in  der  Ueberzeugiing,  ,,dass,  wenn  auch  immer  die  letzte  Re- 
daction  aus  der  Feder  des  Eudemus  mag  hervorgegangen  sein,  dieselbe 
im  engen  Anschluss  an  einen  Vortrag  des  Meisters  sei  abgefasst  worden, 


1)  T.  CCCX— XIII  CCCXXX— IV. 


179 

und  nichts  habe  geben  wollen  und  sollen ,  als  eben  diesen :  keine  Um- 
und  Ueberarbeitung,  keine  Verbesserung  oder  Ergänzung,  nichts  mit 
einem  Wort,  welchem  er  zu  seiner  Namens  Ueber-  oder  Unterschrift 
den  Zusatz  hätte  beifügen  mögen :  ipse  fecit," 

Damit  ist  Bendixen  unabhängig  und  auf  ganz  anderem  Wege  zu 
dem  P]rgebnisse  des  St.  Hilaire  gelangt,  wir  haben  in  den  Endemien 
wieder  ein  aus  den  Vorträgen  des  Aristoteles  sorgfältig  nachgeschriebenes 
Collegienheft  bekommen ,  und  dass  er  auch  über  die  M.  M.  nicht  viel 
anders  urtheilt,  lässt  die  Note  in  einem  späteren  Berichte  deutlich 
erkennen. 

Die  Bemerkung,  dass  aus  den  Büchern  der  Politik  mancher  Gedanke 
in  die  Eudemia  übergetragen  ist,  muss  zugegeben  werden  ;  diese  stehen 
jedoch  mit  dem  Gegenstande  selbst,  der  Ethik,  in  keiner  Beziehung, 
sind  keine  Ergänzungen  der  Lehre  oder  Zusätze,  sondern  nur  gele- 
gentlich   eingestreute    Bemerkungen ;    so    die    doppelte    Bedeutung    von 

Eud.  III.  4  .      Pol.  I,  9 

Sixwg  S^  xd  xQi^l^aTa  Xsyoiifv  xal  ttjv  ixdcGTOV  yuQ  xt/ßiacog  dittr]  tj  y^qriOig 

XQrji.iaTiOTixr^v'  /J  ^w^r  yuQ  xa^'  avvo  xqrj-  iOtiv,  dficpors^cei  6t  xu^'  avvo  /.liv  dXX' 

Oig  Tov  xTv^naxog  ioriv  oiov  vnoS /jfjba-  ov%   o/^wicdc    xaS-^    avTÖ  .  .   .   otov    vno- 

Tog  7]    i/xariov,    rj  dt   xaxd  Ovfißsßt^xog  Srji-iaTog    tjrt    imoSeOig   xal    rj  f,itTaßXrj- 

fihv,   ov  fisvioi  ovTwg  (ag  dv  ti  Ora^f-io)  ttxr^    d/^icpÖTtgai  ydQ   VJroSi'j^aTog  XQV' 

XgtjOaiTo  TM  vTTodr^fjiaTi,  dXX^  otov  f^  ttoj-  Otig, 
XrjOig  xal  rj  fxi'o&wGig'  xQ>]^<^i  Y^Q  vno- 
SrjfiaTi. 

oder  dass  man  ein  bestimmtes  Ziel  verfolgen  müsse: 

Eud.  I,  2  Pol.  VII,  2 

(üg  TÖ  ys  i^ii]  OvvTtrdx^ai  tov  ßCov  nqog  dvdyxrj    ydq    töv  tvffQOVovvxa  ngog  tov 

ZI  TtXog  dcfQoOi'vrjg  rroXXrjg  Or^/ntTöv  sOtiv.  ßtXxiw  Oxonov  OvvTdzTtO^ai 

oder  dass  man  zwar  den  rechten  Zweck  verfolgen,  aber  die  Mittel  dazu 
verfehlen  könne, 

Eud.  IL  11  Pol.  VII,  13 

s'OTi  ydq  tov  [.i^v  Gxottöv  oq&ov  eivai,  ev  svi'ots  //ir  ydq  6  Üxonog  txxtitai  xaXwg, 

(f^  TOig  nqdg  x6v  Gxottov  öia/xagTdvsiv.  ev  6^  T(p  TtgaTTSiv  Sia^aqTavovGi. 

Die  Menschen  treten  zusammen  des  tv  C'Fjv  wegen,  aber  wäre  dieser  höhere 
Zweck  nicht,  sie  würden  an  sich  schon  eine  Verbindung  unter  sich 
bilden,  um  beisammen  und  nicht  vereinzelt  zu  sein. 

23* 


180 

Eud.  VII.  10  Pol.  III,  6 

Oi'iijXd-oi'   y'   ar   xa(    tov    ffi'^jjr    ■^dqiv.  ovveQj^ovTai  6i  xal  rov  C^v  i'vsxsv  avTov. 

die  Nacliweisung  dieser  Stellen,  und  es  gibt  noch  einige  wenige  dieser 
Art,  ist  verdienstlich;  Inhalt  und  Form  ist  so,  dass  eine  nähere  Be- 
ziehung zu  einander  nicht  zu  verkennen  ist.  Aber  was  soll  die  Masse 
andrer,  welche  in  der  That  nichts  beweist?  welche  Bedeutung  soll  es 
haben,  dass  in  den  Eud.  und  der  Pol,  das  abstractum  xolaxeCa,  in  den 
beiden  andern  Ethiken  nur  das  concretum  xöjia^  zu  finden  sei,  dass  in 
diesen  /.utoixoc  oder  ysvotd  xai  dnrd  —  ein  den  somatologischen  Schriften 
bekannter  Ausdruck  —  u.  dgl.  nicht  vorkomme,  dass  in  den  einen 
fvTTQa^ia,  in  den  andern  svuQayCa  stehe?  Das  ^mov  oIxovo/mxo'v  Eud,  VII, 
10  hat  auch  in  der  Politik  nichts  entsprechendes,  ist  überhaupt  nur 
Schreibfehler  für  ^mov  xoivwvixdv.  Wollte  man  aber  auch  alles  zugeben, 
welche  Gesetze  der  Logik  berechtigen  sofort  zu  dem  wunderlichen 
Schlüsse:  alles  das  stamme  aus  dem  Munde  des  Meisters,  der  nach 
Vorträgen  über  die  Politik  solche  Reminiscenzen  aus  diesen  in  das  neue 
Collegium  über  die  Ethik  hinübergetragen  habe,  welche  von  einem  Zu- 
hörer sorgfältig  aufgezeichnet  und  der  Nachwelt  überliefert  worden  seien? 
Diese  wirklichen ,  aber  ganz  unwesentlichen  Anklänge  sind  für  die  bis- 
herige Hypothese  keineswegs  unerklärbar,  was  ist  natürlicher,  was  liegt 
näher,  als  dass  der  Verfasser  der  Eudemia,  er  sei  wer  er  wolle,  da 
Ethik  und  Politik  im  antiken  Sinne  unzertrennlich  sind,  von  der  Lee- 
türe der  letztern  mehrerer  Eindrücke  gewärtig  solche  unwillkürlich  der 
Ethik  einfliessen  liess?  ja  wären  diese  wirklich  recht  viele,  wie  sie  es 
nicht  sind,  so  würde  man  zu  dem  Gedanken  geführt,  weit  weniger  einen 
unmittelbaren  Schüler  des  Aristoteles ,  als  vielmehr  einen  spätem  Ge- 
lehrten vor  sich  zu  haben,  der  alles  was  die  Politik  geeignetes  für  seine 
Ethik  enthalten  konnte ,  eben  so  mühsam  zusammengebracht ,  als  es 
unser  Berichterstatter  wieder  aufzufinden*  gesucht  hat,  Dass  die  M.  M. 
von  dem  allen  nichts  enthalten,  versteht  sich  von  selbst,  weil  ein  kurzer 
Abriss  und  Auszug  jedes  unwesentliche  von  sich  weist. 

Wer  immer  diese  Eudemia  geschrieben  hat,  er  konnte  sich  nicht 
einbilden  ein  eigenes  Werk  zu  geben ;  es  ist  keine  weitere  Ausführung 
und  Begründung  des  ursprünglich  gegebenen,  kein  historischer  Com- 
mentar,    wie   ihn  Theophrastus  zu  Aristoteles  ue^l  alo^r^aewg  xal  aiad-r^Tüv 


181 

lieferte,  ein  Werk,  welches  zeigt,  was  in  jener  Zeit  für  das  Verständniss 
der  Schriften  des  Meisters  geleistet  werden  konnte,  mitunter  auch  wirk- 
lich geleistet  worden  ist;  es  ist  die  Darlegung  desselben  Stoffes  in 
anderer  Form ,  wie  entstanden ,  vermögen  wir  bei  dem  Mangel  aller 
nähern  Kenntniss  der  Schule  nicht  nachzuweisen.  Hat  man  viele  Jahr- 
hunderte später,  als  man  der  Commentare  überdrüssig  geworden  war, 
zu  demselben  Aushilfsmittel  gegriffen,  und  glaubte  man  durch  eine 
Paraphrase  die  Lehre  verständlicher  zu  machen  und  zu  verbreiten ,  so 
darf  sich  Niemand  wundern ,  wenn  schon  in  erster  Zeit  ähnliches  ver- 
sucht worden.  Noch  besitzen  wir  den  Anfang  des  siebenten  Buches  der 
Physik  in  einer  uns  unbegreiflichen  Doppelgestalt,  und  wie  mögen  die 
vierzig  Analytica  zu  einander  gestanden  haben?  in  der  Sache  sicher 
ganz  gleich,  in  der  Form  aber  verschieden,  erläuternd  und  'näher 
bestimmend ,  wie  des  Eudemus  'ÄvccXvnxd,  schwerlich  Collegienhefte  aus 
eben  so  viel  Vorträgen  des  Meisters  entstanden.  Dass  auch  die  xanj- 
yoQiai,  wenn  schon  dem  Inhalte  nach  unverdächtig,  doch  keineswegs 
in  Sprache  und  Form  des  Aristoteles  uns  erhalten  sind,  habe  ich  ander- 
wärts angedeutet.  Es  werden  daher  auch  die  Citationen  in  den  Eudemia 
nicht  das  Bedenken  erregen ,  das  Bendixen  ^)  findet ,  I,  8  insOxsTCTm  .  . 
xal  iv  Totg  i^u)T£()ixotg  Xoyoig  xal  iv  roTq  xard  (piXoOo(piav  und  11,  1  xa&ccTifQ 
SiaiQov/^if^a  xal  sv  ToTg  s^cozeQixoTg  Xoyoig,  zumal  selbst  die  Bedeutung 
dieser  Phrase  noch  oflfen  steht.  In  neuester  Zeit  ist  über  die  s^cotfQixol 
Xdyoi  ausführlich  gesprochen  worden  ^) ,  sie  sollen  die  Dialoge  des 
Aristoteles  bezeichnen  und  werden  diesen  gleich  gesetzt.  Diese  Unter- 
suchung hat  mich  nicht  überzeugt;  sie  musste  von  Phjs.  IV,  10,^)  wo 
entschieden  keine  frühern  aristotelische  Schriften  verstanden  werden 
können,  aus  und  von  da  zu  den  andern  fünf  Stellen,  in  welchen  aristo- 
lische    Dialoge    verstanden    werden    können ,    aber  nicht   müssen ,    über- 


1)  Philol.  XI,  573.  XVI,  491,  497.  Ich  hoffe,  dass  er  damit  ein  für  allemal  geheilt  mit  seinen 
Zweifeln  nicht  wieder  kehren  und  uns  in  Zukunft  damit  verschonen  werde. 

2)  Bernays,  die  Dialoge  des  Aristoteles  1863.  S.  29—93. 

3)  xßAw?  t'jlfti  dianoQi^aat  ntQi  avJOv  {/Qoyov)  xcd  Sid  tiüi'  i  £uTt  q  ly.iJiy  k6yu)y,  TioitQov  rmy 
ovrb)v  tariv  ^  rmv  fjt]  öVtwj/,  ihu  zi?  »J  cpvaig  civrov.  Diese  Aporien  folgen  unmittelliar. 
Hier  werden  die  t'SwrtQixoi  koyoL  als  geläufig  und  bekannt  angenommen,  müssen  also  auch 
sonst  überall  so  wie  hier  sein;  dieses  ist  ein  Hauptsatz,  wenn  man  anders  darüber  je  ins 
reine  kommen  will. 


182 

gehen;  statt  dessen  beginnt  sie  mit  diesen,  beweist,  dass  der  Inhalt 
der  Citate  uns  in  den  Fragmenten  der  Dialoge  noch  vorliege,  und  gibt 
dem  Leser  jene  wichtige  Stelle  zuletzt  als  unbedeutende  Dareingabe  mit 
in  den  Kauf.  Werden  dort  nur  aristotelische  Dialoge  bezeichnet,  so 
nmsste  dieses  auch  hier  der  Fall  sein ;  und  wenn  entschieden  hier  dieses 
unmöglich  ist,  so  wird  auch  dort  das  ganze  in  Frage  gestellt.  Aber 
der  Verfasser  hat  seiner  Hypothese  so  beredt  und  gelehrt  das  Wort 
gesprochen ,  dass  wohl  nur  wenige  seiner  Leser  eine  selbstständige 
Untersuchung  vornehmen  werden,  unsere  beiden  längst  bekannten  Stellen 
hat  er  nicht  einmal  einer  Erwähnung  gewürdigt,  wahrscheinlich  weil 
nach  ihm  das  Werk  fremd  und  nicht  aus  der  Hand  des  Aristoteles  zu 
stammen  scheint. 

An  ersterer  I,  8  wird  (nach  Nie.  I,  4)  von  den  Ideen  gesprochen, 
das  sei  eine  viel  zu  subtile  Sache  und  gehöre  nicht  in  die  Ethik,  son- 
dern in  eine  andere  Disciplin:  fV6^«g  rs  StazQiß^g  xal  rd  noXXd  Xoyixwrs'gag 
e^  ävayxi^g'  ot  ydq  d/^ia  dvaigerixoC  re  xat  xotvol  Xoyoi  xaz"  ovde/xiav  slolv 
ciXXr'V  sTiiorr^firjv.  Soll  man  sich  aber  kurz  darüber  aussprechen,  so  müsse 
man  sagen,  von  einer  Idee  des  äyaUCv  oder  sonst  etwas  zu  reden  Xs'ystai 
Xoyixüjg  xai  xtvoig'  iniOxtriTttt  6^  noXXoTg  nsql  uvxov  TQonoig  xal  iv  roig  «^wirf- 
QtxoTg  Xo'yotg  xat  ii'  toTg  xaxd  (fiXoOotpiav.  Man  kann  darunter  aristotelische 
Schriften  verstehen,  aber  man  nniss  nicht,  es  können  eben  so  auch  die 
anderer  gemeint  sein ;  man  lernt  nur ,  dass  eigentlich  philosophische, 
streng  wissenschaftliche  Beweise  und  Untersuchungen  Xoyoi  den  s^wtsqixoI 
gegenübergestellt  werden ;  und  was  haben  diese  letzteren  enthalten  ? 
wohl  nichts  anderes,  als  was  uns  das  erste  Buch  der  Nikom.  zeigt. 
Dort  ist  c.  2 — 7  aus  dem  Begriffe  der  Natur  des  Menschen,  so  weit  es 
der  Gegenstand  gestattet,  überzeugend  für  jeden  sinnigen  und  vernünf- 
tigen Mann  dargethan,  was  die  fvd'aifxovia  ist.  Dann  wird  I,  8  fortge- 
fahren (ixemkov  Si  Jitgl  aiht^g  ov  fidvov  ex  z o  v  G v /^iJi s q ä G /laz og  xal  i^ 
(üV  6  Xdyog  —  also  ex  ton'  xaxd  (fJiX')Go(fji'av  —  äXXd  xal  sx  xwr  Xtyonsvwv 
ntql  uvxrg'  xo)  [ilv  ydQ  dXrjOti  ndvxa  GwaSei  xd  vrraQxovxa,  xoi  6i  xptvStt 
taxv  öia^cavti  [xdXrj^tg\.  ')     Es  folgt  aber  die  populäre ,    lange   vor  Aristo- 

1)  So  werden  unten  die  verschiedenen  (jangbaren  Ansichten  über  die  i^doytj  bald  eingehender 
l)ald  kürzer  aufgezählt  und  dann  mit  Worten  gesclilossen  VII,  12  r«  /uiy  ovv  Xtyofxtva 
ff/i<fö»'  tuvt'  taiiv.  X.  2  r«  fxiv  ovf  'liyofxtva  ntQi  t7j(  /jd'oyijg  xai  '/.vntjg  IxccvMg  tiQ/jaS-to. 
VII,  2.     Das  sind  doch  gewiss  t^oniQixoi  'Anyoi,  von  denen  manches  zu  brauchen  war. 


183 

teles  bekannte  Eintheilung  der  dya^d  in  xd  ixrog,  rd  Gwfjiarog,  rd  ipvxtjg, 
und  gerade  von  dieser  Eintheilung  sagen  die  Eudemia  an  der  zweiten 
Stelle  II,  1  xa^aTTfQ  diaiQovjxsiya  xai  sv  rotg  S^coxfQixoTg  Xoyoig,  also  keine 
Schriften  des  Aristoteles ,  sondern  populäre ,  gang  und  gäbe  Ansichten 
über  einen  Gegenstand,  die  sich  dem  gewöhnlichen  Verstände  von  selbst 
darbieten,  mehr  von  aussen  einleuchtend  als  aus  dem  innern  Funda- 
mente der  Sache  geschöpft  und  strenge  bewiesen.  Ist  auch  noch  an 
mehreren  Stellen  bei  Gelegenheit,  wo  Aristoteles  auf  die  i^omQixol  Xoyoi 
verweist ,  die  Nachweisung  möglich ,  dass  dergleichen  in  seinen  frühern 
dialogischen  Schriften  behandelt  war,  so  hat  dieses  mit  der  Benenaung 
nichts  gemein  und  gibt  noch  lange  kein  Zeugniss,  dass  er  seine  didloyoi 
überhaupt  nur  mit  dem  Namen  i^orvfqixoi  Xoyoi  bezeichnet  habe. 

Einigen  Schein  hat  St.  Hilaire's  Erinnerung,  dass  Simplicius  nur 
die  Stellen  aus  der  Physik  des  Eudemus  anführe ,  welche  mit  der  des 
Aristoteles  übereinstimmen,  folglich  jener  an  allem  anderem  weit  davon 
abgegangen  sei.  Dieses  ist  indessen  nur  eine  willkürliche  Annahme, 
deren  Unrichtigkeit  sich  leicht  darthun  lässt.  Simplicius  erwähnt  des 
Eudemus  da,  wo  die  Interpretation  des  Textes  einiges  Bedenken  lässt, 
und  er  führt  ihn  als  den  ältesten  und  bewährtesten  Zeugen  für  das 
an,  was  Aristoteles  gewollt  hat;  er  verfehlt  aber  auch  nicht  eben  so 
anzugeben,  wo  dieser  von  seinem  Meister  abweicht  und  manches  anders 
stellt.  Wo  keine  Schwierigkeit,  keine  Abweichung  ist,  wird  Eudemus 
mit  Stillschweigen  übergangen.  Es  ist  nicht  anders ,  als  wenn  man, 
falls  Simplicius  in  zweifelhaften  Fällen  nicht  Eudemus,  sondern  The- 
mistius  zu  Rath  gezogen  hätte,  behaupten  wollte,  nur  wo  jener  diesen 
wörtlich  anführe,  stimme  Themistius  mit  Aristoteles  überein,  in  allem 
andern  sei  er  von  ihm  abweichend.  Ich  habe  1840  alle  Stellen  sammt 
der  vollständigen  Erklärung  des  Simplicius  mit  dem  betreffenden  Texte 
des  Aristoteles  zusammengeschrieben  und  biete  das  ganze  einem  Ver- 
leger, welcher  die  Kosten  des  Druckes  nicht  scheut,  zur  freien  Ver- 
fügung; ^)  die  üebersicht  wird  zeugen,  wie  unhaltbar  jene  Hypothese 
ist;   für  jetzt  darüber  mehr  zu  sprechen  ist  unnöthig. 

Aber  die  Bedeutung  des  ganzen  Argumentes  ist  gering ;  es  ist  nur 


1)  Es  kaun  zehn  bis  zwölf  Druckbogen  geben. 


184 

negativ  und  ich  habe  keinen  grossen  Werth  darauf  gelegt.  Es  beweist 
nur,  dass  die  Endemische  Ethik  sich  zur  Nikomachischen,  wie  die  Eude- 
niische  Phvsik  zur  Aristotelischen  verhält.  Das  Verfahren  also  ist  nicht 
ini  NViderspruche  oder  Gegensatze;  keineswegs  aber  folgt  daraus,  dass 
deswegen  Eudemus  der  Verfasser  sein  müsse  (viele  andere  konnten 
dasselbe  thun) ,  dazu  müssen  noch  andere  weit  wichtigere  Gründe 
kommen. 

Die  auffallende  Bezeichnung  des  dritten  kleinsten  Werkes  ly^txwr 
f^itydXüiv  suchte  ich  früher  zu  erklären ,  weil  es  dem  Inhalte  nach  mehr 
als  die  Nikomachien  umfasst  und  die  Handschriften  wirklich  die  Auf- 
schrift r^itixüiv  fifydXwv  Nixo^iaxeiMv  tragen,  während  anderswo  die  Niko- 
machia  geradezu  z«  [uxQd  Nixoi.idxia  genannt  werden.  Diese  Erklärung 
ist  noch  immer  die  zunächst  liegende.  St.  Hilaire  ist  dagegen,  er  hält 
einfach  j.uyd}Mv  für  einen  Schreibfehler  statt  [xixgcov.  ^)  Trendelenburg 
will  t^ieydXwv  in  xi(fuXai(t)v  ändern.-)  Keiner  dieser  Vorschläge  hat  viel 
AVahrscheiulichkeit ;  möglich,  dass  das  Wort  den  Inhalt,  die  Principien 
der  Sittenlehre ,  Ethik  im  Grossen ,  nicht  Durchführung  der  Pflichten 
im  Einzelnen  bedeuten  soll ;  doch  gestehen  wir  lieber  unsere  Unwissen- 
heit, zumal  die  eigentliche  Frage  dadurch  keinen  Eintrag  erleidet. 

Scaliger  hat  in  seinem  Exemj^lare  von  dem  Titel  das  Wort  'Aqioto- 
TiXovg  gestrichen  und  dazu  geschrieben:  ovx  eonv  "AqiOTorsXovg  dXX'  ix  tc5v 
'AQiOTOTs'Xovg,  tarnen  citat  lihros  Aristotelis  tcmquam  autor  182  (I,  5), 
217  (II,  6).  Kürzer  und  besser  kann  man  das  ganze  nicht  bezeichnen. 
Man  sollte  denken,  dass  in  der  Beurtheilung  eines  solchen  Buches 
alle  sach-  und  sprachkundigen  Philologen  nur  eines  Sinnes  sein  könn- 
ten;  schlimm  genug,  wenn  sie  es  nicht  sind,  es  ist  jedenfalls  kein 
Beweis ,  dass  grosse  Kenntniss  vorhanden  ist.  Ich  habe  die  stilistische 
Verschiedenheit,  welche  auf  spätere  Zeit  hinweist,  hervorgehoben,  und 
wenn    andere    diess    nicht   zu    würdigen    verstehen,    ist    es    nicht   meine 


1)  S.  CCLXXVII.  CCXCIV. 

2)  Ueber  einige  Stellen  im  5.  Buche  der  Nik.  Ethik.  Berlin  1050.  S.  4.  Rose  (de  Arist.  libr. 
ordine  p.  89,  Aristot.  Pseud.  p.  126)  sieht  darin  nur  eine  bibliothekarische  Einrichtung^ 
um  Bücher  ähnlichen  Inhaltes  zu  unterscheiden.  Das  wäre  eine  eigene  Dummheit  der 
Bibliothekare  gewesen ;  man  kann  dieses  wie  vieles  andere  bei  dem  vielbelesenen  Verfasser 
mit  Stillschweigen  übergehen;  er  wird  häufig  vor  lauter  Gelehrsamkeit  höchst  oberflächlich. 


185 

Schuld.  Ramsauer  hat  diese  Seite  in  dem  Programme :  zur  Charak- 
teristik der  aristotelischen  Magna  Moralia,  Oldenburg  1858,  näher  be- 
leuchtet und  manches  schätzbare  und  eigenthümliche  erwähnt.  Mit  Recht 
ist  ihm  z.  B.  der  dem  Aristoteles  und  seinem  Zeitalter  ganz  fremde 
Gebrauch  der  Adjectiva  verbalia  ausgefallen,  den  Unterschied  von  (pdrjrov 
und  (fiXrjtsov  S.  75  —  6,  wovon  weder  in  den  Nikomachia,  noch  in  den 
Eudemia  eine  Spur  zu  finden  ist ;  ob  die  Schwierigkeit  der  betreffenden 
Stellen  oder  etwa  ein  später  ausgebildeter  Schulgebrauch  des  verbale 
auf  .  .  rsov  dazu  geführt  hat,  lässt  er  unentschieden,  cpdrjtdv  wird  als 
das  ayad^ov  schlechthin  betrachtet,  (pdrjTs'ov  aber  als  das  ixäaTO)  dyctd^dv, 
das  heisst  das  oocpe'Xi/jiov.  Dieses  ist  späterer  Sprachgebrauch  und  zwar 
was  vorzüglich  zu  beachten  ist,  der  stoischen  Schule  eigen.  Stob, 
eclog.  eth.  II,  7  p.  140  Siacfsqeiv  3h  XsyovGb  rd  aiQfvdv  xcct  rd  aigsTsov.  alqsrdv 
fihv  yccQ  slvtti  dyad^dv  rd  nav,  algsTsov  6k  b](psXrji.aa  (cocpe'Xifiov?)  rtäv  .  .  ofxoioag 
Sh  xal  TU  fihv  dya&d  ndvTct  sGtIv  vno^isvstd  xai  sfji,i.i£V£zd  .  .  r«  <f'  oüipsXißtt  ndvta 
VTTOiiisvsTäa  xal  efi^svsze'a.  p.  194  —  6  6ia(p£Q£tv  Sk  Xs'yovOiv  mOttsq  aiQszdv  xal 
atgeteov,  ovrco  xal  oqsxtdv  xal  dgexreov,  xal  ßovXrjtdv  xal  ßovXrjzäov,  xal  dnoSsxtdv 
xal  dnodfxtsov  ....  Diese  Unterscheidung  der  Begriffe  hängt  mit  ihrer  spitz- 
findigen Lehre  zusammen ;  ob  sie  wie  viel  anderes  Sprachliche  von  Chry- 
sippus  ausgeht,  lässt  sich  nicht  bestimmen,  jedenfalls  hat  unser  Autor  II,  1 1 
nur  nach  dem  Muster  stoischer  Vorgänger  geschrieben.  Unsere  M.  M. 
stellen  sich  demnach  auch  hier  mit  dem  Buche  txsqI  xdofiov  auf  gleiche  Linie. 
Ich  kann  das  Urtheil  Ramsauers  in  vielen  einzelnen  nicht  vertreten, 
aber  wenn  Bendixen  ^)  über  dessen  Abhandlung  überhaupt  die  Bemer- 
kung macht,  eine  Menge  der  in  den  M.  M.  vorhandenen  Eigenthümlich- 
keiten  sei  gar  nicht  berührt,  geschweige  erklärt,  und  die  gegenwärtig 
freilich  allgemein  j:'ecipirte  Hypothese  eines  spätem  Ursprunges  des 
Buches  könne  höchstens  eine  precäre  Probabilität  in  Anspruch  nehmen, 
so  spuckt  auch  hier  wieder  das  Gespenst  eines  Collegienheftes,  das  ihn 
unfähig  macht,  die  einfachsten  Dinge  so  wie  sie  sind  anzuschauen,  und 
ihn  nöthigt  in  einem  gewöhnlichen  unbedeutenden  Auszuge  jener  zwei 
Ethiken  nichts  geringeres  als  die  ächte  unmittelbar  aus  dem  Munde 
des    Meisters    geflossene    Sittenlehre    zu   erkennen.  ^)     Zu    wünschen   ist, 


1)  Philol.  XVI,  493—6. 

2)  Bend.  glaubt,  da  die  historischen  Notizen  nicht  über  die  Zeit  des  Aristoteles  hinaus  gehen, 
Abb.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  B.  I.  Abth.  24 


18i) 

dass  Fritzsche  eine  Ausgabe  dieser  Ethik  besorge,  und  durch  richtige 
Erklärung  jedes  Einzehien  solche  Einwürfe  in  Zukunft  unmöglich  mache ; 
durch  die  Bearbeitung  der  Eudemia  hat  er  sich  die  erforderliche  Kennt- 
niss  erworben,  die  Erfahrung  wird  ihn  inzwischen  belehrt  haben,  dort 
betretene  Abwege  zu  meiden. 

Dieses  Verhältuiss  der  drei  Ethiken  zu  einander  ist  mir  sicher  und 
klai';  aber  so  leicht  es  mir  scheint  Einwürfe  dagegen  zu  widerlegen, 
so  schwer  wird  eine  gleich  sichere  Beantwortung  der  nicht  minder 
wichtigen  Frage,  welchem  der  beiden  grösseren  Werke  die  drei  in  den 
Handschriften  gleichlautenden  Bücher  ursprünglich  zufallen.  Weder 
eigenes  Studium  im  Laufe  von  mehr  als  zwanzig  Jahren,  noch  fremde 
Belehrung,  so  reichlich  sie  auch  zugegangen  ist,  hat  hierin  meine  Er- 
kenntniss  bedeutend  gefördert ;  fast  möchte  ich  sagen,  dass  wir  darüber 
eine  endgültige  Entscheidung  zu  geben  nicht  fähig  sind.  Wir  besitzen 
zu  geringe  Kenntniss,  um  mit  Zuversicht  zu  behaupten,  dieses  sei  nicht 
in  der  Denk-  und  Ausdruckweise  des  Meisters ,  es  sei  aber  die  indivi- 
duelle Eigenthümlichkeit  dieses  oder  jenes  seiner  Schüler ;  wir  vermögen 
dieses  nicht,  weil  wir  keine  Schriften  dieser  Schüler  ausser  Theophrast 
haben,  aus  welchen  wir  allein  unsere  Beweise  nehmen  könnten.  Dennoch 
darf  man  die  Untersuchung  nicht  aufgeben ;  was  bis  jetzt  nicht  gelungen 
ist,  kann  der  Zukunft  vorbehalten  sein;  sind  wir  auch  nur  im  Stande, 
vieles  als  ungeeignet  aus  dem  Wege  zu  räumen,  so  ist  schon  damit  ein 
Schritt  vorwärts  gewonnen. 

Das    fünfte  Buch    der  Nikom.    spricht    dem  Inhalte   wie    der   Form 


darin  einen  Beweis  gleichzeitiger  Abfassung  zu  finden,  S.  495.  Dahin  gehört  die  Erwäh- 
nung des  Darius  Cod.  II,  12,  des  Mentor  1,35,  der  Tyrannen  Dionysius,  Phalaris,  Clearches 
11,6,  Namen,  die  auch  spätem Peripatetikern  bekannt  genug  waren;  von  einem  Grammatiker 
Lampros  und  Ileus  oder  Nelaus  II,  7,  aus  jener  Zeit  weiss  Niemand  etwas,  eben  so  wenig 
von  einem  Tyrannen  EvfiKv^tig  1203,  27,  der  schon  an  sich  unsicher  ist,  da  er  nur  in  M. 
erscheint.  Ganz  unnütz  aber  ist  für  die  Zeitbestimmung  die  Notiz,  dass  in  dem  Buche  so 
viele  physikalische  Rückblicke  auftreten;  es  sind  ganz  einfache  Dinge,  die  sich  von  selbst 
verstehen  und  aus  der  aristotelischen  Lehre  allgemein  bekannt  sind.  So  bleibt  nur,  dass 
der  Verfasser  im  Namen  des  Aristoteles  spricht,  wenn  er  1,1,1182,  32  nach  den  Leistungen 
des  Pythagoras,  Sokrates  und  Piaton  sagt  ixofiivov  d'  iiy  t'irj  fittd  xavta  axiipcca&ui  ri  det 
avTovi  kiyiiy  vniQ  tovroiv  und  II,  6  oidniQ  i'(fiafxtv  iv  Totg  'AyaXvrtxoti.  Da  er  nicht  seine 
Lehre,  sondern  nur  die  des  Meisters  gibt,  so  kann  er  unbeanstandet  so  sprechen,  auch 
wenn  er  nicht  einen  ähnlichen  Auszug  wie  hier  von  der  Ethik  so  von  der  Analytik  gelie- 
fert hatte. 


187 

nach  für  Aristoteles,  aber  wer  die  Composition  der  Schriften  der  alten 
aus  vergleichenden  Auszügen  kennen  gelernt  hat,  wird  sich  gestehen 
müssen,  dass  die  Anordnung  in  der  letzten  Hälfte  manches  zu  wünschen 
lässt  und  so  wie  sie  jetzt  vorliegt,  nicht  aus  der  Hand  des  Verfassers 
gekommen  ist.  Am  Ende  werden  Aporien  aufgeworfen,  Einwürfe,  welche 
man  gegen  die  frühere  Darstellung  machen  kann ,  gehoben.  Nach  Lö- 
sung der  ersten  (Cap.  11)  werden  noch  zwei  andere  (Cap.  12)  als 
zusammenhängend  angekündigt;  erstere  wird  sofort  erläutert,  letztere 
aber  folgt  erst  Cap.  15 ;  denn  schon  Cap,  13  hängt  mit  diesen  Fragen 
nicht  im  mindesten  zusammen,  und  Cap.  14  entwickelt  den  der  öixaioovvrj 
nahe  stehenden  Begriff  der  imeixeia.  Diese  beiden  Capitel,  achtundsechzig 
Zeilen  umfassend  p,  1157,  4 — 1138,  4  durchbrechen  also  den  Zusam- 
menhang und  ich  habe  sie  längst  als  nicht  hieher  gehörig  bezeichnet.  ^) 
Der  Gedanke  der  Schwierigkeit  dadurch  abzuhelfen,  dass  man  die  letzte 
dnoqCa  der  Eudemischen  Ethik  zuweist,  hätte  nie  aufkommen  sollen;  2) 
aber  eben  so  wenig  kann  eine  Rechtfertigung  der  Vulgata,  als  gehe 
diese  von  Aristoteles  selbst  aus,  irgend  ein  Vertrauen  erregen,  ^)  Auch 
sonst  ist  noch  manches  andere  auszusetzen.  *)  Das  neunte  Kapitel 
erscheint  verfrüht;  noch  ist  von  öixaionQayCa  nicht  gesprochen,    eben  so 


Ij  In  der  Abhandl.  und  in  der  Rec.  von  Fritzsche's  Ausgabe;  ich  glaubte  sie  dem  zehnten 
Capitel  anschliessen  zu  dürfen,  ebenso  Hampke  Philol.  XVI,  84  und  Fechner,  ohne  von 
meinem  Urtheile  etwas  zu  wissen;  doch  ist  zu  merken,  dass  der  Verf.  derM.  M.  die  Aporien 
unmittelbar  an  den  Inhalt  des  zehnten  Kapitels  anreiht,  demnach  für  die  üeberlieferung 
spricht.  Die  Anfangsworte  von  Cap.  13  ol  d"  liu&qwnoi  t(p'  iccvroig  o'iovrai,  eiyai  t6  ddixtii' 
fügen  sich  dem  Gedanken  nach  nicht  recht  passend,  wenn  man  sie  auch  früher  wo  unter- 
zubringen sucht. 

2)  Fischer,  De  Ethicis  Nicom.  et  Piudemiis.    Bonn  1847. 

3)  Bendixen,  Phil.  XVI,  508,  Hildenbrand  S.  286,  317.  Wer  weiss  wie  Arist.  überall  seine 
Aporien  ankündigt  und  durchführt,  wird  ferne  davon  sein,  wie  hier  von  der  im  Zuvielleisten 
bestehenden  Ungerechtigkeit  auf  die  Ungerechtigkeit  gegen  sich  selber  übergegangen  wird, 
von  dieser  auf  die  Billigkeit  im  subjectiven,  dann  im  objectiven  Sinne,  dann  am  Ende 
wieder  auf  das  billige  im  subjectiven  Sinne  mit  wiederholter  Hinweisung  auf  das  sich  selbst 
verkürzen,  den  wahi-en  Gedankengang  des  Autors  zu  erlernen.  Was  sollen  aber  die  Cap.  12 
gelegentlich  hingeworfenen  Worte  othq  äoxovaiv  ol  fitTQioi  Txoittf  6  yicQ  tnieix^g  tkarrto- 
Tixos  iazif  beweisen,  dass  Kapitel  XIV  erst  nach  diesen  folgen  müsste;  so  urtheilt  nemlich 
Bendixen  comment.  p.  19  und  XVI,  494. 

4)  Der  Zweifel  Hampkes  S.  82  über  das  15.  Kapitel  ist  nicht  ganz  ungegründet:  auch  ich 
habe  in  meinem  Exemplare  die  Bemerkung  gemacht,  1138.  28 — G5  (paregoi'  .  .  dno&avtiy 
paruni  hoc  loco  posita  placent. 

24* 


188 

wenig  von  rrQaxitxdi  xain  nQoaiQeaii'  tov  dixaiov.  Die  ersten  sieben  Zeilen 
des  zehnten  Kapitels  finden  erst  am  Ende  des  lang  ausgedehnten  Ab- 
schnittes ihre  Erledigung ,  indem  anderes  wenig  dazu  gehöriges  einge- 
schoben ist.  Das  unpassende  war  längst  anerkannt,  die  jüngst  gemachte 
Umstellung,  ')  wonach  1134,  24 — 1135,  15  nw^  fx^v  ovv  .  .  {>aie(>oi'  iTtiOxsmäov 
(zweiundsechzig  Zeilen) "-)  ans  Ende  des  achten  Kapitel  gesetzt  werden, 
hilft  zumeist  ab.  In  den  Text  dergleichen  einzuführen  ist  nicht  rathsam, 
da  auch  hier  noch  manches  Bedenken  bleibt ;  es  genügt  zu  wissen,  dass 
die  bestehende  Oi'dnung  nicht  vom  Autor  ausgehen  kann. 

Das  sechste  Buch,  die  Darstellung  der  verschiedenen  geistigen 
Eigenschaften  des  Menschen,  ist  dem  Inhalte  nach  entschieden  aristo- 
telisch, wird  auch  in  der  Metaphysik  als  solches  anerkannt,  sprachlich 
glaubte  man  abweichendes  und  eigenes  zu  finden,  doch  ist  dieses  weder 
überzeugend  noch  genügend.  "^)  Dagegen  sind  es  die  letzten  Kapitel 
des  siebenten  Buches,  welche  allen  Zweifel  hervorgerufen  haben.  Wäre 
die  Behandlung  der  i]So%'r],  welche  in  anderer  l^'orm  im  zehnten  Buche 
wiederkehrt,  nicht,  so  würde  es  Niemanden  in  dem  Sinn  gekommen 
sein,  die  drei  Bücher  den  Nikomachia  abzusprechen,  so  aber  bleibt  die 


1)  Hildenbrand  S.  325—31. 

2)  Eben  so  viele  Zeilen  umfassen  die  zwei  ersten  Aporien.    Cap.  11 — 12. 

3)  Mehreres  bei  Fritzsche  angedeutet.  Auffallend  ist  besonders  der  Schluss  des  sechsten 
Buches:  Manche  sagen  alle  uQtiai  seien  qpgoyijatig,  wenn  Sokrates  das  behauptet,  hat  er 
unrecht;  wenn  er  aber  sagt,  sie  seien  nicht  ohne  (pQoyrjaig,  hat  er  recht;  denn  auch  jetzt 
bestimmen  alle  die  uQtjr]  als  eine  «'ft?  x«r«  xöv  oqSov  koyou,  aber  man  müsse  noch  weiter 
gehen  und  nicht  x«r«  rof  oQ&oy  koyoy,  'sondern  //tr«  tov  oq&ov  koyov  sagen.  x«i  yccQ  vvv 
nuvxig  .  .  ngoand^tuatv  .  .  d'ei  dt  fiix^w  /^tTußTii/ai  .  .  tj^uei?  &i  fxitd  koyov.  Die  M.  M. 
I,  35.  1198,  10  geben  keine  Erläuterung,  sie  schreiben  das  ganze  nur  nach:  Xiox^äri^g  .  . 
ovx  6()&u>g,  dkl  'ol  vvv  ßi^Ttof  .  .  0Q9wi  /xtv  ov&'  ovioi  ■  .  u).kd  ßiXuov  oJ?  rjfittg  dtpoqi- 
l^ofitv  TÖ  fitTtl  Xöyov  .  .  Wer  sind  nun  jene  vw  nciviti'i  .  .  unbekannte  Vorgänger  des 
Aristoteles,  wenn  er  selbst  das  geschrieben  hat;  aber  nie  hat  er  im  vorausgehenden  jxitu 
TOV  koyov  gesagt;  vielmehr  finden  wir  ein  für  allemal  II,  2  t6  [liv  ovv  x«r«  tov  6^&6v 
Xoyoy  TtQfiiTtiy  xoivöv  xai  vnoxeiad-u),  und  die  Formel  wiederholt  sich  oft  genug  Scheint 
die  Aenderung  /j.(t(1  tov  Xoyov,  weil  jenes  auch  ohne  Absicht  und  Bewusstsein  möglich 
dieses  aber  keineswegs,  nicht  einer  kleinen  Berichtigung  ähnlich?  dann  würde  der  Verfasser 
diese  sprachliche  Verbesserung  des  Ausdruckes,  der  keiner  Missdeutung  fähig  wäre,  gegen- 
über dem  Meister  als  sein  Verdienst  in  Anspruch  nehmen.  Diese  Vermuthung  ist  nicht 
unwahrscheinlich,  da  die  Eudemia  sich  öfter  des  Ausdruckes  ,ufr«  koyov  bedienen  und  mit 
dem  herkornmliohen  xurtl  löv  o^fyöv  köyov  (II,  5.  1222,  9.  II,  6.  1222,  ü7)  nicht  recht  zufrieden 
sind;  er  steht  I,  G,  1217,  2.  I,  8,  1218,  30.  II,  1,  1220,3.  In  den  Nik.  ist  er  nicht  zu  lesen, 
erat  VI,  4 — 6  wird  er  wiederholt  mit  Vorliebe  gebraucht. 


189 

wiederholte  Behandlung  desselben  Gegenstandes  ein,  wie  ich  es  nannte, 
durch  keine  Interpretation  zu  beseitigender  Uebelstand,  und  ich  behaupte 
auch  heute,  weder  Aristoteles  noch  sonst  ein  vernünftiger  Mensch  könne 
in  einem  Werke  über  die  Ethik  zweimal  an  verschiedenen  Orten  über 
die  Lust  ausführlich  und  im  Grunde  doch  dasselbe,  ohne  auch  nur  mit 
einem  Worte  sich  darüber  zu  erklären,  ^)  sprechen.  Ist  dem  aber  doch 
so,  und  das  Factum  liegt  vor,  so  müssen  eigene  Gründe  diese  seltene 
Erscheinung  veranlasst  haben. 

Nahe  liegt  der  Gedanke,  dass  wir  in  ersterer  Abhandlung  eine 
frühere  Bearbeitung  des  Aristoteles  selbst  vor  uns  haben,  welche  eine 
spätere  Bedaction  des  Werkes  aus  Achtung,  und  um  zugleich  den  Unter- 
schied zu  zeigen,  uns  aufbewahrt  hat.  ^)  Dieses  habe  ich  selbst  ausge- 
sprochen, und  St.  Hilaire  ist,  wie  oben  bemerkt  worden,  dieser  Ansicht 
unbedingt  beigetreten.  Man  müsste  sie  auch  ohne  weiteres  annehmen, 
wenn  wir  nur  die  Nikomachia  hätten;  da  wir  aber  auch  die  Eudemia 
besitzen,  welche  eben  so  viel  Anspruch  darauf  haben,  so  ist  das  keine 
Lösung  der  Frage,  sondern  eine  Abweisung  derselben ;  denn  erst  dann, 
wenn  bewiesen  ist,  dass  das  fragliche  Stück  nur  den  Nikomachia  eigen- 
thümlich  ist,  den  Eudemia  aber  nicht  zufalle,  kann  jene  Hypothese  auf 
Wahrscheinlichkeit  Anspruch  machen.  Diesen  Beweis  zu  liefern  hat 
Bendixen  unternommen.  ^) 

Er  hat  die  Entdeckung  gemacht,  dass  Aristoteles  in  der  Politik 
sich  auf  seine  Ethik  berufe  und  aus  dieser  Worte  anführe ,  welche  nur 
in  dem  controversen  Artikel  über  die  rjSovrj  Nie.  VII,  14,  sonst  nirgends 


1)  Die  zweite  Abhandlung  erklärt  vielmehr  sogleich  im  Eingange  ausdrücklich,  dass  bis  dahin 
noch  kein  Wort  darüber  sei  gesi)rochen  worden;  jetzt  ist  es  Zeit,  heisst  es,  über  die  i^doyi] 
ausführlich  zu  reden;  ein  so  bestrittener  Gegenstand  dürfe  in  der  Ethik  nicht  mit  Still- 
schweigen übergangen  werden,  ijxicr   ctv  tfoStit  naQiriov  eiyiti.    Kann  man  deutlicher  reden? 

2)  Wir  haben  über  solche  Redactionen  keine  zuverlässigen  historischen  Nachweisungen,  sind 
daher  genöthigt  die  W^erke  selbst  genau  zu  untersuchen,  und  auf  das  eigenthümliche  und 
abweichende  aufmerksam  zu  machen.  So  enthält  z.  B.  Metaphysik  K  einen  förmlichen  Auszug 
aus  der  cpvaixrj  uxqoKdig  und  schon  die  äussere  Form  zeigt,  dass  er  nicht  von  Aristoteles 
stammt;  die  Partikeln  yt  fi^v  die  sonst  gar  nicht  gebraucht  werden,  wiederholen  sich  auf 
das  auffallendste.  Wie  hat  so  ein  Abschnitt  bei  irgend  einer  Redaction  in  den  Text  der 
Metaphysik  aufgenommen  werden  können?  Sorgfältige  Achtung  auf  Sache  und  Sprache 
kann  sicher  noch  manches  entdecken. 

3)  Bemerkungen  zum  siebenten  Buch  der  Nikomachischen  Ethik.  Philol.  X,  199—210.  263—92. 


li)0 

zu  tiuden  sind;  damit  sei  die  Aeclitheit  jener  Abhandlung  über  allen 
Zweifel  gesetzt,  aber  auch  die  ganze  Streitfrage,  welcher  der  beiden 
Ethiken  jene  drei  Bücher  zufallen,  zu  Gunsten  der  Nikomachia  entschie- 
den, und  da  die  Politik  erst  lauge  nach  der  Ethik  verfasst  worden, 
erweise  sich  auch  meine  Vennuthung,  Aristoteles  habe  diese  frühere 
Abhandlung  selbst  umgearbeitet  und  sie  später  durch  jene  des  zehnten 
Buches  ergänzt,  als  unhaltbar;  habe  es  nun  einmal  dem  Aristoteles 
beliebt,  in  einem  und  demselben  Buche  zweimal  das  nämliche  vorzutra- 
gen, so  müssen  auch  wir  das  gegebene  willig  hinnehmen  und  das  Ver- 
fahren uns  ohne  weitere  Verwunderung  gefallen  lassen. 

Das  ist,  wie  jeder  leicht  sieht,  eine  unschätzbare  Bemerkung,  wenn 
sie  anders  gegründet  ist,  sie  ist  die  einfachste  und  sicherste  Lösung 
der  so  verwickelten  Frage.     Betrachten  Avir  die  Beweisstellen. 

Aristoteles  hat  Polit.  IV ,  2  die  verschiedenen  Staatsverfassungen, 
mit  welchen  der  Politiker  bekannt  sein  muss,  aufgezählt ;  er  muss  wissen, 
welche  ausser  der  besten  Verfassung  die  für  die  meisten  Staaten  und 
Menschen  gewöhnlichen  Schlages  tauglichste  und  annehmbarste  ist: 
snsita  tig  xoivotccTrj  xai  tCg  algeTwrdTrj  fierd  tr]v  aQiOzrjv  noXusiav  .  .  .  tccTg 
nXeiotaig  dg/xotTovaa  nöleoi  zig  rjv.  Die  Beantwortung  dieser  hier  aufge- 
worfenen Frage  folgt  IV,  11  mit  denselben  einleitenden  Worten  zCg  6' 
uQiGtij  TToXittia  xai  xig  aqiOzog  ßiog  raig  nXfi'Gtaig  Tio^fOi  xai  zoTg  nXeiOzoig  tmv 
dv&QCüTTwv  .  .  nicht  wie  im  Idealstaate,  sondern  so,  dass  auch  die  grosse 
Masse  dessen  theilhaftig  werden  könne ;  da  müssen  für  alle  dieselben 
leitenden  Priucipien  gelten.     Hier  lesen  wir  die  Worte   1295,  35 

>J   J^    J/;   xQiOig   Tisgi   dndvzoov  tovtwv   ix  tiSr  avTwv  Otoix^i'wv    eoziv   ei  ydq 
xulwg   iv    zoig    i]-i^ixoig    eigrjzai  z6   zov   iv6aifiova   ßiov   sivai   zov  xaz'   dQ€zr]v 
dvtfinödiOzov,  fjLeOÖzrjza  6i  zrjV  dgfzrjv,  zov  fxs'Oov  dvayxaiov  ßCov  sivai  ße'Xzi- 
Ozor,  zrjg  txdotoig  i%'6f%oii£vrjg  zv^ftv  /uOÖrrjzog, 
es    werden   zwei   Grundgedanken   seiner   Ethik    hervorgehoben    und  dass 
mit    diesen    auch    der    Hauptinhalt    seines    Werkes    kurz    bezeichnet    ist, 
weiss  jeder,  der  dieses  gelesen  hat.    Nun  behauptet  Bendixen,  der  erste 
Satz  sei  nur  Nie.  VII,  14  und  sonst  nirgends  in  folgenden  Worten  aus- 
gesprochen : 

UQiOzov  z'  ovdiv  xwXvti  rjdovr'iv  ziva  th'ai,  fi  k'viai  (fiavXai,  t]6ovai,  (oOneg  xai 
iniüitjUiV  ziva  ivioiv  <favXo)v  ovOwv  l'owg  (fi  xai  uvayxaTov,  fircsQ  exdozrjg 
l'^tiog   tioiv    e'v^QYHui.   dvtfXTiddiOzoi,   ei'^'   t]   uaOüJV  heqyud   ioziv    erdaifiovia 


191 

eiTe  fj  Tivoc  avTÜiv,  dv  rj  drefiTidSiGtog,  *)  aiQSToyrceTrjv  elvaC'  roino  d"  iOxlv 
i]6ovr>,  wOts  £i'rj  dv  tig  i^^Sovij  zo  dqiOTOv  twv  ttoXXmv  t^Sorcör  (fccvXwv  ovodov 
ei  stvxsv  dnXcög'^)  xal  did  tovro  ndvtfg  ror  (vSai'/.iora  t'jdvv  oi'oviai  ßiov 
eivai,  xal  ifinXäxovöi  rt^v  rjdovrjv  eig  tijV  evdaifxoviav,  avXdycDg-  ovSt/iia  ydg 
h'sqyeia  reXsiog  f[^i7ToSi^ofis'vrj,  r^j  6'  €vSaip,ovia  räiv  TsXfion''  öio  TT^ouSshai  6 
evSaifiMV  T<üV  €V  aajfiaTi  dyccd^div  xal  twv  ixcdg  xal  xfjg  Ti>xrjg,  oVrwg  fir]  s/xno- 
Si^r^tai  xavttt. 
ich  kann  nur  staunen ,  welcher  Missbrauch  von  dieser  Stelle  gemacht 
wird.  Hätte  Aristoteles  gleich  einem  Grammatiker  gesagt,  in  der  Ethik 
habe  ich  das  Wort  dvsunoSiGrog  gebraucht,  so  wäre  der  Beweis  allerdings 
schlagend  und  unwiderleglich ;  denn  nur  in  dieser  controversen  Abhand- 
lung findet  es  sich  und  zwar  zweimal :  viel  anders  scheint  es  Bendixen 
auch  wirklich  nicht  zu  nehmen;  an  dieses  Wort  klammert  er  sich,  auf 
dieses  gründet  er  seinen  Beweis ,  ohne  auf  den  Gedanken  und  Zusam- 
menhang zu  achten.  Aristoteles  erwähnt  in  der  Politik  zwei  Cardinal- 
sätze  seiner  Ethik,  erstens,  dass  die  svöaiixovCa  in  der  dgeri]  bestehe  und 
ohne  diese  nicht  sein  könne,  zweitens,  dass  diese  dgatr]  eine  [xfoöxrjg  sei. 
So  wenig  dieser  zweite  Satz  auf  eine  bestimmte  Stelle  geht,  weil  dieser 
Gedanke  das  ganze  Werk  durchzieht,  eben  so  wenig  der  erste.  Es 
stände  schlimm  mit  unsern  Philosophen ,  wenn  der  Beweis  davon  nir- 
gends als  in  obigen  Worten ,  in  diesem  abgelegenen  Winkel  zu  suchen 
und  zu  finden  wäre ;  denn  hier  steht  er  nicht  einmal.  Hier  wird  nur 
gezeigt,  dass,  wenn  auch  nicht  i'jSovr]  überhaupt,  so  doch  i^Sovr]  ng  das 
dgiOTov  sein  könne,  nämlich  als  Begleiterin  der  ivSaifiovia,  sofern  diese 
eine  ivs'gyeia  dvfixnoSiotog  ist,  das  sei  aber  eben  eine  r]dovi].  Also  um  die 
iqdovrj  handelt  es  sich  hier,  und  die  sv^aifiovCa  wird  nur  zur  Erklärung 
dieser  beigezogen.  Wo  steht  nun  aber  hier  der  Satz  der  Politik  xdv 
svSaifiova  ßiov  flvai  rdv  xaz^  aQavrji'  dvff^moäiOrov?  nicht  einmal  der  Name 
dgeTi],  das  wichtigste,  worauf  alles  ankommt,  denn  der  zweite  Satz  stützt 
sich  auf  diesen,  ist  hier  zu  finden.  Das  kann  also  nie  und  nimmer  die 
Stelle  sein ,  welche  Aristoteles  vor  Augen  hatte ,  als  er  jene  Worte  in 
der  Politik   schrieb ,    und    wenn    auch    noch    als    weitere   Stütze   für  jene 


1)  Conf.  Stobaei  eclog.  eth.  II,  278. 

2)  Dass  die  Trennung  der  Worte  tt  iiv/ey  «7r/laif  von  (pavXiav  ovauiv  und  deren  Verbindung 
mit  ivtQyiucv  (liQiranihrjy  eine  grundfalsche  sei,  S.  205,  hätte  Bendixen,  wenn  auch  aus 
nichts  anderem,  doch  schon  sprachlich  aus  dem  Zusätze  d  irv^ty  ersehen  sollen. 


102 

Interpretation  aus  derselben  Pol.  VII,  13  zur  Begründung  geholt  wird: 
(f^ceidv  ä^  xai  ev  loTc  /^\'/fxorc,  et  xi  tcov  IdyMi'  exfiraiv  ocfsXog  (trjv  fv^aipLoviav) 
fifQyfiav  firat  xm  ;fo»Jo/i'  noerr^g  Tf Xei'nc,  xnl  ra'itjV  ovx  f^  vrroS't'Gfcog,  dXX'  äriXcög, 
SO  ist  ancli  damit  nichts  gewonnen ,  weil  wir  das  anders  woher  weit 
besser  und  genauer  kennen  lernen ;  ^)  dass  die  d^stt]  unbedingt  des  Guten 
wegen ,    nicht    aus  Hintergründen  geübt  werden  soll ,   verstellt   sich   von 

Wenn  aber  Aristoteles  jene  Stelle  der  Nik.  VII,  14  nicht  versteht 
und  nicht  verstehen  kaiyi ,  wo  ist  der  Gedanke  ausgesprochen ,  den  er 
in  der  Politik  anführt?  nicht  im  siebenten,  auch  nicht  im  sechsten  oder 
fünften  Buche;  denn  da  von  den  zwei  Sätzen  der  letztere  iisootrjta  dk 
i<]v  (xQertJr,  der  nur  eine  Folge  des  ersteren  ist,  dass  die  avda^iovia  eine 
ttQfii]  sei ,  bereits  schon  vom  zweiten  Buche  an  erklärt  wird ,  so  hat 
man  natürlicher  Weise  jenen  ersteren  nur  im  Vorausgehenden  zu  suchen, 
und  wenn  Bendixen  sich  die  Mühe  nehmen  will ,  das  erste  Buch  vom 
fünften  Capitel  an  näher  einzusehen  und  auf  den  Gedanken  zu  achten, 
so  wird  er  alles  reichhaltig  und  vollständig  bewiesen  finden,  was  aus 
der  Politik  angeführt  wird,  nur  sein  dvefiTid^iOTov,  das  ihn  so  arg  zum 
besten  gehalten  hat,  wird  er  dort  vergebens  suchen,  erinnert  er  sich 
aber,  dass  selbst  VII,  14  dieses  Wort  nur  für  tsXhov,  welches  weit  be- 
zeichnender ist,  gebraucht  wird,  so  ist  dieses  hier  der  gewöhnliche 
Ausdruck ;  mag  er  nun  in  jener  Stelle  der  Politik  das  dvsixTxoSiorov  mit 
ßiov  oder  mit  dgeup'  verbinden,  für  beides  wird  ihm  Aristoteles  aushelfen, 
der  eben  so  gut  von  dieser  Sache  ßiog  reXfiog  als  dgatt]  TsXsi'a  sagt.  Dort 
ist  ausführlich  Cap.  7  nachgewiesen,  dass  die  fvSai/xovia  sei  ipvxrjg  svägyna 
xca^   dgi'öTrjV    dqsTrjv    xal    TtXfioTarrjV    s'v    ßio)    reXsio).      Cap.     9  ,     dass    Sie    auch 


1)  Bendixen  thut  sich  auf  die  Ausnutzung  der  beiden  Stellen  der  Politik  etwas  zu  gut;  Phil. 
XVI,  474  wird  als  charakteristisches  Zeichen  von  der  noch  immer  sehr  sporadischen  Be- 
nutzung der  aristot.  Schriften  zur  Lösung  kritischer  Probleme  hervorgehoben,  dass  die 
Politik  des  Aristoteles  weder  von  St.  Hilaire  noch  von  Grant  in  weiterem  Umfange  zur 
Erledigung  der  betreffenden  Fragen  benutzt  worden,  als  dieses  in  einer  sehr  unvollstän- 
digen -Vngabe  von  Spengel  geschehen.  Eine  solche  Benutzung  der  Stellen  der  Politik 
konnte  natürlich  weder  mir,  noch  jenem  Franzosen  oder  Engländer  in  den  Sinn  kommen. 
Zwölf  Druckseiten  zu  verst^hwenden,  um  ein  auffallendes  Muster  einer  ganz  verunglückten 
Interpretation  aufzustellen,  scheint  etwas  viel,  ist  aber  im  Grunde  doch  nichts  als  zu  der 
grossen  Masse  ein  Beispiel  melir,  wie  weit  es  die  gerühmte  Philologie  in  Deutschland 
gebracht  hat. 


193 

der  äussern  Güter  bedürfe:  (paiverai  tf'  o/HMg  xal  twv  ixrog  dya^wv  TTQoO^fo- 
fie'rr^,  xa^ccTiSQ  smo/itsv  dSvvatov  yceg  rj  ov  qadiov  xd  xaXd  nQdxTsiv  dxoQijyrjTov 
ovra,  vergl.  X,  9.  und  so  lesen  wir  auch  im  eilften  Capitel  wieder,  der 
ivSaifxwv  sei  0  xar'  dQsrrJv  vsXsiccv  ivsQydHv  xal  twv  sxtdg  dya^mv  xfxogrjyrjfuvog 
Tskfior  ßi'ov.  Das  sind  die  Stellen,  das  ist  der  ganze  Abschnitt,  den 
Aristoteles  vor  Augen  hat,  wenn  er  in  der  Politik  sich  auf  seine  Ethik 
beruft ;  jene  von  Bendixen  angeführte  Beweisführung  über  die  rSovt] 
hat  mit  diesem  Satze  nichts  zu  thun,  gehört  gar  nicht  hieher,  sie  ist 
selbst  nichts  als  eine  weitere  Schlussfolge  aus  dem  was  wir  Nik.  X,  5, 
1176,   25  angegeben  finden. 

Wiederholte  Vergieichung  hat  mir  die  Ueberzeugung  gegeben,  dass 
wir  hier  im  siebenten  Buche  nicht  eine  frühere  oder  spätere  Darstellung 
der  rjSovr]  aus  Aristoteles  Hand  besitzen,  sondern  nur  die  Umarbeitung 
eines  andern,  der  den  Text  des  zehnten  Buches  möglichst  neu  zu  ge- 
stalten suchte.  Hat  man  sich  die  Aristotelische  Ansicht  aus  diesem 
genau  angeeignet  und  vergleicht  dann  jene,  so  findet  man,  wie  die  des 
siebenten  Buches  immer  auf  jene  des  zehnten  gegründet  ist. 

Aristoteles  X,  1  geht  von  dem  Satze  aus  ol  [Uv  ydg  vdyad^dv  i]6ovrjv 
le'yovmv,  oi  6'  e^  evavTiag  xoiudfj  (favXov,  gibt  im  folgenden  Kapitel  die  Be- 
weise der  Vertheidiger  beider  entgegengesetzten  Ansichten ,  nicht  ohne 
zugleich  hier  schon  nebenbei  deren  Gründe  zu  berichtigen  oder  zu  be- 
schränken ,  um  in  den  nächsten  drei  Capiteln  die  nähere  Bestimmung 
des  Wesens  der  Lust  anzugeben  und  somit  sein  eigenes  Urtheil  auszu- 
sprechen. Unser  Verfasser  gibt  VII,  12  drei  Sätze:  ToTg  fih'  ovv  SoxsT 
ovSffXia  ijSovt^  fivai  dya&ov  .  .  rotg  6'  hiai  fxkv  elvai,  al  Si  noXXccl  (paiXai.  *Vt 
<f^  TovTcov  TQiTov,  fi  xal  TiäOai  dya&or,  ofiojg  firj  iv>ie%£0&ai  sivai  xd  ccqiOtov  rjSovijv. 
Aristoteles  kennt  den  mittleren  Satz  gar  nicht ;  natürlich ,  denn  dieser 
erscheint  bei  ihm  erst  als  das  Ftesultat  seiner  gesammten  Untersuchung. 
Daraus  sieht  man ,  dass  der  Verfasser  von  Aristoteles  verschieden  ist. 
Er  hat  auch  andere  zu  Rath  gezogen  und  manches  erweitert ;  den  Aus- 
druck yevsoig  alo,'i^rjTr]  kennt  Aristoteles  nicht,  auch  fehlt  bei  diesem  der 
fünfte  Einwurf,  den  man  gegen  die  t^t^ovr]  vorgebracht  hat:  tri  rixvrj  ov- 
defiia  rjSovrjg'  xaCtoi  näv  dya^ov  zsxvijg  sgyov.  ^ 

Nach    Aufzählung   der   von    andern    vorgebrachten    Einwürfe    gegen 
die   rjSovrj   beginnt    unser  Verfasser    Cap.   13    sofort   mit   der  Erklärung: 
Abb.  d.  I.  Gl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abtb.  25 


194 

Oll  (f'  ov  avf.ißccivn  Sid  in  via  jU>;  elfai  «yaHov  fir^dk  tS  agiOrov,^)  ix  xwvde 
Srkor.  Hat  er,  wie  nicht  zu  zweifeln  ist,  diese  Worte  geschrieben,  so 
sieht  man,  dass  ihm  auch  völhg  B^rnst  gewesen,  die  }]dovi]  als  das  uQiotov 
zu  beweisen,  wie  das  Cap.  14  geschieht,  und  dass  dieser  Beweis,  den 
Aristoteles  nie  gegeben  hätte,  von  ihm  keineswegs  als  ein  blosser  dia- 
lektischer Versuch  betrachtet  worden,  wie  das  neu  edirte  Scholion  des 
Aspasios  -)  meint. 

Sieben  Beweise  werden  angeführt,  um  zu  zeigen,  dass  die  }'i6ovr] 
ein  dyaü^ov  sei.  Davon  ist  der  erste,  dass  die  riSoval  wie  die  dyax^d  ver- 
schieden sind  T«  ju^v  dnXülg,  xd  Si  tivf,  in  dieser  Form  nicht  bei  Aristoteles, 
wohl  aber  ist  der  Gedanke  daselbst  erhalten.  Der  dritte  sagt,  dass  die 
r^Sorai  nicht  yträOfi';  sind,  ov  ya^  yfveOirig  owV^  /Jisrd  yevsOecog  näocci,  dkV  iveq- 
yetai  xai  reXog,  darum  sollte  man  nicht  aio^rjzrj  yersoiQ  sagen  und  damit 
das  Vergnügen  bezeichnen ,  sondern  eragyeia  drffiiroSiOTog.  Das  ist  ein 
Widerspruch  mit  Aristoteles;  dieser  sagt  X,  5,  1175  b  30  seqq.  evegysia 
ist  mit  rdovi]  begleitet  und  diese  nicht  ohne  jene,  daher  manche  sie  für 
identisch  halten,  Sid  t6  fii]  imgC^eoi^ai  yiaivsTai  Tioi  ravTov.  Hier  könnte 
leicht  Jemand  glauben,  der  Verfasser  müsse  früher  als  Aristoteles  sein 
und  dieser  habe  ihn  tecte  getadelt,  ein  späterer  hätte  gegen  die  aus- 
drückliche Scheidung  des  Meisters  keine  solche  Verwechslung  machen 
können.  Das  ist  nicht  ohne  Schein ,  aber  doch  nichts  als  Schein ;  es 
ist  selbst  aus  Aristoteles,  nämlich  dass  die  Lust  teXog  ist  und  die  iväqysia 
abschliesst.  Unser  Verfasser  nennt  sie  ivsQysiai,  weil  sie  stets  mit  solchen 
verbunden,  von  diesen  unzertrennlich  sind.  Da  er  auf  das  ganze  der 
aristotel.  Durchführung  sah ,  mochte  er  auf  diesen  Unterschied ,  zumal 
Aristoteles  selbst  anderswo  r)  i]6ovrj  ivegyeia  tovxov  sagt,  wenig  Werth 
legen;  damit  man  nicht  irre,  setzt  er  xai  xeXog  hinzu.  Man  bemerke, 
dass  das  alles  nur  klar  wird,  wenn  man  den  Aristoteles  kennt.  ^)    Auch 


1)  Dass  zwischen  rö  aqiatov  und  rayaS-öi',  ein  Unterschied  sein  soll,  wie  manche  annehmen, 
z.  B.  Pansch  p.  20  ist  nicht  wahrscheinlich;  es  ist  nur  verschiedener  Sprachgebrauch;  unser 
Autor  sagt  nicht  xuyaitöv,  sondern  nur  lo  ü^iarov  (unrichtig  (i^iatoi')  sechs  mal. 

2)  Seite  84  meiner  Abhandlung. 

3)  Richtig  bemerkt  Pansch  De  Aristot.  Ethic.  Nie.  p.  22  Quid  multa?  quae  posteriore  disser- 
tatione  eontinentur,  ea  satis  intelligere  possumus  alterius  ope  non  adjuti;  quod  de  priore 
(1.  VII)  non  idem  diel  potest,  quae  adeo  alteram  sequitur,  ut  ipsa  voluptatis  definitio  deli- 
gcntissime  explicata  illinc  petenda  sit. 


195 

der  Ausdruck  dvsfiTTÖäiOTog  ist  dem  Gedanken  nach  aus  Aristoteles  ent- 
lehnt, dass  nämlich  nicht  ein  anderes  Vergnügen  in  den  Weg  tritt,  wie 
die  folgenden  Worte  innoSi^H  dt  ovrs  (pQovrjOsi  ovd-'  i'^fi  ovösf^ua  r]  d(p'  ixäOzrjg 
i]Jovi],  dXX'  at  dXXoTQicci  nur  aus  X,  5,  1175  6  1  —  24  ihre  Erklärung 
erhalten  und  man  deutlich  sieht,  dass  dieses  das  Vorbild  ist,  welches 
hier  excerpirt  erscheint.  Von  dem  siebenten  und  letzten  Grunde  ist  der 
Inhalt  ebenfalls  bei  Aristoteles  zu  finden ,  aber  treffend  ist ,  was  die 
Sache  weiter  erläutert,  dass  der  Verfasser  auf  Speusippus  hinweist. 

Das  wichtigste  der  ganzen  Abhandlung  ist  jedenfalls  Cap.  14,  der 
bereits  oben  ausführlich  angegebene  Satz :  dgiorov  %"  ovd^v  xwXvh  nva  ehat 
.  .  er  ist  gegen  den  Aristoteles  und  hieraus  muss  man  auf  einen  andern 
Autor  schliessen.  Aristoteles  will  nicht  die  r^öovr]  als  das  üqiotov  erklären 
und  sagt  es  ausdrücklich  X,  2  1174,  9,  aber  unser  Verfasser  sagt, 
rJ()oi'ry  xig  könne  das  wohl  sein.  Aristoteles  der  X,  1  tadelt,  dass  manche 
die  i^dovr]  an  und  für  sich  für  etwas  schlechtes  erklären,  weil  die  Masse 
von  selbst  dazu  neige ,  um  sie  auf  den  besseren  Weg  zu  leiten ,  er, 
der  nichts  als  Wahrheit  will  und  offen  ausspricht,  dass  alle  Täuschungen 
in  der  Politik  nur  ärgeres  Unheil  bringen,  würde,  glaube  ich,  nie  diesen 
Satz  aufgestellt  haben,  das  konnte  ihm  nichts  als  diuXsxtixdv  xal  xsvöv 
sein.  Aber  obschon  er  das  weder  gewollt  noch  gesagt  hat,  so  ist  es 
doch  nur  aus  ihm  genommen ;  es  folgt  von  selbst  und  jeder  aufmerksame 
Leser  kann  es  aus  dem  was  X,  3  —  5  und  7  (1177,  23)  gesagt  ist,  leicht 
heraus  lesen.  Daraus  glaube  ich  mit  Sicherheit  schliessen  zu  dürfen, 
dass  der  Verfasser  dieser  Abhandlung  Aristoteles  nicht  ist,  er  wollte 
weiter  gehen,  etwas  eigenes  geben  und  nicht  den  blossen  Paraphrasten 
machen ,  daher  manches  anders ,  aber  doch  mehr  dem  Worte  als  dem 
Gedanken  nach.  Selbst  die  Einkleidung  erinnert  an  diesen,  X,  5.  1176,  26 
rj  ix  T(j5v  evsgyiicöv  örjlo  ;  xavraig  ydq  l'novzai  at  rjSovai.  sh'  ovv  f^ia  iorlv  st'n 
nXaiovg  al  jov  xsXeiov  xal  fxaxagt'ov  dvdqog,  ai  ravcag  TfXsiovOai  tj6oval  xvQicog 
Xeyoivx'  dv  dvif-QoSnov  fjöoval  ulrui,  ai  di  Xoinal  dsvxäqcag  xal  noXXoOxwg  wOticq 
at  ive'Qyfiai,  unser  Verfasser  aber  sagt  VII,  14  tJ'x'  ?y  naowv  ivsQysid  ioxiv 
ivdai,fioviu  €1X6  Tj  xirog  avxcov  dr  7y  dvsfinoSiOxog,  aiQtxwtdxrjv  etvai.  So  schreibt 
nur,  wer  ein  geschriebenes  Exemplar  vor  sich  liegen  hat,  daher  sagt  er 
auch  richtig  r^dovr]  xig,  nämlich  die,  welche  der  svtQysia  der  svSatf^ion'a 
folgt.     Der  zweite  Grund,    dass  die   ^6'ovrj  das  dgioxor   sei,  weil  alles  ihr 

25* 


19G 

nachjage ,  ist  von  Eudenms ,  der  hier  nicht  genannt  wird ;  aber  das 
nähere  ist  doch  selbst  aus  Aristoteles  X,  2,  1172  6  35  genommen,  der 
nur  ein  «ryrt^or,  keineswegs  das  aquiiov  daraus  anerkennt.  Was  dieser 
kurz  mit  lien  Worten  ausdrückt  Tguk  6i  xai  iv  roh  qai^Xoig  sari  rt  (pvoixov 
aytxä-oy  xQfhror  ^  x«>>'  aihd,  o  dtfi'ftai  tov  olxfiov  dya^ov  Wird  hier  sehr  Schön 
deutlicher  hervorgehoben  i'aoyg  Ji  x«?  Siwxovatr  ovx  >;»'  oi'owai  ovS'  r]v  «V 
(fuhr,  dXÄci  ii^y  aihr^v  narta  yuQ  (pvOfi  l'x^'  "  &frov,  auch  die  Anwendung 
des   Hesiodischen  Verses  ist  nicht  unpassend. 

Die  Nachweisung ,  wie  es  komme ,  dass  die  awnanxal  ri^ovcd  aigeTtS- 
TtQcd  sind,  Cap.  If),  ist  dieser  Abhandlung  eigen  und  nicht  schlecht  ge- 
geben. iMiieues  auch  einzustreuen  ist  das  Streben  dieses  Autors,  war 
vielleicht  solchen  Umarbeitungen  nicht  fremd;  selbst  der  Verfasser  der 
M.  !M.,  der  nur  unsere  Ethiken  vor  Augen  hat,  gibt  hier  und  da  eigenes. 
Der  Satz,  dass  Sehen  und  Hören  ursprünglich  schmerzvoll  gewesen, 
durch  Angewöhnung  aber  jetzt  nicht  mein-  ist,  schon  der  Form  nach 
eigenthümlich  ausgedrückt,  dfl  yd(t  novti  td  Ci^ov,  woneq  xai  ot  (pvoixol 
Äöyoi  jiaQZVQovOi ,  t6  oqüi  xai  tn  dxovsiv  (fdoxovt  sc,  €ivui  XvTtrjQÖv,  dXV  rj6rj 
ovr);^f-ii  foitt'r  w's  (paöiv.  scheint  hervorgerufen  durch  Aristoteles,  welcher 
sagt,  dass  das  Sehen  dem  Menschen  schon  an  und  für  sich  Freude 
macht,  auch  wenn  er  kein  Vergnügen  dabei  hätte  X,  2,  1173  6  18 
117-i,  5.  6,  27.  Gemeint  sind  die  <f,vöixoi  Xoyot.  des  Anaxagoras  bei 
Theophrast  ntqi  ataO-i'jOtwg,  aber  Aristoteles  selbst,  glaube  ich,  würde  eine 
so  unzeitige  Belehrung  hier  nicht  gegeben  haben.  Warum  wir  uns  nicht 
immer  an  denselben  freuen,  wird  nicht  schlecht  dadurch  bewiesen,  dass 
der  Mensch  auch  ein  schlechtes  Priucip  in  sich  trägt  und  schwach  ist, 
daher  gerne  die  Aenderung  liebt.  Ganz  anders  erklärt  das  Aristoteles 
X,  4,  1175,  5,  was  unserm  Autor  nicht  zu  genügen  schien.  Kann  man 
auch  einige  Andeutung  aus  jenem  nehmen ,  immer  bleibt  es  auffallend, 
dass  hier  eine  grosse  Abweichung  ist.  Sio  o  ^€og  dei  fiiav  xai  dnl^v  xaiqsi 
rjöovr^v  ov  yuQ  fiorov  xivr^OiMC  sOtiv  svtQyeia  dXXd  xai  dxivijüiaq,  xai  i^Sovr]  fiäkXov 
er  iJQSfiiqi  eoiiv  rj  t'v  xirr^oti.  Dieses  wird  aus  X,  8  klar,  weil  es  die  ^smqia 
ist.  und  die  xivrjOig  eine  da^oXia  wäre  wie  bei  einem  nolefuxoc  und  Trohrixöc. 
Also  auch  dieses  ist  nur  aus  jenem  Buche,  aber  über  die  Abhandlung 
der  rjdovtj  hinaus  geschöpft. 

Obschon  ich  nicht  verkenne,    dass  manches  ganz    das  aristotelische 


197 

Gepräge  trägt,  ^)  so  kann  ich  doch  nicht  umhin ,  so  lange  meine  hier 
ausgesprochenen  Zweifel  nicht  völlig  beseitigt  werden,  in  dieser  Ab- 
handlung einen  andern  Verfasser  als  Aristoteles  zu  finden  und  demnach 
diese  vier  Kapitel  für  die  Endemische  p]thik  in  Anspruch  zu  nehmen, 
werde  mich  aber  freuen,  wenn  ich  mich  von  andern  eines  besseren  be- 
lehrt und  auf  den  richtigen  Weg  zurückgeführt  sehe.  Alexander 
Aphrodis.  IV,  14  vergleicht  einen  wichtigen  Lehrsatz  unserer  Abhand- 
lung mit  einem  ähnlichen  des  zehnten  Buches ,  er  nennt  nur  die  Nixo- 
jiiäxficc,  waren  damals  die  drei  Bücher  nicht  schon  bereits  auch  den 
EvStj  itia  einverleibt?  Hat  er  sich  nicht  die  Mühe  genommen,  in  den 
vielen  Schriften  über  Aristoteles,  die  ihm  zugänglich  waren,  nachzusehen, 
oder  hat  er  nichts  gefunden?  Schlimm,  dass  wir  in  solchen  nicht  un- 
bedeutenden Fragen  ohne  alle  Antwort  aus  dem  Alterthume  verlassen 
dastehen;  denn  unsere  Weisheit  ist  doch  meistens  unzureichend,  derlei 
Käthsel  ein'  für  allemal  endgültig  zu  lösen. 

Wer  wie  ich  die  Ueberzeugung  ausspricht,  dass  der  zweite  Theil 
des  siebenten  Buches  Cap.  12 — 15  über  die  i]6ovr]  nicht  von  Aristoteles 
stamme,  kann  sich  kaum  der  Folgerung  entziehen,  dass  auch  die  erste 
grössere  Hälfte  Cap.  1  — 11  über  die  iyxgdzfia  damit  für  die  Nikomachia 
verloren  gehe.  Müssen  auch  nicht  sofort  alle  drei  fraglichen  Bücher 
unmittelbar  und  noth wendig  aufgegeben  werden,  so  hängen  doch  jene 
beiden  Partien  des  siebenten  Buches  mit  einander  so  enge  zusammen, 
dass  es  schwer  hält,  sie  auseinander  zu  reissen  und  den  ersten  Theil 
dem  Aristoteles ,  den  zweiten  einem  andern  zuzuweisen ;  dazu  kommt, 
dass  die  Eudemia  bereits  vorher  111,  2  die  Verbindung  beider,  wie  wir 
sie  hier  treuen:  dxQißsOTfqov  6^  nsql  mv  ysvovg  tdöv  rjSovcöv  f'Ozai  diaiqs'ceov 
iv  Toig  Xtyofiie'voig  vOtfQov  thqI  iyxQursiag  xnl  dxQaOiac   angekündigt   haben. 

Dagegen  glaubt  eine  neuere  Untersuchung  genauere  Vergleichung, 
tieferes  und  schärfeies  Eindringen  in  den  Gehalt  und  die  Durchführung 


1)  Ausgezeichnet,  schön  und  ganz  im  Geiste  des  Aristoteles  ist  die  Einleitung  VII,  12  mqi 
d'i  i^d'ofrji  -/.id  'Kvnm  xflU)(jrja<ti  jov  ir^v  no^iiixi^i'  (piXoco(poi,i/Tos '  ovtog  yccQ  tov  riXovi  «(>/'- 
TixTüiv.  TiQos  o  ßXinovitg  i'xuajov  rö  fxir  y.uxop  tö  d'  uyad-dv  dnXmg  Myo^iv.  Sprachlich  ist 
Cap.  15  zu  merken,  wo  der  Vordersatz  mit  tnti  d't  eingeleitet  wird,  nach  längerem  Zwi- 
schensatze aber  die  apodosis  in  Folge  einer  conclusio  mit  üari  eintritt.  Dieses  findet  sich 
meines  Wissens  fast  nur  hei  Aristoteles  (Bonitz  Arist.  Studien  III,  106),  nicht  bei  andern 
griechischen  Schriftstellern. 


198 

des  Gegenstandes  decke  auch  die  grosse  Verschiedenheit  beider  Ethiken 
auf  und  führe  zu  einem  ganz  anderen  Ergebniss,  als  die  bloss  auf 
äusserliohe  Angaben  leicht  hin  achtende  Kritik  bis  jetzt  zu  gewinnen 
im  Stanile  gewesen;  das  siebente  Buch  stehe  im  innigsten  Zusammen- 
hange mit  den  Nikomachia  und  alles  sei  im  besten  Einklänge ;  verbinde 
man  es  aber  mit  den  Eudemia,  so  treten  Schwierigkeiten  jeder  Art 
entgegen ,  man  könne  aus  den  vorhergehenden  Büchern  jener  Ethik 
weder  in  dieses  hinein,  noch  durch  dasselbe  hindurch,  noch  endlich 
von  demselben  hinüber  in  die  ihm  folgenden  gelangen.  ^)  Im  Eingange 
werde  angegeben,  wovon  gesprochen  werden  soll ;  man  müsse  erwarten, 
dass  hier  nur  neues,  nicht  früher  schon  behandeltes  vorgebracht  werde; 
ferner  wenn  allgemeine  Ansichten  erwähnt  werden ,  erwarte  man ,  dass 
der  Verfasser  nicht  schon  vorher  solche  als  die  seinigen  in  Anspruch 
genommen,  endlich  da  hier  mehrere  Aporien  aufgeworfen  und  gelöst 
werden ,  dürfe  man  mit  Sicherheit  annehmen ,  dass  dergleichen  früher 
noch  nicht  vorgekommen  seien.  Auf  die  Nikomachia  finde  das  seine 
volle  Anwendung,  nicht  so  auf  die  Eudemia;  hier  ist  schon  in  den 
frühern  Büchern  wiederholt  von  dem  «xparvyc  die  Uede,  der  Verfasser 
hat  bereits  viele  gangbare  Ansichten  als  die  seinen  in  Anspruch  ge- 
nommen, auch  gehen  besondere  dnoQiai  schon  II,  9  voraus,  und  VII,  6 
beruft  er  sich  nicht  auf  unser  Buch,  welches  den  Gegenstand  ausführ- 
lich zu  behandeln  beabsichtigt,  sondern  auf  das  II,  7  über  den  dxqatijq 
gesagte. 

Dieser  Nachweis  wird  den  Leser  anfangs  für  diese  Ansicht  günstig 
stimmen,  nähere  Einsicht  aber  und  Vergleichung  der  betreffenden  Stellen 
wird  ihn  auch  bald  überzeugen,  dass  so  fein  und  schön  manche  Beobach- 
tung ist,  der  Schluss,  welcher  daraus  gezogen  wird,  doch  keineswegs 
ein  berechtigter  ist. 

Im  siebenten  Buche  werden  nach  dem  Eingange  Cap.  2  die  allge- 
mein gang  und  gäben  Ansichten  über  ByxQäzHu  und  dxQuoi'a  dargelegt, 
Cap.  '6  ein  halb  Dutzend  Aporien  aufgeworfen ,  aus  diesen  aber  vier 
Hauptpuncte  zur  näheren  Untersuchung  Cap.  4 — 11   hervorgehoben,  von 


l)  Beudixen,  Bemerkungen  zum  siebenten  Buche  der  Nikomachlschen  Ethik.    Zweiter  Artikel, 
Philolü^us  X,  2Ü3— 92. 


199 

welchen  der  vierte  TtfQi  tmv  aXXwv  ooa  ovyyfvfj  Trjg  d-ewqi'ac  Tccvtr^g  handelt 
Cap.  9 — 11.  Die  Eud.  P]thik  verweilt  nun  allerdings  11,  7 — 8  mit  Vor- 
liebe bei  dem  iyxqazrjg  uud  dxQazrjg,  sie  gebraucht  aber  diese  nur  zur 
Erklärung  des  ixdvoiov  und  dxdvoiov,  des  freien  Willens ,  weil  sie  gerade 
in  jenen  beiden  eine  besondere  Schwierigkeit  findet,  ^)  ob  ihr  Handeln 
xar'  oQs^iv  oder  xazd  ngoaigsGii'  oder  xazd  didvoiav  ist,  ob  freiwillig  oder 
unfreiwillig  oder  beides  zugleich,  während  die  Nikom.  nur  III,  7  kurze 
Beziehung  darauf  nimmt.  Eine  solche  Erklärung  eines  speciellen  Falles 
steht  der  allgemeinen  Behandlung  wie  diese  in  unserem  Buche  erscheint, 
keineswegs  entgegen.  Eben  so  wenig  kann  es  befremden,  wenn  hier 
einige  Gedanken  vorkommen ,  welche  unten  als  bekannte  Sätze  erklärt 
werden.  Wenn  hier  als  gewöhnliche  Ansicht  gesagt  wird  doxel  6k  jj 
syxQaTsia  .  .  rwv  enaivezcöv  sJvai,  warum  sollte  der  Autor  nicht  schon  vorher 
II,  11  bemerken  dürfen  »y  fxh'  iyxQdteia  toiovzov,  zmv  snaivszwv  S'  r  iyxqdzsia'i 
es  ist  ja  auch  hier  als  allgemeine  Ansicht,  nicht  als  eine  von  ihm  zuerst 
aufgestellte  und  behauptete  Ueberzeugung  ausgesprochen.  Nur  nebenbei 
mit  Hinweisung  auf  nähere  Erklärung,  demnach  nur  als  vorläufige  Be- 
merkung wird  II,  11  gesagt  sOzi  d"  dqszr]  xal  iyxqdzsia  steqov.  Xtxzsöv  6" 
vGzeqov  tvsqI  avzwv  .  .  .  Xs'yofisv  Sk  TtqoanoQr^Gavzsg.  Wenn  Bendixen  be- 
hauptet über  dieses  für  den  Verfasser  der  Eudemia  so  wichtige  Ver- 
hältniss  ^)  stehe  im  ganzen  siebenten  Buche  kein  einziges  aufklärendes 
Wort,  so  irrt  er;  die  Sache  ist  genau  VII,  9  dargelegt,  nur  dass  hier 
nicht  von  dqszr]  und  syxqdzfia ,  Sondern  was  dasselbe  ist ,  von  dessen 
Gegensatz,  der  xaxia   und  dxqaoia  gesprochen  wird. 

Die  von  Bendixen  bisher  angeführten  Gründe  werden  Niemanden 
überzeugen,  dass  man  unser  Buch  den  Eudemia  nicht  zusprechen  könne ; 
es  werden  aber  aus  diesen  drei  Stellen  angeführt,  welche  sich  auf  früher 


1)  p.  1224  6,  3  ovToi  /uofoi. 

2)  Wenn  Eud.  II,  7  steht  ij  yrtQ  iyxqunia  d^iiij,  dagegen  II,  11  f'ffri  dt  cl^fitj  xcu  t'yx(jdTit.a 
i'riQoy,  so  ist  das  allerdings  ein  Widerspruch  in  den  Wox'ten,  erklärt  sich  aber  aus  der 
Sache.  Auch  unser  Buch  sagt  VII,  1  sie  seien  nicht  identisch,  aber  auch  nicht  log  i'TS(>oy 
yivog  und  doch  lesen  wir  Cap.  9  xui  oAwf  rf'  iit^oy  rö  yivoq  dxQaaiag  xui  xaxiag.  Die  Er- 
klärung nämlich  folgt  xuxiu  rj  uxqaaia  ovx  i'ari,  d'A'Au  71  rj  l'ffwf.  Es  ist  dieses  vollkommen 
mit  der  Lehre  der  Nik.  IV,  15  übereinstimmend  ovx  i'ari  eTf  ovd'  ri  iyxqdxua  dqtxri,  dlXd 
rtff  fxtxrt],  d.  h.  eigentliche  dQniij  ist  sie  nicht,  aber  im  gewissen  Sinne  kann  man  sie  eine 
d^iT^  nennen  und  nicht  nennen. 


200 

gesagtes  berufen,  was  wolil  in  den  Nikomachia,  nicht  aber  in  den  Eu- 
deniia  zu  finden  sei.  Von  diesen  ist  die  erste  VII,  H,  1147  b  23 
erifi  6'  eOil  i«  /.ih'  nynyxnia   iwr  noiovrnov   /^'Jor»yi',   in  6'  (xiQtid  f.ikv  xad-^  avtd, 

fXovKx    tf'    v^fQ^oX/^y    drayxccTa  /iitv  id  Ocoi.iaiixd i«   d'  dvayxaia   fxkv  ov, 

ttiQfrd  6i  x«tV'  avrd  .  .  keine  Citation ,  sondern  eine  Eintheilung,  man 
müsste  dann  alle  bei  Aristoteles  mit  suel  6^  anfangenden  Lehrsätze  (wie 
in  demselben  Capitel  1148  b  15)  als  Berufungen  auf  bereits  früher 
gesagtes  ansehen ,    was  Niemand    thun    wird.     Die   zweite    eben  daselbst 

1 148,  24  Tc5r  yaQ  i^Ssow  i'ria  (fvüti  a'iqstd,  xd  cf'  ivavTia  tovtcov,  td  di  fieza^v, 
xa&aTTfQ  SifiXo/Afv  TtQOTfQov,  oiov  pf^fj^jWara  xal  xsQÖog  xal  vixrj  xal  zi/nrj 
ist,  wie  man  sieht,  eine  wirkliche  Citation,  in  dieser  Form  aber  leider 
weder  in  den  Nikom.  noch  in  den  Eudem.  nachweisbar,  so  dass  Muretus 
III,  449  u.  A.  ihren  Inhalt  in  der  vorher  angeführten  Stelle  suchen  zu 
müssen  glaubten.  Nik.  I,  8,  1099,  1  kann  nichts  beweisen,  wir  lernen 
daraus  nur,  dass  es  (pvoti  rjSe'a  gibt,  sonst  nichts,  von  einer  Eintheilung 
ist  keine  Spur.  Die  dritte  Stelle  endlich  VII,  8  Tregl  Si  rdg  6i"  d(pt~g  xal 
yfvOfwc  i^^dovdg  .  .  Tisgi  ag  rj  dxoXaOia  xal  O'McpQoOvvrj  SiwQiO^rj  Tcgöregov  soll 
ein  deutliches  Zeugniss  für  die  Nikom.  gegen  die  Eudem.  enthalten ; 
jene  bezeichnen  das  yevarov  xal  dmov  als  das  Gebiet  der  dxoXaoia,  die 
Eudem.  geben  die  Berichtigung,  dass  dieses  in  Wahrheit  nur  das  dmov 
wäre  und  bleiben  auf  dieser  Correctur  und  sicheren  Errungenschaft 
stehen ;  ihr  Verfasser  hätte  daher  in  der  Folge  nicht  in  die  veraltete 
Ansicht,  die  er  selbst  verbessert  habe,  zurückfallen  können.  Ein  kühner 
Kritiker  würde  diesem  Uebelstande  wohl  gleich  durch  Streichung  der 
überflüssigen  Worte  xal  yevoi-wg  abhelfen,  indessen  bedarf  es  keines  solchen 
Kunststückes.  Es  ist  falsch,  dass  die  Nikomachia  von  den  Eudemia 
corrigirt  werden;  denn  jene  selbst  sagen  ausdrücklich  III,  13  nicht  die 
yeroig,  sondern  die  d^r]  beherrsche  den  dxöXaürog:  ov  ndw  Si  xaiqovai  %ov- 
Toig  (nämlich  Gegenständen  der  ysvoig)  ij  ovx  oT  yt  dxöXumoi,  dXXd  zfj  dno- 
XavOei,  rj  yivexai  naOa  di'  d(fjrjg  xal  sv  Oirioig  xal  iv  TroxoTg  xal  roTg  dipQoSiOioig 
Xfyon^voig,  und  so  wenig  bestehen  die  Eudemia  auf  jener  vermeintlichen 
Errungenschaft,  dass  sie  unmittelbar  nach  jener  strengen  Ausscheidung 
sagen,  nicht  die  andern  drei  Sinne  zeigen  den  dxoXaoxog,  sondern  nur 
jene  zwei,  dXXd  negl  %d  (ivo  Twv  alo^Tjtwv  tavta  .  .  ttsqI  %d  ysvOid  xal  amd, 
und  gleich  nachher-  wird  wieder  bemerkt  xal  foixt%>  d^fj  fiäXXov  rj  ysvost  t6 


201 

näd^og.  Was  konnte  also  den  Verfasser  der  Eudemia,  wenn  er  dieses 
siebente  Buch  geschrieben  hat,  hindern,  hier  bei  einer  allgemeinen  An- 
gabe dem  gewöhnlichen  Sprachgebrauche,  der  gangbaren  Ansicht  zu 
folgen  und  6i'  dipfjg  xal  yevoewg  ZU  Schreiben? 

Das  sind  die  Steine  des  Anstosses,  die  es  unmöglich  machen  sollen, 
aus  den  ersten  drei  Büchern  der  Eudemia  in  dieses  siebente  Buch  der 
Nikomachia  sich  hinein  und  in  diesem  zurecht  zu  finden.  Wer  für  jene 
schon  vordem  eingenommen  war,  wird  sich  nicht  hindern  lassen,  leicht 
darüber  zu  steigen,  aber  auch  wer  für  jene  nicht  besonders  begeistert 
ist,  sondern  unschlüssig  keine  Entscheidung  wagt,  wird  durch  solche 
Gründe  nicht  zur  Ueberzeugung  gebracht  werden,  dass  dieser  Theil  den 
Eudemia  nicht  zufallen  könne ,  demnach  den  Nikomachia  zugesprochen 
werden  müsse.  Bendixen  zeigt  eine  nicht  gewöhnliche  Beobachtungs- 
gabe, um  den  Unterschied  solcher  Schriften  anschaulich  zu  machen,  und 
gibt  manche  dankenswerthe  Bemerkung,  aber  die  Anwendung,  welche 
davon  gemacht  wird,  ist  gewöhnlich  unberechtigt  und  zwingt  zur  Ge- 
genrede. 

Der  zweite  Theil  jener  Abhandlung  S.  270 — 92  geht  von  dem  im 
ersten  Artikel  gewonnenem  Ergebnisse  aus,  dass  Aristoteles  in  den  Bü- 
chern der  Politik  sich  als  Verfasser  der  Schlussabhandlung  des  VII 
Buches  über  die  r^6ovr]  bekenne,  und  gibt  aus  dessen  philosophischem 
Sjstem  den  Nachweis,  wie  er  dazu  gekommen,  denselben  Gegenstand 
in  seiner  Ethik  wiederholt  zu  behandeln.  Im  VII  Buche  sei  die  Lust 
vom  Standpuncte  des  natürlich  sinnlichen  Wesens  des  Menschen  und 
seiner  gewöhnlichen  Erscheinung  aus,  im  X  von  seiner  höhern  vernünf- 
tigen Seite  betrachtet,  eben  so  die  Glückseligkeit  dort  vom  Standpuncte 
des  philosophisch  gebildeten  Staatsmannes,  hier  vom  Gesichtspuncte  des 
speculativen  Philosophen  entworfen ;  es  sei  eine  fortschreitende  Entwick- 
lung der  Lehre  sowohl  der  rjSovrJ  als  der  svSm/xovia  vom  VII  bis  zum  X 
Buche  nicht  zu  verkennen ;  die  Bücher  der  Politik  beziehen  sich  aus- 
schliesslich auf  das  Resultat  der  ersten  Abhandlung;  so  oft  Fragen  aus 
dem  Gebiete  der  Ethik  berührt  seien ,  werde  mit  einer  gewissen  Vor- 
liebe auf  die  Untersuchung  des  VII  Buches  gewiesen ;  das  ganze  siebente 
Buch  der  Politik  scheine  es  sich  zur  Aufgabe  gemacht  zu  haben,  jene  aus- 
zubeuten oder  seinem  Inhalte  nach  wieder  in  Erinnerung  zu  bringen  u.  s,  w. 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth.  2  6 


202 

Das  sind  eben  so  neue  als  ganz  unerwartete  Belehrungen;  da  aber 
ihre  ganze  sieben  Blätter  umfassende  Beweisführung  sich  auf  die  Un- 
trüglichkeit des  ersten  Artikels  stützt,  den  Satz  nämlich,  dass  Aristoteles 
das  VU  Buch  als  sein  Eigenthum  anerkenne,  von  diesem  aber  oben 
nachgewiesen  ist,  dass  er  ganz  falsch  sei,  so  ist  mir  auch  ein  näheres 
Eingehen  in  diese  Entdeckungen  von  selbst  erlassen.  Wenn  Bendixen 
die  sämmtlichen  oder  doch  die  wichtigsten  Schriften  des  Aristoteles, 
wie  die  naturhistorischen,  angefangen  an  der  (pvaixrj  dxqoaoig  bis  zu  nsql 
C(,)ioi'  yf re'öfcdc  genau  durchgeht,  und  von  jeder  sich  den  nöthigen  Auszug 
macht,  wodurch  Plan  und  Ausführung  des  Werkes  klar  dargelegt  wird, 
ist  er  gewiss  der  erste,  der  solche  Interpretationskünste  als  Faseleien 
zurückweisen  wird ;  denn  Aristoteles  spricht  in  allen  Werken ,  die  voll- 
ständig erhalten  sind ,  über  Gang  und  Durchführung  des  Gegenstandes 
sich  überall  klar  und  deutlich  aus,  und  braucht  keinen  Interpreten,  der 
ihm  Gedanken  leiht  und  unterlegt,  die  er  nie  hatte.  Treten  Hemmnisse  ein, 
und  diese  sind  nicht  selten,  seien  es  Risse  oder  auch  Ueberfüllung,  nicht 
zusammengehörige  Partien  u.  dgl.,  so  gilt  es  ein  scharfes  Auge  zu  haben, 
um,  wenn  auch  nicht  Ursache  und  Grund  der  Erscheinung  —  dieses 
ist  oft  unmöglich  —  doch  den  factischen  Bestand  sicher  zu  bestimmen ; 
hier  die  gewöhnliche  Ueberlieferung  durch  überkluge  Erklärung  recht- 
fertigen zu  wollen,  ist  nichts  als  überflüssige  Verschwendung  des  Scharf- 
sinnes ;  der  ist  zu  viel  besserem  zu  verwenden,  und  dass  in  diesem  Sinne 
die  Beobachtungsgabe  und  das  schöne  Talent  Bendixen' s  dem  Aristoteles 
recht  fruchtbringend  werden  möge,  ist  mein  sehnlichster  Wunsch. 


NIKOMACHISCHE    ETHIK. 

I,  1,  1094,  22  drjkov  (6g  tovt'  äv  el'rj  rdya^dv  xal  v6  aQiOvov.  Hat  Ari- 
stoteles hier  am  Anfange  absichtlich  beide  Ausdrücke  gesetzt,  oder  ist 
letzteres  späterer  Zusatz?  10!J7,  28  steht  to  ägiorov,  um  den  Grad  zu 
bezeichnen,  nicht  mehr  nothwendig  aber  ist  es  1097  b  22  (v.  27  sagt 
er    TuyaMv),    1098,    20.  b  32.   1099,    24.    b  30.     In    den   controversen 


203 

Capiteln  des  VII  Buches   12 — 15  steht  öfter  ro  agiocor,  Cap.   13  /nij  tlvai 
dya^Sv  firjdi  t6  üqigtov,   die   M.   M.   geben   sogar  xd  uqiotov  dyu^ov.^ 

I,  2,  1095,  26  TxsQi  äs  Trjg  svScciixovCag  .  .  ov^  o/xotojc  ot  nokXol  zoTg  OoyoTg 
dnoSiSoaOiv  oi  }iev  ydq  zcov  ivagywi'  re  xal  (fiavsqurv ,  oiov  r^SovTjV  -q  ttXovtov  r\ 
Tiixi^r ,  ciXXoi  Sk  ttXXo ,  noXXdxig  di  xal  6  aihog  ^'rtgor  .  .  .  (iwsiSörsg  6i  ainoTg 
ayvoiav  xovg  /.le'ya  ri  xal  vnkq  avrovg  Xtyovrag  ^avfid^ovOi.  hioi  (J"  ^iovro  naqd 
%d  TtoXXd  ravTa  dyax^ö  aXXo  xi  xa^'  avxo  sivai.  Ich  vermuthe  svioi  ydq  rporro. 
Es  folgen  nämlich  die  Philosophen,  welche  etwas  von  den  gewöhnlichen 
Ansichten  weit  abgehendes  sagen  und  dadurch  dem  Volke  imponirten, 
das  waren  aber  jedenfalls  die  Idealisten.  Aristoteles  ist  damit  in  den 
Gegensatz  von  den  noXXol  zu  den  aocpol  übergegangen  und  hat  zugleich 
den  Piatonikern  einen  Schlag  gegeben ;  ihre  Lehre  werde  von  der  Masse 
nur  angestaunt ,  weil  sie  gar  zu  frappant  und  eigenthümlich  scheine. 
Ich  halte  ydQ  für  nothwendig.  üebrigens  wird  hier  schon  auf  Cap.  4 
hingedeutet  und  es  ist  nur  Willkür,  wenn  Gruppe  jene  Auseinander- 
setzung für  einen  spätem  Zusatz  des  Aristoteles  in  dieser  Ethik  erklärt. 

I,  4,  1096,  14  t6  6^  xa^dXov  ßb'Xriov  i'oo)g  sniOxäxpaUxi-ai  xal  SiaTTOQrJOai  .  . 
6d§£is  <?'  ov  [l'Ocog  ßeXxiov  slvai  xai\  6ilv  inl  OcoxrjQia  ys  xr^g  dXrj^siag  xul  xd 
olxsia  dvaiQsTv.  Die  eingeschlossenen  Worte  scheinen  eine  falsche  Wieder- 
holung des  obigen  zu  sein,  sie  passen  hier  nicht.  Die  Stelle  zeigt,  dass 
das  Sprichwort  amicus  Plato,  amicus  Aristoteles,  sed  magis  amica  veritas 
von  Aristoteles  selbst  ausgeht  und  unserer  Ethik  entnommen  ist. 

V.  20  xd  6^  dyaSdr  Xäyexai  xal  sv  X(f  xi  ioxi  xal  sv  xm  ttokö  xal  iv  rw 
nqdg  xi.  Was  soll  hier  die  Erwähnung  der  (Qualität?  wir  brauchen  nur 
die  Substanz  und  Relation  unmittelbar.  Wenn  v.  24  steht  xdyai^dv  loaxöJg 
Xsysxai  x(^  ovxf  xal  ydg  iv  x(^i  xi  Xi'ysxai  olov  6  ^sdg,  SO  ist  dieses  ZU  merken; 
Aristoteles  sagt  sonst,  wie  v.  20  vollständig  sv  xdi  xi  saxi,  und  so  geben 
auch  die  Eudemia  1 ,  8  diese  Stelle ,  nur  in  unmittelbarer  Aufzählung 
und  Aneinanderreihung  der  Kategorien  sagt  er  einige  Mal  einfach  xi, 
Bonitz  zu  Met.  p.  1026,  35,  aber  der  Verfasser  der  M.  M.  1,  1.  1183, 
10  hat  in  seinem  Exemplare  bereits  kein  ioxl  vorgefunden.  II,  6,  1107,  6 
xdv  Xdyov  xdv  xi  r^v  shai  Xsyovxa,  der  Sprachgebrauch  fordert  rdv  xd  xi  rjv 
und  so  hat  auch  K. 

I,  8,  1098  b  15  eine  Stelle,  welche  recht  anschaulich  macht,  wie 
Scaliger  durch  Tilgung  von  Wörtern,  die  ihm  ungehörig  schienen,  dem 

26* 


204 

Texte  aufzulielfeu  sucht;  alles  eingeklammerte  ist  in  seinem  Exemplare 
durchstrichen  :  rac  6i  nQu^eic  xal  rag  ivsQysiag  rag  ipvxixäg  [tt^qI  xpv%rjv  ri&£fX£v\ 
oJöif  xaXijJgciy  Xi-yono  xaid  ys  [ravcr^f]  xi]v  ^o^av  naXaidv  ovOav  xal  6fioXoyovfis'vr]V 
VTTo  rüjy  (ftXoüo(fovii(oy  [vgO^wg  Si  xal]  oti  Tigd^sig  rtr^g  [Af'yovrat]  xal  ivsqysiai 
10  rsXog  [oviu)  ydQ\T(JI}V  ttsqI  ipv%ijv  dya&öiv  \yCvsTai\  xal  ov  twv  ixtog.  Erhält 
der  Satz  dadurch  eine  grössere  Rundung,  so  hat  doch  eine  solche  Inter- 
polation wenig  Wahrscheinlichkeit  und  die  Bedeutung  wird  eine  andere, 
die  ich  nicht  zu  begründen  weiss.  Andere  Stellen,  in  welchen  er,  was 
ihm  übertiüssig  scheint,  streicht,  von  welchem  manches  ansprechend  ist, 
sind   1\,    4,    1122   b    18   nsyaXoTrqäneiu  [ßv  fxsysd-si]   .  .  ola    XäyofJisv    [ra]    ri(xia. 

IV,  14,  1128  b  7  Tcör  d^  [ti8qI  T.yV  fjdov^v^  r]  fi^v.  VII,  9,  1150  b  35 
i'j  d'  ov  Ovv€Xi]g  [TTovrjgi'a].  VII,  10,  1151  b  9  o  fi^v  ydg  6id  ndS-og  .  .  ov 
lirraßdXXst  \o  iyxganqc^,  insl  svTTSiOrog  .  .  k'Orai  [6  iyxgazrjg].  VII,  11,  1152,  24 
o  (f^  novi]Qdg  xQwnevrj  ixhv  \roig]  vöfioig,  novrjQoTg  6i  [xQdo/xs'vr]].  IX,  12  [ircöfisvov 
d'  av  fhj  öisX^sTv  nsql  Tjdovrjg'].  X,  2,  1173,  20  vndqxsiv  [xal  xazd  rdg  dgs- 
ra's].    X,    10,    1181,    3    ovTS  [ydq]  ygdcpovTsg. 

II,  1,  1103,  23  ov&hv  yuQ  Tuiv  cpvösi  ovzwv  aXXcog  id-C^erat ,  otov  6  Xi^og 
(fvGu  xdrco  (psQofXsvog  ovx  av  i&iGdsir]  avco  (psQsGd-ai  .  .  ov3^  rd  nvQ  xdrco ,  ovS' 
äXXo  ovSiv  T(üv  dXXcog  nsfpvxoTcov  äXXcog  av  i&iG&sir].  Dem  allgemeinen  Satze 
folgen  zur  Erläuterung  zwei  Beispiele ,  um  von  diesen  wieder  auf  das 
Allgemeine  zurückzugehen ;  äXXwg  vor  Trscpoxötav  ((pvGsi  necpvxÖTwv  in  M. 
ist  wohl  nur  nähere  Bestimmung)  ist  zu  streichen.  Vielleicht  war  an- 
fänglich nur  eine  Umstellung  der  Wörter  aXXcag  nstpvxoroDv  statt  Trecpvxötcov 
äXXoog,  wie  dieses  auch  sonst  nicht  selten  ist,  z.  B.  VI,  2.  1139,  18 
vovg  öge^ig  für  ogs^ig   vovg.     VI,    3.    b,    16   ts'xvt]   sTnGTrj/xrj    lür  eTTiGti^fii]  tc^vt]. 

V,  10.  1136,  4  öixaionQayst  6k  av  ßovov  ixcSv  TigdTtr^,  WO  ßovov  av  erwartet 
wird,  wenn  anders  fiövov  nicht  überflüssiger  Zusatz  ist,  vgl.  1135,  16 
öixaionQoyei  otav  €xcov  rig  avrd  TiQdzTrj.  V,  10,  1134,  62  iv  oig  ä'  dSixia, 
xal  tö  ddixsTv  iv  rovTOig,  iv  olg  6b  ro  d6ix£iv,  ov  naGiv  d6ixCa.  Warum  nicht 
einfach  iv  tovroig  xal  %6  d6ixsTv"i  Vielleicht  auch  VIII,  11,  1160,  4  av^rjGiv 
Xaixßdvsi  T&;  fxäXXov  nqog  (fiXovg  shai  ist  vorzuziehen  fiäXXov  t^,  wiewohl  man 
den  Comparativ  gar  nicht  braucht. 

II,  2,  1104  b  21  6i,'  rj6ovdg  6k  xal  Xvnag  (pavXai  [yivovrai]  aus  dem 
vorausgehenden  nüGa  xpvxrjg  i'^ig  müste  man  xpvxcd  oder  xpvxrig  i'^sig  ergänzen; 
natürlicher  aber  ist  tpavXoi  zu  schreiben,  und  so  hat  der  Verfasser  der 


205 

Eud.  iu  seinem  Texte  gelesen  11,  4,  der  die  ganze  Stelle  wörtlich  über- 
trägt  Si^  iqdovdg  Sb  xal  Xvnag  (favXovc,  tpafxhv  elvai. 

II,  5.  IIOG  b  34  iod-Xol  fi^v  ydq  ccTvlcSg,  navTadanoög  Sk  xaxoC.  Der  VerS 
scheint  nicht  an  seiner  Stelle  zu  sein,  Scaliger  hat  ihn  v.  30  nach 
n£7T£Qaö/.i£vov  gesetzt;  besser  ist  es,  wenn  er  v.  33  nach  stcitvxsiv  zu  stehen 
kommt. 

II,  8.  1109,  14  olor  avTol  fiäXXov  nscpvxafiev  nqog  rag  rjSovdg,  Jto  svxa- 
tä(poQoC  sGfiev  f^iaXXov  TiQog  dxoXaOiav  yj  nqog  xoGf^ioTtjTa.  Erklärt  Wird,  wa- 
rum bei  einigen  dq^Tal  der  Gegensatz  in  die  vTisQßoXr],  bei  andern  in  die 
sXXsirpig  gelegt  wird,  so  sagen  wir,  der  dvögia  stehe  die  dsiXia  (eine  eXXsiipig) 
entgegen,  nicht  die  ^(,aovTr]g,  (die  vnsqßoXrf)'.,  der  acocpgoovvrj  aber  die  dxo- 
Xaoi'a,  (die  v7i£QßoXrf),  nicht  die  dvaio^rjoCa  (die  UXeixpig).  Die  Ursache  liegt 
bald  im  Gegenstande,  bald  im  Menschen ;  was  der  Sache  nach  vom  fxsaov 
am  weitesten  entfernt  ist,  bildet  dessen  Gegensatz,  wie  dort  die  dsdCa', 
aber  auch  das ,  wozu  wir  von  Natur  aus  eine  grössere  Neigung  haben, 
wird  das  ivavziov  genannt,  und  dieses  ist  der  Fall  mit  der  dxjXaoia,  zu 
der  wir  uns  weit  mehr  neigen  als  zur  dvaiod^rjOia.  Dieses  ist  der  Zu- 
sammenhang, es  kann  also  nicht  xoGfiiorrjta  heissen,  denn  dieses  ist  das 
fie'aov,  es  müssen  die  ivavxCa  bezeichnet  werden,  wie  das  oben  v.  3  schon 
ausgesprochen  war,  also  dvaio^r]Oiav,  man  müsste  denn  das  ganze 
V  nqog  xoOfiiotrjTa  streichen,  weil  man  y  nqog  dvaiö&rjoi'av  leicht  von  selbst 
verstehen  kann.  Die  Eud.  III,  2,  1230  b  15  sprechen  sich  über  diese 
dvciiOd-rjOia  auf  folgende  Art  aus :  iotl  Sh  ov  ndvv  yvwqifxov  ro  ndi^og  ovd^ 
ininoXaiov  Sid  ro  ndvzag  snl  zd  &ttT£QOV  dfiaqzdvsiv  fiäXXov  xal  ndoiv  sivai 
Ovfi(pvTov  T)jV  rm'  toiovtcov  rjrzav  xal  al'o&rjOiv.  Nie.  VII,  11,  1151  b  31. 
Der  Fehler  ist  sehr  alt;  denn  der  Verfasser  der  M.  M.  I,  9.  1186  b 
27  zeugt  durch  seine  Version,  dass  er  jenes  Wort  im  Texte  bereits 
vorgefunden  hatte:  olov  rtstpvxafxsv  fiäXXov  dxöXaOtoi  slvai  rj  xoGfiioi  .  .  .  . 
iTti6i6o[X£V  li^  nqSg  dxoXaöiav  fiäXXov  rj  ngog  xoOfiiözrjTa. 

III,  8,  1114  b  30  ovx  ofioCwg  .  .  Tomo  ixovoiot.  Diese  sechs  Zeilen 
enthalten  eine  schöne  Bemerkung,  gehören  aber  nicht  hieher  und  konnten 
von  Aristoteles  weder  hier  noch  vorher  am  Ende  von  III,  7,  1114,  21 
mit  ovx  ofioCtüg  ydq  statt  dk  anknüpfen;  vielleicht  enthalten  sie  nur  eine 
Randbemerkung.  In  solchen  Dingen  ist  es  nothwendig,  überall  zuerst 
das  Factische  nachzuweisen,  dass  nämlich  die  überlieferte  Ordnung  un- 


206 

möglich  die  ursprüngliche  vom  Verfasser  ausgehende  sein  könne;  einer 
weitern  Forschung  mag  es  vielleicht  gegönnt  sein,  auch  das  Entstehen 
solcher  Abweichungen  mit  Sicherheit  zu  begründen.  —  Dieses  habe  ich 
schon  früher  bekannt  gemacht;  Wünscher  pag.  40  meint,  die  Worte 
könnten  recht  wohl  den  Schluss  des  siebenten  Capitels  bilden ;  dahin  hatte 
schon  Scaliger  diese  Zeilen  gesetzt,  abei'  ich  zweifelte  an  der  Richtig- 
keit ;  denn  im  Vorausgehenden  ist  nur  der  Beweis ,  dass  wie  dqsxr]  so 
xaxia  bei  dem  Menschen  ixovoiog  ist,  und  daran  schliesst  sich  der  Inhalt 
jener   Worte  nicht  passend. 

Ul,  11,  1116  b  33  idy  ys  iv  vh/  [rj  iv  iXsi]  fj  das  eingeschlossene 
streicht  Scaliger;  im  nächsten  1117,  2  sind  die  Worte  ov  6/j  iotiv  ..  t6v 
xtv6vvov  eine  unnütze  Wiederholung  von  v,  33 — 5,  und  auch  das  nächste 
scheint  nur  durch  Tilgung  richtigen  Zusammenhang/ zu  erhalten;  (fvoi- 
xcoTati^  Ja  eoixsy  i\  6id  rdv  x^v/idv  slvai  [^xal^  TiQOöXaßovOa  -ncQoaiQsOiv  .  .  [avdqsCa 
(lrai\  Die  Eudem,  III,  1,  1221),  28  sagen  allerdings  nur  einfach  ofiwg 
db  ftdXiCita  (fvOixri   rj  rov  r^v/xav. 

III,  13,  1117,  29  otov  (fiXoTifiCa  tpilofid&eia'  sxdtsqoq  yaq  tovtcov  %aiQSi 
ov  (fi^rixdc  iotir.  Scaliger  tovtc-i,  man  weiss  wirklich  nicht,  was  man 
vorziehen  soll ;  wäre  das  concretum  (pdoTif^iog  g)dofiadrjg,  so  wäre  der 
Genetiv  ganz  natürlich ;  man  wird  sich  mehr  zu  Scaligers  Aenderung 
hinneigen.  1118,  8  täiv  J'  imd^viimv  al  (xiv  xoival  SoxovOiv  fivai,  al  d'  idioi 
xai  sTtii^sToi.  Scaliger  der  Concinnität  wegen  xoival  xai  (fvaixal,  da  so- 
gleich als  Beispiel  folgt  olov  i]  fiiv  Tfjg  Tgo(pfjg  (pvaix^  und  ebenso  nachher; 
übrigens  kann  dieser  Begriff  auch  in  dem  Worte  xoi-val  enthalten  liegen, 
aber  der  Gegensatz  macht  den  Zusatz  wahrscheinlich. 

III,  14,  1119,  14  setzt  Scaliger  die  Worte  om"  dnovrwv  XvnsTTm  ovv' 
iTiiiH>iuT  in  die  nächste  Zeile  nach  die  ixt}  Ssl. 

V,  1,  1129,  8  oQM/xev  drj  Tidvteg  Ttjv  TOiavtrjv  ^'^iv  ßovXofiävovg  Xiysiv 
dtxaioGvvTjV ,  d<f^  rjg  nqaxxixol  tcSv  SixaCwv  sioi  xai  d<p^  rjg  dhxaioiXQayovOi  xai 
ftovXovzai  TU  dixaia'  rdv  avtdv  dh  tqdnov  xai  nfql  ddixiag,  d(f^  rjg  ddixovOi  xai 
ßovXovtai  TU  udixa.  Auffallend  ist,  dass  im  ersten  Satze  drei,  im  zweiten 
zwei  Glieder  sind,  und  da  dixaionqaytlv  und  ddixetv  den  Gegensatz  bilden, 
80  könnte  man  den  ersten  Satz  als  unächt  streichen  wollen;  an  sich 
aber  ist  der  Begriff  nqaxiixol  zwv  dixaCwv  nicht  ungeeignet,  V,  9,  1134,  2. 
Wenn  durchaus  Gleichheit  der  Sätze  sein  soll,  kann  diese  durch  Tilgung 


207 

der  Worte  siol  xal  dtp'  ^g  hergestellt  werden.  Achtet  man  auf  den 
Sprachgebrauch  des  Aristoteles ,  so  wird  man  finden ,  dass  er  auf  eine 
solche  Concinnität  weniger  als  andere  Autoren  Gewicht  legt,  und  sich 
nicht  scheut  einen  nahe  liegenden  bezeichnenden  Ausdruck  noch  zum 
Besten  zu  geben,  wie  VII,  1  tt^qI  Jt  dxqaoiag  xal  (laXaxiaq  xal  rgvtpfjg  Xtx- 
te'ov,  xal  TTSQi  iyxffaxsiag  xal  xagtsQiaq,  WO  der  Zusatz  xal  VQV^rfg  ganz  über- 
flüssig ist,  aber  er  sagt  auch  Cap.  7  ovrog  naXaxdc  xal  TQVfficöv  xal  yccQ 
ij  TQV(pr}  fxaXaxCa  tig  soriv  und  gibt  dadurch  den  (irund,  warum  er  das 
Wort  damit  verbunden  hat. 

V,  2,  1129,  2ß  s'oixs  6^  nXsovaxüig  Xs'ysO^ai  i]  dixaioövvrj  xal  rj  ddixCa, 
dXXd  did  To  Gvvsyyvg  elvai  rrjv  diKüVVfiiav  Xav^dvei  xal  ovx  cijGttsq  inl  t(Sv  tzöqqoo 
6rjXrj  fiäXXov.  Das  letzte  Wort  gehört  nicht  zu  Si^Xri,  sondern  zu  ttöqqo), 
SO  viel  als  noqqoTSQoi.  Seine  jetzige  Stellung  ist  kaum  zu  rechtfertigen, 
vielleicht  genügt  es  inl  zdiv  ttoqqo)  fiäXXov  dVjXrj  zu  setzen.  Vgl.  oben 
zu  II,    1. 

V.  o2  SoxsT  d^  o  TS  TTaqdvoiJiog  aSixog  eivai  xal  6  TiXeovsxTrjc  xal  6  äviOog, 
cüOts  ÖTjXov  oTi  xal  6  öixaiog  sörai  o  rs  v6fMiJ,og  xal  6  i'Oog,  to  [xh'  di'xaiov  aqu  zd 
■v6fxip,ov  xal  To  l'oov,  tö  d'  adixov  td  rragdvo^ov  xal  rd  aviOov.  Längst  hatte 
ich  in  meinem  Exemplare  die  Worte  xal  6  nXsovsxTi]g  als  dem  Zusammen- 
hange entgegen  gestrichen ;  um  so  auffallender  war  es  mir ,  dass  Tren- 
delenburg nicht  diese ,  sondern  die  nächsten  xal  6  aviOog  als  falsch  er- 
klärte und  Bekker  sie  einschloss.  Das  richtige  hat  Hampke  Philol. 
XVI,  62 ;  ich  will  noch  hinzusetzen,  dass  V,  5  dicogiorai  Sr]  to  aSixov  rd 
X£  naqdvoixov  xal  xd  äviOov ,  to  6i  Sixaiov  to  ts  rd/^uf^iov  xal  to  i'öor  Sich  aui 
unsere  Stelle  bezieht  und  allein  schon  entscheidend  ist. 

V,  o,  112J  b  16  ot  6i  vdjiioi  dyoqsvovOi  nsql  dndvTwv  OToyi^a^d^svoi  rj 
Tov  xoivfj  öviKfsqovTog  näoiv  ^  Totg  dqiöToig  rj  ToTg  xvqCoig  xar^  dqeTijv  rj  xaz' 
äXXov  Tiva  Tqdnov.  So  können  die  Worte  nicht  richtig  sein;  denn  xvqioi 
xaT'  dqsTTjv  sind  die  äqioroi.  Es  fehlt  aber  xaT'  dq£Tr]v  in  k  und  den  Aus- 
gaben der  Endemien,  Sylburg  zu  pag.  125,  25;  dann  muss  rj  xoTg  xvqioig 
xaz'  aXXov  gelesen  werden ;  gemeint  ist  Oligarchie,  Timokratie  u.  A.  Ist 
aber  xar^  dqsTrjv  richtig,    so    bleibt  nichts  als  rj  Totg  dqiOToig  zu  streichen. 

Y,  4,  1130,  14  ZrjTovfjLsv  66  ys  tvv  iv  (xsqsi  dqsTfjg  dixaioOvvrjv  .  .  ofioioog 
J^  xal  nsql  ddixiag  xfjg  xard  fis'qog.  Ich  halte  dqsTfjg  für  einen  erklärenden 
Zusatz,  eben  so  dqsTrjv  am  Anfange    des    nächsten  Capitels  V,   5   Bti  /.Uv 


208 

ovi  <w'of  ^ixaioovvai  nXst'ovg  xal  ori  fon  Tic  xal  hega  naqd  xrjv  oXtjv  aQszrjVy 
6i'Xoi\,  der  oL]  Sixaioovvij  steht  rj  iv  [iegsi  oder  /j  xarä  fiäqog  entgegen.  V.  22 
äXXi^  ddtxia  MC  fiegoc  r/yc  oXi^c.  33  ddixi'a  naqd  tijv  oXtjv  aXXij  iv  fiegsi.  b  16  Sore 
xal  TreQi  t;"c  ev  [.it'gei  dtxaioGvvi^g  xal  tisqI  tiJc  dv  jWf'^«  d6ixiag  Xfxräov.  Der  er- 
klärende Zusatz  ergab  sich  leicht,  weil  einige  Zeilen  vorher  v.  8  vor- 
ausgeht aintj  fiiv  ovv  t]  SixaioGvrt^  ov  /nsQog  dqtzfjg  dXX'  oXt]  dQsz/j  iöxiv.  — 
V.  27  ixfTvog  6'  dSixog,  dxoXaOrog  6'  ov'  dfjXov  dg«  ori  6id  to  xsgSaivsiv.  Dieses 
ist  kein  Folgesatz,  sondern  Begründung,  daher  Scaliger  richtig  ydQ 
gesell  rieben  hat. 

\,  5,  1130  b  8  ÖKüQiGiai  Srf  %d  ddixov  to  ts  7ictqdvof.iov  xal  tö  dviOov, 
t6  öi  di'xaior  tö  re  vofiifiov  xcci  t6  l'oov.  xaxd  f.ihv  ovv  t6  nagdvofiov  "tj  ixqotsqov 
fiQi^fu'it^  dSixitt  eOTi'v.  STisi  6^  to  aviOov  xai  to  nXsov  ov  tavtöv  dXX'  i'teqov  cog 
fUQog  TTQog  oXov  (to  fih'  ydq  nXe'ov  anav  driOov,  to  6s  dviOov  ov  ndv  nXs'ov),  xai 
TU  aöixov  xal  i]  ddixi'a  oi)  tavtd  dXX^  ^tsqa  ixsCvwv,  td  [xev  cog  fieqrj  td  ä^  wg 
o/«*  l^iiQoc  ydg  avtt^  r^  ddixi'a  tilg  ^^V^  däikiag,  o/jioicog  6i  xal  t]  dixaioOvvr]  trjg 
öixatoövvr^g.  Was  Aristoteles  hier  sagt,  ist  gegen  seine  Ansicht  und  man  kann 
durch  keine  Erklärung  helfen.  Nach  ihm  ist  das  naQdvofiov  der  Inbegriff  der 
oXr^  dSixia,  und  das  vdfii/xov  die  oXrj  SixaioavvTj ;  darum  das  zweite,  das  dvioov 
und  roov  die  partikulare  ddixCa  und  6ixaioovvtj.  Der  hier  gegebenen  Er- 
klärung gemäss  aber  würde  von  der  particularen  dSixCa  wieder  ein  Un- 
terschied gemacht,  und  zwar  das  dviaov  das  genus,  das  nXäov  die  species 
bezeichnen,  was  ganz  gegen  den  Zusammenhang  und  den  Gedankengang 
des  Verfassers  ist.  Man  streiche  den  Erklärungssatz  to  [xhv  ydq  nXsov 
anav  dviaov,  to  dk  dvioov  ov  ndv  nXiov  und  alles  ist  richtig;  schon  im 
Alterthum  wurde  der  Gedanke  falsch  aufgefasst,  vergl.  scholia  fol.  62,  6. 
Nicht  den  Unterschied  von  dviOov  und  nXiov  will  Aristoteles  geben,  son- 
dern den  von  naqdvofiov  und  dviOov',  er  sagt,  dieses  dvioov  oder  nXiov 
(dieses  hebt  er  hervor,  weil  die  Ungerechtigkeit  zumeist  in  der  nXsovs^Ca 
besteht)  ist  nur  ein  Theil  von  dem  naqdvofiov,  folglich  das  Fehlen  in 
diesem  nur  oJ?  ii^qog  von  dem  gesammten  naqdvo^ov,  d.  h.  die  specielle 
döixia  von  der  gesammten  dSixia.  Das  hat  Jemand  nicht  verstanden 
und  indem  er  glaubte,  Aristoteles  spreche  vom  Unterschiede  des  dviaov 
und  TiXiov,  durch  unzeitige  und  ungeschickte  Erklärung  dieser  Wörter, 
die  zwar  an  sich  richtig  ist,  die  ganze  Stelle  unverständlich  gemacht. 
Das  Verkehrte  muss  schon  frühe  bemerkt  worden  sein  —  Muretus  ist 
nicht   der   erste,    der  das  p.  383  E.    eingesehen   hat  —  und   so   findet 


209 

sich  in  andern  Handschriften  (M,  0.  bei  Bekker)  folgende  abweichende 
rorm  eTiei  S^  ro  aviOov  xal  zd  n(XQdvof.iov  ov  Tavtdv  rd  /iih'  )'a^  äviOov  anav 
naQcivofiov,  %d  Sk  naqdvofiov  ov^  olnav  aviOov  xal  id  nXiov.  Das  ist  nur  die 
Verbesserung  einer  schon  vorhandenen  Interpolation,  um  einigermassen 
Zusammenhang  hervorzubringen,  die  aber  selbst  den  Gedanken  des 
Aristoteles  schlecht  trifft.  Dieses  ist  zugleich  eine  von  den  vielen  Stellen, 
wie  die  Sätze  des  Stagiriten  überarbeitet  worden  sind,  und  wie  die 
Kritik  vorsichtig  zu  verfahren  hat,  um  A echtes  und  Unächtes  abzuson- 
dern. Hier  geben  die  Handschriften  selbst  ganz  Verschiedenes,  die  ge- 
hörige Untersuchung  aber  lehrt,  dass  weder  das  eine  noch  das  andere 
von  Aristoteles  herrühren  kann ,  und  ein  unverständiger  Zusatz  eine 
dem  Gedanken  scheinbar  mehr  entsprechende  Verbesserung  herbei- 
geführt hat,  —  So  hatte  ich  mich  schon  früher  über  diese  bestrit- 
tene Stelle  geäussert;  später  fand  ich,  dass  Trendelenburg  S.  8  jene 
Variante  von  M.  0.  gebilligt  und  Bekker  sie  in  seinem  neuen  Abdrucke 
aufgenommen  hat.  Ich  kann  die  Autorität  jener  Bücher  nicht  aner- 
kennen und  diese  bedeutende  Aenderung  nur  für  eine  Interpolation,  um 
den  Worten  einen  zusammenhängenden  Gedanken  zu  leihen ,  halten. 
Ebenso  Münscher  pag.   63. 

V,  5.  Hol,  12  sl  ovv  rd  adixov  äriüor ,  xd  dixaiov  l'oov ,  otiiq  xal  avsv 
Xöyov  öoxsT  TiaOiv.  snel  6i  rd  i'oov  fisOov,  rd  Sixaiov  f^isOov  n  av  si'rj.  söTt  6i  xd 
l'oov  SV  iXaxiOxoig  dvOiv  dvdyxrj  xoCvvv  xd  dixaiov  fxäöov  xs  xal  lOov  elvai  [xal 
TCQog  xi\  xal  xiGi'v,  xal  fj  fxtv  fis'Oov ,  xniSv  [xavia  J'  sOxi  nXtlov  xal  sXaxxov),  fj 
6'  I'gov  sOxi,  dvolv,  jj  6^  dixaiov,  xioiv.  olg  xt  ydq  dixaiov  xvy^dvti  ov ,  6vo  iOxi, 
xal  iv  olg  xd  nqdyi^iaxa,  6vo,  xal  rj  ainrj  sOxai  iodxtjg,  olg  xal  sv  olg'  cog  ydq 
ixsTva  s%si  xd  iv  olg,  ovxco  xdxsTva  ^xsi'  sl  ydq  /Uy  »öot,  ovx  loa  t^ovOiv ,  crAA' 
svxsv^iv  al  ixdxcci  xal  xd  iyxXr'jnaxa  .  .  .  Dem  Sinne  nach  ist  die  Stelle 
ganz  klar ,  die  Worte  aber  bieten  manche  Schwierigkeit.  Scaliger  hat 
in  seinem  Exemplare  vieles  gestrichen  und  ich  glaube  manches  mit 
Recht.  Nach  dvolv  v.  15  setzt  er  nqdg  xi  xal  xioi,  streicht  dagegen  v.  17 
die   ganze  Parenthese  xama  d"  ioxl  nXaiov  xal  sXaxrov,^)    ferner  v.    18  iox\, 

dann    V.     20     xd  nQdy^iaxa,     V.    21    xd  sv   oic,     endlich     V.     22    s'^si'    sl  ydq  fxrj 


Ij  Scaliger  scheint  gleich  Münscher  pag.  66  den  Inhalt  der  Parenthese  für  unrichtig  gehalten 
zu  haben;  dass  sie  aber  die  M.  M.  hatten,  sieht  mau  aus  1193  b  20  üiart  xo   Xaov    av  jilti- 
ovos  xcd  tXuzTovo^  iiTj  (fixccwy.    Sehr  leicht  entbehrt  man  sowohl  jd  ngäy/uctTa,  als   r«  t'y  oig, 
ohne  jedoch  beweisen  zu  köunen,  dass  sie  fehlen  müssen. 
Abh  d.  1.  LI.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X  Bd.  I.  Abth.  27 


nioK  ovx  iba  l'^oi'o/.  Hie  von  Bekker  eingeklammerten  Worte  lässt  die 
beste  Handschrift  ä  aus.  Im  obigen  erwartet  man  am  Anfange  sTiel  6i 
rd  niov  fttdov,  l^rd  ^t  Sixaior  niov),  ro  dtxaiov  fis'öor  xt  av  si'rj.  Man  muss  es 
jedenfalls  aus  dem  vorausgehenden  ergänzen.  Dann  folgt  die  Unter- 
scheidung von  Sachen  und  Personen,  und  hier  soll  nichts  stehen  als: 
clvdyxi^  loirvv  id  di'xatof  ntüor  i>  xici  Tüov  (or)  elvca  (rivdjv)  xal  riOiv,  xai  rj  fitv 
^inJov,  iiiwi;  ji  S'  i'üov,  TiOt'i.  dvdyxij  aqa  xo  dixaiov  iv  ska^iüroig  sivai  thTtaqüiv 
oh  Tt  ydg  di'xaiov  rvyxdvfi  or,  6vo  ^oti  ,  xal  iv  ok.  Hat  Aristoteles  an  zweiter 
Stelle,  wie  nicht  zu  zweifeln,  tivmv  geschrieben,  so  stand  dasselbe  auch 
an  erster,  wo  bliese  Angabe  in  K  ausgefallen  ist,  und  darf  nicht  aus 
andern  Handschriften  durch  ttqoc  ji  ergänzt  werden ;  er  hat  wie  den 
Dativ ,  so  auch  den  Genetiv  zweimal  geschrieben.  Der  Zusatz  f^  Si 
Si'xniov  Tioi'r  gehört  nicht  hieher.  da  das  di'xaiov  nur  als  i.uoov  und  l'aov 
näher  erkli'irt  werden  soll.  Und  dennoch  kann  es  scheinen,  dass  die 
Politik   III,   9,   1200,   Ki .    welche    unsere  Stelle    vor  Augen  hat:   ijid  rd 

dixuiDV  Tiaiv  xai  diTJgtjTai  idr  avcdv  tqüttov  ini  T€  tü)V  Ttgay/jittTcov  xal  oig,  xa- 
O^dTTtQ  ftgr^Tai  ngÖTegov  iv  roTq  vii^ixoTg  dafür  spricht.  Aus  den  M.  M.  1193 
b  32  lässt  sich  etwas  sicheres  nicht  beweisen;  denn  diese  gehen  von 
der  dixatoovvrj  aus  und  ordnen  dieser  das  Sixaiov  unter,  so  dass  hier  die 
drei  Begriffe  des  di'xaiov  Toov  und  näaov  wirklich  auf  gleicher  Linie 
stehen ,  um  daraus  den  Unterschied  von  Personen  und  Sachen  zu  be- 
stimmen ;  es  ist  aber  wahrscheinlich,  dass  auch  sie  jene  Worte  rj  di  di'- 
xaiov Tialv  im  Texte  bereits  vorgefunden  haben.  —  Münscher  schreibt 
pag.  65  —  68  dvdyxtj  Toi'vvv  rd  dixaiov  fiiOov  re  xal  i'oov  (or)  tivai  (xal  sv  tiOi) 
xal  Tiotv  und  streicht  alles  folgende  xai  fi  /ilv  .  .  di'xaiov  naiv.  Hier  würde 
die  Ordnung  wenigstens  fordern  afvai  xal  riolv  (xal  iv  Tiair),  wie  schon 
das  nächste  olg   und  iv  olg  zeigt. 

V,  9.  1134,  b  rJ  d'  ddixi'a  tovvavTi'ov  %ov  ddixov  tovto  d'  iürlv  vnsqßoXr^ 
xal  t).Xfixpig  Tov  o](ffXt'(jbov  ij  ßXaßsqov  nagd  rd  dvdXoyov.  Nach  der  Bestim- 
mung, was  die  dixaioovvrj  ist,  heisst  es,  das  Gegentheil  davon  ist  die 
ddixia,  der  Zusatz  tov  ddixov  ist  überflüssig,  dann  muss  es  wohl  xal  ßXa- 
ßtqov  heissen,  nicht  r],  beides  ist  verbunden.  Oben  v.  7,  1132,  4  steht 
TOV  ßXdßovg,   während  sonst  tov  ßXaßsQov  oder  r^g  ßXdßr]g  gesagt  wird. 

V,  10,  11. '54,  19  '^  ovTu)  [liv  ovdiv  dioiOf^i;  ich  vermuthete  ovdtv  sei 
zu  tilgen  :   oder   wird   der  Unterschied  so  sein,   dass  es  besonders  auf  die 


211 

TXQoaiqsaig  ankommt?  Diesen  Gedanken  hat  meines  Wissens  nocli  Nie- 
mand in  dieser  Stelle  erkannt;  jetzt  will  Münscher  pag.  83  diesen  posi- 
tiven  Sinn  auch  in  dem  negativen  Ausdrucke  mit  ovS^v  finden. 

1134,  b  22  >]'  To  alya  i)vtiv  dXXd  /xr]  6vo  nqoßccTa.  Dazu  macht  Sca- 
liger die  Bemerkung:  dvo  del.  M(uretus),  ego  censo  yrgößara  delendum 
et  Svo  retinendum.  —  1135,  6  hat  derselbe  richtig  wg  t6  xu^oXov  statt 
%d.  —  V.  19  döixrjfia  Jt  xai  SixaionQdyrjua  wgiOTai  tm  ixovüCo^  xal  dxovoCoj. 
Münscher  j^ag.  88  will,  weil  es  ein  Schluss  sei,  Jry;  ich  ging  noch  weiter 
und   habe    eben   deswegen    auch  cogioO-oo  vermuthet,    wie  nachher  v.   30 

ofioiwg  6i  t6  toiovtov  Siojqi'oS^co  —  V.  oo  noXXd  yuQ  xal  twv  (pvOsi  vTiaQ^ovrcav 
slSoTfg  xal  TcgaTTO^hV  xal  ndO'/^of^uv,  wv  ovlhtv  ovx/  ixovGiov  ovt^  dxovüiwv  sOtiv, 
olov  to  yrjgäv  rj  dno^vr^oxeiv.  Eine  merkwürdige  Behauptung;  man  sollte 
denken,  das  wahre  wäre  doch  nur  wv  ov^iv  ixovoiov  ioviv.  —  1136,  1 
av  J'  ix  TiQoaiQsOecüg  ßXdiprj,  dSixsT,  xal  xard  ravr'  rjörj  %d  dSixrj/nata  6  ciöixöHv 
döixog.  Dieses  ist  die  Beantwortung  der  am  Anfange  des  Capitels  auf- 
geworfenen Frage  6  noia  dSixriiaxa  ddixmv  ijSrj  döixog  ioriv  ixdOTrjV  dätxiav ; 
SO  dass  man  auch   dort  nur  xal  6  zavr'  ijSrj  zd  ddixrniaia  däixm'  erwartet. 

VI,  1,  1  1386,  20  TovTo  Sie'Xwfifv.  Vielmehr  Su'X^cofiev,  doch  wird  die 
Entscheidung,  da  die  Verwechslung  dieser  Wörter  öfter  vorkommt,  von 
der  Vergleichung  sämmtlicher  Stellen  abhängen. 

VI,  2,  1139,  3  Xeywiisv  ovTcog.  Ich  glaube  ovrcog  findet  sich  bei  solchen 
üebergängen  sonst  in  Aristoteles  nicht.  Im  folgenden  tiqötsqov  fiiv  ovv 
iXä^^ri  6v'  slvai  fJiSQii]  fi^g  ipvxfjg,  ro  ts  Xoyov  s'xov  xal  t6  dXoyov  vvv  di  tt^qI  tov 
Xöyov  sxovrog  ...  SiaiQfxeov.  scheint  etwas  ausgefallen  zu  sein,  z.  B.  dXoyov 
\a)V  jjSrj   dioSqiOTai  ro  dXoyor^  vvv 

VI,  8.  1141  b  25  Tr:g  6i  tzsqI  noXiv  tj  fiH'  cog  aQxiTfxTovixr]  [(fQovrjOig^ 
vofio^ftixrj  .  .  .  avTT]  St  nqaxtixrj  xal  [ßovXsvrixTJ].  die  eingeschlossenen  Wörter 
streicht  Scaliger  (xal  nach  nQaxnxrJ  fehlt  in  den  Ausgaben  und  K  L),  ich 
glaube  mit  Recht;  nur  so  stimmt  es  mit  dem  folgenden.  —  v.  31  xal 
s^fi  avTTj  ro  xoivov  ovoiia  (pqovrjOiv ,  ixsCvuiv  dh  r^  /liv  olxovofiia  tj  8i  vo/xod^fGia, 
Tj  6i  TioXiTixij.     Erwartet   man  hier  nicht  nothwendig  fxsivr]'? 

VI,  9  b  33  £i3og  iikv  ovv  Tt  äv  si'r]  yvwoswg  ro  avro)  sldsvai.  Auffallend 
ist  yvwüswg,  die  Frage  ist,  ob  das  t6  arx^li  dya^ov  slSe'vai  zur  (fQovrjGig  ge- 
hört oder  nicht,  und  sollte  yvwoig  von  dem  erst  unten  Cap.  11  erläu- 
terten yvwiirj   viel    verschieden  sein?    In    den  Versen    des  Euripides    füllt 

27* 


•)  1  ■) 


Soaliger  noch  Taov  n^aoxfTv  die  Lücke  (aus  Dio),  schreibt  aber  t^~  oo(p(a- 
TctKo  Te'xyr^c  statt  Tvx)]?,  den  nächsten  Vers 

tovg  Y"Q  TTtQiOOovg  xaC  zi  TiQaöOovtag  tiXsov 
ergänzt  er  ex  ingenio  mit  dem  Zusätze  fiioovoiv  ot  ^soC.  damals  war  viel- 
leicht Canters  Stobaeus  noch  nicht  bekannt,  wo  steht 

Tifi(J5/nt%'  arSgag  t'  er  nöXei  vofiit,ofi£v. 
er  wollte  wenigstens  einen  vollständigen  Satz  und  Gedanken.    Auffallend 
ist  VI,  4  in  Agathons  Verse 

it'xvt]  rt'x/yi'   k'üTfQ'^s  xal  tvxt^j  Ts'xvrjv 
seine  Aenderung  sts^sr.     In  dem  Verse  des  Anaxandridas  VII,    11 

jj  TToXig  sßovXfd^^  fi   rdfiwr  ov(Sh>  (xsXei 

hat  er  ißovXtv"  was  auch  Muretus  und  Lambinus  vermutheten;  die 
letzten  Worte  erwähnt  Sext.  Emp.  pag.  576  Bkk.  was  Meinecke  nicht 
bemerkt  hat.  \  III ,  2  Evgim'Srjg  fi^v  (fjaüxwv  iqäv  fi^v  ofißqov  yaiav  ^r^qav- 
&6i0av,  €QÜv  Jt  Osfivöv  ovqtxvov  nXtjQovixevov  ofißgov  nsOstv  elc  yaiav  hat  er  im 
guten  Glauben,  vollständige  Trimeter  seien  angeführt,  den  Verswidrigen 
Aorist  ^r^gar^etöav  sofort  in  das  Perfect  i^r]Qafisvrjv  verwandelt.  Sonst 
hat  er  die  gewöhnliche  Sprache  hergestellt  und  dadurch  häufig  die 
Eigenthümlichkeit  des  Autors  verwischt;  z,  B.  VII,  15.  1154,  24  cöW« 
in  der  Apodosis  gestrichen,  oder  xat  d  statt  des  bei  Aristoteles  nicht 
seltenen  xär  d  gesetzt ,  selbst  sprachliche  Versehen  kann  man  mitunter 
treffen,  z.  E.  statt  fuj  oväiv  Xsywöiv  die  falsche  Correctur  fn^d^tv  Xsywoiv, 
dergleichen  ist  billiger  Weise  mit  Stillschweigen  zu  umgehen;  denn 
Scaligers  Geist  und  Schärfe  ist  von  solchen  Kleinigkeiten  abgesehen  nir- 
gends zu  verkennen. 

VI,  11,  1142  b  ;)4  töTi  S^  xal  r)  OvvsOig  xal  y  dovveOia,  xa^'  ag  Xs'yofisv 
ovverovg  xal  dovrsTovg  .  .  hier  kann  nicht  wie  im  fünften  Buche  von 
6ixaioavvt^  und  ddixia  von  dem  positiven  und  negativen  gesprochen  wer- 
den; der  ganze  Artikel  weist  darauf  hin,  dass  es  evoweoia  und  evov- 
vitovg  heissen  muss,  wie  gleich  nachher  folgt  zavvov  ydg  ovv^oig  xal  svav- 
vaai'a  xal  üvvttol  xal  svovvsvoi,  aber  gerade  diese  Erklärung  kann  dort, 
wenigstens  nicht  ohne  Aenderung  von  yuq  in  ^i,  nicht  stehen ;  dagegen 
hat  sie  hier  ihre  geeignete  Stelle,  ja  selbst  auch  einige  Zeilen  später 
V.  1<J  nach  den  Worten  xal  evtsv&sv  .  .  svoihsroi.  Soll  v.  15  mit  xd  ydq 
SV  t(f  xaXwg  tavidv    nicht    das  unmittelbar   vorausgehende  xgirniv  xaXdjg  er- 


213 

klärt  werden,  sondern  das  weit  abgehende  oder  erst  v.  17  folgende 
svovvftoi?  in  ersterem  Falle  erwartet  man  ro)  ydq  fv  td  xaXwq  Tavtöv. 
V.  21  Tov  ydq  sjiisixrj  fiäXiGra  tpa^isv  slvai  Ovyyvioi^iovixov  xal  i ms ixi g  z6  e%£iv 
Tie(jl  h'ia  ovyyvco/urjv.  Ich  vermuthe  iuieixovg,  denn  von  der  Person  (des 
sivai  und  s^nv  V.  19)  ist  die  Rede.  V.  26  Xsyofisv  ydq  yvwfirjv  xal  OvveOiv 
xal  (pQÖvrjOtv  xal  vovv  srcl  rovg  avtovg  STncps'govzsg  yvcofxrjv  s^siv  xal  vovv  Tjdrj 
(das   heisst   r^    6 rf)   xal  (pQov i[.io  vg  xal  Ovvezovg. 

VII,  o,  1145  D  2G  ovd-sva  yoLQ  vuoXa/xßdvovra  ngarTsiv  nagd  xo  ßsk- 
TiOTov,  dXXd  öl"  ayvoiav.    Hier  kann  ögit^öig  nicht  aus  v.  21  ergänzt  werden. 

1146,  21  sTi  0  oo(piGvix6g  Xoyog  xpsvöofxsvog  dnoQia.  Die  Sophistik  über- 
haupt^ nicht  der  Trugschluss  xpsvSöfisvog  allein  ist  gemeint,  jene  ist  aller- 
dings \pev3oiisvri,  aber  da  voraus  geht  6id  t6  Xvnsio^ai  ipsvSo^isvog  scheint 
das  Wort  unrichtig  wiederholt, 

vll,  5,  1147  b  17  ttsqI  fx&v  ovv  Tov  sldora  xal  /iirj,  xal  mag  fiSoza  ivdi- 
fezai  dxQazsvsOd-ai,  zooavza  siQi^o^o).  Am  Anfange  heisst  es  vollständiger 
OxsnzBOV  nozsQov  slöozsg  rj  ov,  xal  nrng  elSozeg,  aha,  WO  man  das  verbum 
dxgazevovzai  oder  wenigstens  dxQatstg  hart  vermisst;  hier  ist  die  P'orm 
des  Satzes  geändert,  weil  bewiesen  ist,  dass  man  wissend  und  nicht 
wissend,  und  wie  wissend  fehlen  kann.  Aendern  darf  man  nicht,  wie 
ich  einst  vermuthete. 

VII,  6,  1148  b  27  ai  Si  voorjfxazcSSsig  tj  i^  rj^ovg,  nach  der  V.  34 
folgenden  Erklärung  cooavzwg  de  xal  zotg  voor^fiazw^öig  s'xovoi  61"  fdog  ist  die 
Partikel  r]   zu  streichen. 

VII,  8,  llöO,  bO  züjv  Stj  Xsxd^svzorv  Z(f  fih>  fiaXaxiag  etJog  [xdXXov,  6  J'' 
dxoXaOzog,  dvzixfizat  J*  zr^  f^iiv  dxQazsT  o  iyxQazrjg,  zo)  Se  fiaXaxfp  6  xagzsQixog. 
Man  erwartet  vielmehr  als  Gegensatz  zd  J'  dxQaatag,  Im  vorhergehenden 
V.  27  navzl  d'  av  Soleis  xsCqcov  sivai  hat  Scaliger  jtdvzi]  geändert,  im 
folgenden  b  14  iv  zotg  ^xv^olv  ßaoiXsvoir  schreibt  er  ßaaiXfioig  Herod. 
ot  svdgisg  iv  zotg  ßaoiXeioig  2xv^ai,g,  davon  steht  bei  Herod.  l,  105.  IV,  67 
nichts. 

vll,  lo  snel  zd  dyad-dv  di%<Sg  .  .  xal  ai  (pvo'stg  xal  ai  f'^ft?  dxoXovdrjOovOiv, 
(üOz8  xal  at  xivt^Osig  xal  ysväOsig,  xal  at  (pavXai  SoxovOai  tivai  at  /jir  duXwg  (pavXai 
Zivi  6'  ov  dXX'  aiQszal  zojös,  s'viai  6^  ovdh  zmöt  dXXd  noz^  xal  öXiyov  xQdvov, 
aiQ£zal  ()"  ov-  at  J'  ovd^  rj6oval  dXXd  tpaivovzai  .  .  Scaliger  Streicht  dxoXov^T]- 
oovoiv ,   mir  ist  aiqszal  d"  ov  unverständlich,  denn  sie  sind  ja   atgszal  aber 


LM4 

nicht  «rr/wc  sondern  nur  noti,  war  vielleicht  xQovov  ulqsrai,  aid'  ov6'  .  .? 
llöi>.  ob  setzt  Scaliger  nach  vntgßoXcic  das  Verbum  (pevyet  ein  und  so 
hat  M.  nuin  kann  den  Satz  als  Anakoluth  erklären,  das  in  dem  folgen- 
den 616  0  o'(ü(fQcov  (ffvysi  raviug  seinen  Abschluss  enthält.  Ich  vermisse 
aber  V.  27  ro  6i  rdr  OüXfQova  (pevyeiv  xal  tov  (pqovifiov  dicoxnv  töv  äXvnov  ßiov 
uugerne  den  Zusatz  rd  rjSv   oder  rdg   rjdordg,  wie  oben  Cap.    12   steht. 

VII,  12,  lir)2  b  1()  ^Vt  £}xn66iov  kT)  (pqovstv  at  rj6oval ,  xal  üoo)  (xäXkov 
XcctQfi ,  näX?.or  oiov  r  >;  r  Twr  ct(fQod'iOi'(ov'  ovdäva  yccQ  uv  ävvao&ai  vofjOai  ti  sv 
avTiJ.  Kür  das  auft'allende  njv,  welches  Zell  durch  ein  zu  ergänzendes 
Xcd'Qioy,  Fritzsclio  durch  den  Uebergang  in  die  oratio  indirecta  erklärt, 
vermuthete  ich  einst  S,  89  doch  nicht  ohne  Bedenken  rj.  Später  fand 
ich ,  dass  auch  Scaliger  so  geändert  hat.  Man  darf  jedoch  so  seltsame 
Erscheinungen  nicht  sogleich  in  das  gewöhnliche  zurückführen.  Viel- 
leicht ist  das  zweite  naXXov  zu  streichen,  und  hängt  xaiqtt,  olov  riyV  genau 
zusammen,  Eud,  II,  8,  1224  b  11  x"''c«  i^fjv  an:'  sXnidog  r,dovrjv.  VI  (Nie. 
VII)    15    6  ^s6q  dal  ixiuv  xal  ceTrXfjv  xaiqei  i^^Sorrjv. 

b  22  tri  S'  ovx  äqiOTOV  rj  r^öovr'j.  Kurz  vorher  V,  12  sivai  t6  ccQiaxov 
rSovr^v.  V.  25  firj  efvai  dya^ov  fxi^äk  z6  aQiOtov.  1153  b  12  mOts  fh]  av  rig 
r^Sovrj  %d  ccQiorov.  V,  26  eJvai  rrwg  rd  ccqiotov  atTrjv.  Gegenüber  diesen  Stellen 
wird  man  wohl  kein  Bedenken  tragen  hier  ov  rd  agiUTov  zu  schreiben, 
aber  auch  1153  b  7  (((jiarov  r'  ov6iv  xotXvei  iqSovtjj'  nva  fhtti  kann  nicht 
stehen.  Damit  beginnt  ein  neuer  Abschnitt  (die  Abtheilung  der  Capitel 
ist  verkehrt)  und  dieser  Uebergang  kann  hier  kaum  mit  ts  eingeführt 
werden;  auch  haben  alle  Ausgaben  ausser  Bekker  d",  nicht  t\  Ks  wird 
indessen  auch  hier  id  aqiorov  oder  %aqioiov  6"  gestanden  haben. 

VII,  15  v.  27  jiqunov  fiH'  ovv  Oll  ixxQovei  tr^v  XvnrjV.  Scallger  ixxqov- 
ovü(,  denn  voraus  geht  ow/xaTixal  7]6oi'ai,es  müsste  also,  wenn  der  Sin- 
gularis  richtig  ist,  der  allgemeine  Begriff  TfJow/  vorwalten,  üeberhaupt 
hat  Scaliger  auch  hier  auf  Grammatik  strenge  geachtet,  IV,  7,  1123  b  26 
ö  di  -fuinug  nqdg  savrdv  fi&v  vneqßdXXsi ,  ov  fxijv  tov  ys  fisyaXdipvxov,  WO  er 
n(fdg  vor  vdv  einsetzt.  VII,  11  niit.  roioinog  oiog  .  .  x««?*^^'  ^^  ^^'  richtig 
xni'oHv  setzt,  aber  auch  das  nächste  xal  ovx  sn/xa'vwv  steht  diesem  gleich, 
Vlil,  11,  1160,  8  av^fOx^ai  rf^  nä(fvxev  Sfia  tfj  (piXia  xal  %d  Sixaiov  o'ig  iv  roTg 
avtoig  övta  xal.   in"  lOov  dir]xovi:a,   nämlich  beide,  aber  Scaliger  corrigirt 


215 
ov  .  .  SiTfxov.    IX,    11,    1171  b  4  rd  d^  limov[j,€vov  aia^ärsa&m,  Scaliger  ganz 

schön    XvTTOV  f.l€'VO)V. 

VIII,  2,  1155  b  32  Tovg  S^  ßoifXofxsvoiK  ovro)  rdya^d  evvovg  Xsyovöiv,  idr 
firj  ravTO  xccl  nag'  sxsivov  yiyvr^%ai'  svvoiav  ydg  iv  dwinsTTOv^'J-oOi  (fiXiccv  slvai. 
Scaliger  schien  (wie  auch  mir  einst)  der  Gedanke  unrichtig,  er  ergänzt 
XäyovGiv,  (ol  S'  ovx),  idv  [ir],  aber  es  ist  nur  Missverständniss  und  nichts 
zu  ändern ;  wo  Zuneigung  nur  von  einer  Seite  herrscht ,  ist  es  svvoia, 
wo  von  beiden  (pdi'a,  doch  ist  dieser  Gedanke  nicht  übereinstimmend 
mit  VIII,  7,  1158,  7.  v.  27  erwartet  man  rgiäv  61]  ottojv  .  .  ßovXrjOii; 
ixeivoig  dyad^o v. 

VIII,  7,  1158,  2  iv  dt  roig  OTgvcpvoTg  xal  TTQsoßvtixotg.  Warum  nicht 
wie  V.  5  und  kurz  voraus  nQsaßmaig'i  Diese  neun  Zeilen  sind  nämlich, 
wie  Fritzsche  richtig  bemerkt  hat,  nur  eine  Wiederholung  aus  dem  vor- 
hergehenden Capitel ;  eine  wichtige  Variante ,  welche  vielleicht  über  die 
gleichen  Worte  und  denselben  Gedanken  noch  hinausgeht;  erst  eine 
genaue  Zusammenstellung  aller  solcher  Wiederholungen  in  Aristoteles 
wird  einigen  Aufschluss  geben.  Gleich  auffallend  ist  mir  X,  8,  1178, 
23  —  34  die  Erwähnung  der  Nothwendigkeit  äusserer  Güter,  da  diese 
im  nächsten  Capitel  näher  bestimmt  wird. 

VIII,  12.  Ueber  die  Verschiedenheit  der  Staatsverfassungen  erklärt 
sich  auch  Isocrat.  Panath.  §.  131,  dort  ist  ein  Ausfall  auf  die,  welche 
die  Tj  dno  zifujf.idTwv  an  die  Stelle  der  dt]f,ioxQa'cia  setzen.  Dieser  Tadel 
trifft  jedenfalls  unsere  Ethik.  Erwägt  man,  dass  Aristoteles  am  Ende 
dieses  Werkes  X,  10,  1181,  12  sich  entschieden  gegen  einen  Ausspruch 
in  der  Antidosis ,  ohne  den  Isokrates  zu  nennen ,  aber  kennbar  genug 
äussert,  so  darf  es  nicht  auftallen,  wenn  dieser  in  seiner  letzten  Schrift, 
den  Panathenaicus ,  Gleiches  mit  Gleichen  vergelten  wollte,  und  unter 
den  vielen  Leuten ,  die  zwar  nicht  dumm  seien ,  aber  um  diese  Dinge 
sich  nicht  kümmern  (also  nichts  davon  verstehen),  vorzüglich  Aristoteles 
im  Sinne  hatte.  Ethik  ist  gewiss  eines  der  ersten  ausgegebenen  Werke 
unsers  Philosophen.  —  1160,  9  xal  (pavegcoTsgov  inl  ravTrjg  oTi  xiigiGiTj- 
xäxiOTov  S^  t6  ivavTiov  t^ü  ßslriOToj.  Letzteres  ist  die  Begründung,  warum 
die  Tvqavvlg  %ti,Qiorrj  ist,  und  SO  wird  nicht  Sh,  sondern  ydg  gefordert, 
Casaubonus  hat  dieses  bereits  im  Text  aufgenommen. 

IX,  4.    Das  neunte  Buch  besteht  aus  Aporien ;  es  sind  Zweifel  und 


216 

liedenkeu,  die,  nachdem  die  Erklärung  von  der  (pdCa  vca  vorausgehenden 
Buche  gegeben  ist ,  entstehen  kcninen  und  gelöst  werden  müssen ,  wie 
etwa  bei  der  dixaioavir;  V,  11.  Zwischen  der  dritten  Frage,  ob  und 
wann  man  die  Freundschaft  aufgeben  müsse ,  Cap,  3 ,  und  der  vierten, 
warum  die  Gönner  die  begünstigten  mehr  lieben  als  diese  jene,  Cap.  7, 
treffen  wir  einen  besondern  Abschnitt  von  drei  Capiteln  (4 — 6),  dessen 
Inhalt  mit  diesen  dTToqiai  nichts  zu  thun  hat,  und  dessen  Stellung  an 
diesem  Orte  keineswegs  einleuchtet.  Es  sind  die  (pdixd,  alles  was  ge- 
eignet und  förderlich,  ja  nothwendig  ist,  um  Freundschaft  zu  bewirken, 
ausgehend  von  dem  Begriffe  des  eigenen  selbst  und  in  vier  Erschei- 
nungen sich  vorzüglich  äussernd,  angewendet  auf  den  nächsten,  da  der 
Freund  als  alter  ego  gilt.  Zu  solchen  (fdixd  werden  dann  auch  noch 
evvoict  ^)  und  ofioioia  gerechnet.  So  wichtig  nun  der  Inhalt  ist  (IX,  8 
bezieht  sich  auf  Cap.  4),  so  wenig  weiss  ich  dessen  Stellung  an  diesem 
Platze  zu  rechtfertigen ;  er  gehört  zur  Darstellung  und  Erklärung  der 
(fdia  selbst,  wie  diese  im  vorhergehenden  Buche  gegeben  ist.  Vergleicht 
man  die  Eudem.  Ethik,  so  ist  dort  alles  in  Ordnung.  Der  erste  Ab- 
schnitt umfasst  daselbst  die  ersten  fünf  Capitel,  den  Unterschied  der 
(ftXia  nach  dqarr],  xQtjOißov,  i]dv  Cap.  2,  ferner  den  xar'  lodzrjTa  und  vTtsQoxrjv 
Cnp.  3  —  4  und  die  Erklärung  über  die  vermeintlichen  Gegensätze  Cap  5 
mit  der  Schlussformel  TroOa  ixhv  ovv  sTörj  (fiXinc.  xal  riveg  Sia(poQal  xa^'  dg 
käyortai  oi'  xs  (plXoi  xal  ol  qtlovvreg  xal  ot  (piloiif^iavoi,  xal  ovrcog  mOxs  (piXoi  th'ai 
xal  avev  tovtov,  siQrjTai.  Dann  folgt  ttsqI  tov  amov  amo)  <piXov  slvai  ri  /irj" 
Cap.  6  und  hier  werden  die  (piXixd  aufgezählt,  diesen  reiht  sich  die 
ofiovoia  und  i-vvoia  an  Cap.  7 ,  dann  die  Frage  i^id  xi  fxaXXov  (piXovrteg  ot 
Tton'JGari:eg  tv  zovg  nu^ovrag  ij  ol  TvaOnvrsg  sv  Tovg  rroi/jOarrag;  Cap.  8,  mit 
der  Schlussformel  für  diesen  Abschnitt  xal  neql  fxiv  (piXiag  Trfg  ngog  amov 
xal  vflg  fv  nXsCoot,  Sicogio^o)  tdv  tqottov  toviov,  um  im  nächsten  das  öixaiov 
{(fihxov  iuit.)  nachzuweisen  ,  welches  in  der  Familie  wie  im  Staate  auf- 
tritt. Der  Verfasser  dieser  Ethik  hat  also  unsere  fraglichen  Capitel 
sammt  der  nächsten  Aporie,  d.  h.  Cap.  4  —  7  in  das  vorhergehende 
Buch    vor    Cap.    11    gesetzt.      Ob    er    diese    Ordnung    bereits    in    seinem 


\)  Der  Zusammenhang  zeugt,  dass  IX,  5  n  «^ '  twom  cpi'Aia  /uiy  i'oixty,  ov  fi^r  i'ari  yt  cpdia 
mit  der  guten  HandscVirift  K  (pcki-xw,  wie  Fritzsche  gethaii  hat,  aufzunelimen  ist,  obschon 
die  vulgata  auch  Vjeim  Paraph.  steht. 


217 

Exemplare  der  Nikom.  vorgefunden ,  oder  ob  er  auf  eigene  Autorität 
diese  Umstellung  vorgenommen  habe ,  lässt  sich  nicht  bestimmen.  Die 
M.  M.  gehen  von  dieser  Ordnung  nur  insoferne  ab,  als  sie  das  dixaiov 
sogleich  nach  der  Frage  tiotsqov  avTcp  nqoq  amdv  (fiXia  7]  ov  setzen  und 
erst  dann  II,   12,   1211,  b  39   die  eihoia  und  dixovoia  folgen  lassen. 

In  den  ersten  Worten  IX ,  4  tcc  (pdixd  6^  td  ngog  zotk  tpilovg  xal  olg 
ai  (fiXi'ai  OQi^ovrai  soixsv  ix  tdiv  Tigdc  savtov  sXrjXv^s'vai  streicht  ocallger,  wie 
schon  Muretus  gethan,  ji^dg  T.>ig  cpüovg  (die  alten  Ausgaben  kennen  das 
zweite  zd  nicht),  und  ich  weiss  in  der  That  nicht,  was  sie  bedeuten 
sollen ;  denn  überhaupt  nur  von  den  y/'/ot  ist  die  Rede  und  der  Aus- 
druck g)iXixd  keiner  Missdeutung  fähig ;  eher  ginge  noch  ttsqI  tovg  (fi'Xovg, 
auch  der  Paraphrast  kennt  die  Worte  nicht.  Statt  xal  olg  könnte  man 
olg  xal  vermuthen,  weil  nachher  gesagt  wird  rovron'  6s  zivi  xal  Tr]v  (pdiav 
oqC^ovxai.  Aber  K  hat  noch  einen  Zusatz,  nqog  rovg  (fiXovg  neXag  xal  ooai 
(fiXiai  xal  olg  und  in  der  That  fassen  die  Kudemia  den  Inhalt  dieses 
Capitels  VII,  6,  1240  b  37  in  die  Worte  zusammen  noaaxwg  f^ih'  ovv  %d 
(piXstv  Xäysxai  .  .  d^Aov  ix  ziSv  dgrjfiivcov  doch  sieht  das  Ganze  zu  sehr 
einer  Randbemerkung  ähnlich,  um  einen  Werth  darauf  zu  legen. 

IX,  4,  1166,  12  £oix£  Y^Q  xa^dniQ  eiQrjrai  fiirgov  ixdOTCj)  t^  dqsxi]  xal  6 
anovSalog  ehai.  Ist  ixdoro^)  richtig?  es  kann  ganz  geeignet  von  den  vor- 
ausgehenden ToTg  XomoTg,  jeder  der  nicht  tugendhaft  ist,  verstanden  wer- 
den, aber  die  Berufung  auf  früheres  lässt  doch  wieder  zweifeln ;  gemeint 
ist  zunächst  III,  6  6  Onov6aiog  t(^  xdXr^^kg  iv  sxdOToig  oqäv  coOnsQ  xarcov  xal 
(letQov  avTwv  mv,  was  auf  des  Protagoras  fxitQov  dndvrm'  XQVI^"'^^'*'  S^^^^y 
und  X,  5  treffen  wir  wieder  d  d^  tovto  xaXdJg  Xiystai,  xadaneq  Soxft,  xal 
Mativ  ixdöTov  fiirqov  r]  d^szi]  xal  6  dya&ög.  Also  statt  des  Dativus  vielmehr 
der  Genetivus,  überall  in  allem,  demnach  auch  in  der  Freundschaft. 

IX,  7,  1167  b  25  'Em'xaQfiog  fih'  ovv  t«x'  «V  (fccirj  tama  Xiysiv  amovg 
ix  novrjQov  ^sansvovg.      Scaliger  streicht   die  Worte  xama  Xeysiv. 

IX,  9,  1170,  17  To  dk  ^rjv  ToTg  ^woig  Svvccfiei  aiod^vöswg,  dv^QWTtoig  S' 
aio&f]Os(og  tj'  vonjoscog]  warum  steht  hier  nicht  xal  voijoscog,  da  Aristoteles 
sonst  stets  das  vorjnxdv  als  die  höhere,  nur  dem  Menschen  zukommende 
Potenz,  gegenüber  dem  ala^rjrixov  der  übrigen  lebenden  Wesen  hervor- 
hebt?  und  doch  ist  kaum  zu  ändern  erlaubt;  denn  sogleich  folgt  wieder 

eoixe  6j]  x6  ^rjv  elvai  xvQiwg  tö  alod^dveadai  'q   voeiv.      V.    32    xd    J'    oxi    aio&avo- 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth.  28  . 


218 

/tfi>a  tj  vooviiifv,  ort  eaf.i£'v'  tö  yuQ  ttrai  rfr  mO^dveOx^ai  tj  vosTv.  Wenn  die 
Endemische  Ethik  VII,  12,  1244,  b,  24  seqq.  von  diesen  zwei  Kräften 
s{)richt ,  sagt  sie  immer  cdo&drta^ni  xal  yvcogt^tiv,  nur  einmal  lesen  wir 
1245,  G  er  rff)  aiöO^dveo'^ai  ij  yvcogi^aii',  aber  hier  ist  das  Verhältniss  ein 
anderes,  und  die  Partikel  -q  nicht  ungeeignet;  denn  es  heisst:  je  nach- 
dem  wir  die  «"a.>/;(j«g  oder  das  yrcogi^eiv  haben. 

X,  2.  Der  erste  Beweis  des  Eudoxus ,  dass  die  rj6ov7^  das  raya^dv 
sei,  ist  in  Form  eines  Schlusses  vorgebracht,  dieser  aber  keineswegs 
folgerichtig.  Will  man  auch  das  erste  unbeanstandet  lassen  näoi  d'  eivat 
td  uiQiior  tnitixig,  xal  lo  ixäXiöia  xqccTiotov  (einige  Werden  vielleicht  ydq  for- 
dern, andere  noch  weiter  gehen),  es  ist  doch  das  nächste  so  zu  geben : 
%6  ÖS  (nicht  Srf)  Trair'  inl  lavTÖ  (fäqsOO^ai  /.ir^vvsiv  cog  TcäOi  tovzo  dyad-ov 
(nicht  ccQiOTovj  .  •  10  Si  (nicht  Jtj")  näoiv  dyaOdr  [xal]  ov  Tidvx'  scpisrai,  xdya- 
i^iiv  ihm.  Auch  der  zweite  Beweis  ist  nicht  vollständig:  oy'x  r^xxov  J«  ^W 
iivai  (/ctitQov  sx  lov  iraviiov  xt'jv  ydq  XvnijV  xaO-^  avro  ticcOi  (fsvxxov  slvai,  ofxoicog 
dl'  TovvavTi'ov  atqsTÖr,  nicht  das  einfache  atqszov,  das  dyu&6v  ii,  sondern 
das  absolute,  das- layai^-or  will  Eudoxus  beweisen,  und  so  werden  auch 
die  Worte  covravTim'  {xa&"  uvto  ttccOiv)  atqsrov  gefordert ;  die  erste  Abhand- 
lung VII,  14  schliesst  allerdings  auffallend  aus  dieser  Prämisse  nur  ein. 
dyad-nv  t  ,  aber  Eudoxus  wollte  das  offenbar  nicht.  Hat  der  nächste 
Satz  als  dritter  Beweis  ndXiOTu  3'  slvai  alqtrov  '6  (itl  di'  i'xsqov  prjS'  ixs'qov 
Xdqiv  atqov/is^a,  xoiovior  d"  ofioXoyov/xivoog  ilvai  xrv  ijJorjjV  seine  Beziehung 
auf  die  obigen  Worte  des  ersten  xd  alqtxdv  inuixig,  xal  xd  (idXioxa  xqd- 
tioxov,  oder  war  auch  hier  das  ganze  vollständig  gegeben ,  etwa  z.  B. 
in  der  Form  atqexöv.  [fti  xdya^dv  xd  fidhaxa  alqsxdv),  fxaXiOxa  6^  tivai  aiqsxdv .  .? 
Am  autfallendsten  ist  der  vierte  and  letzte  Beweis :  7i:qoati^i-/tt'rrjv  xs  dxowvv 
xwf  dyuÜMv  aiqfrcüxeqor  noitTv,  olov  xm  SixuiorcqayeTv  xal  OaxfQovsiv,  xal  av^e- 
a^ai  (frj  xd  dya^dr  \avxd]  avxüj.  Hat  Eudoxus  seinem  Satze  diese  Form 
gegel)eri.  so  scheint  Aristoteles  mit  Recht  zu  sagen,  dieser  Grund,  soixe 
drl  (d'V)  oindc  yt  ()  Xdyoc,  beweise  nur,  dass  die  Lust  ein  dyaddv,  keineswegs 
dass  sie  das  xdyaO^dv  sei.  Aber  wie  konnte  dann  Eudoxus,  der  das 
tdya^dv  beweisen  wollte,  ein  solches  Argument  anführen?  Dieser  scheint 
vielmehr  etwas  ganz  anderes  gemeint  zu  haben,  nämlich,  wenn  die  vSovrj 
zu  irgend  einem  dyu^dv  gesetzt  wird,  so  übertrifft  dieses  auch  alle  an- 
dern dya^d;   was  aber  mit  dem  kleinsten  dyad^dv  verbunden,  dieses  höher 


219 

als  die  andern  dya^a  stellt,  muss  selbst  höher  als  diese  stehen,  muss 
das  a'iQSTwxarov,  demnach  das  Taya^dr  selbst  sein.  Das  ist  ein  Beweis, 
welcher  wenigstens  Verstand  hat  und  hieher  passt.  Die  Sache  wird  um 
so  auffallender,  als  bereits  Aristoteles  selbst,  wie  ich  glaube,  dieses 
Argument  für  die  BvSai^iovCa  geltend  gemacht  hat;  denn  nur  so,  anders 
gar  nicht  kann  ich  die  viel  besprochenen  Worte  1,  5  verstehen:  hi  ds 
nävTcor  aiQsrcütdrrjv  jxr^  Gvragi&ixovfxsvr^v ,  OvvaQi^fJiov(.uvrjV  di  tf^j^of  (og  aigerw- 
■fiqav  fierce  tov  iXaxiOtov  rcov  dyce^wv  vnfgoxif  yaQ  dyaif^wv  yivsrai  to  nqoOxiihi- 
fisvov,  aya&täv  de  t6  nsi^ov  aiQsrwrsQov  dsi.  Alle  Erklärungsversuche  der 
jüngsten  Zeit  (Münscher  pag.  9 — 18,  Rassow  Beiträge  1862  S.  5 — 10) 
sind,  weil  der  Text  etwas  verdorben  ist,  ungenügend;  der  einfachste 
Gedanke  scheint  mir  nur  dieser:  die  evöaitnovia  mit  dem  kleinsten  dyad^ov 
verbunden  {ovvaq.  nszd  t.  i.  t.  d.)  stellt  dieses  sogleich  über  die  andern 
dyax^d,  durch  ihren  Zusatz  entsteht  sofort  eine  vnsQoxrl  dyaddov,  also  ist 
sie  das  fxsTCov  dya-9-dv,  und  darum  aiQezwreQor,  als  die  andern  dyaä^d. 

X,  8,  1178,  22  Tooomov  ydg  neQi  avr^g  H(jr]o^w.  Scaliger  Si  und  SO 
hat  M.  ;  es  folgt  nämlich  6iaxQißwOcci  ydq  ixsl^ov  tov  nqoxsifievov  iOTiv.  — 
b,  20  TÖ)  drj  ^ävTi  TOV  ngdtrsiv  d(pai,qov/j,£Vov,  k'ri  6i  (laXXov  tov  noisiv,  tC  Xsi- 
nerai  nXrlv  ^ecogiag;   Scaliger,    damit    das  Verbum   nicht  passiv  gebraucht 

wird    TO    TtQaTTflV    .    .    TO    TlOlstv. 

X,  10,  1180  b  10  oT£  TivxTixdg  Tocog  ov  näoi  ttjV  «iVjjV  fidxi]v  TTfQiTi- 
^TjOtv.  Scaliger  dväyxtjv,  vielleicht  weil  wie  vorher  vom  Artzte,  so  hier 
von  YVfivaarrlg  die  Lebensart  angegeben  werden  soll. 


Zu  S.  174  =:  6  Anm.  1. 

Die  Basler  Ausgabe  enthält  die  Eudemia  überhaupt  nicht ,  es  ist  aber  gewiss ,  dass  der 
vielfach  verderbte  Text  auf  Scaliger's  Geist  einen  um  so  grösseren  Reiz  üben  musste,  gerade 
an  diesem  W^erke  seine  Divinationsgabe  zu  beweisen.  Wahrscheinlich  findet  sich  in  Holland 
oder  England  noch  das  Exemplar  mit  seinen  Verbesserungen  zur  Eudemischen  Ethik,  und 
ich  wünsche,  dass  diese  Angabe  zum  weitern  Forschen  und  glücklichen  Auffinden  führen 
möge.  Die  Bemerkungen  Scaliger's,  welche  die  Basler  Ausgabe  enthält,  werden  jetzt  von 
Dr.  Oncken  in  der  Eos  bekannt  gemacht,  I,  103—12. 


28^ 


Seite  173  ^     5,   13  lies  Wenn  statt  Wann 

178  =  10,  23     „     in  statt  im 

„  =       „       Anm.  1.  lies  P  statt  T 

185  =  17,  14  lies  (ocpi^ijfta 

189  =:  21,  4  Anm.   1.  lies  nu^irtoy 

195  =  27,  4  lies  b  statt  6 

199  ^  31,  4     „     ixovaiov  und  äxovaioy 

200  =  32,  6     „     denn  statt  dann 
204  =  36,  21  ,,     ntcpvxoxuiv 


Der 

Periplus  des  Pontus  Euxinus. 

Nach 

Münchener  Handschriften. 

(Mit  einer  Karte.) 

Ingleichen 
der  Paraplus  von  Syrien  und  Palästina 

und 

der  Paraplus  von  Armenien   (des  Mittelalters). 

Von 

Georg  Martin  Thomas. 


Gelesen  in  der  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  am  5.  December  1863. 


T^ff  Tov  (piXoaocpov  nQayjuartiag  eiyai  yofii^ofiiy 
i'iniq  äXXrjy  Tivd  xai  x^v  yta)yqa(pi,xrjv. 

Strabo. 

Es  sind  nun  gerade  zwanzig  Jahre,  dass  Schmeller  in  der  Sitzung^ 
unserer  philos.-philol.  Classe  —  am  2.  December  1843  —  jene  interes- 
sante Mittheilung  „über  einige  ältere  handschriftliche  Seekarten"  der 
hiesigen  Bibliothek  gegeben  hat  (vgl.  Abhandlungen  der  I.  Classe  Bd.  4 
Abth.  1),  welche  dann  zu  späteren  fruchtbaren  Arbeiten  im  Schoosse 
der  Akademie  selbst  geführt  hat. 

Sowohl  die  verdienstlichen  Studien  eines  unserer  Collegen  in  der 
historischen  Classe,  des  Herrn  Prof.  Kunstmann,  reihen  sich  genetisch 
an  jene  Anregung  Schmellers  an,  als  es  darf  auch  der  Gedanke, 
welchen  die  Akademie  bei  ihrer  Säcularfeier  der  Gelegenheit  würdig 
durchgeführt  hat,  einen  Atlas  zur  Entdeckungsgeschichte  Amerikas  aus 
hiesigem  handschriftlichen  Vorrath  herauszugeben ,  bis  auf  jene  fernere 
Zeit  in  seinem  Ursprung  zurückversetzt  werden. 

Schmeller  hatte  es  ausgesprochen:  ,, handschriftliche  und  hand- 
gezeichnete Karten  werden  mit  Recht  unter  die  interessanteren  Denk- 
male der  Vergangenheit  gezählt,  die  in  einer  Bibliothek  vorkommen 
können.  Abgesehen  von  dem  heutzutage  in  solcher  Verwendung  unge- 
wöhnlichen Material,  dem  Pergament,  auf  welchem,  und  von  der  Kunst, 
mit  welcher  sie  etwa  ausgeführt  sind ,  geben  sie  ühersichtlicJier  als 
diess  durch  Bücher  geschehen  kann,  den  Stand  des  geographischen 
Wissens  je  ihres  Zeitraums  zu  erkennen.  Und  besonders  in  Ansehung 
jener  wichtigen  Epoche,  in  welcher  früher  unberührte  Küsten  und  Eilande 
der  älteren  Welttheile    bekannt,    und    ein    ganz  neuer  entdeckt   worden, 


224 

ist  es  anziehend ,  auf  solchen  Karten  die  Instanzen  zu  verfolgen ,  in 
^velchen  das  völlige  Nichtwissen,  dann  das  Käthen  und  Vermuthen  end- 
lich einem  bestinunten  Wissen  Platz  gemacht  hat." 

In  die  Sprache  nioderner  Philologie  übergetragen  heisst  diess  soviel 
als  solche  handschriftliche  Karten  sind  die  besten  und  ursprünglichen 
Quellen,  gleichsam  die  Codices  archetypi,  für  Feststellung  geographischer 
Kenntniss  gewisser  Land-  und  Seestriche  in  gewissen  Zeiten;  sie  sind 
die  zuverlässigsten  üeberlieferungen ,  weil  ihre  Abfassung  der  Zeit  und 
den  Urhebern  nach  der  schriftlichen  Aufzeichnung  in  Berichten  und 
Reiseschilderungen  vorangeht,  weil  sie,  wenigstens  in  ihrem  ersten 
Aufriss,  als  wirkliche  Portulane,  von  den  Piloten  und  Entdeckern  oder 
Schifi'fahrern  selbst  fixirt  worden  sind. 

Selbstverständlich  wurden  die  Gesetze  handschriftlicher  Texteskritik 
sofort  auch  für  diese  Abtheilung  von  Codices  giltig  und  auch  verwen- 
det ;  Zeitalter,  Ort,  Sprache,  Kunst  und  Manier  der  Karte  wurde  Gegen- 
stand der  Forschung  und  es  wird,  wenn  einmal  noch  reicheres  Material 
gewonnen  und  sachgemäss  zusammengestellt  ist,  die  Genealogie  dieser 
handschriftlichen  Kunstwerke  nach  Familie  und  Schule  so  sicher  geordnet 
werden  können,  wie  der  Texteskenner  die  Handschriften  eines  Classikers 
oder  der  Kunstrichter  die  Gemälde  einer  Malerschule  schon  länger  zu 
sichten   und  zu  bestimmen  gelernt  hat. 

Diese  handschriftlichen  Karten  bieten  nun  aber  nicht  bloss  für  das 
Zeitalter  ihrer  Entstehung  einen  trefflichen  Apparat  geographischer 
Wissenschaft,  sondern  auch  —  im  Gebiete  der  alten  Culturvölker ,  für 
die  Kenntniss  derselben  in  früherer,  ja  zum  Theil  auch  in  alter  Zeit. 

Die  Namen  von  Oertern ,  Städten  und  Landschaften ,  von  Flüssen, 
Buchten  und  Meeren  haben  ein  zähes  Leben:  es  überdauert  jene  die 
da  gelebt  und  gewirkt,  gewohnt  und  gehandelt  haben,  Jahrhunderte 
und  Jahrtausende ;  oder  auch  —  es  bezeugt  uns  irgend  ein  Ortsname, 
der  uns  vereinzelt  wo  entgegenkommt,  dass  da  noch,  wenn  auch  ver- 
einzelt, eine  Stätte  einer  bestimmten  Cultur,  ein  Landungs-  oder  Kauf- 
platz eines  bestimmten  Handelsvolkes  sich  erhalten  und  selbständig  fort- 
gedauert hat,  nachdem  vielleicht  das  Haupt-  und  Mutterland  lange  seine 
Selbstherrlichkeit  verloren  oder  seine  Lebenskraft  eingebüsst  hatte. 

Mögen    diese    kartographischen    Pergamente    rücksichtlich    der    neu 


225 

entdeckten  Welttheile  eine  grössere  Anziehung  ausüben  —  wie  diess 
auch  Vergleichungsweise  sich  herausstellt,  ihre  Wichtigkeit  für  die  ört- 
liche Erkenntniss  der  alten  und  mittleren  Welt  ist  gleich  gross.  Nichts 
überragt  doch  die  Bewegung  der  Menschengeschichte,  sowie  sie  sich 
Jahrtausende  um  das  Becken  des  Mittehneeres  und  seine  Inselwelt  und 
seine  grossen  Nebenmeere  entwickelt  hat. 

Die  Verbindung  mit  meinem  unvergesslichen  Freunde  Gott  lieb 
T  a  f  e  1  zur  Herausgabe  des  Venezianischen  Diplomatars ,  die  Handels- 
beziehungen der  Republik  Venedig  zu  Byzanz  und  den  Orient  umfassend, 
—  bis  jetzt  drei  Bände  in  den  'Fontes  rerum  Austriacarum'  der  kais. 
Akademie  in  Wien,  Band  12,  13,  14  —  brachte  aach  mich  nothwendig 
zu  besonderen  geographischen  Studien,  wesentlich  vorerst  der  mittleren 
Zeit.  An  der  Hand  eines  Meisters  Hess  sich  der  oft  schwierige  und 
verkommene  Weg  leichter  machen  und  sicherer  finden.  Tafel  hatte 
schon  vorher  in  seiner  'Via  Egnatia ,  seiner  'Thessalonica',  seinem  'Con- 
stantinus  Porphyrogenitus'  und  seinen  'Symbolae  criticae  ad  geographiam 
Byzantinam  spectantes'  sich  als  ersten  Forscher  und  Kenner  auf  diesem 
Felde  bewährt;  die  grösste  Belesenheit,  unterstützt  von  einem  nie  täu- 
schenden Gedächtniss,  paarte  sich  in  ihm  mit  einer  wundervollen  Divi- 
nation»  Tafel  machte  am  Studiertisch  geographische  Entdeckungen, 
wie  sie  eine  feine  und  sichere  Spürkraft  kaum  am  Orte  glücklicher 
machen  kann.  Diese  Studien  Tafel 's  gelten  mit  Fug  als  stete  und 
feste  Gewährschaft  und  auf  ihnen  lässt  sich  als  auf  gutem  Grunde  ruhen. 

Dieser  besonderen  Anlage  und  Neigung  Tafel' s  und  seinem,  dem 
Freunde  und  Jünger  gegenüber  wahrhaft  und  in  jeder  Art  freigebigen 
Sinne  —  einer  seltenen  Tugend  echter  Wissenschaftlichkeit  —  hat  man 
es  zu  danken ,  dass  dem  besagten  Urkundenbuche  nicht  bloss  geogra- 
phische Notizen,  sondern  ganze  geographische  Epimetra  und  eingehende 
Untersuchungen  beigegeben  sind. 

Während  der  Beschäftigung  mit  jenem  historisch  -  archivalischen 
Werke  kamen  zwischen  uns  noch  manche  Plane  in  Ueberlegung  oder 
doch  in  Anregung ;  zu  diesen  zählte  auch  der  Gedanke :  den  Periplus 
des  Pontus  Euxinus  aus  den  handschriftlichen  Karten  von  München  neu 
herauszugehen.  Schon  ein  Blick  auf  diese  Pergamente  musste  einladen, 
dieses  noch  im  16.  Jahrhundert  an  allen  seinen  Küsten  merkwürdig 
Abb.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d  Wies.  X.  Bd.  I.  Abth.  29 


22ii 

belebte  Meer  nach  diesen  schönen  Vorlagen  der  gelehrten  Welt  mitzu- 
theilen. 

Ein  sogenannter  "^Periplus  Ponti  JEuxini  octuplus'  auf  Grund  von  acht 
Mappen  der  Wiener  Bibliothek  war  im  J.  1836  ohne  Namen  des  Her- 
ausgebers, als  Rolle  auf  einem  Blatte,  in  Wien  erschienen.  Diesen  hatte 
Tafel  selbst  wiederholt  im  Appendix  No.  7  seines  Programms  zu  Con- 
stantiuus  Porphjrogenitus  (Tübingen  1846)  mit  der  Bemerkung:  est 
autem  noster  periplus  perquam  utilis  ad  cognoscenda  nomina  aevi  medii 
geographica  incredibiliter  depravata  ideoque  emendanda ;  dein  varia  con- 
tribuit  ad  augendam  historiam  mercaturae,  brevi  ante  renovatam  Indiae 
Orientalis  cognitionem  in  Ponto  Euxino  tam  strenue  exercitae.  Postremo 
emergunt  novae  quaedam  Europaeae  atque  Asiaticae  geographiae  stationes. 

Einen  weiteren  Abdruck  für  Italien  besorgte  später  der  Verfasser 
der  Geschichte  der  Krim,  der  Genuese  Michele  Giuseppe  Canale 
(1855).  Er  benützte  dabei  ausser  der  früheren  vom  Archivar  Gevay 
(wie  wir  dabei  erfahren)  besorgten  Ausgabe  noch  eine  Copie  von  Enrico 
C  o  r  n  e  t. 

Uebrigens  waren  zwei  dieser  Wiener  Karten,  die  des  Petrus  Ves- 
conte  de  Janua  v.  J.  1318  und  des  Gratiosus  Benincasa  von 
Ancona  v.  J.  1480  (in  jenen  Ausgaben  No.  1  und  4)  schon  vom 
Grafen  J.  l'otocki  in  seinem  'Memoire  sur  un  nouveau  peryple  du 
Pont  Euxin'  etc.  Vienne  1796  4*^*  benützt  worden,  das  unserer  Hof- 
Bibliothek  erst  aus  dem  Quatremere'schen  Erwerb  zugekommen  ist. «  Der 
Periplus  dieses  hierin  wichtigen  Memoires  begreift  ausserdem  noch  die 
]>erühmten  Karten  der  Wolfenhüttier  Sammlung,  darunter  die  des  ,,Contes 
Hoctoiiianus  Fredutiis  von  Äncono"  vom  J.   1497. 

Es  ist  nur  eine  der  kleineren  Schulden,  welche  ich  im  Andenken 
an  Tafel  abzutragen  habe,  —  namentlich  wenn  ich  die  Pflicht  erwäge 
allein  nun  das  Diplomatar  von  Venedig  abzuschliessen  —  indem  ich 
Gelegenheit  nehme,  hierorts  den  Periplus  des  Pontus  Euxinus  zur  Sprache 
und  aus  unserem  handschriftlichen  Apparat  weiter  ausgerüstet  zur  Vor- 
lage  und  zur  Veröffentlichung  zu  bringen. 

Die  genaue  Aljschrift  der  Karten  ist  bereits  seit  mehreren  Jahren 
von  mir  sell)st  und  mit  Müsse  und  mit  Mühe  gemacht  worden.  Ich 
habe    das    nifht    zu    Ijereuen,   je    mehr    einige  Pergamente    schon   durch 


227 

die  Zeit  gelitten  haben  und  fortgehend  leiden ,    und  je  mehr    das  Auge 
wehrt  und  warnt,  sich  in  lauter  so  punctiliösen  Arbeiten  zu  verzehren. 

Es  sind  acht  Originalkarten,  welche  ich  hier  vergleichen  oder  besser 
zur  Vergleichung  copiren  konnte.  Der  'Periplus  octuplus'  wird  also 
gerade  ein  'bis  octoplus'. 

Die  Beschreibung  der  Karten  ist  schon  bei  anderer  Gelegenheit 
genügend  gegeben,  theils  von  Seh  melier  in  der  eingangs  genannten 
Abhandlung,  theils  von  Kunstmann  in  der  Säcularschrift  ,,die  Ent- 
deckung Amerikas"  im  zweiten  Anhang,  theils  von  mir  selbst  im  'Cata- 
logus  Codd.  manuscriptorum  Bibl.  reg.  Moh.  Gall.  Hispan.  Ital.  etc. 
Monachii  a.  1858.'  Es  war  also  kein  Anlass  hier  über  ein  kurzes  Maass 
hinauszugehen. 

N.  1  ist  Cod.  manuscr.  337  der  Münchener  Universitätsbibliothek, 
die  ihn  von  den  Jesuiten  Ingolstadts  überkommen  hat ;  diese  selbst  hatten 
denselben  1656  ,, ex  haereditate  Herwartiana"  erhalten.  Vgl.  Kunstmann 
a.  a.  0.  S.  146.  Wir  bemerken  nur  noch,  dass  dem  Cod.  der  gedruckte  Aus- 
weis :  E  Museo  Joannis  Georgii  Herwart  ab  Hohenburg,  V,  J.  Doctoris, 
ex  Assessore  summi  tribunalis  Imperatorij,  et  ex  Cancellario  supremo 
Serenissimi  vtriusque  Bauariae  Ducis ,  suae  serenissimae  Celsitudinis 
Consiharij  ex  intimis,  Praesidis  prouintiae  Schuabae,  et  inclytorum  vtri- 
usque Bauariae  Statuum  Cancellarij  —  auf  dem  hinteren  Deckblatt  auf- 
geklebt ist,  das  seiner  Zeit  auch  einen  zierlichen  Compass  getragen  hat. 
Sie  fällt  nach  1534.  Wir  haben  dieser  Karte  den  ersten  Platz  gegeben, 
weil  sie  die  meisten  und  deutlichsten  Namen  trägt :  ebendeswegen  wurde 
sie  auch  zur  Reproduction  in  der  artistischen  Beilage  ausgewählt. 

No.  2  u.  3  sind  grosse  Pergament-Karten,  die  im  Haupt-Conserva- 
torium  der  Armee  (k.  b.  Kriegsministerium)  niedergelegt  und  gut  vei- 
wahrt  sind.  Eine  ausführlichere  Notiz  darüber  gab  zuerst  H  ö  f  1  e  r  in 
einem  Vortrage  der  Akademie,  vgl.  Gelehrte  Anzeigen  1847,  Bd.  24. 
No.   116.   117.     Kunstmann  a.  a.  0.    S.   127.   129. 

No.  2  trägt  die  Aufschrift:  'Saluat  de  Pilestrina  en  Mallorques  en 
lay  MDXL'  Dass  dieser  nicht  auch  der  Urheber  der  anderen  sei,  haben 
die  Berichterstatter  aus  guten  Gründen  angedeutet.  Uebrigens  ist  gerade 
auch  diese  (dritte)  durch  Zeichnung  und  wohlerhaltene  Frische  hervor- 
ragend. 

29* 


228 

No.  4  ist  Codex  icoiiogTaphicus  lol  der  Hof-  und  Staatsbibliothek. 
Ueber  diese  Karte  hat  ausfülirlich  gehandelt  Schm eller  a.  a.  0.  S. 
244 — 247.  Ihre  Zeitbestimmung  ist  unsicher:  doch  darf  sie  eher  dem 
Ende   des   15.  als  dem  Anfang  des   16.  Jahrhunderts  zuerkannt  werden. 

No.  5  ist  Cod.  icouographicus  133;  vgl.  8chmeller  250 — 253, 
Er  setzt  ihre  Zeit  zwischen    1501 — 1506. 

No.  G  ist  Cod.  iconographicus  135;  vgl.  Schmeller  253  —  255. 
Kunstmann,  die  Entdeckung  Amerikas  8.  135.  Codd.  m.  scr.  bibl. 
r.  Monac.  Gallici  etc.  p.  271.  Nach  einer  Jahreszahl  auf  fol.  3  der 
Handschrift  wäre  1519  das  Alter  und  ihr  Urheber  der  „Vesconte  de 
Maiollo"   von  Genua. 

No.  7  ist  Cod.  iconographicus  136;  vgl.  Schmeller  255 — 259. 
Kunst  mann  S.  145.  Codd.  m.  bibl.  etc  p.  272.  Ihre  Zeit  ist 
nach   1532. 

No.  8  ist  Cod.  iconographicus  137;  vgl.  Schmeller  259  —  263; 
Kunstmaun  S.  146.  Codd.  m.  scr.  bibl.  etc.  p.  88.  Die  reiche 
Handschrift  ist  das  Werk  Fernäo  Vaz  Dourados  vom  J.   1580. 

In  der  Tabelle  des  Periplus  schien  es  am  einfachsten,  die  acht 
Karten  nui'  nach  der  eben  angegebenen  Reihenfolge  mit  Ziffern  zu  be- 
zeichnen. Auf  allen  Karten  sind  einzelne  Stationen  mit  rother  Farbe 
eingetragen :  diese  Haupt- Stationen  sind  im  Drucke  durch  Cursiv-Schrift 
hervorgehoben.  l*unctirte  Buchstaben  sind  nur  schwach  oder  kaum 
leserliche.  Die  wie  in  den  Originalien  quer  aufgesetzten  Namen  sind 
die  IJenennungen  der  hinter  der  abgeschlossenen  Küste  liegenden  Provinz 
oder  Landschaft,  oder  auch  einzelner  Inseln  und  Inselgruppen.  Die 
Zahlen  am  Rande  von  je  5  Zeilen  sollen  dienen ,  theils  um  für  einige 
Ijemerkimgen  liinter  dem  Tabellen-Texte  die  Stelle  leichter  finden  zu 
lassen ,  theils  überhaupt  künftige  Anführungen  zu  vereinfachen.  Eben 
aus  jener  Rücksicht  schien  es  auch  gerathen,  das  Ganze  des  Periplus 
in  einige   Unterabtheilungen  auseinander  zu  legen. 

Diese  Bemerkungen  sollen  im  wesentlichen  nur  zum  Nachweise  dienen, 
ol)  und  was  am  Litorale  des  schwarzen  Meeres  bis  herein  in  die  mittlere, 
ja  noch  neuere  Zeit  —  d.  h.  ehe  die  Wirkung  der  Entdeckung  Amerikas 
und  der  neuen  Seewege  um  Afrika  nach  Ostindien  auf  den  alten  Han- 
delsverkehr   der    Mittelmeerstaaten    entschieden    fühlbar    wurde    —    aus 


229 

hellenischer  Vorzeit,  wenigstens  dem  Namen  nach,  wenn  auch  in  oft  starker 
Metamorphose  des  Wortes ,  sich  erhalten  hat.  Diese  Reste  haben  für 
uns  Philologen  doch  das  meiste  Ansehen.  Eine  und  die  andere  neue 
Station  hellenischen  Verkehrs  scheint  doch  aus  diesen  Notizen  zu  ge- 
winnen, während  eine  ziemliche  Menge  griechischer  Hafen-  und  Handels- 
orte, die  alt  berühmten  Emporien  abgerechnet,  vorzüglich  an  der  Nord- 
küste Kleinasiens  von  den  Cyaneen  bis  zum  Sagenlande  Kolchis  noch 
im  15.  und  16.  Jahrhundert  hervortaucht,  nachdem  —  ohne  von  der 
Eroberung  der  Römer  zu  reden  —  der  Sturm  der  Völkerwanderung, 
die  Fluten  der  Slaven  und  Normannen,  die  Züge  der  Kreuzfahrer  und 
mit  ihnen  eine  westliche  Reaction,  getragen  von  den  mächtigeii  Repub- 
liken Pisa,  Venedig,  Genua,  die  wilden  Wogen  mongolischer  Horden  und 
die  siegreiche  Kraft  der  Osmanen  mehr  oder  minder  über  alle  (lestade 
des  Meeres  verwüstend,  zerstörend,  aber  auch  neues  Leben  gründend, 
hingegangen  waren. 

Von  diesem  grossen  tausendjährigen  Geschick  gibt  uns  der  Periplus 
des  Pontus  Euxinus  ein  merkwürdiges  Zeugniss. 

Hier  begegnen  uns  neben  den  ehrwürdigen  Spuren  althellenisclier 
Cultur  die  Malzeichen  des  byzantinischen  Kaiserthums  und  seiner  Filiale ; 
dann  feste  Stätten  der  Lateiner,  tlieils  vor,  mehr  aber  nach  der  Erober- 
ung von  Constantinopel  durch  die  Kreuzfahrer  und  der  hochwichtigen 
Theilungsacte  im  Blachernenpalast ,  der  Frucht  von  Heinrich  Dandolo's 
genialer  und  wirksamer  Staatsklugheit,  der,  grosser  Vorgänger  nicht  ent- 
behrend, doch  hiemit  wie  mit  einem  Ruck  die  Republik  Venedig  zum 
Angelpunct  östlicher  und  westlicher  Politik  gemacht  hat.  Bezeugt  uns 
der  Porto  Pisan  am  Tanais  die  jener  Katastrophe  schon  vorhergehende 
Rührigkeit  des  später  niedergedrückten  Pisa,  ein  Porto  Malfttan  (eine 
ganz  neu  erhobene  Station)  beim  kolchischen  Sebastopolis  die  noch 
weiter  hinaufreichende  Unternehmungskraft  des  alten  Amalfi,  neben  den 
bekannten  grossen  Stapelplätzen  der  Genuesen  auf  Gazaria,  so  liegt  uns 
in  Casal  deli  Rossi  an  der  Ostküste  des  Palus  Maeotis  oder  in  Cava 
Rossofar  in  der  westlichen  Krim ,  in  Varangolimen  gleichfalls  auf  dieser 
Taurischen  Küste  ein  unumstösslicher  Beweis ,  wie  dort  die  Russen  (im 
engeren  Sinn)  und  hier  die  normannischen  Warägen  bei  ihren  bekannten 
südlichen  Zügen  verstanden  haben,  sich  gleich  an  rechter  Stelle  festzu- 


'260 

setzen.  Dass  von  dort  aus  der  Weg  nach  Constantinopel  in  gerader 
Linie  fülire,  lebte  in  diesen  Eroberern  des  10.  Jahz-hunderts  so  ahnungs- 
voll, als  es  seit  Katharina  II  bewusst  und  nicht  bloss  auf  dem  berühmten 
Wegweiser  des  Thores  von  Kherson,  sondern  in  der  Seele  jedes  echten 
Russen  geschrieben  steht. 

Wenn  uns  an  der  Küste  Bulgariens  südlich  von  Varna  ein  Rusico 
und  nördlich  davon  —  fast  am  Donau-Delta  —  ein  Proslaviza  begegnet, 
wenn  die  schmale  luselzunge,  die  heute  Tendra  heisst,  der  dq6f.io(;  ^AxdX^taq 
der  Alten,  Zncori  benamst  ist,  so  weiss  man,  dass  es  hier  um  Slavische 
Elemente  sich  handelt ;  anderseits  wenn  der  Dniester  (der  Tyras  der 
Alten)  Flumen  Turlo  heisst ,  und  hinwieder  am  östlichen  Gestade  des 
Azow'schen  Meeres  ein  Tar  magno  und  Tar  parvo  (grosses,  kleines  Wasser?) 
aufstösst,  so  haben  wir  tatarisch-mongolische  Sprachstämme.  Mitunter 
stehen  ganz  eigene  Namen,  selbst  wie  Inselchen  im  Wortmeere ;  so  Flor 
de  lis ,  unfern  der  Mündung  des  Tiligul;  man  glaubt  etwa  das  alte 
OSi^oodg.  Wie  kommt  dieser  in  spanische  Sprache  gekleidete  Ausdruck 
hieher,  welcher  die  Wappenlilie  im  französischen  Schild  bezeichnet?  Ist 
es  etwa  eine  kirchliche  Stiftung,  ein  Kloster?  In  Madrid  gibt  es  eine 
Kirche  einer  Madonna  dieses  Namens.  Oder  wurden  einmal  schweifende 
Cafalanen  dorthin  verschlagen?  Andere  Namen  scheinen  entstellt,  viel- 
leicht verdorben,  aber  gerade  in  ihnen  zeigen  die  verschiedenen  Karten 
eine  merkwürdige  Uebereinstimmung.  Hier  ist  noch  Arbeit  und  Studium 
genug  zu  verwenden. 

Einen  vollkommnen  und  ins  einzelne  dringenden  Commentar  zu 
diesem  Periplus  zu  geben  wäre  nicht  geringes  Verdienst.  Ich  muss  mich 
dessen  bescheiden ;  weder  reichen  meine  Kenntnisse  aus,  noch  stehen  selbst 
hier  alle  jene  Mittel  zu  Gebote,  deren  man  dabei  nicht  entrathen  könnte. 

Ich  halte  es  für  genug,  wenn  ich  dafür  sorgen  konnte,  dass  das 
hiesige  handschriftliche  Material  nicht  länger  oder  am  Ende  ganz  ver- 
borgen blieb.  Ich  hoffe  damit  Männern,  wie  Carl  Müller,  einen  Dienst 
zu  erweisen,  der  uns  in  der  Vorrede  zu  den  Geographi  Graeci  Minores 
—  einem  der  gediegensten  Werke  der  neueren  historisch-philologischen 
Epoche  —  im  3,  Bande  eben  die  Sammlung  dieser  und  ähnlicher  werth- 
vollen  Schriften  für  die  byzantinische  Geographie  versprochen  hat.  Ist 
das  erreicht,  so  bin  ich  ganz  befriedigt. 


231 

Zugleich  mit  diesem  Periplus  des  Pontus  Euxinus  veröffentliche  ich 
noch,  aus  denselben  Quellen  geschöpft,  den  Paraplus  Syriens  (und  Pa- 
lästinas) und  den  Paraplus  Armeniens  (im  Sinne  des  Mittelalters).  Es 
mögen  diese  paar  Tafeln  als  Nachtrag  zu  jenen  Capiteln  dienen,  welche 
wir  —  Tafel  im  1.  Bande  unseres  Urkundenbuches  von  Venedig,  S. 
375  —  381  anschliessend  an  Marin  Sanudo  für  Armenien,  und  ich  im 
2.  Bande  S.  399 — 416  für  Syrien  —  ausgearbeitet  haben;  vgl.  dazu 
die  Addenda  im  3,  Bande  S.  462  und  466.  Einige  andere  Beigaben 
werden  sich  selbst  empfehlen. 

Die  Literatur  zum  Periplus  des  Pontus  Euxinus  hat  zuletzt  Herr 
W.  Hejd  in  Stuttgart  in  seiner  Abhandlung  ,,Die  italienischen  Han- 
delscolonien  am  schwarzen  Meer"  (Tübinger  Zeitschrift  für  Staatswissen- 
schaft 1862,  erster  Artikel,  S.  668)  zusammengestellt;  diese  Abhand- 
lung selbst  muss,  wie  die  ihr  vorausgehenden  historischen  Aufsätze  des 
gründlichen  Gelehrten,  als  eine  ansehnliche  Bereicherung  dieser  heute 
ins  Leben  greifenden  handelspolitischen  Studien  von  uns  hier  anerkannt 
werden.  Besonderen  Vergleich  heischt  unter  den  dort  genannten  Quellen 
die  Catalanische  Karte  und  was  darüber  in  den  Notices  et  Extraits  t.  14 
im  2.  Theile  p.  80 — 84  und  99  — 101  von  Buchon  und  Tastu  aus- 
geführt ist. 

Auch  was  £lie  de  La  Primaudaie,  der  in  seinen  fitudes  sur  le  com- 
merce au  moyen  äge  unserem  Periplus  eine  besondere  Sorgfalt  gewidmet 
hat,  im  12.  und  13.  Capitel  pag.  207  —  265  nach  der  Reihenfolge  der 
Namen,  mehr  beschreibend  und  die  spätere  Zeit  berücksichtigend,  nieder- 
gelegt hat,  verdient  unsere  Beachtung. 

Nicht  unwichtig  und  unvortheilhaft  ist  es  auch,  die  älteren  italieni- 
schen ÄM^gdiOen  des  Claudius  Ptolemaeus,  seien  es  lateinische  oder 
auch  sogenannte  'Volgarizzamenti',  zu  Rathe  zu  ziehen.  Sie  stellen  näm- 
lich im  Texte  den  alten  Namen  zum  Theil  die  in  ihrer  Zeit  geläufigen 
an  die  Seite.  Ist  dabei  gewiss  vorsichtig  zu  fragen,  woher  und  worauf 
hin?  —  so  springt  dafür  sicherlich  auch  mancher  Lichtstrahl  entgegen. 
Zugleich  sind  sie  mit  Karten  ausgestattet,  die  uns  das  geographische 
Wissen  jener  Zeit  trefflich  erkennen  lassen.  Lelewel,  bewunderswerth 
in  seinem  Fleisse,  hat  diess  auch  erkannt;  er  gibt  in  seiner  Geographie 
du    moyen-äge  t.  2 ,    pag.    207    in    den   Appendices    eine    Reihe    solcher 


2o2 

Ausgaben  mit  der  triftigen  Bemerkung:  Voici  la  suite  des  editions,  dont 
plusieurs  sont  de  la  plus  baute  importance  pour  l'etude  de  l'histoire  de 
la  geographie  ä  cause  qu'elles  offrent  de  nombreuses  Varietes  et  con- 
tiennent  des  reuseignenients  curieux  et  les  cartes  nouvelles  pour  exa- 
miuer  la  niarche  de  la  geographie  ä  cette  epoque. 

Ich  habe  von  diesen  älteren  Ausgaben  zwei  benützen  können,  die 
von  Pietro  Andrea  Mattiolo  aus  Siena,  welcher  Jacopo  Gastaldo 
wesentliche  Dienste  geleistet  hat,  (Venedig  1548),  und  die  des  Josephus 
Moletill s  Matheuiaticus,  (Venedig  1562).  Ein  paar  Stellen  daraus  sind 
in  den  Noten  angezogen. 

VAixe  gute  Monographie :  'Die  Gestade  des  Pontus  Kuxinus  vom 
Ister  bis  zum  Borysthenes  in  Bezug  auf  die  im  Alterthume  dort  gele- 
genen Colonien  von  Dr.  P.  Becker.  Nebst  einer  Karte.  St.  Petersburg 
1852'  ist  mir  durch  freundschaftliche  Mittheilung  des  Herrn  Dr.  med. 
Nar,   welcher  längere  Zeit  in  Odessa  lebte,  zur  Kenntniss  gekommen. 

Das  Schriftchen  von  Michel  -  Giuseppe  Canale:  Indicazione  di 
opere  e  documenti  sopra  i  viaggi,  le  navigazioni,  le  scoperte,  le  carte 
nautiche,  il  commercio,  le  colonie  degl'  Italiani  nel  medio  evo  per  una 
bibliografia  nautica  Italiana  —  Lucca  1861  —  nur  eine  kurze  Ueber- 
schau  der  einschlägigen  Literatur  —  war  mir  deshalb  eine  erwünschte 
Gabe,  weil  man  daraus  die  Hoffnung  schöpfen  kann,  dass  die  'Commis- 
sione  Nautica'  in  Turin  vorhat,  aus  dem  reichen  Schatze  des  Genueser 
Archivs  zur  s})eciellen  Geschichte  des  Handels,  der  Seefahrt,  der  Finan- 
zen u.   s.   w.  jedenfalls  höchst  wichtige  Beiträge  zu  veröffentlichen. 


Der  Periplus  des  Pontus  Euxinus. 


29' 


235 


Karte  der  Universität. 


Karten    des   Kriegsministeriums. 


Karten 


10 


15 


20 


25 


Cumstanünopoli 

Constantinopoli 

CostantinopoU 

pera 

pera 

^ 

giro 

• 

• 

filea 

ferle 

. 

malatra 

malatr. 

. 

oniidie 

, 

. 

polici 

pollici 

. 

stagnaira 

stachynay 

stanhaira 

gatopoli 

Gastopoli 

. 

uerrli>;o 

verdizo 

• 

lesini 

esine 

^ 

sisopoli 

sisopoli 

• 

scafidia 

S.ffe 

ßcafidia 

porro 

• 

• 

aclilo 

, 

. 

mesemhre 

mesemhria 

mesenber 

c.  delemano 

c.  de  lemano 

, 

leuiza 

lauize 

lauica 

mauro 

mauro 

• 

gallato 

, 

. 

ru.sico 

rossica 

roxico 

uerna 

barna 

. 

castri 

Gastrici 

castria 

Vom  Bosporus  bis  an 


Constantinopoli 
Pera 


giro 

filea 

malatr  o 

omidie 

polici 

stagnaira 

gatopoli 

uordizo 

lesini 

sisopoli 

scafidia 

porro 

lasilo 

mesenhre 

c.  de  lemano 

leuiza 

mauro 


gallato 
rusico 
Uarna 
castri 


Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth. 


236 


5 

6 

7 

8 

der    k  ö  n 

iglichen     Hof-     u 

nd     Staats-Bibli 

0  t  h  e  k. 

onaumündungen 

, 

tantinopoU 

ConstantynopoU 

Cumstantinopoli 

Costamtinopoli 

pera 

pera 

• 

• 

filea 

giro 
filea 

' 

malitra 

malatra 

omalasti 

omidie 

omidie 

, 

3i 
wrra 

polla 
stanara 

polici 
stagnara 

estahuine 

poli 
iza 

gatopoli 
verdixo 

gatopoli 
uerdizo 

gastopoli 
berdizo 

axine 

lesiiii 

esine 

sisopoli 
scafida 

sisopoli 
scafidia 

sizopoli 
estafadi 

• 

porro 
achilo 

• 

misenher 

mesenhre 

mezemher 

.  c,  de  lemano 

c.  de  lemano 

de  lemano 

Lauiza 

leuiza 

. 

mauro 

mauro 

mauro 

gallato 
Rossicho 

gallato 
rusico 

• 

Varna 

uerna 

baria 

castrisa 

castri 

castoci 

30 


10 


15 


20 


25 


Karte  der  Universität. 


2 


Karten  des  Kriegsministeriums. 


carbona 

gauarna 

caiacla 

losilusicho 

pangalla 

costanza 

grossea 
proslauiza 

stranicho 

laspera 

Sauzorzi 

salina 

.2  licostoma 

jg  chieli 


saline 
falconaire 
mo  Castro 
flumen  turlo 


la  zinestra 
flor  de  lix 


carbona 

Gauarna 

tayacea 

loxiluxico 

pangalay 

constanxa 

zenouarda 

Glocea 


la  stranitj 
la  spreya 
Siordj 
Solinar 
licostoyana 


salina 

falconayra 

moncasi/ro 


la  sinestra 

flordelis 
barbaraxa 


tarbona 
gauarna 


zanauarda 

Grossea 


stranico 
asprea 
San  zorzo 
sollinar 
licostoma 


salina 
falconaira 


la  zinestra 

feoll  dellis 
barhari 


Karten 


carbona 

gauarna 

caiacla   . 

losilusico 

pangalla 

costanza 

grossea 
proslauiza 

BVRGiRIA 
stranico 
laspera 

san  sorzo  jfidinissi 
solina 
licostoma 


Von  der  Donau  bis  zuit 

saline 
falconaira 
mocastro 
flumen  turlo 


lazinestra 

flor  de  lix 
barbarexa 


VELA- 
CHIA 


^ 

' 

238 

5 

G 

7                                       8 

t 

der    k  ö  n 

iglichen    Hof-    u 

nd     Staats-Bibliothek. 

carbona 

carbona 

. 

Gavarna 

gauama 

banesna 

'acla 

Cagassa 

caiacla 

raxaira 

ilasico 

Loxilucio 

lo  silusico 

lloxilocicos 

. 

pangalay 

pangalla 

uemgali 

itanza 

costanca 

costanza 

G.  dosco 

lauarda 

zana.  varda 

. 

. 

Dxea 

Grossea 

grossea 

. 

Dsauica 

• 

proslauiza 

• 

anico 

stranoico 

stranico 

lastracuto 

pera 

Laspea 

laspera 

lasperesia 

ostoma 

san  zorzo 

.  s.  zorzi 

saö  lordim 

1  zorzo 

solina 

solina 

danu- 

solinar 

ima 

'.%  \  lAco  Stoma 

o 

'3 

lico  Stoma 

bius 
fiuuius 

llistima 

rischen  Istlinnis. 

^ 

ine 

sallina 

saline     VALACHIA 

salina 

•conarie 

farconara 

falconaira 

falconaira 

nocasto 

Mocastro 

mocastro 

c.  zenouaide 

menturlo 

•  F.  torlilo 
Isola  nogay 

flumen  turlo 

moncristo 
filustuio 

La  zinestra 

la  zinestra 

llasinestra 

rdelis 

flor  de  lix 

flor  de  lix 

frolldelis 

rbarexe 

Barbe  raxe 

barbaroxa 

30^ 


( 

239 

1 

Karte  der  Universität. 

2 

3 

4 

Karten    des    Kri( 

igsministeriums. 

Karten 

5 

lerxo 

• 

• 

• 

grote  de  tonO 

; 

; 

grote  de  tono 

boristene  f. 

, 

. 

I.  bouo 

p.  de  bouo 

p.  de  boo 

p.  Lou 

f.  lusen    zacori 

10 

f.  lusen 

. 

. 

. 

5 

erexe 

erexe 

elleixe 

erexe                          , 

inegariclio 

pideifü 

megaripo 

megarico               m  1 

pidea 

mengarico 

pidea 

pidea                     ■ 

15 

y.  rubea 

lila  rossa 

ilha  Roixa 

• 

y.  rubea 

G.  de  nigropoli 

G.  de  nigropolj 

G.  de  nigropoli 

g.  de  nigropoli 

< 

Ihiscan 

. 

. 

. 

pH 
< 

saline 

salina 

saline 

saline 

20 

< 

• 

• 

• 

• 

% 

Der  Taurisc  1 

la  grosse 

la  grocea 

rose 

la  grosea 

uarangilco 

barangolje 

• 

uaragico 

i 

25 

c.    rosofar 

c.  roxofar 

c.  rosafa 

• 

<1 

• 

• 

trichinch 

-< 

Eh 

. 

. 

saline 

. 

. 

30 

• 

• 

• 

Ahli 

A.  T.  n.  d.  k 

.  Ak.  d.  Wiss.  X 

..  Bd.I.  Abth. 

,. Um 

der     königlichen     Hof-     und     Staats-Bibliothek 


240 


• 

• 

lerxo 

« 
ote  de  toni 

Grota  de  tony 

grote  de  tono 
f.  lusen 

grote  de  come 

lusom 

■g  p.  bouo 

"u 

f.  boristene 

, 

, 

1^1     .      Rossia  alba 

ü 

p.  de  bouo 

* 

sze 

Erex 

erexe 

clexe 

3garico 

Megarico 
pidea 

megaricho 
pidea 

pidera 

äula  rubea 

Isola  rossa 

y.  rubea 

megarico 

• 

, 

, 

ileroza 

de  nigropoli 

,  G.  de  nigropoly 

Iscany 

salline 

G.  de  nigropoli 
saline 

gicapiopoli 
salina 

rsonesus. 

gros[ea] 


La  grose 
Varongo  Lime 


.  C.  Roso  far 


trinic 
salline 


la  grossea 
uarangico 


c.  rosofar 


trichinch 
saline 


rosafar 


coia 


31 


%" 

>41 

1 
Karte  der  Universität. 

2 

3 

, _^ 

4 

Karten   des  Krie 

gsministeriums. 

Karten 

lefti 

rofeti 

lefeti                            E 

calaniita 

calolmj 

gerezonda 

gerezonda 

. 

calamita 

6 

fanar 

. 

fanar                      ■ 

cemharo 

cemhaio 

cemharo                 1 

• 

xile 

calv  de  lalila 

j 

laia 

poya 

laia                        " 

10 

catoiane 

cacoiao 

caloiane                      \ 

s.   todaro 

Gayseria 

sana.to 

s,  todaro               C 

1 

uagropoli 

, 

uagropoli              i 

lusta 

Pi 

. 

lusta                       -    » 

15 

• 

ü 

stuta 

^ 

. 

<5 

. 

■ 

sodaia 

soldaya 

sodaia                        ^ 

neganome 

< 

Eh 

neganome 

nega 

meganome 

1 

20 

calitra 

catolica 
palormo 

calitra                  1  ; 

pofidima 

• 

pefidima 

caffa 

caffa 

caffa 

cafa 

zauida 

gauida 

zauida 

25 

conestaxe 

Constanze 

• 

ciprico 

sipico 

ciprico 

caualari 

olori 

c.  latro 

caualari 

aspromiti 

aspromti 

aspromiti 

30 

uospro 

uospro                   eiez 

uospro 

- 

- 

242 

5 

6                                       7 

8 

der    k  ö  n 

iglichen     Hof-     und     Staats-Bibli 

0  t  li  e  k. 

fti 

Lofety          Valachia 

lefti 

. 

calamita 

calamita 

. 

. 

. 

gerezonda 

. 

. 

. 

fanar 

femero 

mharo 

Cenbaro 

cenbaro 

. 

• 

.  c.  de  lilla 

• 

enido 

Laia 

laia 

tocane 

cacogan 
.  s.  todoro 

catoiane 
s.  todaro 

• 

, 

pangropoly 

nagropoli 

^ 

3ta 

Lusta 

lusta 

. 

♦ 

stoty 

• 

• 

dara 

Sodaia 

sodaia 

qaisaia 

-    • 

neganome 

neganome 

• 

; 

calitra 

calitra 

calcoa 

. 

palormo 

. 

. 

. 

. 

pesidima 

. 

ffa 

Caffa 

Caffa 

. 

. 

zauida 

zauida 

. 

. 

con  nestax 

conestaxe 

. 

Drico 

tipicio 

ciprico 

• 

• 

.  C.  Lary 

caualari 

• 

pro  miti 

aspero  pit 

aspromiti 

^ 

• 

Vospro 

uospra 

• 

31* 

., 

10 


15 


20 


25 


243 

1 

Karte  der  Universität. 

2 

3 

4 

Karten   des   Kriegsministeriums. 

Karten 

pondico 

pondico 

pandico 

pondico 

zucala 

. 

. 

zucalai 

gazaria 

• 

• 

• 

carcauogni 

corcauogi 

carca 

carcauogni 

• 

• 

• 

gazaria 

• 

Ihistany 

Acham 

jhiscan 

C 

- 

Der  Mäji 

saline 

salina 

saline 

saline 

comania 

comania 

comania 

comania 

i' 

sanzorzi 

Siordj 

sanzorzo 

sanzorzo 

1 

lena  decospori 

lena  estoporj 

lena  de  cospori 

lena  de  cospori 

1 

porteti 

portetti 

porteti 

porteti 

V 

polonissi 

palonizi 

. 

polonissi 

ll 

palastra 

palastra 

. 

palastra 

locachi 

locasi 

ponta  de  lo  cato 

locachi 

papacomo 

papacoiao 

papagaio 

papacomo 

I 

f,  rosso 

flumen  merso 

flumen  Roixo 

f.  rosso 

s 

cabardi 

tahardj 

cabardi 

cabardi 

p.   pisan 

p.  pisan 

p.  pisam 

p.  pisan 

Ahh.  d.  I.  CA.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth. 


244 


der    königlichen    Hof-     und    Staats-Bibliothek. 


;ham 
le  See. 

nania 

1  zorzo 

La  de  cospori 
reti 

lonisi 

pacomo 
neroso 
bardi 
pisani 


pondico 


carcauognj 


Scan 


salline 


San  zorzi 

Lena  de  scopori 
portetj 

palomisi 
palastra 
.  p.  de  locai 
papa  cogao 

,  F.  Rosso 

Bogoma 
Cahardy 

.  p.  pissan 


pondico 
zucalai 

Gazaria 
carcauogni 


Ihiscan 


saline 

comania 

.  S.  zorzi 

lena  de  cospori 
porteti 


polonissi 
palastra 
locachi 
papacomo 

f,  rosso 

cahardi 

.  p.  pisan 


< 
I— I 

< 
Eh 


gario 
zoio 


iscami 


salina 


comama 


.  s.  lordini 

llena  estopoli 

porteti 

llacasi 

palonize 
palastro 

popacmiao 


tanaide 
pöto  pisam 


32 


31  ii^b  ^af 


ilsb  •: 


>8n' 


■^^.^j  i'j 


245 


I 


10 


15 


20 


25 


Karte  der  Universität. 


Karten   des    Kriegsminis teriums. 


tan  na 

casal  deli  rossi 

iacaria    CIßCASSIA 

baciuachi 

tar  magno 

tar  paruo 

pexo 

s.  zorzi 

cicoppa 

lotiti 

coppa  MENGRELIA 


magromizi 
tana 

casar  delli  rossi 

toccari 

basmaqui 

tarmagnio 

trapano 

pexo 

Siordj 


lotitj 
coppa 

camisto 


c.   de  t 
matrega 


trmisie 

calolimene 

mawrolaco 

correto 


madaq 


map 

ermine 
calalmia 
maurj  locJio 
c.  caico 


magromissi 
atana 

casar  deli  roxi 
iacharia 

tarmanho 
tarporao 

sam 


laci 


c.  croxe 


mauro  loco 
goreto 


Karten 


magremissi 

tanna      TANAIS  F 

casar  deli  rossi 

iacaria 

bacinaclii 

tar  magno 

tar  paruo 

pexo 

sanzorzo 


« 


cicopa 

lotiti 

copa 


I 


Vom  Cimmerischen 

crox 
matrega 


triuisie 

calolimen 
maurolaco 
coreto 


. 

246 

5 

6 

7 

8 

der     k  ö  n 

iglicheu    Hof-     u 

nd    Staats-Bibli 

0  t  h  e  k. 

jronisi 

Magro  missy 

magremissi 

magronise 

m 

tanna 
tanay.  f. 

tanna 

tacina 

cassar  hrossi 

casal  deli  rossi 

casai  deroti 

Lacaria 

iacaria 

iaciaria 

, 

bacinachi 

. 

magno 

tar  magno 

tarmagno 

tarinas 

tar  paruo 

tarparuo 

tarpao 

pexo 

pexo 

c.  pexo 

San  zorzi 

s.  zorzi 

Lo  peso 

. 

Lociopa 

cicopa 

Locij 

lotiti 

a 

coppa         copa.  f. 
camischa 

coppa 

3  bis  an  den  Pha 

sis. 

. 

cauo  de  croxe 

c.   de  t 

, 

rega 

Matrega 

mapa 

tinisse 

callo  limen 

matrega 

trinisie 
calolimene 

lloelha 

ilaco 

Mao  lochao 

mauolacTio 

cori 

eto 

correpto 

correto 

cartos 

32* 


tßin  JI9l>  nJ5  81 


- 

?47 

1 

Karte  der  Universität. 

o 

3 

4 

Karten    des    Krie 

gsministeriums. 

Karten 

i\ 

niaurazechia 

maurazecha 

mauro  iacbia 

maurazechia 

f.  londia 

flumen  londina 

flumen  londina 

ff.  londia 

porto  de  susaco 

p.   sacho 

p.  de  susaco 

p.  de  susaco 

alba  zecliia 

albazequia 

• 

albazechia 

1 

10 

sanna 

sarnia 

Sana 

sanna 

c.  decuba 

c.  cuboj 

cavo  de  cuha 

c.  de  cuba 

w 

costo 

Goto 

costo 

costo 

laiazo 

temasa 

laiaco 

laiazo 

caccari 

tecari 

. 

caccari 

10 

s.  Sofia 

S.  ssoffia 

sta  Sofia 

s.  Sofia          ZIQUL| 

c.  degiro 

G.  giro 

c.  de  giro 

c.  de  giro 

pezonda 
c.  debuxxo 

pezona 
c.  buxo 

pezonda 

pezonda 
c.  de  buxo 

2(1 

f.  nicola 

flum  nicola 

nicola 

f.  nicola 

snuasstopoli 

SauastropoU 

SauastropoU 

ssauastopoli 

i 

p,   meugrelo 

p.  mingello 

• 

p.  mengrelo 

25 

cicabar 

cicabo 

cicabar 

cicabar 

gotto 

Gote 

goto 

gotto 

tamasa 

temasa 

tamasa 

tamasa 

30 

corebendia 

Gorbendia 

. 

corebondia 

negapotimo 

lipotimo 

negapotimo 

lip  .  .  .  m. 

negapotimo 
lipotimo 

1 

' 

AU.  d.  J.Cl.  d.  k.  Ak.d.  Wiss.  . 

^.  IJd,  1.  Abth. 

248 

5 

6 

7 

8 

der     k  ö  n 

iglichen     Hof-     u 

nd     Staats-^ 

3  i  b  1  i 

0  t  h  e  k. 

lurasechia 

Mauro  zichia    zichia 

mauazecliia 

londia 

.f. londina  prouincia 

f.  londia 

fruslomdina 

declisacho 

.  p.  de  susaco 

p.  de  susacho 

< 

prataxo 

)asecliia 

alba  zicbia 

alba  zechia 

1-1 

rK 

alla  zequia 

. 

0icMa 

■ 

cauaembor 

/ 

ina 

sanna 

sanna 

C5 

. 

decuba 

cauo  de  coba 

c,  de  cuba 

gipi 

sto 

costo 

costo 

. 

. 

Lagasso 

laiazo 

tuasa 

. 

carcary 

caccari 

ficarla 

Sofia 

.  S.  soffia 

S.  Sofia 

samtasofia 

de  giro 

cauo  de  giro 

c.  de  giro 

.  c.  giro 

zonda 

pezonda 

pezonda 

pezonda 

• 

cauo  de  buxo    Auo- 
pesonda    gaxia 

c.  de  buxxo 

c.  buxo 

nicola 

.  f.  nicolla 

f.  nicola 

ffusnicolo 

napostolo 

Sauastopoly 

sauastopoli 

sanistopoU 

mengrelo 

.p.malfitan  auogaxia 

p.  mengrello 

. 

• 

prouincia 

« 

. 

iabar 

cauo  zizibar 

cicabar 

• 

to 

goto 

gotto 

gote 

, 

tamasa 

tamasa 

temasa 

rebendia 

correbendia 

core  bendia 

, 

gapotino 

nega  potino 

negapotino 

negapotime 

• 

Lipotino 

lipotimo 

lUpoümo 

33 


249 

l 

1 

f 

1 

1^ 

3 

4 

Karte  der  Universität. 

Karten   des    Kri( 

jgsministeriums. 

Karten 

Vom  Phasis   : 

fasso   GEORGIANIA 

faso 

carcosia 

fasso    MENGRELl, 

5 

• 

paliostoma 

polistomo 

paliostro  .  . 

paliostoma 

.  s.  zorzi 

's.  grigor 

st.  zorzo 

sanzorzi 

'    louati 

louati 

louati 

louati 

10 

gonea 

. 

gonea 

gonea  GEORGIANI 

arcani 

arcani 

. 

arcani 

!          .        ARMENIA- 

quisa 

. 

quisia 

'    sontina           MAIOR 

sentina 

sentina 

sentina 

15 

:    risso 

risso 

riso 

risso 

1    c.   de  croxe 

c,  de  crossa 

c.  croxe 

c.  de  croxe 

stillo 

estillo 

. 

stilo 

surmena 

surmena 

sirmeno 

surmena 

'    flonda      ARMENIA- 

fronda 

. 

flonda 

20 

trapezonda      MINOR 

traposonda 

trapasonda 

trapezonda 

platena 

platena 

• 

platena 

[sgordilli] 

• 

• 

• 

giro 

giro 

cauo  giro 

giro 

uiopoli 

. 

uiopoli 

uiopoli 

25 

[carolla] 

• 

• 

• 

.  s.   uigeni 

S.  vigeni 

S.  vicente 

s.  uigeni 

lartos 

lartos 

lartos 

lartos 

tripoli 

tripoli 

. 

tripoli                   1 

zefano 

zefano 

• 

zefano 

• 

250 


5 

6 

7 

8 

- 

der     k  ö  n 

iglichen     Hof-     u 

nd     Staats-Bibli 

0  t  h  e  k. 

den  Halys. 

SSO 

h- 1 

CD 
O 

o 
cT 

Mengrelia 

fasso  - 
palio  Stoma 

aati 

Lc 

uaty 

s.   zorzi 
louati 

Hanau 

nea 

gonea 

gonea 

< 

• 

cani 

arcauj 

arcani 

llarcani 

isa 

quissa 

quisia 

qusa 

atina 

sentina      lexia  pro- 
uincia 

sentina 

semtina 

50 

risso 

risso 

riso 

. 

cauo  de  croxe 

c.  de  croxe 

c.  de  cro 

llo 

stillo 

stillo 

salo 

rmena 

soaena 

surmena 

semriona 

nda 

flonda 

flonda 

. 

ipezonda 

trapesonda     impera- 

trapesonda 

trapazomda 

itena 

platona   tore  de  tra- 
pesonda 

platena 

platema 

:o 

giro 

giro 

gita 

• 

viopoli 

uiopoli 

• 

. 

.  S.   vigerij 

s.  uigeni 

, 

'tos 

Lartos 

laitos 

laitos 

• 

tripolj 

tripoli 

tripoli 

• 

zefano 

zefano 

sefana 

33* 

10 


15 


20 


25 


251 

> 

1 

Karte  der  Universität. 

2                                        3 

4 

Karten   des  Krie 

gsministeriums. 

Karten 

girapritiio 
rhirizonda 

giraprimo 
Sirizonda 

girasonda 

giraprimo 
cMrizanda 

sanuasili 

S.  vaxili 

. 

San  uaxili 

0  midie 

homidi 

. 

omidie 

baaar 

vezar 

. 

bazar 

sechin 

cecim 

. 

sechin 

sauthomao 

S.  tomao 

san  tomao 

santhomao 

lauona 

leona 

. 

lauona 

[diassoni] 

' 

• 

. 

pormon 

fatiza 

homo 

p.  mon 

fadida 

homo 

p,  mo 

fadnica 

homorio 

pormon 

fatiza 

homo 

lamiro 

lamiro 

lamiro 

lamiro 

liminia 

liinina 

, 

liminia 

lirio 

lirus 

. 

lirio 

simisso 

simisso 

. 

ssimiso 

platagona     CAPPA- 
langusi          DOCIA 

plantegona 
langasi 

languissi 

platagona                  1 
langusi 

Vom  Halys  1* 

lalli 

lalij 

lali 

lalli                             ' 

panigerio 
calipo 

panigario 
Gallipo 

panigero 

panigerio 

calipo                        i! 

carossa 

carossa 

. 

carossa 

sinoppi 

Sinopi 

Sinopi 

sinopi 

erminio 

ermo 

« 

erminie 

erminio 

AUi. 'LI.  ri.d.  k.  Ak.d.Wiss.  } 

:.  Bd.I.  Abth. 

- 

• 

V 

252 

5 

6 

7 

8 

der     k  ö  n 

iglichen     Hof-     u 

nd     Staats-Bibli 

0  t  h  e  k. 

aprimo 
risonda 

gira  ptrino 
Chisonda 

giraprimo 
chirizonda 

gräo  trapizomda 

serizomda 

, 

San  vaxilj 

sanuaxili 

s,  baixili 

idea 

omidie 

omidie 

* 

jar 

Bazar 

bazar 

uezar 

;him 

sessin 

sechin 

cceciuo 

ithomao 

San  tomao 

san  thomao 

zomao 

liso 

Leona 

lauona 

lleona 

rmoni 

iza 
mo 

porman 

fadissa 

homo 

pormon 

fatiza 

homo 

p.  mo 
fadida 
homo 

. 

Laxmiro 

lamiro 

Ilamiro 

linia 

Limina 

liminia 

. 

. 

Lirio 

lirio 

liros 

liso 

itagona 

igusi 

Simjso 

plategona 

Langoisi 

simisso 

platagona 

langusi 

llimosa 

pllanitenga 

llamgasi 

ien  Bosporus. 

li 

Lallj 

lalli 

llalli  ■ 

nigerio 
ipo 

panigro 
gallipo 

panigerio 
calipo 

pamgerico 
ualipa 

rosa 

carossa 

carossa 

carosa 

,opi 
ninio 

Sinopy 

.  p.  Erminio 

sinopi 
erminio 

sinopi 
arimio 

34 


253 

' 

1 

Karte  der  Universität. 

2 

3 

4 

Karten    des    Kriegsministeriums. 

Karten 

lefti 

rofetti 

lo  fetti 

lefti                         .  ö 

stefanio     GALATIA 

S.   steue 

San  Stefano 

stefanio 

5 

quiiioli 
ginopoli 

quinolj 
Ginopi 

quineli 

ginopoli                      ii 

caranü 

....  am 

. 

carami                         s 

gira  petrino 
castelle 

.  .  rapetino 
castellas 

Girapetrino 

girapetrino                a 
castelle                        i 

10 

comana 

comano 

comano 

comana 

tripisilli 
buscan 

tripolj 
buschani 

• 

tripisilli                      p 
buscan 

snmasto 

Siuasto 

Samastro 

samasto                      i 

15 

parteni 
thio 

partemj 
thio 

partemi 
thio 

parteni                       r 
thio 

c.  piselo 
1    moline 

c,  pichello 
molina 

molini 

c.  piselo 

moline                        i 

20 

aguia 

penderachia 
nipo 
lirio 

agni 
impo 
lirio 
p.  naxia 

p,  Raixa 

aguia 

penderachia 
nipo 
lirio 

zagari 

zagarj 

zagar 

zagari 

i'5 

aqua 
fenosia 

aqua 
fenexia 

aqua 

aqua 
fenosia 

carpi 

depotimo 
silli 

carpi 

depotinio 

sili 

^ 

carpt 

depotimo 

silli 

riua 

.  ane 

riua 

30 

giro 
scutari 

giro 
scuta 

scutari 

giro 
scutari 

- 

• 

N 

254 

5 

6 

7 

8 

der    k  ö  n 

iglichen     Hof-u 

nd     Staats-Bibli 

0  t  h  e  k. 

)i 

Loffety 

lefti 

tofeti 

.• 

San  Stefano 
quj  nolj 

stefanio 
quinoli 

s.  esteui 

nopoli 

ginopolj 

ginopoli 

ginopi 

ami 

Carami 

carami 

. 

apetrino 

gira  ptrino 

girapetrino 

. 

teile 

Casteles 

castelle 

castellas 

. 

comano 

comana 

camano 

jixili 

tripoly 

tripisilli 

tripilli 

jcani 

Bustani 

buscan 

bustani 

lasto 

Samastro 

samasto 

sanastro 

• 

•teni 

partemj 

parteni 

parhemi 

. 

thio 

thio 

thio 

piselo 

cauo  picello 

c.  piselo 

C.  picillo 

line 

Molline 

moline 

molinai 

. 

aquoa 

aguia 

. 

derachia 

penderaehia 

penderacMa 

pontanasia 

0 

nipo 

nipo 

impe 

» 

Lirio 

lirio 

liro 

ari 

zagary 

zagari 

• 

. 

aquoa 

aqua 

. 

fenoxio 

fenosia 

feno 

m 

Carpy 

carpi 

carpi 

dipotino 

depotimo 

rido 

silli 

silli 

depomto 

• 

riua 

. 

gipo 

giro 

. 

scotary 

scutari 

• 

•  . 

34* 

Anmerkungen, 


Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth.  35 


I.  Vom  Bosporus  bis  an  die  Donau-Mündungen. 

GIRO,  "IsQÖv  t6  Bv^avTi'wv,  im  Gegensatz  zu  '/f^oV  to  XaXxiiöovicov, 
nach  Strabo,  7,  6  p.  265  ed.  Müller.  "Isqov  'Pw^eXiag  zu  Gillius'  Zeit. 
Vgl.  0.  Frick  zu:  Dionysii  Byz.  Anaplus  Bospori  p.  29.  Heute  Rmnili 
Kawnk.  Beide  uralte  Tempelstätten  bezeichnen  unsere  Karten  mit  gleichem 
Namen ;  über  die  letztere  auf  asiatischer  Seite  siehe  unten  am  Ende 
dieser  Bemerkungen. 

FILEA.  (piXeaq  u.  (PtAtag ;  Vgl.  C.  Müller  Geographi  Graeci  minores 
1,  p.   224,  zum  (sogenannten)  Scymnus  Chius  v.   723: 

Bv^avriwv  %(üQa   (PiXia  xaXovn£%>rj. 

MALATRA  heute  noch  Cap  Malatra. 

OMIDIA.  Mr]6sia  der  Byzantiner,  an  der  Stelle  des  alten  ^aXfxvärjOOog, 
heute  Midia;  vgl,  Tafel  Symbol,  critt.  2,  pag.  98.  Urkundenbuch  von 
Venedig  1,  p.  474.  C.  Müller  zum  Scymnus  p.  224.  Viel  genannt  als 
byzantinisches  Archiepiscopat,  s.  Actus  Patriarchatus  Constantinopolitani 
ed.  Miklosich  et  Jos.  Müller  (t.  2)  in  indice. 

STAGNAIRA.  Unter  den  Lesarten  ist  Stacliynay  u.  JEstahuine  beson- 
ders auffallend.  Es  träfe  auf  Owidg  dxrr]^  C.  Müller  p.  400,  zum  Periplus 
des  Arrian.  Die  mittelgriechische  Redeweise  ig  Qwidda  konnte  allerdings, 
nachdem  ihr  Sinn  verloren  war,  verschieden  mundgerecht  gemacht 
werden.  Heute  Cap  Äinata.  Ist  aber  das  Wort  romanisch,  so  hat 
Du  Gange  schon  das  rechte  gefunden,  wenn  er  zu  Anna  Comn.  Alex.  1 0, 
p.  216  ed.  Venet.  :  ttsqI  tt^v  Uqrh  XifjLvrjv  .  .  rrjg  ^Ay/idXov  dy/ov  Siaxeifis'vrjv 
bemerkt  (p.  79  der  Ven.  Ausg.):  ,,illa  forte  de  qua  Plin.  1.  4  c.  11. 
hodie  Stagnara.'-''  Diesem  pflichtet  bei  Stritter  memoriae  3,  p.  966. 
Stagno  ist  allerdings  vulgär  gleich  At/trjy. 

GATOPOLI.  ^AyaihonoXig  der  Byzantiner,  Tafel  a.  a.  0.,  Urkunden- 
buch von  Venedig  1,  p.  474 ;  heute  Ähteholi,  AvXaiov  rsTxog  des  Arrian, 
Müller  p.  401. 

SISOPOLI.  2u)^6noXig  der  Byzantiner,  Tafel  a.  a.  0.,  Urkundenbuch 
a.  a.  0.,  früher  "AvcoXXwvCa  Strabo   7,   6,    1.     Heute  SizohoU. 

35* 


258 

ACHILO.     'AyxidXt],  Uyxfccloc  der  Griechen  u.  Byzantiner;  heute  ÄkiaU. 

MESEMBRK.  Mtot]inßQta,  uralt.  MeyaQswv  ajtoixog,  Strabo  7,  6,  1; 
heute  3Iissivria. 

C.  DELEMArsO,  ro  Aifior  ö'^oc  i«*x?'  ^'T^'  ^^pQO  ^aXdrnjg  dii^xor,  Strabo 
7,  6,  1,  mous  Haemus  vasto  iugo  procumbens  in  Pontum,  Plin,  6,  11,45; 
heute  Cap  Eiiiona. 

GALATO  erscheint  im  heutigen  Ca2)  Galata. 

VARNA  BaQvij,  setzt  man  an  die  Stelle  von  "OäijOaoi;,  vgl.  Wesseling 
in  Hieroclis  Synecdemum  p.  408  ed.  Bonn.;  von  den  folgenden  Namen 
sind 

GAVARNA   ßt^w'rjj?  und 

CAIACLA  d.  i.  CALIACRA,  i\  Ti^i^ig  üxga,  später  auch  "Axqu  allein 
(Müller  p.  400),  byzant.  Ka'XhaxQij,   noch  jetzt  geläufig. 

COSTANZA.  Äcöf(?«^ar?rtaVa  des  Hierocles  (p.  391  ed.- Bonn.),  Procop. 
de  aedificiis  p.  307  (ed.  Bonn.).  ,,Constantia.  Bulgariae  urbs,  inter 
Conopam  et  Varnam  ad  Pont.  Eux.  sita,  hodie  Chioustrmze  et  Praslovitscha" , 
Stritter  im  Index  geogr.  p.  262,  vgl.  II,   603. 

Von  der  bulgarischen  Küste  an  schwinden,  wie  man  bemerkt,  fast 
alle  alte  Namen  und  bedarf  es  eigener  Vorsicht  das  spätere  an  früheres 
anzuknüpfen.  Wir  verweisen  hier  neben  anderen  auf  E.  Taitbout  de  Ma- 
rigny  Atlas  de  la  mer  noire  et  de  la  mer  d'Azov.     Odessa   1850. 

Im  Donau-Delta  begegnen    uns  vier  Mündungen ;    darunter  erinnert 

LASPERA  an  Spireon  stoma  bei  Plin.  4,    12,   79.      Ptolem.    3,    10. 

LICOSTOMA.  „Lacliostoma  e  MaurocJiastro,  due  cittä,  che  il  com- 
mercio  avea  rese  grandi  e  popolate.  Giaceva  la  prima  sulla  sponda 
superiore  della  foce  piü  settentrionale  del  Danubio ;  l'altra  sulla  sponda 
inferiore  del  Niester  non  lungi  dalla  sua  foce."  Eormaleoni  storia  della 
navigazione  etc.  nel  mar  nero  II,  p.  111-112.  Man  setzt  Lichostoma 
—  ob  das  i^iXov  OToi^a  der  Peripli?  vgl.  Müller  p.  397  —  an  die  Mün- 
dung VOR  Kala.  Dieses  selbst  aber  unterscheidet  unsere  erste  Karte 
(wie  noch  die  fünfte  des  älteren  Perij^lus)  ganz  deutlich  in 

CIIIELI.  Dass  Cldeli  ein  Haujitstapelplatz  gewesen,  zeigt  noch  ein 
anderes  Blatt  des  gleichen  Codex  (der  Universität)  fol.  15,  wo  es  bei 
einem  kartogi-aphischen  Bilde  von  Moscovien  und  der  mehr  östlichen 
Länder    am    (Jaspischen    Meer    in    den    nackt    gegebenen    Umrissen    des 


259 

Pontus  am  Donaudelta  allein  als  Stadt  hervorragt.  ,,I1  porto  di  Kilia 
nova  rendesi  interessante  per  il  traifico  dei  grani  e  come  il  centro  di 
tutti  i  prodotti  della  Vallacliia,  dell'  Ungheria,  Bosnia,  Servia  ed  Austria." 
Formaleoni  2,  p.  153.  Dieses  Kilia  nova,  unser  Chieli,  im  Gegensatz 
zu  Kilia  vetus,  der  Insel  Achillea,  wird  von  Mattiolo  als  Chilia  an  die 
Stelle  von  "A^iovnoXig  Ässio  citta  bei  Ptolemäus  3,  10"  gesetzt;  ebenso 
von  Moleti.  Die  ursprüngliche  Benennung  mag  mit  der  Wanderung 
der  Achilles-Sage  zusammenhängen,  wie  sie  in  der  nächst  folgenden 
Station  vorliegt. 

FIDONISI,  "AiiXXswc  vfGoc,  yisvxij,  nicht  zu  verwechseln  mit  "JxdUwg 
Sgofiog,  wie  im  Periplus  des  Arrian  geschieht  c.  32.  Ueber  diese  Insel 
wurde  von  Reisenden  und  Gelehrten  schon  viel  gehandelt;  vgl.  neben 
anderen  Clarke  Travels  4  ed.  t.  2  p.  394 — 401  und  jüngst  Köchly  zu 
Euripides'  Iphigenie  in  Taurien  v.  435 : 

TCiV    TloXvÖQVl^OV    STl'    al- 

av,  Xsvxdv  dxTccv,  Axikr^- 
og  SQOfJbovg  xaXXiOzaSCovg, 
a^sivov  xazd  noviov. 
ILLA  DE  BIXES.  Diese  Station  bietet  von  allen  Karten,  auch 
den  älteren  Periplus  octuplus  mitgenommen,  nur  eine  unserer  Karten 
Nr.  2.  Ein  Beweis  von  langem  Leben  der  Worte.  Diese  Insel  im 
Donaudelta,  heute  S.  Georg,  zwischen  dem  Arme  von  Sulina  und  dem 
von  S.  Georg,  beschreibt  Strabo  7,  3,  15 :  ixqoc  6^  zalg  ixßoXatg  [sc.  rov 
"lOTQOv]  fxsydXrj  irj'öo'c  sGriv  t]  Jlsvxrj-  xaraOxdvreg  6'  umrj^'  BaGrdqvai  üsvxivoi 
nQoOrjogsi>^7]Oav  •  slal  Si-  xal  aXXai  vfjooi  noXv  iXdxvovg,  at  [xiv  dvcoTsqu)  TavTtjg, 
al  di  TiQog  r^  ^ccXaztr].  srndorofiog  yd^  iötf  fisyiGTOV  di  ro  tsqov  Grdf^ia  xaXov- 
fisvov,  6i.'  ov  GtaSimv  dvdnXovg  inl  trjv  Usvxr^v  ixardv  el'xoGi  —  und  etwas 
weiter  unten  C.  17  nochmals  ot  dt  %r]v  Jlfvxrjv  xaraGxovrsg  rrjv  SV  Ti[i''lorQoj 
rifffov  Jlevxivoi.  Vgl.  Ptol.  3,  10:  rd  voTiohavov  jusgog  nsQiXaßov  vrJGov  xaXov- 
fu'vijv  Iluvxriv.  Mela  2,  7:  sex  sunt  (sc.  insulae)  inter  Istri  ostia:  ex  his 
Peuce  notissima  et  maxima.  Jornandes  de  rebus  Geticis  ed.  Basil. 
a.  1575  p.  607  insula:  Peuce  quae  ostio  Danubii  Ponto  mergenti  adjacet. 


260 


II.  Vom  Donaugebiet  bis  zum  Taurischen  Isthmus. 
(Landenge  von  Perecop). 

MOCASTIU),   cl.  h.   Maurocastro,  s.  oben  unter  LICOSTOMA. 

F LUMEN  TUivLO.  „Turla  est  encore  aujourd'hui  le  nom  que  les 
Turcs  dounent  au'  Dniester,"     Potocki. 

ISOLA  NOGAY  [p.  16,  1,  24]  der  sechsten  Karte  ist  eine  sehr  merkwür- 
dige Bestimmung.  Ueber  die  Stämme  der  Nogai-Tataren  s.  Hammer  mehr- 
fach in  seiner  Geschichte  des  Osmanischen  Reiches,  z.  B.  4,  169  (vgl.  den 
Index)  und  in  der  Geschichte  der  Chane  der  Krim  p.  116.  Zu  ihrem 
Aufenthalt  in  Bessarabien  haben  wir  damit  einen  für  diese  Zeit  giltigen, 
wohl  neuen  Hinweis.  Die  Nogai-Tataren  nordwestlich  vom  Caspischen 
Meer  hat  ein  Blatt  des  Üniversitäts-Codex  als  einen  Hauptstamm,  wie 
er  es  denn  war;  vgl.  Klaproth  zu  Potocki  histoire  primitive  des  peuples 
de  la  Russie  p.    128. 

BORISTENE.  Potocki  macht  hier  einen  Abschweif,  welchen  ich 
bei  der  Seltenheit  seines  Memoirs  wiedergebe: 

,,Ici  j'interromprai  mon  Periple,  pour  dire  quelques  mots  sur  les 
differens  noms  que  l'on  a  donnes  au  tleuve  Dnepr.  Les  anciens  le 
nommaient  Borysthene,  mais  la  table  de  Peutinger  nous  le  fait  dejä 
connaitre  sous  le  nom  de  Nu.sacus,  et  Jemandes,  parlant  d'evenemens 
arrives  dans  le  quatrieme  siecle,  designe  le  Konskijia-vody  sous  le  nom 
d'l^ac.  [Diese  Stelle  des  Jornandes  ist  'de  rebus  Geticis'  p.  625  der 
Basler  Ausgabe  von   1575:  tertio  proelio  ad  Huvium  nomine  Emc] 

L'empereur  Constantin  Porphyrogenete ,  ecrivain  du  dixieme  siecle, 
est  le  premier  qui  donne  ä  ce  fleuve  le  nom  de  Dnepr  ou  Danapros. 

Environ  un  siecle  et  demi  apres,  les  Ouz  on  GJ102  ont  donne  a  ce 
fleuve  le  nom  dWus-sou,  et  c'est  encore  aujourd'hui  le  nom  dont  se 
servent  les  Turcs.  Les  Ouz  sont  appeles  aujourd'hui  Turcomaus,  ou, 
comme  disent  les  Busses,  Troukhmentsy. 

Le  Genois  Pierre  Visconti,  dont  la  carte  est  de  l'annee  1318, 
designe  clairement  deux  lits  ditferens,  et  met  d'un  cote  du  fleuve  aussi 
bien  que  de  l'autre  Flaw,ena  d'Ellexe;  en  quoi  il  montre  clairement 
qu'il  donne  le  meme  nom  au  Dnepr  et  au  Konskyia-vody. 

Josaphat  Barbaro,  qui  voyageaiten  l'annee  1436,  appellele  Dnepr  Elice, 


261 

Contarini,  qui  voyageait  en  1473,  dit:  La  fiumana,  che  si  cMama 
Banambre  in  lor  lingiin,  et  nella  nostra  Leresse. 

Jean  de  Luca,  qui  ne  dit  pas  dans  quelle  annee  il  a  voyage,  appelle 
le  Dnepr  L'Exi,  et  plus  loin  VExij. 

Graciosus  Benincasa,  dont  la  carte  est  de  l'annee  1480 ,  ne  donne 
aucun  nom  au  Dnepr,  mais  il  est  le  premier  qui  designe  le  Konskyia- 
vody  sous  le  nom  de  Erexe,  nom  qui  ne  s'eloigne  pas  essentiellement 
du  nom  d'-Eroc,  que  leur  donne  Jornandes. 

Hoctomane  Freduce,  qui  etait  d'Ancone  aussi  bien  que  Benincasa, 
et  qui  a  fait  sa  carte  en  l'annee  1497,  se  conforme  en  tout  ä  son 
compatriote. 

Baptiste  le  Genois,  dont  la  carte  est  de  l'annee  1514,  donne  au 
Dnepr  le  nom  F.  Lussem. 

Enfin  r  Atlas  anonyme  de  la  bibliotheque  de  Wolfenbuttel  met 
Boristhene  fiume,  et  plus  bas  F.  Lusen,  puis  Orexe. 

Teile  est  la  singuliere  histoire  des  divers  noms  qu'  a  portes  le 
Dnepr.  L'obscurite  qui  l'enveloppe  est  due  en  partie  ä  ce  que  les 
habitans  des  bords  de  ce  fleuve  ont  regarde  le  bras  oriental  cornme 
une  continuation  de  la  riviere  appelee  aujourd'hui  Konshßd-vodif.  Si 
bien  que  le  fleuve  ne  portait  pas  le  meme  nom  sur  sa  rive  droite  que 
sur  sa  rive  gauche.  Au  reste  le  Konski/'la-vodi/  n'est  autre  chose  que 
le  Panticapee  [lies  Pantkapes]  d'Herodote,  et  il  n'y  a,  pour  s'en  convaincre, 
qu'  ä  ouvrir  cet  auteur  ä  l'endroit  oü  il  parle  des  fleuves  de  la  Scythie ; 
mais  en  voilä  dejä  assez  sur  ce  sujet,  que  je  reserve  pour  un  memoire 
particulier". 

Potocki  hat  diesen  Passus  selbst  zum  Theil  wiederholt  in  seiner 
'Histoire  primitive  des  peuples  de  la  Russie',  in  der  Ausgabe  von  M. 
Klaproth,  Paris  1829  p.  161.  Man  vergleiche  hiezu  p.  145.  Am  Schluss 
dieses  Bandes  findet  sich  auch  das  ganze  'Memoire  sur  le  periple  du 
Pont-Euxin'  sammt  der  Karte  wieder  abgedruckt,  da  das  Original  äusserst 
selten  und  überaus  kostbar  geworden  ist;  man  zahlte  für  ein  Exemplar 
ohne  Karte  155  Franken.  Ob  Potocki,  wie  er  oben  am  Schluss  sagt, 
ein  eigenes  Memoir  hinterlassen  hat?  die  Aufzählung  seiner  Werke  bei 
Klaproth  hat  es  nicht. 


262 

Auf  unseren  Münchener  Karten  ergibt  sich  folgende  Zusammen- 
stelhmg  der  verschiedenen  Namen  des  Dniepr: 

1.  horisthene  f.  —  f.  lusen.         erexe. 

2.  —  —  erexe. 

3.  —  —  elleixe. 

4.  —  f.  lusen.  erexe. 

5.  —  f.  lusom.  ereze. 

6.  —  —  erex. 

7.  f.  lusen.  f.  horisthene.  erexe. 

8.  —  —  clexe. 

PORTO  DE  BOVO.  Nach  den  Karten  eine  grosse  Insel  im  Dnieper- 
Liraan.  Ptolem.  3,  5  gibt  xaXog  Xifitjv,  nach  Mattiolo  Bon  porto,  hoggi 
Porto  ho,  nach  Moleti  Bonus  portus  [Porto  ho].  Schon  Potocki  bemerkt, 
dass  von  einer  solchen  Insel  keine  Spur  mehr  sei.  Es  könne  dutch 
den  Strom  eine  Veränderung  eingetreten  sein.  Wie  gewaltig  derartige 
Verschiebungen  oder  Umgestaltungen  an  den  Mündungen  jener  vi^ildfrei 
ausströmenden  Flüsse  sind ,  bezeugt  uns  Becker  in  der  angeführten 
Schrift  (S.  23)  vom  Dniester:  ,,Aus  dem  von  mir  bisher  Gesagten  geht 
hervor,  dass  ich  mir  die  Gestalt  des  Landes  bei  der  Mündung  des 
Dniesterlimans  im  Alterthume  ganz  verschieden  von  der  jetzigen  denke, 
aber  Jeder,  der  hinlänglich  bekannt  ist  mit  den  Eigenthümlichkeiten 
der  hiesigen  Flüsse,  wird  meiner  Ansicht,  als  einer  richtigen  und  voll- 
kommen wahren,  seine  Billigung  kaum  versagen  können.  Bei  Unter- 
suchung des  von  uns  näher  zu  behandelnden  Ufergestades  müssen  wir 
nämlich  die  Formationen  der  ältesten  historischen  Zeit  von  den  Nach- 
bildungen späterer  Jahrhunderte  genau  unterscheiden;  und  namentlich 
auf  die  veränderte  Gestaltung  fast  sämmtlicher  Flussgebiete  ausdrück- 
lich hinweisen.  Das  Streben  zur  Bildung  von  Peresypen,  jenen  die 
Flusslimane  vom  Meere  trennenden  Sandbänken ,  ist  bei  den  hiesigen 
Flüssen  ein  so  allgemeines,  dass,  wenn  die  Hand  des  Menschen  hier 
nicht  kräftig  einseift  und  dem  allmählichen  Wirken  der  Natur  nicht 
gebieterisch  entgegentritt,  nach  dem  Verlaufe  einiger  Jahrhunderte  durch 
die  sich  unvermerkt  bildenden  Peresype  die  direkte  Verbindung  der 
Donau  und  des  Dniesters  mit  dem  Meere  gänzlich  aufhören  muss." 
Ueber    die    Schwierigkeiten    der   Fahrt   im    Dnieper-Liman  vgl.  Jules   de 


263 

Hagemeister  'Memoire  sur  le  commerce  des  ports  de  la  Nouvelle  Russie' 
(Odessa  1835)  p.  62. 

ZACORI.  "AxdXsoig  Sqofioq  der  Alten.  Ptolem.  3,  5  ed.  Molet.  ,,0c- 
cidentale  Achillei  cursus  Promontorium  quod  sacrum  vocatur  Promon- 
torium —  hodie  Sagori".  Ebenso  Mattiolo.  ^ 

MEGARICO.  Plinius  4,  12,  85.  In  ora  a  Carcinite  oppida 
Taphrae  .  .  .  mox  Heraclea  Cherronesus  ....  Megarice  vocabatur  antea, 
praecipui  nitoris  in  toto  eo  tractu,  custoditis  Graeciae  moribus.  Hier 
hätten  wir  in  Erhaltung  des  uralten  Namens  einen  Beweis  für  die  letzten 
Worte  des  Plinius.  Woher  aber  dieser  Name  auf  Scythien?  Es  müsste 
eine  Enkelcolonie  der  Megarer  von  Mesembria  gewesen  sein,  vgl.  Strabo 
7,  6,  1.  Der  gleiche  Name  begegnet  uns  für  eine  der  Lycischen  Inseln 
auf  dem  Paraplus  von  Armenien. 

PIDEA.  Ptolem.  3,  5  hat  äXoog  'Exdzrjg  axqov,  bei  Mattiolo:  Selva 
di  Diana  promontorio,  hoggi  Pidea  citta;  bei  Moleti:  Nemus  Dianae  Pro- 
montorium [Fidea  civitas. 

G.  DE  NIGROPOLI.  Das  heisst  Necropylae;  „portes  de  la  mort, 
nom  que  le  Grecs  avoient  donne  ä  ce  golphe  a  cause  de  quelques  rochers 
qui  en  rendoient  l'entree  dangereuse."  Potocki.  Es  ist  die  Einfahrt 
gegen  das  heutige  Perecop.  Constant.  Porphyrog.  de  admin.  imp.  c.  42 : 
ano  To  OTOfiiov  notafiov  zov  Javccnqsoog  eioi  td  'ASagd  xal  ixeiGs  xoXnog  ioti 
(Jl/äyag  6  Xsyofievog  %d  NsxgoTivXa,  iv  (/}  rig  SisX^sTv  adwarsT  navxeXöig. 

IHISCAN  (Sescham).  ,,A  peu  pres  ä  la  place  ou  est  aujourd'hui 
Perecop.'-''  Potocki.  Ptolem.  3,  5  ij  Bvxr]  Xifivr]  —  bei  Mattiolo  und  Mo- 
leti: Seschan.  Bei  beiden  wird  auch  der  eben  berührte  Cercinitische 
Busen  mit  golfo  de  Nigropoli  oder  Golfus  Nigropolorum  identificirt. 
Uebrigens  erscheint  unser  Sescham  erklärlicher  Weise  auf  den  meisten 
Karten  mehr  am  östlichen  Einschnitt  des  sogenannten  faulen  Meeres, 
daher  hinter   Vospro  oder  Kertsch. 

III.  Der  Taurische  Chersonesus  (die  Krim). 

LEFTI.  yiemif?  Wenigstens  begegnet  uns  das  nämliche  als  Station 
unten  auf  der  anatolischen  (kleinasiatischen)  Küste. 

GEREZONDA.    Bei  Petro  Vesconte    noch  Cersona,    das  altberühmte 
Xe^Qovr^aog,  Xeqowv  der  Byzantiner,  seine  Ruinen   nun  vereint  mit  denen 
des  neuen  Sebastopol! 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth.  3  6 


2G4 

CEMBARO.     2vfiß6X(ov  Xiixr]v,  Strabo  7,  4,  3.     Heute  Balaklawa. 

LAIA.  ,,C.  Aia."  Taitbout  de  Marignj.  ,,la  Lagyra  de  Ptolemee." 
Potocki.    Die  Stelle  des  Ptolemaeus  ist  3,  6  Aayvqa,  ed.  Mattiolo:  Legira. 

S.  TODARO.    „Cap  Aiotodor."    Marigny. 

VAGROPOLI  od»  PANGROPOLI  deutet  vielleicht  auf  'AxqönoXig, 
eine  Hoclistation ,  eine  "Axqa-,  solcher  Hochburgen  gab  es  dort  unter  den 
Byzantinern  mehrere. 

LUSTA.  ,,aujourd'hui  Aluszty"  Potocki,  der  mit  Recht  auf  Procop. 
de  aedificiis  3,   7  (ed.  Bonn.  p.  261)  hinweist:   xal  fjii]v  xat   BoOnoqov  xal 

XsQGiüi'og  TCoXsuiv  .  .  .  TXSTTOvrjxota  nawäiraGi,  tu  Tst'xrj  ei^'Qcov  (scil.  'lovOriviccvog) 
ig  /iitja  Ti  xdXXovg  xe  xal  dOifaXsCag  xa&sOTtJGaTO  '^qTjfxa.  svd-a  Srj  xal  (pqovQux 
nf7roit]Tai  rö  ts  'AXovOtov  xaXovfxsvov  xal  zo  iv  FoQ^ovßCzaig.  Eine  geogra- 
phisch bedeutsame  Stelle  liefern  hier  die  Acta  Patriarch.  Cpolitani  H, 
p.  150  Nr.  419  aus  einer  ngä^ig  xov  XsQOavog,  wo  eine  Synode  vom 
J.  1390  ausspricht,  der  Metropolit  solle  wieder  erhalten  rrfv  xoSqav  Kiv- 
odvovg  xal  TTccoag  tag  ttsqI  avvrjv  xov  aiy  laXov  ^bSqag,  rrjV  (Povvav,  rrjv 'AXaviav, 
TTjV  'AXovOtav,  zrjv  AaimaSoTraQx^svCtav  xal  rr^v  2vxkav  fiezd  xal  tov  XQi^aQi. 

STUTA  oder  STOTY,  richtiger  Scuty,  heute  Uskut.  Sxv^ozavqwv  Xiiirjv 
des  Anonymus  §.   52,  u.  Arrian  §.  30. 

SODAIA,  2ovydaia,  ein  Hauptplatz  der  Genuesen.  Noch  bedeutender  aber 

CAFA,  Katpd,  so  seit  Constantin  Porphyrogenetes  de  admin.  imper. 
0.  53,  0so6ooCa  der  Hellenen.  Eines  naXaiog  Xt/jbi^v  irzfi  nsqioxfj  tov  KatpS 
erwähnen  die  Acta  Patriarchat,   Cpolitani   1,  p.  486,  Nr.   226. 

ZAVIDA.  K(änri  Ka^äxag  des  Anonymus  §.  50.  KaCs'xa  des  Arrian 
§.  30.    Heute  Tachkatschik. 

CIPRICO,  oqog  Kififxtqiov,  Strabo  7,  4,  3.  To  Kififisqixov  noXig  ^v  nqo- 
%eqov  inl  xsqqovrioovidqvusvri,  derselbe  IJ,  2,  5.  Vgl.  Müller  zum  Scymnus 
p.  233,  und  zum   Anonymus  p.  415. 

ASPROMITI  mahnt  an:  to  2dqxsX  "Aanqov  donmov  bei  Constantinus 
Prophyrog.  de  admin.  imp.  c.  42  (p.  177  ed.  Bonn.).  Vgl.  Vivien  de 
St.  Martin  les  Khäzars  p.   39. 

VOSPRO  offenbar  das  alte  BoOnoqog  (6  Kififieqiog) ,  das  die  Italiener 
des  Mittelalters  bewahrten,  früher  naviixänaiov,  das  jetzige  Kertsch, 
eine  wahre  Fundgrube  von  Alterthümern.  Clarke  a.  a.  0.  p.  100:  the 
natives  of  the  Crimea  still  call  the  town    of  Kertchy   Vospor ,    and   the 


265 

straits  Vospor,  although  they  write  the  word  Bospor.  In  der  Note 
(p.  451)  wird  noch  Plin.  4,  12,  24  angezogen:  ad  Panticapaeum  quod  aliqui 
Bosporum  vocant.  Vgl.  Müller  p.  414.  Potocki  aber  setzt  Panticapaeum 
auf  die  nächste  Station 

PONDICO,  PANDICO  und  identificirt  Kertsch  nur  mit  Vospro.  Heyd 
a.  a.  0.  1863  S.  164.  Wenn  Saint-Martin  a,  a.  0.  p.  69,  70  annimmt, 
dass  nach  Gründung  des  Chanats  in  der  Krim  im  J.  1441  der  Name 
Gazaria  ausser  Gebrauch  gekommen  und  allmählich  erloschen  sei,  so 
bringen  mehrere  unserer  Karten  noch  ein  Dasein  desselben  hundert 
Jahre  später  in  Evidenz;  allerdings  nur  für  die  Krim. 

IV.  Die  Küsten  des  Mäotischen  Sees  (des  Azowschen  Meeres). 

Von  den  nächsten  Stationen,  welche  ausserhalb  der  Strasse  von 
Jenikale  theils  noch  der  sich  daran  schliessenden  Küste  angehören,  dann 
aber  in  dem  breiten  Golf  des  Don,  einer  vielbesuchten  Wasserstrasse, 
zu  suchen  sind,  ist 

COMANIA,  zugleich  wohl  auch  landschaftlicher  Begriff,  Sitz  der 
von  den  Genuesen  zurückgedrängten  Comanen.  Ptolem.  3,  5  ed.  Molet. 
Cnema  civitas :  Comania  vulgo.    So  auch  Mattiolo. 

CABARDI  verbinden  Potocki  und  Saint  -  Martin  mit  den  Kdßaqoi 
des  Constantinus  Porphyrog.  1.  1.  c.  39  p.  (171  ed.  Bonn.);  letzterer 
bemerkt  p.  71:  ,,les  cartes  genoises  du  moyen  äge  inscrivent  le  nom 
de  Cahardi  vers  la  pointe  septentrionale  de  la  mer  de  Zabache  (notre 
mer  d'Azof),  ä  l'ouest  des  bouches  du  Don,  indice  certaiu  de  la  presence 
de  la  tribu  sur  ce  point  ä  une  epoque  comprise  entre  le  XIF  et  le  XV 
siecle.  Ce  nom  de  Cabardi  nous  signale  la  forme  que  l'ancienne  deno- 
mination  des  Käbars  ou  Kaberes,  teile  que  l'ecrivent  les  Byzantins, 
avait  prise  dans  l'usage  vulgaire".  Die  beiden  genannten  Herausgeber 
des  Ptolem.  setzen  Tahardi  an  die  Stelle  von  Hyhris. 

TANA,  Venezianischer  und  Genuesischer  Stapelplatz,  am  Don,    wie 

vordem    der   Hellenen :    inl   ro)    novafxciJ    xal    rfj    Xi'/xvrj    noXig    oj^KüW/^iog    ohetrai 

Tävaig,  xciOficc  rööv  zov  BoOnogov  dx^vzcov  'EXh^vwv  ....  ifv  J'    sfiTtoQiov    xoivov 

Ttov  T€  'AOiavcov  xal  Tuiv  EvQcoTTaimv  vofxdSmv  xal  röov  ix  rov  BoOnoqov  zrjv  XiiivrjV 

nXs6vr(üV,  nSv  fihv  dvSQanoda  ayörtcov  xal  Ssgi-iaTa  xal  ei  xi  äXXo  twv  vofiadixdiJv, 

Ttov  ä'  ioif^Ta  xal  olvov  xal  xdXka,  oGa  rrjg  riixsqov  ^laizrjg  olxsTa,  dvvi^OQTiCoixivwv. 

36* 


2G6 

Strabo  11,  2,  o.  So  war  es  in  Tanais,  so  in  Tanna,  so  in  Azow,  und 
ist  es  heute  noch  in  den  Häfen  jener  Küste. 

Im  Cod.  lat.  Mon.  10801,  fol.  188  steht  folgende  Notiz  von  der 
Hand  des  Venezianers  Johannes  Bembo,  dessen  Autobiographie  Mommsen 
in  unseren  Sitzungsberichten  1861,  1,  5,  p.  581  ff.  veröffentlicht  hat. 
Sie  schickt  sich  gerade  hier  bekannt  gegeben  zu  werden : 

Da  la  boccha  del  fiume  de  Tanais  se  nauiga  in  suso  millia  18  doue 
e  la    terra   de  la  Tana  a  banda  dricta  nel  Asia. 

Da  la  Tana  fino  in  Moschouia  i,  e.  in  Rosia  sono  zornate  ad 
cauallo  n".  40.  Li  Moschouiti  i.  e.  Rossi  ueneno  cum  suo  zopoli  grandi 
come  brigantini  ad  la  Tana  zoso  per  lo  fiume  Tanais  et  portano  pelle 
fine  ad  uendere  et  altre  cose. 

CASAL  DELI  ROSSI.  Ptolem.  5,  9  navidqdig,  hoggi  Casal  de  Rossi 
Mattiolo.     Ruhrorum  vicus  Moleti. 

lACARIA.  Tocari  bei  den  genannten  Herausgebern  des  Ptolemaeus 
(5,   9)    an  der  Stelle  von  Patarve  [llaTaQovrj]. 

BACINACHI.  Eine  wohl  unbestreitbare  Hinweisung  auf  die  viel 
genannten,    weitgreifenden    llax^Cvaxoi;    vgl.   Stritter  memoriae  3,   773  ff. 

TAR  MAGNO.  Trari  magno  bei  Mattiolo  zu  Ptolem.  5,  9  an  der 
Stelle  von   Tvqdfißrj.    Trapano  hodie  Moleti. 

LOTITL  'ÄTTixkov  TioTufiov  sxßoXal  Ptolem.  5,9.  Latiti  hodie  Moleti, 
Lariti  Mattiolo. 

COPA.  ,,C'estrembouchure  occidentale  du  Couban.'-'-  Potocki.  ifißdXXsi 
6k  dg  rrjv  lifxvrjv  (sc.  KoQoxovJafiiTiv ,   heute    der  Golf  von  Tanian)  dnoqqm^ 

Tig  Tov  'AvTixsizov zivig  6b  xal   rovrov  röv  noTu^xdv  "Ynaviv    UQoOayo- 

QSvovOi,  xaOunsQ  xal  töv  nqdg  T(f  BoqvO^svsi  Strabo  11,  2,  9.  Coppa  war 
ein  bedeutender  Platz  des  Genuesischen    Handels. 

V.  Vom  Cimmerischen  Bosporus  (der  Strasse  von  Kertsch) 

bis  an  den  Phasis. 

CAVO  DE  CROCE.     Nach  den   besagten  Herausgebern  des  Ptolem, 

KlflfXtQlOV    äxQOV. 

MATREGA.  ro  xuotqov  tov  Mdraqxa  des  Constantin  Porphyrogen. 
c.  42  (ed.  Bonn.  p.  177);  vgl.  darüber  Vivien  de  Saint-Martin  etudes 
de    geographie    ancienne    2,   p.   239.     Matriga    bei    Mattiolo    zu    MuTrjta 


267 

des  Ptolem.  5,  9,  während  Moleti  Hier  Copa  setzt.  Ein  iirjtQOTtoXCrrig 
Zr]xxiag  xai  MaTQaxoov  kommt  vor  in  den  Acta  Patr.  Cpolitani  II.  p.  269 
Nr.  504. 

MAPA  heute  Anapa  stellt  man  mit  ^ivdixi]  der  Hellenen  und  der 
Peripli  zusammen.  Vgl.  Strabo  11,  2,  10  und  14.  Müller  zum  Arrian  p.  394. 

CALOLIMENA,  ob  hqdg  Xi{ii]v  des  Arrian?  vgl.  Müller  p.  393. 

MAURO  LA  CO.  Bei  Ptolem  aeus  5,  9  wird  ein  Bata  portus  und 
ein  Bata  oppidum  unterschieden,  jenes  ist  bei  Mattiolo  und  Moleti  porfo 
Mauro ,  Maurus  portus,  dieses  Mavi.  Wegen  Bard  xcofirj  xal  Xinr^v  vgl. 
Strabo  11,  2,  14.  Man  setzt  Maurolaco  an  die  Bai  von  Glielindjik, 
Calolimena  an  die  von  TscJieme  [Sudjuk  Kaie). 

MAUROZECHIA  u.  ALBAZECHIA,  sowie  ZICHIA  (Karte  6).  Diese  Na- 
men spiegeln,  wenn  nicht  die  Zvyol  des  Strabo  (11,  2,  12),  doch  die  Zfjxxot 
des  Procop  (de  bello  Goth.  4,  4,  p.  473),  die  Zrjxol,  Zrjxia  {ZixCa)  des 
Constantin  Porphyrogenetes  wieder.  Vgl.  Müller  zu  Arrian  p.  379,  380, 
393  und  die  ausführlichen  Untersuchungen  von  Saint-Martin  a.  a.  0. 
p.  161  ff.  219  ff.,  besonders  p.  171,  213,  240.  Die  Herausgeber  des 
Ptolemaeus  bestätigen  es,  "AfxipaXig   und  Älhasequia  gleich  zu  stellen. 

F.  LONDIA,  nach  den  Herausgebern  des  Ptolem.  5,  9  ^^vxQog  noza- 
fiog.  Die  Form  deutet  auf  einen  Accusativ.  'cPtorwa?  vgl.  unten  an  der 
anatol.  trapezuntinischen  Küste  FLONDA. 

PORTO  DE  SUSACO,  nach  eben  diesen  der  Sinus  Cerceticus,  Ksqxsnog 
xoXnog,  desselben. 

SANNA  hinwieder  mahnt  an  die  2dvvoi,  T^dvoi  der  Hellenen  und 
Byzantiner.     Vgl.  Müller  p.   378,    Saint-Martin  p.   182. 

CAVO  DE  CUBA  nach  Mattiolo  und  Moleti  TuQSTixr}  äxQa  des 
Ptolemaeus. 

LAIAZO.  Diese  Station  mit  fast  gleichen  Varianten  haben  unsere 
Karten  am  Meerbusen  von  Issus,  wo  es  dem  alten  AiyaXai  entspricht, 
vgl.  Urkundenbuch  von  Venedig  1,  p.  375.  Müller  zum  Stadiasmus 
Maris  Magni  p.  479.  Der  nämliche  Ort  kann  auch  an  der  Küste  von 
Avogasien  bestanden  haben,  Oder  ist  das  Wort  ein  Rest  der  alten 
Achäischen  Küstenanwohner,  von  denen  dort  wohl  Strabo  11,  2,  14 
berichtet  {ji  twv  HxcckSv  xal  zcSv  oiXXoov  nagaXCa  jws'x^t  JioOxovQiddog),  der 
naXaid  "Axdi'a  Arrians?    Vgl.  Müller  p.   393. 


268 

S.  SOFIA.  Oivcivd-eia  OenantMa  des  Ptolem.  nach  den  italienisclien 
Herau^ebern. 

AVOGAXIA  (auf  Karte  6)  nach  eben  diesen  Fortia  Moenia,  KaqxsQdv 
TfTxog  desselben. 

PEZONDA.  niTvovvta  (mittelgriechisch),  llitvovg  bei  Strabo  11,  2, 
14.  „hii  BitcJw'inda  des  chroniqueurs  georgiens,  nommee  plus  habituelle- 
ment  Pttziounta  dans    les   relations    europeennes".     Saint-Martin  p.  213. 

SAVASTOPOLI.  2fßccGt67ioXig  näXai  JioOxovqidg  ixccksho,  änoixog  toJv 
Mth,o(u>v.  Arrian  Periplus  §.  14.  Müller  p.  378  und  p.  61.  ,,Hoggi 
SavatopoW  Mattiolo,  ,,vulgo  Sehastropori''  Moleti. 

CICABAR  (Cicabo  Karte  2),  Kvaväov  noTafiov  ixßoXal  Ptolem.  5,  10. 
„Cicaho"  beide  Italiener. 

COREBENDIA.  ^lydveov  Ptolem.  5,   10,  „Garhendia"  dieselben. 

NEGAPOTIMO.  mdTioXig  Ptolem.  5,   10,   „Negapotimo''   dieselben. 

LIPOTIMO.  A}'a  noXig  Ptolem.  5,  10.  „Lipotomo"  beide.  Während 
die  letzteren  Namen  oÖenbar  auf  Küstenflüsse  deuten ,  setzen  unsere 
Italiener  feste  Orte  dafür  an.  Gerade  der  Strich  von  Sebastopolis  bis 
zum  Phasis  hat  in  der  topographischen  Fixirung  noch  manche  Bedenken. 
Eine  üebersicht  gibt  Müller  zum  Periplus  des  Arrian  p.  377. 

VI.  Vom  Phasis  bis  an  den  Halys. 

FASSO.     o  Wäoig,  ue'yag  norafiog mit  der  gleichnamigen  Stadt, 

dem  altberühmten  »f^TTo^tov  %(üv  KoXxav,  die  nach  Strabo  (11,  2,  17)  auf 
einem  Delta  lag:  zfj  fi^v  nqoßeßXrjfxs'vrj  %6v  norafidv,  tfl  6k  Xifxvr^v,  tfj  6k  t?;V 
^äXazxav.  Das  ganze  dortige  Ufer  erscheint  bei  ihm  als  ein  der  Ver- 
änderung unterworfenes,  von  Wadden  durchzogenes,  wie  er  denn  auch 
schon  in  der  Einleitung  (1,  3,  7),  wo  er  von  der  Anschwemmung  — 
TCQooxooig  —  an  den  Mündungen  gewisser  Ströme  spricht,  den  Phasis 
erwähnt:  ne^l  6k  rd  zov  <l>dOi6og  rj  KoXxLxrj  naqaXCa,  6CafXfiog  xccl  Tunsivrj  xaX 
liaXuxr]  ovOa. 

PALIO  STOMA,  wohl  rd  naXaiov  oröfia,  die  'alte  Mündung'  des 
Phasis,  später  zum  See  umbordet. 

LOVATI.  0  Ba^vg  norafiog,  Arrian.  Peripl.  9,  p.  375,  Plin.  6,  4 
flumina  Acampsis,  Isis,  Mogrus,  Bathys.  Der  Name  ist  noch  heute  in 
Batum  als  Stadt  und  Vorgebirg  erhalten. 


269 

GONEA    leitet  auf  das  heutige  Gunieh,  westlich  vom  Acampsis. 

ARCAVI.  d"Agxc(ßig  Arrian  Peripl.  8,  p.  374,  Anonym,  p.  411, 
heute  noch  Arkhavi. 

QUISSA,  Kiooa  des  Ptolemaeus,  Cissa  der  Tab.  Peutinger. ,  heute 
Kisseh;  Müller  p.  374;  nur  stimmt  die  Lage  nicht  ganz,  weil  der  Arkhavi 
vor  dieser  Station  in's  Meer  geht. 

SENTINA.  mittelgriech.  Stinas  gleich  'A^fjvai,  von  welchem  der 
Periplus  Arrian.  des  weiteren  erzählt,  a.  a.  0.  p.  374  und  372.  Procop. 
de  hello  Goth.  4,  2.    Heute  Äthina. 

RISSO,    d  TC^iog  Tiorafjiog  Arrian.  Peripl.   8,  p.   374. 

STILLO  klingt  byzantinisch.  Nach  den  Peripli  treffen  noch  zwei 
Flüsse   o  ^vxQog  und  'd  Kaldg  Tcotafxog  hieher. 

SURMENA.  2ovodQfiia  des  Anonym,  p.  411.  Äw^ary  SovaovQ/xaiva  des 
Procop.  de  hello  Goth.  4,  2;  früher  "t^ooov  hfirjv,  Müller  p,  371. 

FLONDA.  'Ocpiovg  des  Anonymus  p.  411.  Der  Accusativ  ^^Oipiovvta 
ward  wie  gerne  zum  Nominativ.  Auch  hier  wäre  wie  oben  bei  Arcavi 
eine  Versetzung,  da  dieser  Fluss  hinter  Surmeneh,  d.  h.  östlicher  in  den 
Pontus  mündet. 

TRAPEZONDA.  j^'  TquTts^ovg,  noXig  'ElXrjvig,  2i,vo}7iewv  unoixog,  irvl 
^aXdoari  o}xio^evrj  Anonym,  p.  410. 

PLATENA,  das  alte  'Eqixmaooa,  Strabo  12,  3,  17.  Arrian.  Peripl. 
24,  p.  392,  noch  jetzt  Fiatana.  ,, Dieser  Ort,  der  im  Munde  des  Volkes 
wahrscheinlich  seit  Urzeiten  diesen  Namen  trägt,  ist  von  Trapezunt  nur 
etwas  über  vier  Stunden  entfernt  ....  Die  Platane  wächst  in  der 
Umgegend,  besonders  am  Bach  von  Kalanoma  auf  der  Seite  gegen  Tra- 
bosan,  mit  unvergleichlicher  Pracht."  Fallmerayer,  Fragmente  aus  dem 
Orient,   1,  245. 

SGORDILLI  auf  keiner  unserer  Karten  mehr,  nur  auf  der  ältesten 
von  Petro  Vesconte  des  Wiener  Periplus  octuplus  (p,  27,  1.  22) ,  ist 
Koqdvlrj  der  Peripli  (p.  391  und  410)  —  x»?*ov  ^v  4  ''"*  oqixog  ioti,  por- 
tus  Chordule  Plin.  6,  4.  Der  Name  scheint  also  seit  dem  15.  Jahr- 
hunderte   vergessen.     Heute  Äk-kalaJi.     Fallmerayer   1,  243. 

GIRO  (cavo  giro).  "isqSv  oQog  der  Peripli  (p.  391  u.  410).  Heute  Cap  loros. 

VIOPOLI.  Plin.  6,  4 :  sine  fluvio  Liviopolis.  Heute  Fol  —  östlich 
von  Boyük-liman  —  Falbnerayer  1,  240. 


270 

CAROLLA  (p.  2  7, 1. 25)  nur  auf  einer  Karte  des  Wiener  Periplus  von  1408 
ist  KögaXXa,  Arrian.  Peripl.  24,  p.  391,  heute  Cap  Kereli,  Fallmerayer  1,  235. 

S.  UIGENI.  ,"Ayiog  Evyiviog  der  Griechen,  heute  Äi-jenesin  deresi, 
d.  i.  Thalbach  des  heil.  Eugenius".     Fallmerayer  1,   236. 

LAKTOS  (Laitos)  träfe  auf  %cc  "Aqyv^ia  der  Peripli,  p.   391,  410. 

TRIPOLI.  TqCnoXig  der  Peripli  a.  a.  0. ,  Plin.  6,  4 :  Tripolis  castellum 
et  fluvius;  heute  Tereholi,  Fallmerayer  1,  230. 

ZEFANO  [Zeffara  bei  Vesconte)  möchte  man  auf  Zstpvqioq  Xifxrjv  des 
Skylax,  Zetfvqiov  der  Peripli  deuten,  s.  Müller  p.  64 ;  heute  Sephreh. 

CIIIRIZONDA.  So  bestritten  das  Xenophontische  Keqaoovq,  so  wechsel- 
voll ist  die  Gestalt  des  Namens  in  unseren  Urkunden.  Selbst  ein  Tra- 
pizonda  taucht  daneben  auf.   In 

GIRAPRIMO,  was  vorausgeht,  scheint  die  erste  Hälfte  selbst  wieder 
auf  Kerasus  zu  führen,  die  zweite  möchte  aber  nach  einer  Lesart  PTINO, 
d.  i.  PETRINO ,  auf  nsTqa  hinweisen.  Sollte  ein  wie  ein  Hörn  hinaus- 
ragender Strandzacken  damit  gemeint  sein,  wie  sie  Fallmerayer  dort 
schildert  (1,  218  ff.)?  oder  das  Eiland,  welches  jetzt  Kerasun-Äda 
heisst,  den  Griechen  einst  Insel  des  Mars,  später  'AqrjTidg,  dem  PUn. 
6,   13  Chalceritis  hiess? 

SANBASILL  d  olyiog  Baoihog,  oft  in  den  Reisen  erwähnt. 

OMIDIE.  Wie  kommt  hieher  der  gleiche  byzantinische  Name  für 
das  alte  laXfivdrjooög'i  vgl.  oben  die  erste  Seite  dieser  Anmerkungen. 

Eigenthümlich  versetzt  Aeschylus  im  Prometheus  (v.  724  ff.  ed.  Her- 
mann.) das  berüchtigte  Gestade  des  thracischen  Landes  hieher  in's 
Amazonenland  am  Thermodon 

i'v^'  'Afjba^övwv  Otqardv 
t^ei  OTvyävoq',  ai  &£fiiOxvQdv  noxs 
xaToixiovOiv  djjKpl  QeqfiwSov^' ,   Iva 
TQU^eTtt  novtov  SaXiivdrjGOia  yvd^og 
ix&Qo^svog  vavzaiOi,  (nqvQvid  vewv. 

SECHIN.  Was  oben  bei  Laiazo  an  der  Caucasischen  Küste  beobach- 
tet worden,  kehrt  hier  wieder.  Ein  Sechin  oder  Sessin  (Sequin)  bietet 
die  Cilicische  Küste  unserer  Pergamente.  Nun  ist  2vxri  {2vxäa)  nach 
Athen.  3,  78  B.  und  Stephan.  Byz.  wirklich  eine  Cilicische  Stadt,  deren 
Lage,  östlich  vom  Vorgebirg  Anemurium,    durch   unsere  Karten   äugen- 


271 

scheinlich  wird.  Danach  ist  nun  auch  Marin  Sahudo  (ürkundenbuch 
von  Venedig  1,  377)  vollkommen  verständlich  und  mehrfach  zu  ver- 
bessern. Man  darf  auch  dieses  Sechin  ohne  Gefahr  auf  2vxij  zurück- 
führen.    Ein  drittes  Sechin  findet  sich  am  asiatischen  Ufer  der  Propontis, 

Diese  drei  gleichnamigen  Stationen,  an  den  drei  Ufern  Kleinasiens, 
können  füglich  als  ein  Anhalt  dienen  für  die  Geschichte  der  Cultur  des 
Feigenbaums  und  seiner  geographischen  Verbreitung.  Die  Früchte  des- 
selben waren  im  Mittelalter  wohl  noch  höher  geschätzt  als  im  Alter- 
thum.  Hatte  Byzanz  einstens  seine  2vxal  oder  nach  Strabo  7,  6,  2 
seinen  Feigen -Hafen  (t6v  imo  nj  2vxij  xaXovfitvov  hus'va),  so  bietet  sich 
jetzt  noch  auf  unserer  Küste,  ostwärts  am  Cap  Hieron-Oros  (s.  oben  GIRO), 
,,eine  malerisch  schöne  Felsenbucht;,  IndscMr-Uman  (Feigenhafen)  ge- 
nannt," Fallmerayer  1,  241,  wo  in  der  Nähe  ,, dichte  Obstwälder  aus 
Maulbeer-,  Kastanien-,  Aepfel-,  Birn-,    Kirsch-    und    Feigenbäumen." 

LAVONA.  Bocuv  der  Peripll,  Xifxrjv  nävzwv  dvsfxwv  xal  oQfiog  vavoiv. 
Müller  zu  Skylax  p.   65 ;  heute   Vona. 

DIASSONI  auf  der  Karte  von  1408  des  Wiener  Periplus  ist  'Taooviovj 
Strabo   12,   3,  (p,  469  ed.  Müller)  oder  "laoovta  der  Peripli,  heute  Jasun. 

PORMON.  jioXsfioU'iov  der  Peripli,  Polemonium  der  Römer,  heute  Puleman. 

FADIZA.  ^ddiooa  ((l>a6iodvrj)  des  Anonymus  p,  409.  Strabo  12,  3, 
16  hat  ein  OdßSa.    Heute  Fatsa. 

HOMO  leitet  auf  Olvdrj  oder  OTviog,  heute  Unieh,  Müller  p.  390. 
Ein  Hauptstapelplatz  des  Seidenhandels.    Fallmerayer   1,   279. 

LAMIRO.  svTav^tt  /.ijxijv  fut'yag  6  Xeyofievog  yiafivQwv,  oq^iog  vavol  xal 
vÖQoOToXog,  Anonym,  p.  408,  an  der  Mündung  des  Thermodon^,  gedeckt 
vom  Vorgebirg  Herakleon;  vielleicht  ein  Begriff  zum  folgenden 

LIMINA,  wenn  dies  nicht  'Ayxwv  Xifxriv  ist    (Müller  p.   389),    wo  der 

LIRIO  o  ^Igig  ausmündet. 

SIMISO.  "Afiioog,  noXig  d^ioXoyog,  wie  Strabo  sagt.  Wenn  derselbe 
das  Land  hinter  der  Mündung  des  Halys  also  schildert  (12,  3,  13 
p.  468  ed.  Müll.)  ^wst«  6^  rrjv  exßoXrfv  tov  "AXvog  rj  raSiXcovhi'g  sGri  (Ji'SXQi  tfjg 
2ccQafirjvt^g,  €v6ai[i(ov  ywqa  xal  nsdidg    nüGa  xal  ndfKfogog,    SO   hätten   Wir   lür 

PLATAGONA  als  generellen  Ausdruck  für  die  Charakteristik  des 
Küstenstriches  eine  gute  Begründung.  Vgl,  die  Schilderung  der  Land- 
schaft bei  Fallmerayer   1,   36,   37. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth.  3  7 


272 


VII.   Vom  Halys  bis  an  den  Bosporus. 

LALI     o  "AXvg. 

PANIGERIO,  etwa  nur  allgemein  TravrjyvQiov  .Markt',  wie  öfter  das 
türkische  Bnzar  wiederkehrt? 

CALIPO.     KdXinnoi  des  Anonym,  p.  406. 

CAROSSA.  KciQovoa  oder  Kdqovoou  des  Skylax  und  Arrian  (ed.  Müll, 
p.  66.  388).    Heute  Gerseh. 

SINOPI  2iv(67ir].    Sinuh. 

ERMINIO    "Agfisvi]  (AQfirjvTj),  Seit  Xenophon  Anab.  6,  1,  14:   dg)Mvovvvai 

eig   ^iiami^y  xal  coQfii'OavTO  stg  l4Qfxi^vr]v  Ttjg  2iV(ü7vrjg. 

LEFTl.    yismr]  (axga)  des  Arrian.  Peripl.  §.  21,  p.  387. 

STEFANIO    2t€(pdv)]  Xi^iilv,  Müller  zu  Skylax  p.  66. 

QUINOLI.  Plinius  6,  2 :  oppida  Cimolis,  Stephane.  KivcoXig  der  Pe- 
ripli,   Cinolu  heute, 

GINOPOLI  '[(ovoTioXig ,  früher  'AßcSvov  reTxog,  heute  Ineholi.  Müller 
p.  387.  Zu  den  hier  genannten  Stellen  füge  noch  Leon.  Sap.  index 
eccles.    15,    1    d  'IvvovTioXecog. 

CARAMI.  KdqafJbßig,  äxqa  (xsydXrj,  nqog  rag  aqxtovg  dvaTSTafis'vrj,  Strabo 
12,  3,  10.  Das  Cap  Caramhe,  in  alter  und  neuer  Zeit  als  Scheide  von 
Wind  und  Wetter*  im  Euxinus  bekannt.    Fallmerayer  1,   35. 

GIRAPETRINO,  vgl.   oben.    'legd  Härga? 

CASTELLE.  Die  älteste  Karte  von  P.  Vesconte  gibt  hier  bestimm- 
ter Qitolli,  d.  i.  offenbar  ^c»  Kihcogov  —  ifxnoqivv  tiots  ^ivwnswv,  wie  Strabo 
sagt    12,    3,    10;  heute  Kidros. 

COMANA  nicht  mehr  verstanden,  nur  eine  Lesart  Cromena  (Wiener 
Periplus  v.  J.  1408)  erinnert  sogleich  an  Kgöjfiva,  das,  wie  auch  Strabo 
(12,  3,  10)  bemerkt,  schon  Homer  unter  den  Paphlagonischen  Städten 
aufführt  (Ilias  2,  855): 

KqaJixvuv  i'  AlyiaXov   t£   xal   viprjXovg  ^QvO-ivovg  — 
auf  diese  letzteren  treffen  wahrscheinlich  die 

TPJPISILLI;  bei  Strabo  wohl  nur  dvo  S'dal  öxonsXoi. 

BVSCANL  TiXeiöTTj  (ft  xai  aQiGzrj  nv^og  (fvszai  xard  rr^v  'AfiaOXQiavrjV  xal  fiä- 
Xiotu  ntql  xo  Kvxoyqov   —  berichtet  Strabo   a.   a.   0.     Sollte  der   Reichthum 


273 

an  Bux  und  Buschwaldung  überhaupt  nicht  unseren  Namen  erklären 
und  rechtfertigen?  Die  bis  heute  unzerstörte  Waldpracht  der  anatoli- 
schen  Küste  hat  wie  keiner  Fallmerayer  vor  die  Augen  gezaubert. 
Wegen  der  Umgebung  von  Ämassero  vgl.  ihn,   1,   35. 

SAMASTRO.  "AfiaGTQig,   jifidoTQa;  vgl.  Müller  p.  405. 

PARTENI.  0  üaqd-sviog  fioraixog  6id  ftaqmv  dv^rjgwv  (psQÖinsvog  xal  did 
%ovTo  Tov  ovdfiatog  xovtov  rsTvxtjxcog  —  Strabo  12,  3,  8.  Er  bildete  die  Grenze 
zwischen  Bithynien  und  Paphlagonien.  Copireana  der  Karte  von  1367 
im  Wiener  Peripl.  ist  Cavo  pireana  und  würde  auf  das  Cap  Fartheni  zu 
beziehen  sein. 

TIO  ist  Tiog,  Mdrjoioov  anoixog,  Müller  p.  385.  TCsiov  bei  Strabo  und 
Skylax,  ebend.  p.   67. 

C.  PISELLO,  ob  iPvXXa  der  Peripli,  ^vXXiov  des  Ptolemaeus?  vgl. 
Müller  p.  385. 

PENDERACHIA.  JiovTorjgdxXeia  der  Byzantiner,  ^HqdxXsia  ndvrov  — 
nöXig  svXi'fisvog  xal  aXXwg  d^iöXoyog,  wie  Strabo  sagt  12,  3,  6,  Der  Name 
hat  eine  merkwürdige  Verschiebung  bis  zu  Punta  RacJiia  erfahren. 

NIPO   möchte   auf  "Tmog  (g  zoNvniov), 

LIRIO  auf  AtXaiog  (AiXXiog),  zwei  Flüsse  der  Landschaft,  passen,  vgl. 
Müller  p.  383 ;  ;t  u.  ^  vertreten  sich  gerne.  Da  eine  unserer  Karten 
(No.  2)  diese  Stationen  vor  Penderachia  hat,  wird  die  Bestimmung 
noch  zweifelhafter. 

ZAGARI,  ^ayydgiog,  Sakaria  heute  noch. 

AQUA.  Da  Fenosia  als  Insel  den  Zusammenhang  mit  Carpi  des 
Festlandes  nicht  aufhebt,  so  möchte  man  hier  die  schon  von  Xenophon 
(Anab.  6 ,  4 ,  3 ;  vgl.  Müller  p.  382)  gerühmte  Süss  wasserquelle  — 
XQTjVrj  6i  rjösog  vSaxog  xal  äcpx^ovog  Qs'ovOa  iv  athfj  ttJ  ^aXdtTTj  —  nicht  Über- 
sehen. Dass  die  Portulane  die  Wasser-Stationen  so  gut  als  die  Saline, 
Moline  u.  s.  w.  anführen,  weiss  der  Kundige. 

FENOSIA,  die  Insel  Jatpvovoia,  Jdg)vrj,  früher  ^AnoXXwvidg  nach  dem 
Anonym,  p.  402.     Die  Verkürzung  gieng  bis  Feno  und  Lafen. 

CARPI  (CALPI),  mit  gleicher  Doppelschreibung   KdXTtrj   und   Edgirr], 

heute    Kerpe   liman    (Müller    p.   382),    hat    sich    seit  Xenophon    erhalten, 

Anab.    6,    4,    3 :    6  KdXnrjg   Xifiilv    iv    fis'Oo)    fi^v    xshai    ixaTfQco^sv    nXsövxwv    i^ 

'HgaxXeiag  xal  Bv^avriov. 

37* 


274 

DEPOTIMO ,  richtiger  Dipotamo  (bei  Vesconte),  d.  i.  Jmoxafiog,  ein 
mehr  allgemeiner  Ausdruck  für  einen  'Landstrich  zwischen  zwei  Flüssen*, 
was  etwa  dem  ^isooyaiov  entspricht.  Vgl.  Tafel  Symbol,  criticae  1, 
p.  87,   87,  88,   2,  p.    182.     Urkundenbuch  von  Venedig  1,  488. 

SILLI,  i^aXiq,  ^iXtg,  ^taXiov,  9h'hov;  vgl.  Müller  p.  382.  Plin.  6,  1: 
ergo  in  faucibus  Bospori  est  amnis  Bhehas,  quem  alii  Rhesum  dixerunt. 
Deinde  Psillis ,  portus  Calpas,  Sangaris  fluvius  ex  inclutis. 

RIVA.  'Pijßag.    Der  Fluss  heisst  noch  heute  Biva. 

GIRO.  "hgov.  Dieses  Heiligthum  des  Zevg  Ovgtog  wurde  schon  bei 
den  Alten  einfach  mit  "I^qov  bezeichnet ;  Cicero  gedenkt  dessen  (in  Verrem 
4,  57)  als  eines  der  drei  weltberühmten  signa  Jovis  Imperatoris  —  quod 
auteni  est  ad  introitum  Ponti,  id,  cum  tarn  multa  ex  illo  mari  bella 
emerserint,  tam  multa  porro  in  Pontum  invecta  sint,  usque  ad  hanc 
diem  integrum  inviolatumque  servatum  est.  Hat  er  wohl  geahnt,  dass 
die  Heiligkeit  des  Orts  den  Namen  noch  anderthalb  Jahrtausende  be- 
wahren werde? 

Ausser  der  eingehenden  Note  von  Müller  p.  380  vgl.  noch  Otto 
Frick:  Dionysii  Byzantii  Anaplus  ex  Gillio  excerptus  p.  33.  Die  beiden 
Hieron,  heute  Anadoli-Kawak ,  und  auf  der  Gegenseite  Rumili-Kawak, 
die  Schlüssel  des  hier  engsten  Bosporus ,  hatten  auch  im  Mittelalter 
eine  hohe  Bedeutung,  namentlich  für  die  Kauffahrer.  Darüber  hat 
jüngst  W.  Heyd  gesprochen  im  zweiten  Artikel  seiner  oben  angeführten 
Abhandlung,  Tübinger  Zeitschrift  vom  J.   1863,   2,  p.  169,  170. 


Der  Paraplus  von  Syrien  und  Patestina. 


10 


15 


20 


1 

Karte  der  Universität. 

2 

3 

4 

Karten    des    Krie 

gsminis  teriums. 

Karte 

n 

alesandreta 

alaxandrera 

alexamlreta 

Alexandreta 

candelona 

candelona 

can  de  lona 

can  de  lana 

p.  boneli 

p.  bonel 

p.  boneo 

p.  banel 

rasalganzir 

c.  raxtanxir 

rosolganzir 

soldin 

Soldj 

solin 

p.  uallo 

p.  vollo 

p.  ualo 

pocin 

gloriata 

laleclna 

p.  tim 

Gloriata 

lalitxa 

lalitia 

pocin 
gloriata 
la  lecJiia 

beona 

beona 

beone 

beona 

ualinea 

balimea 

, 

ualinea 

margato 

magrado 

margato 

margatto 

maracrea 

p.  magrea 

marcrea 

maracrea 

tortosa 

tortossa 

. 

tortosa 

prexon 
larcha 

proximi 
larca 

• 

prexon 
larcha 

tripoli 
neun 

tripol  de  suria 

tripoli  de  soria 

• 

tripoli 
nefin 

c.  pozo 
bodrom 

pondico 
podro 

podro 
bodro 

podio 
bodron 

( 

gibelleto 

gibelloto 

• 

gibeleto 

f.  canis 

fluni  en  can 

flumidenis 

f.  canis 

haruti 

barutt 

bnruti 

haruti 

damor 

damor 

damor 

damor 

saitto 
serafem 

saytos 
sarfent 

serafent 

saito 
serafen 

mr 

sur 

• 

sur 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  Abth. 


278 


5 

(> 

1 

8 

der    k  ö  n 

iglichen     Hof-     u 

nd     Staats-Bibli 

0  t  h  e  k. 

candria 

Alisandreta 
can  de  lona 

Alexandreta 
can  de  loii 

Allexandreta 

Le  boneil 

p.  bonbolizo 

p.  bonel 

p.   benei 

, 

Rasa  canixir 

rasalganzir 

raidalixa 

i 

M.  nigra 
Sodin 

soldin 

• 

lallo 

p.   vallo 

p.   ualo 

• 

lata 
erclia 

pasera        „ 

lexsera 
groriata 

La  lecia 

polcin 
gloriata 
la  lechia 

llorita 

llalixa 

aea 

begone 
gib  eile 

beona 
ualinea 

uallinea 

. 

Margato 

margato 

• 

acrea 

marcrea 

maracrea 

. 

^ssa 

tortosa 

tortosa 

tortoza 

ha 

prexon 
larcha 

prepon 
larcha 

proxime 

oli 

i/ripolly 
neffi 

tripoli 

tripol  de  seuia 
nife 

rom 

cauo  de  pogio 
bodron 

c.  pozo 
bodron 

uedro 

\ 

' 

gibeleto 
tauilla 

gibeleto 

• 

len  canis 

f.  canis 

f.  canis 

tuscani 

iti 

Baruti 

haruti 

pauste 

. 

damor 

damor 

damor 

0 

saity 
sarafere 

saitto 
serafen 

ffrestamte 

Sur 

sur 

suro 

38 


27i) 


1 

Karte  der  Universität. 

3 

4 

■  8 

Karten    des 

Kriegsministeriums. 

Karte 

n 

5 

c.  bianco 

c.  bianch 

c.  bianco 

\ 

acri 

acrj 

. 

acri 

i 

caifasso 

cayfazo 

. 

caifaso 

ia 

carmene 

carnia 

. 

carmene 

e 

castell  pelegrin 

castel  pelegrj 

castel  pelegrin 

castel  pelegri 

10 

cesana 
arzufo 

spezayia 
arzuffo 

cesaria 

cesaria 
arzufo 

S( 

zaff'o 

Jaffa 

iaffa 

zaffa 

(I 

castell  beroaldo 

berardo 

, 

c.  beroaldo 

excalotia 

escalona 

escallona 

exscalona 

b 

15 

gazara 

Gilzata 

gazara 

gazara 

a 

daron 

deroni 

darom 

daron 

^ 

p.  berton 

berto 

berto 

p.  berton 

. 

G.  de  larissa 

G.  larissa 

G.  de  larisa 

G.  de  larissa 

larissa 

larissa 

larisa 

• 

f 

z  t 

Der    Codex  Herwartianus    der 

Universität   bietet    auf  fol.   15    noch  besond(R 

Relief  gemalt.     Ich  halte  es  für  noth wendig,    hier   die   Namen    der  Küstenor 

te,  ^K 

Es  sind  folgende : 

haruti.         sidon  magna  nunc  sagita. 

sareta  sidoniorum.         thirus  nunc  sur. 

puU 

tholemaida  nunc  acris   olini.         caifas. 

s.  helie.          castrum  peregrinorum. 

eccle 

ioppe   vel   iapha.         ramia  portus   iudeorum.         castrum   beroaldi.         acaron. 

asat 

280 


der     könisriichen     Hof-     und     Staats-Bibliothek. 


nanco 

asso 
smeni 

aria 


ona 
ira 


sa 


cauo  janco 

Acry 

arzufo 

c  arm  inj 

caste  pelegrino 

caifaso 

arzufo 

Jaffa 

caste  berardo 

Scallona 

Gazara 

damor 

p.  berto 

la  Costa 

G.  Larissa 


c.  bianco 

acri 

caifasso 

carmene 

castel  pelegrin 

cesaria 

arzufo 

zaffo 

castel  beroaldo 

exscalona 

gazara 

daron 

p.  berton 

g.  de  larissa 


brancche 

acra 

cusfazo 


custell  pelagi 

Jafa 
arzufo 

escalora 
gatzara 

birefa 

llarige 


t    Z. 

ar    anschauliches    Bild    des    heiligen    Landes,    gleichsam   aus    der    Vogelschau    in 
,rauf  verzeichnet  sind,  zum  Vergleiche  auszuheben. 

im   uiuentimn.         sandalium   castrum   quod  prius   dicebatur    alexandreta.         sarona. 
ariae.  fortalicium.  cesaria  palestinae.  antipatrida    siue    dor    uel    assur. 

na.        gaza  uel  gazara.         daron. 


38^ 


Jos.  l/nt/er  sc. 


Abh  d  I  Cl  d.k  At.dWiss,  XBd.I  Attk. 


ZuD^'-StreWAtM. 


283 


10 


15 


20 


25 


1 

Karte  der  Universität. 

2 

3 

4 

Karten    des    Krie 

gsminis  teriums. 

Karten 

G.  de  zaramella 

ii 

Garmella 

.  Ci 
G.  de  zaramela        e 

m.  gaibo 

. 

. 

m.  gaibo                    h 

1(11020 

layassa 

laiaco 

laiazo                          t 

p.  de  lipai 

c.  lipay 

p.  de  li  paim 

p.  de  lipai 

malmista 

malasta 

malmistra 

malmistra                  a 

c.  mallo 

malo 

malo 

mallo                          0 

adena 

adena 

adena 

adena                          la 

tarso 

teraso 

tarso 

tarso                           iö 

lamo 

< 

lame 

. 

lamo  A  3 
p.  bonbolizo             lo 

p.  boiibolizo 

3 

bombolizo 

. 

iauuzo 

t—t 

iamizi 

. 

ianuzo 

cur  eil  0 

< 

curcho 

turco 

curco                          \ 

lena  de  bagassa 

lengua  de  ba 

le  mia 

lena  de  bagassa 

s.  todaro 

(2; 

. 

san  dero 

s.  todaro                   ec 

p.  pin 

< 

portopi 

p.  pim 

p.  pin 

la  proenzall 

esculpensal 

• 

la  proensal 

p.  caualer 

p.  caualer 

. 

p.  cavaler                 ;a 

p.  papadola 

p.  padolla 

p.  padola 

p.  papadola 

p.  palopoli 

p.  papoli 

• 

p.  palopoli                la 

crionaro 

crionari 

• 

crionaro                    a 

spurio 

esporia 

. 

spurio 

y.  de  oliue 

oliua 

. 

j.  de  oliue 

sechin 

. 

sequim 

sechin 

draganto 

draganto 

draganto 

draganto                   s 

astalimure 

stelimur        ,      ^ 

,.  ,         calandro 
antiotxa 

. 

astalimure 

(intiochia 

anthiocha 

antiocJiia                  i 

castelloinbardo 

castellombardo 

castel  lonbardo 

castelbonbardo 

scandelorum 

escandelor 

candelor 

scandelorum 

Ahh.  .1. 1.  Cl  d.  k,  Ak  d.  Wiss.  X.  Bd.  I.  AhUi 


284 


5 

() 

7 

8 

> 

der    k  ö  n 

iglichen     Hof-     u 

nd     Staats-Bibli 

0  t  h  e  k. 

e  caramella 

.g.  de  caramello 

g.  de  zaramela 

g.  carmela 

so 

laiasso 

m,  gaibo 

. 

L,  gaibo 

.M.  gaibo 

laiazo 

lleiaso 

.p.  de  lipaj 

p,  de  lipai 

to  taliperi 

linistra 

malmistra 

malmistra 

malastia 

D 

mallo 

mallo 

mestos 

a 

adena 

adena 

auena 

0 

tarso 

tarso 

teraso 

lamo 

lamo 

llame 

ombolixo 

.p.  bonbolizo 

p.  bonbolizo 

llamuolizo 

januso 

ianuzo 

Uamesi 

10 

curcho 

curcho 

curco 

de  bagasa 

lena  da  bagasa 

lena  de  bagassa 

• 

dero 

. 

s.  todaro 

. 

.p.  pin 

p.  pin 

portospi 

Lo  proensa 

lo  proenzall 

. 

lualero 

.  p.  caualery 

p.  caualer 

« 

.  p.  padrola 

p.  papadola 

. 

alopoli 

.  p.  palopoly 

p.  palojaoli 

p.  palomi 

laro 

creonario 

crionaro 

crionori 

spurio 

spurio 

J.^  de  oUiue 

j.  de  oliue 

sessin 

sechin 

anto 

draganto 

draganto 

cJiia 

astalj  mur 
antiocia 

astalimure 
antiochia 

calamdro 
antioxa 

;llombardo 

castelonbardo 

castellonbardo 

castelombai 

eloro 

candolorum 

scandelorum 

estamdelor 

39 


285 


10 


15 


20 


25 


30 


* 


1 

2                                      3 

4 

Karte  der  Universität. 

Karten   des   Krie 

gsministeriums. 

Karten 

sannicolao 

S.  nicola 

. 

sannicolao 

sangrigor 

S.  grigor 

sangrigor 

sangrigor 

Pamphyli 

satalia  uechia 

Satallia  veya 

, 

satalia  uechia 

satalia 

Satallia 

, 

satalia 

G.  de  satalia 

G.  de  satallia 

G.  de  satalia 

g.  de  satalia 

aiopende 

ajopendia 

. 

aiopende 

quirpastor 

quirpot 

quir  pastor 

quirpastor 

aratia 

arustia 

. 

aratia 

p.  zenouese 

S.steue 
Gani" 

. 

ganbrosa 

p.  zenouese 

c.cbilidonie 

zambruso 

c.  de  sitidania  brosa. 

siridonie 

san 
Stefano 

siridonie 

finica 

san  steua 

finica 

, 

finica 

gambrage 

gerouda 

lecorente 
stronbilo 

gorande 

gironda 

geronda 

sansteuan 
lecorente 

. 

castel- 

stermire 

,     , 

, 

stronbilo 

caccauo 

pattera 

macri 

G.  de  maci 

metireme 

regio 
pocelle 
megarico 

7.  cai 

leuisi 

'i 

cacamo 
patera 
magrj 
G.  magrj 
metiremie 

lagouente 

strambilo 

castelroig 

porteile 

vu  Caps 

cacamo 
c.  patera 

G.  mar 

metiremi 

loco 
ueneto 

porcelli 

Castrongo 

megaripo 

caccauo     <^^'^f^s^° 

pocele 

patera       mogorico 

macri 

g.  de  macri  |    7.  cap 

metireme          ^^"^ 

prepia 

prepie 

prepia 

prepia 

laguia 

lani 

lauia 

la  guia 

larosa 

larosa 

• 

la  rosa 

p.  fischio 

p,  fisto 

, 

, 

traquia 

raquia 

. 

traquia 

anconitan 

anconta 

. 

anconitan 

marfitan 

messt 

c.   sesto 

c.  no 

mesz 

• 

marfitan 

mesi 

stadia 

star 

• 

stadia 

tl 


286 


5 

6 

7 

8 

der    k  ö  n 

iglichen     Hof-     u 

nd     Staats-Bibli 

o  t  h  e  k. 

San  nicolao 

s.  nicolao 

s.  nicolao 

• 

san  grigor 

s.   grigor 

s.  gregori 

n. 

,lia  uecchia 

satalia  vega 

satalia  uechia 

tatoliabei 

lia 

satallia 

g.  de  satalia 

, 

le  satalia 

.g.  de  satalia 

satalia 

satalies 

)ende 

aio  pendy 

aiopendi 

agiopöda 

*  pastor 

quir  pastor 

qui :  pastor 

amepasto 

. 

aratia 

aratia 

arustia 

de  genouesi 
donie 
3ca 

p.  jenoese 

siridonie 

finica 

gambroxa 

stö  Stefano 

p.  zenouese 

chilidonie 

finica 

gambruse 
sansteua 

ffinica 

s.  esteui 

• 

geronda 
starmile 

le  corente 

geronda 

lecorente 
stronbilo 

goramdi 

..e 

iri 

de  macri 

cacamo 
patera 
macary  ■ 
g.demacary 

strongilo 
casterogio 
porcelle 
porci 
sete  caui 

caccauo 
macri 

g.  de  macri 
patera 

castel- 

rogio 

pocele 

megarico 

casano 
paiora 

g.  meri 

casteloigi 
p.  agelli 

ireme 
pia 

metinreme 
prepia 

metireme 
prepia 

7.    caui 
leuisi 

Ilamira 
triasco 

jia 

la  via 

la  guia 

rauia 

0.  . 

la  roza 

la  rosa 

, 

. 

la  colla 

, 

. 

. 

p.  fixsco 

p.  fischio 

. 

• 

traquia 

traquia 

• 

c. . 

p.  anconitan 

anconitan 

ancone 

if... 

p.  malfitan 
stacia 

p.  marfitan  ,     .    . 
^       .              lesimie 
messt 

p.  fielli 

• 

messy 

stadia 

• 

39' 


Der  Paraplus  von  Armenien  (des  Mittelalters). 


38** 


Anhang. 


Zu  den  Namen  der  Winde. 


Es  ist  eine  ausgemachte  Sache,  dass  im  Mittelalter  der  Aufriss  und 
die  Zeichnung  der  Karten,  namentlich  der  Seekarten,  nach  der  Windrose 
bestimmt  und  ausgeführt  wurde.  Es  ist  desshalb  Sorge  getragen,  dass 
auch  auf  der  Karte,  welche  den  Peripius  des  Pontus  Euxinus  als  künst- 
lerische Beilage  schmücken  soll,  diese  Art  des  Entwurfes  andeutungs- 
weise zur  Anschauung  kommt;  denn  auch  sie  ist  nach  dieser  Weise 
angelegt. 

Häufig  sind  nun  in  diesen  alten  Karten  auch  die  Namen  der  Winde, 
der  vier  Hauptwinde  und  ihrer  vier  oder  acht  Neben  winde,  neben  der 
bildlichen  Darstellung  der  blasenden  bausbäckigen  Aeoliden  entschieden 
beachtenswerth.  Sie  haben  sich  aus  dem  fernen  Alterthum  weit  herab 
erhalten,  sowohl  die  griechischen  als  die  römischen  Namen  treten  hier 
noch  auf,  manchmal  jedoch  eigens  verkürzt  oder  umgewandelt.  Lelewel 
—  um  andere  zu  übergehen  —  hat  in  seinem  Werke  ein  paar  mal 
(2,  p,  15  und  im  Epilogue  p.  47)  solche  Naoien-Complexe  aus  Karten 
ausgezogen. 

In  unseren  Münchener  Pergamenten  zeichnen  sich  gleichfalls  mehrere 
durch  diese  Attribute  aus.  Ich  habe  es  für  zweckdienlich  erachtet,  die 
bedeutungsvolleren  derselben  hier  wiederzugeben. 

A.  Sind  die  Namen  der  Winde  auf  den  Karten  (2,  3)  des  Kriegs- 
ministeriums; zu  denselben  ist  die  Tabelle  der  eingangsgenannten  Cata- 
lanischen  Karte,  Notice s  et  Extraits  t.  14,  2.  p.  25  —  zu  vergleichen. 
Die  griechische  Windrose  nach  Strabo  (A*)  ist  zur  Erörterung  beigegeben. 

B.  Ist  die  volle  Windrose  nach  dem  Atlas  der  Universität;  sie  hat 
häufig  Doppelnamen  der  einzelnen  Winde  und  gehört  auch  dadurch  zu 
den  reicheren  Quellen. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wis8.  X.  Bd.  I.  Abth.  40 


288 

C.  Ist  eine  kosmische  Tafel  aus  dem  Codex  Tegernseensis  628, 
jetzt  Cod.  lat.  Mouac.  18628,  dem  10.  Jahrhundert  angehörig.  Ihr 
Alter  nicht  bloss,  sondern  auch  die  Beifügung  der  althochdeutschen 
Namen  der  Winde  macht  sie  für  den  Vergleich  besonders  geschickt 
und  werthvoll. 

Ihre  Existenz  verdankt  sie  muthmasslich  der  Stelle  des  im  Cod. 
enthaltenen  Sedulius  (Opus  paschale  5,   188 — 195): 

neue    quis    ignoret    speciem    crucis    esse    colendam 
quae    dominum  portauit  ouans,  ratione  potenti 
quattuor  inde  piagas  quadrati  colliget  orbis. 
splendidus    auctoris  de  uertice  fulget  eous. 
occiduo    sacrae  lambuntur  sydere  plantae. 
arcton  dextra  tenet.     medium  leua  erigit  axem. 
cunctaque  de   membris    uiuit    natura    creantis 
et   cruce    complexum  Christus  regit  undique  mundum 

und  dem  dazu  gehörigen  Scholion:  Cruce  sua  dominus  continet  totum 
mundum.  sicut  ipse  dixit.  Cum  exaltatus  fuero  a  terra  omnia  traham 
ad  me  ipsum.  Positus  ergo  in  cruce  dominus  uertice  tenuit  orientem. 
pedibus  occidentem.  dextera  septentrionem.  leua  meridiem.  hae  sunt 
quattuor  partes  mundi  quae  grece  ita  uocantur 

ORIENS.  OCCIDENS.         SEPTENTRIO.  MERIDIES. 

ANATHOLE.  DISIS.  ARCTOS.  MESIMBRIA. 


289 

A. 

(Nord.) 
Tramontana.    Tremuntana. 

(Nordwest.)  (Nordost.) 

Maistro.    Mestral.  Greco.    Grech. 

(West.)  (Ost.) 

Ponente.  Ponent.  Levante.    Lleuant, 

(Südwest )  (Südost.) 

Garbin.    Llebeych.  Siroccho.    Seloch. 

(Süd.) 
Ostro.    Myorn. 

A.* 

BoQs'ag   [Septem ti'io] 

jtQYe'aTTjg    [Caurus]  Kaixiag  [Aquilo] 

Ze(pvQog   [Favonius]  "AnrjkKüxt^g  [Solanus] 

Ahp   [Africus]  Evqog  [Eurus] 

TioTog  [Auster]. 

B. 

Septemtrio  vel  Aparctias. 

Circius  vel  Resias.  Aquilo  vel  Boreas. 

Caurus.  Corus  vel  Lapixsi.  '  Cecias.  Apeliotes. 

Vigestes. 

Favonius  vel  Zephirus.  Subsolanus. 

Affricus  vel  Libus.  Vulturnus.  Eurus. 

Libonotus.  Euro-Auster.  Euro-Notus. 

Auster  vel  Notus. 

40* 


290 


€. 


OSTANNORD. 

OSTANUUINT. 

OSTANSUNDAN. 

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5z; 

\       Vultur- 

\         nus 

\    qui   et 

\      Cal- 

-£       \    cias. 

"3         \ 
er          \ 

2  "    \ 

(-1     cä             \ 

?-     \ 
\ 

SUBSOLANUS. 

Equinoctium  XII  kl.  aprl. 

ORIENS. 

/ 

EURUS.    / 

/    K 

/       3 
/        ^ 
/         s 

/                     CO 

/                    c^- 
/                     CO 

/                       ^ 

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CO 

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CC 

Solstitium 
XII  kl. 

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00 

MUIVDUS. 

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Solstitium 
XIIII 

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Die 

Tesserae  gladiatoriae 

der  Römer. 


Von 

Friedrich  Ritschl. 


M^it    drei    litliograpliirten    Tafeln. 


Abh.  d.  I.  Gl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  II.  Abth.  4 1 


Die 

Tesserae   gladiatoriae 

der  Römer. 

Von  Friedrich  Bitschl. 


Mit   drei   lithographirten  Tafeln. 


I. 

Unter  den  mehrfachen  Arten  von  'tesserae',  die  im  Alterthum  üblich 
waren  und  aus  ihm  auf  uns  gekommen  sind,  haben  von  jeher  eine 
besondere  Aufmerksamkeit  diejenigen  auf  sich  gezogen,  welche  man 
sich  seit  lange  gewöhnt  hat  als  'tesserae  gladiatoriae'  zu  bezeichnen. 
Es  sind  diess  bekanntlich  jene  kleinen  vierseitigen,  der  Figur  eines 
Parallelepipedon  nahe  kommenden  Stäbchen  von  Knochen  oder  Elfenbein,^) 
welche  am  vordem  Ende  mit  einem  verschiedentlich  gestalteten,  zugleich 
durchbohrten  Knopf  zum  Anbinden  oder  Aufhängen  versehen,  auf  jeder 
Langseite  eine  Schriftzeile  führen :  auf  den  zwei  ersten  in  der  Regel 
die  Namen  eines  Sklaven  und  seines  Herrn,  nur  einigemal  eines  Freien; 
auf  der  dritten  nach  der  Sigle  SP,  die  sehr  selten  variirt  erscheint, 
die  Angabe  eines  Monatstages;  auf  der  vierten  in  abgekürzten  Namen 
eine  Consulatsbezeichnung.  Allmählig  durch  neue  Funde  bis  zu  einer 
Zahl  von  60 — 70  für  acht  gehaltenen  Stücken  angewachsen,  erstrecken 
sie  sich  von  den  Zeiten  des  ersten  Mithridatischen  Krieges  oder  genauer 
vom  Tode  des  Marius  und  Cinna  über  einen  mehr  als  anderthalbhundert- 
jährigen  Zeitraum    bis    in    die    Regierung   defe  Vespasian  hinein,    wo  sie 


1)  Ein  einziges  Mal  wird  Hirschhorn  als  Material   erwähnt,   aber  zweifelhaft;   s.  u.  die  An- 
merkung zu  n.  12. 

41* 


294 

ebenso  plötzlicli  abbrechen,  wie  sie  in  der  Sullanischen  Periode  zuerst 
auftauchen.  Kein  Wunder  dass  sie,  bei  dem  entschiedenen  chronologi- 
schen Interesse  das  sie  darbieten,  sowie  bei  der  {läthselhaftigkeit  ihrer 
Bestimmung,  seit  mehrern  Jahrhunderten  eben  so  sehr  Gegenstand  der 
wissenschaftlichen  Erörterung  wie  der  dilettantischen  Liebhaberei  gewor- 
den sind ,  ebendarum  aber  auch  der  litterarischen  oder  industriellen 
Fälschung. 

Nach  vereinzelten  Publicationen  und  gelegentlichen  Besprechungen 
früherer  Zeiten,  und  den  dürftigen  Anfängen  einer'  Zusammenstellung 
wie  sie  schon  Manutius,  Gruter,  Reinesius,  Fabretti  versuchten,  war  es 
erst  in  unsern  Tagen,  dass  demente  Cardinali  eine  umfassendere, 
auf  Vollständigkeit  ausgehende  Sammlung  unternahm,  und  zwar  zweimal. 
Zuerst  1824  in  seiner  'Dissertazione  intorno  alcune  tessere  gladiatorie 
inedite',  gedruckt  in  den  'Memorie  Romane  di  antichitä  e  di  belle  arti* 
Bd.  II  (Roma  1825)  S.  129 — 152,  wo  er  37  Stück  zusammenbrachte 
(mit  einem  Nachtrag  in  Bd.  III  S.  69.  77),  auch  die  ersten  Schritte 
zur  Ausscheidung  muthmasslich  unächter  that.  In  beiden  Beziehungen 
führten  den  Gegenstand  weiter  Giovanni  Labus  in  den  Zusätzen  zu 
dem  von  ihm  veröffentlichten  Aufsatze  S.  A.  Morcelli's :  'Delle  tessere 
degli  spettacoli  romani'  (Milano  1827)  S.  47 — 52,  und  Graf  Borghesi 
in  der  Abhandlung  'Sopra  due  tessere  gladiatorie  consolari  scoperte 
ultimameute  in  Roma',  die  im  54.  Bde  des  'Giornale  arcadico  di  scienze, 
lettere,  ed  arti'  (Roma  1832)  S.  66 — 98  erschien  und  demnächst  im 
zweiten  Bande  der  durch  kaiserliche  Munificenz  bewirkten  Gesammt- 
ausgabe  der  Borghesischen  Werke  wieder  erscheinen  wird.  Auf  diese 
Materialien  sowohl  als  kritischen  Entscheidungen  gestützt  veranstaltete 
sodann  Cardinali  seine  zweite,  ansehnlich  vermehrte  Sammlung  in  den 
zu  Velletri  1835  herausgegebenen  'Diplomi  imperial^,  in  denen  sie  von 
S.  121  bis  124  einen  eigenen  Excurs  bildet,  welcher  57  ächte  und  27 
gefälschte  oder  der  Fälschung  verdächtige  Stücke  aufzählt.  Was  seitdem 
von  einzelnen  Entdeckungen  hinzukam ,  pflegte  regelmässig  in  den 
Schriften  des  archäologischen  Instituts  in  Rom  zur  öffentlichen  Kunde 
zu  gelangen  und  besprochen  zu  werden:  durch  Cavedoni  Bull.  1834 
S.  231  und  1835  S.  205;  Labus  ebend.  1835  S.  107;  Capranesi 
€bend.    S.  44;    Borghesi  ebend.   1842  S.  31  und  Annal.   1850  S.  358; 


295 

besonders  aber  durch  Henzen,  hauptsächlich  Ann.  1848  S.  287  (womit  sich 
die  Pubhcationen  von  Roulez  in  den  'Bulletins  de  l'acad.  des  sciences 
et  belles  lettres  de  Bruxelles'  1841  t.  VIII,  1  S.  98  decken),  sodann 
Ann.  1856  S.  45;  1859  S.  5,  desgleichen  Bull.  1860  S.  173  und  1862 
S.  81.  Nach  diesen  Vorarbeiten  hat  die  jüngste,  zugleich  vollständigste 
und  genaueste  Zusammenstellung  des  gesammten  Materials,  welche  Th. 
Mommsen  im  ersten  Bande  des  'Corpus  inscriptionum  Latinarum' 
S.  195  —  201  (nebst  den  Nachträgen  der  'Addenda'  S.  560)  gegeben,  die 
Gesammtzahl  der  für  acht  zu  haltenden  Tesserae  auf  62  festgestellt, 
während  zugleich  die  wohlthätige  Schärfe  seiner  negativen  Kritik  etwa 
30  als  'suspectae  et  falsae'  ausgeschieden  hat,  unter  ihnen  natürlich 
auch  die  lange  Reihe  völlig  abgeschmackter  Fictionen^,  die  schon  Bor- 
ghesi  mit  Einem  Wort  beseitigt  hatte.  Dass  diese  Kritik  in  mehrern 
Fällen  (obenan  bei  n.  757,  758)  sogar  noch  schärfer  hätte  durchschnei- 
den sollen,  wird  sich  später  ergeben. 

Die  werthvollste  Bereicherung,  die  das  vorher  bekannte  Material 
hier  erhalten  hat,  besteht  unstreitig  in  der  Auffindung  einer,  wenngleich 
nur  handschriftlich  überlieferten  Tessera  von  Arelate  (n.  776"^),  die  zu 
den  zwei  bis  dahin  allein  bekannten  municipalen  Tesseren  aus  der  Um- 
gegend von  Parma  und  von  Mutina  als  dritte  hinzugekommen  ist, 
während  alle  übrigen  ohne  Ausnahme  römische,  darum  auch  (so  weit 
wir  darüber  unterrichtet  sind)  in  oder  bei  Rom  gefunden  sind.  Offen- 
bar ist  sie  aber  zu  Mommsen's  Kenntniss  erst  gekommen ,  als  seine 
Bearbeitung  der  übrigen  Tesseren  schon  abgeschlossen  war;  sonst  hätte 
er  schwerlich  unterlassen  von  ihr  diejenige  Anwendung  zu  machen, 
durch  welche  die  ganze  alte  Streitfrage  über  die  eigentliche  Bedeutung 
und  Bestimmung  dieser  Tesseren  endgültig  entschieden  wird. 

Bekanntlich  war  man  in  dieser  Beziehung  seit  geraumer  Zeit,  laut 
oder  stillschweigend,  übereingekommen,  die  Abkürzung  SP  als  ^Pectatus 
zu  verstehen  und  auf  das  öffentliche  Auftreten  des  auf  der  Tessera 
genannten  Individuums  in  bestimmten  Gladiatorenspielen  zu  beziehen: 
eine  Auffassung,  die  zuerst,,  wie  es  scheint,  von  Fulvius  ürsinus  (bei 
Andr.  Schott  'Nodi  Cicer.'  II,  6)  aufgestellt,  nach  andern  von  Gasp.  AI. 
Oderici  in  den  'Dissertationes  et  adnot.  in  aliquot  ineditas  veteruin 
inscriptiones  et  numismata'  (Romae  1765)  S.  185  getheilt,  weiterhin  von 


2JH"; 

Amati  im  'Giornale  arcadico'  Bd.  32  (1826)  S.  105  empfohlen,  neuer- 
dings vornehmlich  durch  Labus  neubegründet  und  in  Umlauf  gesetzt 
ward,  zuerst  in  den  Zusätzen  zu  Morcelli  (1827),  sodann  zum  zweiten 
und  dritten  Mal  im  'Bullettino  dell'  Inst,  archeol.'  1835  S.  107  ff.  und 
in  der  Vorrede  zu  Visconti' s  'Monumenti  Gabini  della  villa  Pinciana' 
(Milano  1835)  S.  VI  ff.  Dazu  gab  in  jüngster  Zeit  seine  Zustimmung 
am  ausdrücklichsten  Furlanetto  in  'Antiche  lapidi  Patavine'  (Päd.  1847) 
S.  121  ff.  Dieser  Auffassung  ist  jetzt  Mommsen  entgegengetreten: 
nicht  als  wenn  er  sie  schlechthin  verwürfe,  aber  doch  insoweit,  dass 
er  sie  für  unbewiesen  erklärt  und  sehr  bestimmte  Bedenken  gegen  sie 
geltend  macht,  für  die  er  keine  genügende  Lösung  sieht :  daher  er,  auch 
den  Namen  'tesserae  gladiatoriae'  ganz  beseitigt  und  dafür  die  nichts 
präjudicirende  Bezeichnung  'tesserae  consulares'  eingeführt  hat.  Und 
seine  Gründe  scheinen  wenigstens  für  Henzen  ganz  überzeugend  gewesen 
zu  sein,  wie  man  aus  dessen  Aeusserungen  im  Bullett.  dell'  Inst.  1862 
S.  81  f.  um  so  deutlicher  erkennt,  je  vertrauensvoller  er  sich  früher  in 
seiner  gelehrten  'Explicatio  musivi  in  villa  Burghesiana  asservati'  (in 
'Dissertazioni  della  pontificia  accad.  Rom.  di  archeol.'  Bd.  12,  1852) 
S.  104  der  alten  Erklärung  angeschlossen  hatte.  Wenn  es  nun  unstreitig 
ein  Verdienst  ist^  Zweifel  zu  erheben  gegen  traditionelle  Meinungen 
denen  die  rechte  Begründung  fehlt,  so  wird  es  anderseits  nicht  für  un- 
verdienstlich gelten ,  solche  Zweifel  zu  heben  und  eine  herkömmliche 
Vorstellung  mit  neuen  Beweismitteln  in  ihr  Recht  einzusetzen:  wie  diess 
die  Absicht  der  folgenden  Blätter  ist. 

Um  diess  in  zugleich  einleuchtender  und  anschaulicher  Weise  thun 
zu  können,  habe  ich  erstens  eine  übersichtliche  Zusammenstellung 
aller  bisher  bekannt  gewordenen  Tesseren  für  zweckdienlich  gehalten, 
wie  sie  die  nachfolgende  Tabelle  gibt;  und  zweitens  die  möglichst 
vollständige  Facsimilirung  der  Originale  bewirken  zu  sollen  geglaubt, 
wie  sie  auf  den  drei  beigefügten  Tafeln  erscheint. 

In  die  Tabelle  sind,  aus  Nützlichkeitsgründen ,  ausser  den  ächten 
Stücken  sogleich  auch  diejenigen  aufgenommen,  welche  sich  nur  über- 
haupt, vermöge  einer  irgend  verständlichen  Jahresdatirung,  in  die  chro- 
nologische Reihenfolge  einordnen  Hessen ,  jedoch  so ,  dass  die  von 
erweislicher  Unächtheit  mit  f,  alle   irgendwie    zweifelhaften    oder   ange- 


297 


zweifelten  mit  *  bezeichnet  sind.  Wobei  ich  nicht  verhehlen  will,  dass 
mir,  nach  subjectiver  Empfindung,  die  Asterisken  so  ziemlich  alle  für 
Kreuze  gelten.  —  In  der  ersten  Columne  ist  zur  leichtern  Orientirung 
die  Mommsen'sche  Nuraerirung  in  Klammern  beigesetzt,  in  der  zweiten 
die  Nachweisung  der  facsimilirten  Nachbildungen  gegeben.  , 

Was  diese  Nachbildungen  betrifft,  so  enthalten  Tafel  I  und  II  bis- 
her noch  nicht  facsimilirte  Stücke;  auf  Tafel  III  habe^ich  mich  aus 
bewegenden  Gründen  nachträglich  entschlossen  auch  alle  diejenigen  zu 
wiederholen ,  welche  bereits  in  den  'Priscae  Latinitatis  monumenta 
epigraphica  auf  Taf.  III  und  Taf.  XCVII  (Enarr.  p.  91.  92)  gegeben 
waren,  für  die  ich  demnach  hier  eine  Vergleichungstabelle  folgen  lasse.  ^) 

Taf.  in  ^  =  Monum.     III  H 


B  = 

XCVII  H 

C  = 

XCVII  J 

D  - 

III   J 

E  = 

III  K 

F  = 

m  u 

G  = 

III  Jf 

H  - 

III  0 

J  - 

III  R 

Taf.  III  K  = 

Monum.     IE  P 

L  = 

III  W 

M  = 

III  N 

N  = 

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„    XCVII  L 

P  = 

ni  Q 

Q  = 

„    XCVII  K 

R  = 

„     XCVII  M 

S  = 

III   S 

Es  sind  jedoch  diese  sämmtlichen  Stücke  keineswegs  nach  den  früheren 
Lithographien  wiederholt,  sondern  durchgängig  nach  den  noch  in  meinen 
Händen  befindlichen  Original-Zeichnungen  oder  Abdrücken,  zu  einem 
ansehnlichen  Theile  auch  nach  neuerdings  erhaltenen  Mittheilungen  neu 
gezeichnet  worden.  Sehr  sorgfältige  Zeichnungen  sämmtlicher  im  'Cabinet 
des  medailles  et  antiques'  befindlichen  Stücke  verdanke  ich  der  ent- 
gegenkommenden Güte  des  Herrn  Ernest  Desjardins  in  Paris.  Wie 
bei  diesen,  so  bin  ich  auch  bei  den  römischen,  den  Florentiner  und  den 
Neapolitaner  Tesseren  durch  die  gefällige  Vermittelung  der  Herren 
Heinrich  Brunn  und  Wolfgang  Heibig,  August  Reifferscheid  und 


1)  Nur  n.  30  ^  Mon.  III  T  ist  wegen  besonderer  Rücksichten  schon  auf  Taf.  I  N  gesetzt 
worden:  so  wie  anderseits  die  eigentlich  auf  Taf.  II  gehörige  n.  4ü  aus  Noth  ans  Ende 
von  Taf.  III  kommen  musste,  weil  zu  deren  Abdruck  und  Zeichnung  erst  sehr  spät,  nach 
langen  und  hingebenden  Bemühungen  Dr.  Helbig's,  von  den  Hütern  des  Collegio  Romano 
die  Erlaubniss  zu  erlangen  war. 


2i>8 

Fra«z  Umpfenbach,  sowie  Giulio  Minervini,  in  den  Stand  gesetzt 
worden,  jetzt  die  genauen  Umrisse  der  K()pfe  hinzuzufügen,  mit  denen 
die  Originale  versehen  sind;  wenn  dieselben  in  früheren  Mittheilungen 
als  für  epigraphische  Zwecke  unwesentlich  meist  ganz  bei  Seite  gelassen 
waren,  so  gewannen  sie  doch  für  mich  im  Laufe  der  Untersuchung  eine 
gewisse  Bedeutung  unter  einem  Gesichtspunkte,  von  dem  zu  n.  33  die 
Rede  sein    wird. 

Zu  den  hier  zum  zweitenmal  erscheinenden  19  Facsimile's  sind 
nun  auf  Tafel  I  und  II  zunächst  23  neue  unter  A  bis  Z  hinzugekommen. 
Vermehren  sie  auch  das  urkundliche  Material,  das  bis  jetzt  zu  Gebote 
stand,  nur  um  zwei  früher  gar  nicht  bekannte  und  ein  erst  halb  be- 
kanntes Stück  (n.  (5.  31.23),  so  wird  doch  der  Werth  auch  der  übrigen 
für  Berichtigung  oder  Sicherung  bisheriger  Lesungen,  für  die  paläo- 
graphische  Würdigung,  sowie  für  verschiedene  andere  Punkte  aus  den 
nachfolgenden  Erörterungen  genugsam  hervorgehen.  Ihnen  reiht  sich 
sodann  auf  Taf.  II  unter  a  bis  g  noch  eine  kleine  Zahl  ausgemachter 
Fälschungen  an,  um  auch  von  diesen  ein  anschauliches  Bild  vor  Augen 
zu  stellen.  —  Der  beste  Theil  dieses  ganzen  Zuwachses,  nämlich  n.  1. 
4.  9.  10.  23.  27.  41.  52,  ausserdem  noch  72.  73.  74,  betrifft  Originale 
des  British  Museum  in  London,  von  denen  ich  vortrefiPliche  Kautschuk- 
Abdrucke,  durch  die  Vermittelung  meines  Freundes  Dr.  Walter  Perry, 
den  überaus  gütigen  Bemühungen  des  Herrn  William  Forsjth,  Queens 
Counsel,  und  der  preiswürdigen  Liberalität  der  Vorsteher  des  Museums 
verdanke.  Andere  Wohlthäter,  die  mich  durch  Mittheilung  einzelner 
Stücke  oder  belehrende  Auskunft  verpflichtet  haben ,  werden  bei  der 
Ein/elbesprechung  mit  geziemendem  Danke  zu  nennen  sein.  —  Als  Er- 
satz für  verschollene  oder  durchaus  unerreichbare  Originale  habe  ich 
die  Wiederholung  älterer  Stiche  aus  gedruckten  Werken  nicht  ver- 
schmäht; so  roh  sie  auch  grösstentheils  sind  und  so  augenscheinlich 
ungenügend  in  Absicht  auf  paläographische  Treue,  so  lässt  sich  doch 
immet-hin  Einiges  aus  ihnen  lernen  oder  schliessen.  Auf  solche  Quellen, 
die  sicli  zuerst  bei  Mommsen  vollständig  benutzt  finden ,  deuten  die 
unter  die  bezüglichen   Stücke  gesetzten  Namenschiffern,   nämlich: 


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299 

Sad.  —  Dialoghi    di   Don  Antonio  Agostini  intorno  alle   medaglie    in- 
scrittioni  et  altre    antichitä  tradotti    da  Dion.    Ott.    Sada.    Roma 
1592.  fol.  —  p.   71  [n.  5.  8.  34]. 
Pign,  =  Laur.  Pignorii   de  servis  commentarius.     Aug.  Vindel.    1613. 

4.  —  p.   162  [n.  71^]. 
Tom.  =  De   tesseris    hospitalitatis    liber    singularis    auctore    lac.    Phil. 
Tomasino.    Vtini  1647.  4.  —  p.   72    [n.  46.   76.  vgl.  zu  41].   — 
Die   Ausgabe    Amstelod.    1670.   12    wiederholt    p.    115    auch    die 
Stücke  des  Sada. 
Crua.  =  Musei  Capitolini  antiquae  inscriptiones  a  Franc.  Eug.  Guasco 
editae.     Romae   1775  sq.  fol.  —  t.  II  p.   67   [n.   70]. 
Anderer   Bücher,    in    denen    sich    noch    gestochene    Nachbildungen 
finden  und  deren  an  ihrem  Orte  Erwähnung  zu  thun    sein  wird    (s.  be- 
sonders zu   n.  41),    bedurfte  ich    für    diesen  Zweck   nicht,    da   mir    für 
die  daselbst  gegebenen  Stücke  die  Originale  zugänglich  waren. 


II. 

Die  nachstehenden  Bemerkungen  zu  einzelnen  Nummern  der 
mitgetheilten  Tabelle  beschränken  sich,  neben  der  Erläuterung  der  Fac- 
simile's,  lediglich  auf  Ergänzung  oder  Berichtigung  des  Mommsen'schen 
Textes,  dessen  litterarische  Nachweisungen,  die  ein  wesentliches  Verdienst 
seiner  Bearbeitung  bilden ,  überall  vorausgesetzt  werden.  Wenn  es 
einigemal  der  Zusammenhang  der  Erörterung  unvermeidlich  macht, 
die  Beziehung  unserer  Tesseren  auf  die  Gladiatur  als  schon  bewiesen 
vorauszusetzen,  so  wird  das  die  spätere  Darlegung  zu  rechtfertigen  haben. 


Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  II.  Abth. 


42 


300 

1  (717)  =  Taf.  I  A.  A.  W.  Zumpt  sah  diese  Tessera  des  Britisclien 
Museums  in  zwei  Stücken,  die  er  aber  für  Theile  verschiedener  Tesseren 
hielt  und  unvollständig  copirte.  Das  Facsimile  zeigt,  dass  und  wie  sie 
der  Länge  nach  in  zwei  Hälften  zerbrochen  war,  die  offenbar  jetzt 
wieder  zu  einem  Ganzen  zusammengefügt  sind.  Ganz  derselbe  Fall 
scheint  es,  nach  Ausweis  des  Abdrucks  und  des  Facsimile's,  mit  n.  10 
zu  sein :  während  wir  es  bei  n.  9  und  23  nur  mit  Rissen  der  Ober- 
fläche zu  thun  haben,  die  sich  bei  Knochen  oder  Elfenbein  so  leicht 
einstellen.  —  In  paläographischer  Beziehung  verdient  hervorgehoben  zu 
werden,  dass  sich  in  dieser  Klasse  von  Monumenten  der  Gebrauch  des 
quadratischen  (oder  fast  quadratischen)  P  in  einer  Anzahl  von  Fällen 
weit  über  die  Zeitgrenze  hinaus,  wo  es  sonst  allgemein  verschwindet, 
wie  traditionell  forterhalten  hat,  vermuthlich  mit  darum,  weil  es  be- 
quemer zu  schneiden  war  als  das  gerundete  P.  Wie  hier,  so  n.  4.  5: 
8.  9.  11,  23,  34,  und  mit  zum  Theil  auffallendem  Wechsel  beider  For- 
men n.  6.  10.  17,  21:  also  noch  im  8ten  Jahrhundert,  Auch  die  eigen- 
thümliche  Figur  des  jsj ,  in  der  die  zweite  Verticallinie  beträchtlich 
höher  reicht  als  die  linke,  ist  bemerkenswerth ;  sie  kehrt  wieder  n.  4, 
wo  sie  Zumpt  miss verständlich  für  eine  Ligatur  von  NX  (wie  in  n.  13) 
nahm,  desgleichen  n,  2,  9.  11,  15.  23,  —  Der  Sklaveuname  COCERO 
übrigens,  der  jeder  Ableitung  aus  dem  Griechischen  oder  Lateinischen 
spottet,  wird  eben  darum  ausländischen  Ursprungs  sein,  obwohl  er  nicht 
eben  barbarisch  klingt.  Einen  bestimmtem  Anhaltpunkt  findet  mein 
sprachenkundiger  College  Gildemeister  in  keiner  bekannten  Sprache; 
am  unwahrscheinlichsten  wäre  nach  ihm  eine  Herkunft  aus  dem  Semi- 
tischen, also  auch  Punischen,  woran  jemand  dachte. 

t  3  (p,  560'')  =  Taf,  III  B.  Diese  Tessera  des  'Cabinet  des  medailles 
et  antiques'  zu  Paris  wurde  Enarr,  S,  90  als  unächt  bezeichnet  in  Be- 
tracht ihres  Materials,  weil  sie  allein  unter  allen  übrigen  nicht  von 
Knochen  oder  Elfenbein,  sondern  von  Metall  sei;  doch  wurde  daneben 
der  Möglichkeit  Raum  gelassen,  dass  es  die  moderne  Copie  eines  alten 
Stücks  sein  könne.  Denn  dass  überhaupt  solche  Copien,  wenn  auch 
zunächst  ebenfalls  in  Knochen  oder  Elfenbein ,  von  ächten  Originalen 
mehrfach  gemacht  worden  sind,  ist  eine  Thatsache,  die  durch  n.  15, 
18  und  34  (vgl,  zu  n,  41)  bewiesen  wird.    Jene  Möglichkeit  aber  kann 


301 

ein  nicht  unbedeutendes  Gewicht  dadurch  zu  gewinnen  scheinen,  dass 
sich  in  einer  andern  Pariser  Sammlung,  im  Kabinet  des  Herrn  Brunet 
de  Presle,  zwei  gleichfalls  metallene  Tesseren  vorfinden,  deren  eine 
mit  dieser  des  HERMETVS  identisch  und  nur  ein  zweites  Exemplar  ^) 
ist,  die  andere  aber,  unter  n.  6  hier  zum  erstenmal  publicirt,  in  ihrer 
ganzen  Fassung  und  unter  jedem  sonstigen  Gesichtspunkte  so  durchaus 
normal  erscheint,  dass  gegen  die  innere  Aechtheit  kein  noch  so  leises 
Bedenken  aufgebracht  werden  kann.  Ich  vejrdanke  ihre  Kenntniss,  nebst 
sorgfältigen  Papierabdrücken,  der  zuvorkommenden  Güte  des  Herrn 
Emil  Egger,  dessen  brieflichem  Berichte  ich  das  Folgende  entnehme. 
Erworben  habe  sie  der  jetzige  Besitzer  aus  dem  Nachlass  'Oberlins':  je- 
doch nicht  etwa  des  alten  Strassburger  Professors  J.  J.  Oberlin,  der 
1806  starb,  sondern  eines  Enkels  von  ihm,  der  um  1831  oder  1832  in 
Paris  starb. '^)  Und  zwar  zugleich  mit  einer  ebenfalls  bronzenen  Copie 
eines  'römischen  Fusses',  der  doch  schwerlich  das  Produkt  eines  frei- 
schaffenden Fälschers  war.  Auf  angefügten  Etiketten  aber  werden  sie 
als  'Copien  von  Originalen'  bezeichnet,  welche  letztere  sich  im  Besitz 
des  Abbe  de  Tersan  befanden.  Dieser  bekannte  Antiquar,  Liebhaber 
und  Sammler  von  Kunstgegenständen  und  Alterthümern,  Charles  Philippe 
Campion  de  Tersan,  hinterliess  bei  seinem  Tode  1819  eine  reiche  Samm- 
lung, die  in  demselben  Jahre  zur  öffentlichen  Versteigerung  kam  auf 
Grund  eines  gedruckten  'Catalogue  des  objets  d'antiquites  et  de  curiosites 


1)  Doubletten  im  strengsten  Sinne  sind  es  nur  insofern  nicht,  als  die  Schrift  doch  kleine 
Verschiedenheiten  zeigt,  tlieils  in  der  Gestalt  der  Buchstaben ,  theils  in  der  Interpunktion, 
die  im  Brunet'schen  Exemplar  hinzutritt  zwischen  D  und  IVNIVS,  nach  SPECT,  zwischen 
Q  und  CAT,  vielleicht  auch  zwischen  LEPID  und  Q  (denn  der  mir  vorliegende  Papier- 
abdruck ist  hier  nicht  scharf  genug).  An  Abgüsse  aus  zwei  verschiedenen  P'ormen  braucht 
man  darum  doch  nicht  zu  denken,  da  ja  die  Schrift  auf  die  glatt  gegossenen  Stücke  kann 
hinterher  aus  freier  Hand  eingravirt  sein.  Auch  das  Brunet'sche  Exemplar  nach  dem  Papier- 
abdruck nochmals  besonders  zu  facsimiliren  schien  mir  nicht  der  Mühe  werth. 

2)  Da  dieser,  wie  mir  hinzugefügt  wird,  bei  seinem  Tode  erst  zwanzig  Jahre  alt  war,  so  wird 
es  sein  um  1829  als  Vierzigjähriger  gestorbener  Vater  sein,  der  die  Copien  der  Tersan'schen 
Stücke  erwarb.  Beide,  sowohl  der  Sohn  als  der  Enkel  des  alten  Oberlin  waren  'employea 
au  cabinet  des  medailles'.  —  Es  läge  nahe  anzunehmen,  dass  es  geradezu  die  (möglicher 
Weise  nur  bronzenen)  Tersan'schen  Stücke  selbst  waren,  welche  der  mittlere  Oberlin  bei 
der  Versteigerung  1819  an  sich  gebracht  hätte,  wenn  es  nicht  eben  in  Herrn  Egger's 
Bericht  ausdrücklich  hiesse:  j'ai  sous  les  yeux  les  copies  en  bronze  de  deux  tesseres  dont 
l'original,    suivant    une   note    attachee    ä   chacun   de    ces   petits   bronzes,    appartenait    ä 

'  l'abbe  de  Tersan.' 

42* 


302 

laissees  par  — ':  s.  den  Artikel  der  Biographie  universelle  anc.  et  mod. 
Bd.  45  S.  195.  In  diesem  Katalog  finden  sich  nun  zwar  die  beiden 
Tesseren  nicht  speciell  verzeichnet;  darauf  ist  indessen  ein  Gewicht 
darum  nicht  zu  legen,  weil  es  überhaupt  nur  ein  sehr  summarisch  ge- 
machtes Verzeichniss  ist,  worin  häufig  unter  einer  Nummer  eine  Anzahl 
verschiedener,  nicht  namentlich  aufgeführter  Gegenstände  mit  etc.  zu- 
sammengefasst  sind  und  so  namentlich  auch  unter  n.  219  der  'pied 
romain'  mit  einem  solchen  nachfolgenden  etc.  steht.  Schade  nur,  dass 
wir  eben  darum  auch  nicht  erfahren,  ob  die  beiden  Tersan'schen  Stücke, 
als  deren  Copien  die  Oberlin'schen  bezeichnet  werden,  von  Elfenbein 
oder  etwa  selbst  nur  von  Bronze  waren,  ^)  d.  h.  Copien  der,  wir  wissen 
nicht  wo  zu  suchenden  wirklichen  Originale.  Sei  dem  aber  wie  ihm 
wolle:  da  wir  auch  Elfenbein-Tesseren  genug  haben,  die  ganz  und  gar 
fingirt  sind,  so  sind  wir  in  keinem  Falle  behindert,  auch  unsere  Stücke 
lediglich  nach  Innern  Kriterien  der  Aechtheit  oder  Unächtheit  zu  wür- 
digen. —  Da  tritt  uns  denn,  was  die  Hermetus-Tessera  betrifft,  zunächst 
die  Abkürzung  SPECT  statt  des  normalen  SP  entgegen,  die  für  Mommsen 
durchgängig  als  kaum  trügliches  Zeichen  der  Fälschung  gegolten  hat. 
An  sich  ist  nun  allerdings  nicht  zu  leugnen,  dass  wenn  SP  wirklich 
^^ectatus  bedeutete,  dieses  Wort  auch  ein  und  das  andere  Mal  anders 
als  gewöhnlich  abgekürzt  werden  konnte ,  da  ja  bekanntlich  in  diesem 
Punkte  die  Römer  im  Allgemeinen  äusserst  lässlich  waren.  Und 
dieses  um  so  mehr,  als  in  der  That  in  einem  Beispiel  die  ebenfalls 
abweichende  Abkürzung  SPE  (in  n.  26)  nicht  zu  bezweifeln  ist ;  vollends 
aber  seitdem  durch  die  merkwürdige  Tessera  von  Arles  (n.  12)  auch 
ein  SPECTAT  zum  Vorschein  gekommen  ist.  Aber  dennoch:  jener  all- 
gemeinen Lässlichkeit  hält  doch  auch  wieder,  gerade  bei  den  Römern, 
eine  merkwürdige  Zähigkeit  das  Gegenwicht,  mit  der  sich  in  einem  be- 
sondern Kreise  der  Kunstübung  ein  Traditionelles  und  Individuelles  so 
unverändert  fortpflanzt,  als  wenn  es  unter  einem  besondern  schützenden 


1)  In  diesem  Falle  könnte  sehr  wohl  das  jetzt  im  Cabinet  des  medailles  befindliche  Exemplar 
der  Hermetus-Tessera  eben  das  Tersan'sche  sein,  während  die  Pilodamus-Tessera  beim  Ver- 
kauf der  Tersan'schen  Sammlung  nicht  gleichzeitig  miterworben  worden  wäre.  Voraus- 
gesetzt nämlich,  dass  die  erstere  nicht  etwa  schon  vor  1819  im  Besitz  des  Cabinet  des 
medailles  war,  in  welchem  Falle  wir  die  Existenz  drei  verschiedener  Exemplare  anzuer- 
kennen hätten. 


3oa 

Banne  stände.  Kannten  wir  ein  einziges  Stück  mit  SPECT,  welches 
übrigens  keinerlei  Verdaclitsgrund  darböte,  so  würden,  ja  müssten  wir 
uns  beruhigen;  aber  dass  im  Gegentheil  von  den  einzigen  drei  Nummern, 
welche  ausser  der  unsrigen  jene  Abkürzung  noch  haben,  die  eine  (38) 
entschieden  falsch  ist,  die  beiden  andern  (5,  32)  anderweitige  Unregel- 
mässigkeiten aufzeigen,  die  bei  keinem  einzigen  der  unzweifelhaft  ächten 
Stücke  wiederkehren,  das  ist  ein  zu  verftingiiches  Zusammentreffen,  als 
dass  man  sich  bedeutender  Skrupel  erwehren  könnte  und  nicht  vielmehr 
der  Vermuthung  Raum  geben  sollte,  SPECT  stamme  erst  aus  der  Zeit, 
in  der  die  Antiquare  in  dem  Begriff  spectatus  (oder  auch,  wenngleich 
thörichter  Weise,  spectavit)  die  Auflösung  der  Sigle  SP  gefunden  hatten.  — 
Für  unsere  Tessera  bedürfen  wir  übrigens  solcher  Wahrscheinlichkeits- 
berechnungen gar  nicht,  um  ihre  ünächtheit  einzusehen.  Zwar  das 
Bedenken,  welches  die  Namensform  Hermetus  hervorruft^  werden  wir 
darangeben  müssen.  Es  ist  wahr,  sie  fügt  sich  keiner  sprachlichen 
Analogie  und  weist  jede  normale  Ableitung  von  sich ;  aber  wie  wir 
uns  bei  römischen  Cognomina,  namentlich  von  Sklaven,  schon  an  man- 
ches haben  gewöhnen  müssen,  dessen  ratio  räthselhaft  bleibt,  so  wird 
in  der  That  auch  Hermetus  durch  einen  P  •  STATIVS  •  HERMETVS  bei 
Orelli  n.4453  sicher  gestellt,  wozu  noch  bestätigend  VIREIO-  HERMETIONE 
ebend.  2325  kömmt:  zwei  Belege,  auf  die  mich  K.  Keil's  freundliche 
Mittheilung  aufmerksam  gemacht  hat.  —  Aber,  was  die  Hauptsache  ist, 
der  ganze  D.  lunius  Hermetus  ist  unzulässig.  Es  könnte  natürlich  nur 
ein  Freigelassener  sein.  Dass  kein  L  (ibertus)  nachfolgt,  hätte  zwar  nichts 
zu  sagen;  denn  auch  das  '^[ervus)  ist  nur  dreimal  (n.  12.  26.  35)  hin- 
zugefügt, sonst  regelmässig  weggelassen.^)  Aber  dass  ein  Nichtsklav  — 
gleichviel  ob  ingenuus  oder  libertus  —  als  Gladiator  aufgetreten,  wäre 
für  jene  Epoche  der  Republik  etwas  schlechthin  Unerhörtes.  Dass  es 
in  den  Kaiserzeiten  nicht  nur  vorkam,  sondern  sogar  gewöhnlich  wurde, 

1)  Labus'  Gedanke,  dieses  S  für  SecMtor  zn  nehmen  (Bull.  1835  S.  107),  ist  entschieden  unzu- 
lässig. Ist  auch  die  Möglichkeit  der  Sigle  zuzugeben  nach  den  Beispielen  bei  Kellermann 
Vigil.  S.  22,  wozu  ein  S  kömmt  aus  I.  R.  N.  2847,  so  waren  ja  doch  die  secutores  nur  eine 
Species  des  genus  gladiatorium ;  wie  sollte  es  also  zugehen,  dass  auf  einer  so  grossen  An- 
zahl von  Tesseren  gerade  nur  diese  eine  Species,  niemals  z.  B.  retiarii  oder  mirmillones 
oder  Tlircces  u.  s.  w.  erwähnt  würden?  Und  wie  soll  man  dann  vollends  die  Ueberzahl  der- 
jenigen fassen,  die  gar  keinen  Zusatz  zum  Genitiv  haben? 


304 

wissen  wir  durch  zahlreiche  Zeugnisse,  die  nach  Lipsius  Saturnal.  II,  3 
am  vollständigsten  von  C.  Friedländer  im  Rhein.  Mus.  10,  S.  552  ff. 
zusammengestellt  sind.  In  unsern  Tesseren  findet  sich  das  älteste  Bei- 
spiel im  J.  740  (n.  37);  ausserdem  nur  noch  vier  andere  (n.  40.  42. 
49.  63)  aus  den  Jahren  747.  752.  760  und  der  Regierung  des  Claudius. 
Allerdings  wird  uns  von  Sueton  Caes.  39  und  Dio  43,  23  berichtet, 
dass  schon  bei  C.  Julius  Cäsars  vierfachen  Triumphzügen  (708)  römische 
Ritter,  nach  Sueton  selbst  ein  gewesener  Senator,  als  Gladiatoren  auf- 
traten ;  aber  abgesehen  von  der  ganzen  Ausnahmestellung  dieses  Anlasses 
machen  auch  die  drei  Jahrzehnte  seit  dem  Tode  des  Sulla  in  der  römi- 
schen Sittengeschichte  einen  gewaltigen  Unterschied.  Noch  weniger 
beweist  der  brutale  Zwang ,  den  einem  römischen  Bürger  Fadius  der 
Quästor  Baibus  anthat  nach  dem  Bericht  des  Asinius  Pollio  (vom  J.  711) 
in  Cicero's  Briefen  ad  fam.  10,  32.  Ganz  ungehörig  aber  ist  es,  wenn 
Labus  (zu  Morc.  S.  50)  hier  die  Spiele  einmischt,  die  Scipio  im  J.  548 
in  Spanien  gab,  bei  denen  nach  Livius  28,  21  freie  Eingeborne  frei- 
willig auftraten.  —  Schliesslich  ist  es  der  Beachtung  nicht  unwerth, 
dass  auch  in  der  äussern  Form  unsere  Tessera  von  allen  übrigen  da- 
durch abweicht,  dass  sie  als  Griff  nicht  den  gewöhnlichen  Knopf,  son- 
dern einen  durchbohrten  Ring  hat,  zugleich  aber  als  Abschluss  des 
andern  Endes  nicht  den  gewöhnlichen,  nur  durch  eine  Abtheilungslinie 
bezeichneten  Streifen,  sondern  einen  fast  in  Knopfform  gestalteten  An- 
satz, was  ähnlich  nur  bei  dem  allerjüngsten  Stück  n.  67,  zur  Carricatur 
gesteigert  bei  den  Fälschungen  n.  70.  76  wiederkehrt.  Ein  entschei- 
dendes Gewicht  ist  diesen  Aeusserlichkeiten  im  gegebenen  Falle  nur 
darum  nicht  beizulegen,  weil,  auch  bei  sonst  treuer  Nachbildung  eines 
ächten  Stücks,  doch  die  Verzierungen  leicht  konnten  als  unwesentlich 
betrachtet  und  mit  Freiheit  behandelt  werden.  Wie  es  sich  in  dieser 
Beziehung  mit  dem  Brunet'schen  Exemplar  verhält,  ist  leider  aus  dem 
Papierabdruck  nicht  zu  ersehen. 

*5  (p.  200*)  =  Taf.  I  C.  Wenn  eine  unter  den  von  Mommsen 
verurtheilten  Tesseren  bis  zu  einem  gewissen  Grade  eine  Vertheidigung 
zulässt,  so  ist  es  diese.  Gewiss  ist,  dass  die  meisten  von  ihm  vorge- 
brachten Einwürfe,  für  sich  genommen,  keine  ausreichende  Beweiskraft 
haben.     Dass  die  drei  nexus  litterarum  PH,  AM  und  TE   'contra   usum 


305 


huius  aetatis  admissi'  seien,  ist  jedenfalls  zu  viel  gesagt,  da  dergleichen 
schon  um  die  Mitte  des  7.  Jahrhunderts,  namentlich  in  den  Campanischen 
Inschriften,  in  ziemlicher  Anzahl  auftreten:  vgl.  P,  L.  M.  enarr.  S.  55, 
Aber  auch  in  dem  engern  Kreise  dieser  Tesseren  selbst  haben  sie  nichts 
Bedenkliches,  da  nicht  nur  10  Jahre  später,  in  der  municipalen  Tessera 
n.  12,  vier  solche  Ligaturen  (AN  zweimal,  VL,  und  eine  später  zu  be- 
sprechende) auf  einmal  vorkommen,  sondern  auch  schon  7  Jahre  vorher 
in  der  römischen  n.  2  ebenfalls  zwei  (MA  und  ET),  Weiter:  sowohl 
der  Sklavenname  PHILODAMms  als  der  des  Herrn  DOSSEm  sind  freilich 
nicht  ausgeschrieben,  während  die  volle  Form  das  Gewöhnliche  ist.  In- 
dessen finden  wir  doch  auch  n.  12  ANCHIAL,  n.  28  PHILOGEN,  n.  35 
MVMMEIAN:  um  von  METEL  in  n,  32  zu  schweigen.  Wollte  ferner 
jemand  Anstoss  nehmen  an  dem  aspirirten  PH,  so  wäre  zu  erwidern, 
dass  die  Nichtaspiration  auf  diesen  Tesseren  sich  zwar  noch  bis  zum 
J.  707  fortsetzt  (PILODAMVS  n.  6.  9.  22,  PILOTIMVS  n.  7,  PILARGVRVS 
n.  8,  AESCINVS  n.  11,  ANTIOCVS  n.  13.  23,  TEOPROPVs  n.  21),  dass 
aber  doch,  ganz  in  Uebereinstimmung  mit  dem  längst  anderweitig  Er- 
mittelten, in  demselben  Zeitraum  daneben  auch  schon  ANCHIALms  n,  12, 
PHILARGVRVs  n.  17,  ELEVTHERVS  n.  18,  PHILEMO  n,  24,  PAM- 
PHILVS  n,  26  u.  s.  w.  auftritt.  So  bleiben  uns  nur  zwei  wirkliche 
Verdachtsgründe  übrig,  deren  jeder  für  sich  allein  sehr  bedingte  Ent- 
scheidungskraft hätte ,  die  aber  in  ihrer  Gemeinschaft ,  wie  schon  zu 
n.  3  hervorgehoben  wurde,  allerdings  stutzig  machen  müssen.  Der  eine 
beruht  auf  der  dort  bereits  besprochenen  Abkürzung  SPECT ;  der  andere 
auf  der  ungewöhnlichen  Reihenfolge  sowohl  als  Vertheilung  der  Zeilen, 
welche  diese  ist: 


PHILODAM  • 

DOSSE 

A 

•D-X-K 

•NOV 

SPECT 

M- 

TEREN • 

C-CAS 

statt  dass  die  Regel  erforderte :  PElLOBAMus  |  DOSSEm  |  SP  •  A  •  D  • 
X  •  K  •  NOV  I  M  •  TEREN  •  C  •  CAS.  Zwar  dass  hier  Sklaven-  und  Herren- 
name in  eine  Zeile  zusammengedrängt  sind,    statt  auf  zwei  vertheilt  zu 


300 


sein,  das  lässt  sich,  obgleich  es  sonst  nur  auf  fünf  gefälschten  oder 
verdächtigen  (n.  32.  38.  56.  70.  71)  wiederkehrt,  doch  theils  durch 
n.  12  (s.  u.)  theils  durch  die  noch  viel  auffiillendere,  sogar  mit  Wort- 
brechung   verbundene  Abtheilung   der  ächten    n.  35    (von  Mutina)    ver- 


theidigen : 


LEPIDVS  •  MVMME 


lAN 


S  •  SP 


M  •    I  V  N 


C  •  8  E  N  T  I( )  •  C  0  S 


während  doch  hier  die  regelmässige  Anordnung  LEPIDVS  MVMMEIAN 
•  S  I  SP  •  M  •  IVN  I  C  •  SENTIO  •  COS  eben  so  bequem  wie  natürlich  war. 
Waren  aber  einmal  die  beiden  Namen  in  derselben  Zeile  vereinigt,  so 
war  es  nur  eine  Eolge  davon,  dass,  ebenso  ungewöhnlicher  Weise,  das 
SPECT  eine  Zeile  für  sich  einnahm.  Hingegen  was  das  Befremdliche 
bleibt,  ist  dieses,  dass  die  Formel  SP(ec^)  nicht,  wie  es  sonst  feste  Regel 
und  zugleich  das  Natürliche  ist,  vor  dem  Monatsdatum  und  den  Jahres- 
consuln  steht,  sondern  zwischen  beide  eingeschoben  ist.  Auch  hier  liegt 
es  ja  nahe  genug  zu  sagen,  dass  doch  gar  leicht,  sei  es  aus  Gleichgül- 
tigkeit oder  aus  Versehen,  einmal  variirt  werden  konnte,  da  in  der 
That  etwas  Wesentliches  auf  die  Reihenfolge  der  Angaben  nicht  ankam. 
Aber  nicht  so  leicht  ist  zu  sagen,  wie  dann  doch  der  wunderbare  Zufall 
zu  erklären  sei,  dass  in  Betreff  der  Stellung  dieses  SP  eine  Abweichung 
von  der  Regel  auch  nicht  ein  einzigesmal  auf  einer  der  etwa  60  unbe- 
stritten ächten,  weil  in  allem  Uebrigen  vollkommen  normalen,  Tesse- 
ren  vorkömmt,  sondern  nur  bei  solchen,  die  entweder  durch  ihre 
Fassung  noch  ein  anderweitiges  Bedenken  hervorrufen,  wie  n.  32,  oder 
sogar  sicher  gefälscht  sind,  wie  n.  38.  Eine  Möglichkeit,  freilich  eine 
allzuvage,  bliebe  nur  die,  dass  das  verschollene  Original  die  richtige 
Folge  der  Zeilen  gehabt  hätte:  SPECT  |  A-D'X-K-NOV,  und  diese 
nur  in  der  Publikation  verwechselt  wären.  Denn  dass  dergleichen,  und 
nicht  blos  in  Drucktexten,  sondern  selbst  in  Stichen,  mehr  als  einmal 
wirklich  geschehen,    beweisen    nicht   nur   n.  41  und  71    (Tomasini   war 


307 


ein  sehr  nachlässiger  Mann),  sondern  selbst  das  Beispiel  von  Caylus  in 
n.  56,  ja  was  mehr  ist,  das  von  Marini  in  n.  38.  —  Um  das  Resultat 
von  allen  diesen  Ueberlegungen  zu  ziehen,  so  lässt  sich  zwar  die  Un- 
ächtheit  unserer  Tessera  nicht  strict  beweisen,  aber  eben  so  wenig,  wo 
nicht  noch  weniger,  ihre  Aechtheit  zu  einer  einigermassen  befestigten 
Ueberzeugung  bringen.  Und  diess  trotz  zweier  Kriterien,  die  an  sich 
der  Aechtheit  günstig  sind.  Sie  bestehen  in  der  Hinzufügung  des  A  *  D  • 
zum  Mouatsdatum  und  in  der  Weglassung  des  COS  nach  den  Consuln- 
namen :  wovon  das  erstere  nach  Mommsen's  richtiger  Beobachtung  in 
den  Zeiten  der  Republik  regelmässig  ist  und  nun  zuerst  mit  n,  31  im 
J.  728  aufhört;  das  letztere  aber,  mit  alleiniger  Ausnahme  der  Munici- 
paltesseren  (n.  12.  20),  denselben  Zeiten  der  Republik  fremd  ist  und 
erst  im  Kaiserreiche  (n.  30  ff.),  wenngleich  niemals  regelmässig,  eintritt. 

6    (— )  =  Taf.  I  1): 


PILODAMVS 

I  VNI 

SP  A  D  VI  ID  lA 

P  LEN  CN  ORE 

Ueber  diese  der  Pariser  Privatsammlung  des  Herrn  Brunet  de  Presle 
angehörige  Bronze-Tessera,  die  aber  trotz  des  Materials  nicht  dem  min- 
desten Verdachte  Raum  gibt  und  darum  ohne  Zweifel  auf  ein  verlorenes 
Original  von  Elfenbein  zurückzuführen  ist,  ist  alles  Nöthige  bereits  zu 
n.  3  beigebracht.  Auf  sie  findet  in  seiner  zweiten  Hälfte  dasjenige 
Anwendung,  was  ich  Enarr.  S.  90  in  Bezug  auf  n.  3  sagte:  'Quamquam 
fieri  potest  ut  vetus  archetypum  osseum  sive  falsarius  sive  ludibundus 
faber  aere  imitatus  sit.'  —  Das  gänzliche  Fehlen  der  Interpunktion 
kehrt  ebenso  in  den  keinerlei  Verdachte  ausgesetzten  n.  10.  (34.)  und 
67  wieder. 

8  (721)  --=  Taf.  I  K  Die  durch  Sada's  Stich  bezeugte  Buch- 
stabenform P  wird  auch  durch  Scaliger's  Abschrift  in  dem  von  Mommsen 
im  Nachtrag  S.  201  (ganz  am  Ende)  erwähnten  Cod.  Leid.  Seal.  32 
fol.  3  r.  bestätigt,  nur  dass  sie  hier  in  der  ersten  Zeile  als  f]   erscheint. 


Abb.  d.  I.Cl.  d.  k.Ak.  d.  Wiss.  X.Bd.  II.Abth. 


43 


308 

Dass  iu  der  letzten  Zeile  GN,  wie  Sada's  Stich  gibt,  statt  CN  wirklich 
gestanden  habe ,  ist  zwar  nicht  zu  verbürgen ,  auch  nicht  besonders 
wahrscheinlich,  aber  sehr  wohl  möglich.  Sowohl  für  GN  =  CN  als  für 
G  —  C  fehlt  es  gar  nicht  an  Beispielen,  die  als  individuelle  Versuche, 
vielleicht  auch  Ausflüsse  einer  bewussten  Theorie  anzusehen  sind,  die 
aus  einer  altern  Periode  überkommene  Schrift  der  wirklichen  Aussprache 
tfnzupassen.  Mommsen  hat  solche  Spuren  verwischt,  wenn  er  I.  L.  A. 
n.  571.  632,  gegen  den  offenbaren  Augenschein  in  P.  L.  M.  t.  65,  10  und 
56,  E,  in  G  •  BLOSSI  und  G  •  SEXTIVS  •  G  •  F  dreimal  ein  C  substituirte.i) 

9.  10  (722.  723)  =  Taf.  I  F  G.  Diese  beiden  Tesseren  mit 
der  dritten  n.  40,  welche  von  Mommsen  als  'in  museo  Hertziano'  zu 
Liverpool  befindlich  bezeichnet  werden,  gehören  gegenwärtig  dem  Briti- 
schen Museum  an,  wo  nur  die  dritte,  darum  auch  hier  nicht  mit  fac- 
similirte,  augenblicklich  nicht  aufzufinden  war.  Die  ganze  Hertz'sche 
Saimnlung  wurde  nämlich,  wie  mir  Dr.  Wilhelm  Ihne  in  Liverpool 
(seit  Kurzem  in  Heidelberg  wieder  der  Unsrige)  berichtet,  von  Herrn 
Joseph  Majer,  einem  Liverpooler  Silberschmied  und  Kunstsammler ,  in 
London  angekauft,  bald  nachher  aber  wieder  verkauft,  bei  welcher 
Gelegenheit  'die  drei  tesserae  gladiatoriae  vom  Britischen  Museum  er- 
worben wurden.'  Dass  diess  seit  1857  geschah,  geht  aus  dem  namen- 
reichen Titel  des  gedruckten  Katalogs  hervor:  'Catalogue  of  the  Collec- 
tion  of  Assyrian,  Babylonian,  Greek,  Etruscan,  Roman,  Indian,  Peruvian, 
and  Mexican  Antiquities,  foi-med  by  B.  Hertz.  Now  in  the  possession 
of  Jos.  Mayer.  Liverpool  1857.'  4*^,  —  Dass  in  n.  9  die  Figur  P  durch- 
gehend ist,  zeigt  das  Facsimile  gegen  Borghesi  (Giorn.  arcad.  54  S.  70), 
der  sie  gar  nicht,  und  den  Katalog,  der  sie  nur  einmal  wiedergibt.  — 
Wofern  wir  auf  beiden  Stücken  ein  und  dasselbe  Consulat  des  Cn.  Pom- 
peius  und  M.  Crassus  hätten,  und  nicht  etwa  das  eine  aus  684,  das 
andere  aus  699  ist,  ergäbe  sich  hier  auch  das  einzige  Beispiel  zweier 
zufällig  aus  demselben  Festspiel  (K  •  QVINCT)  stammenden  Tesseren. 

11  (724:  vgl.  Add.  S.  560)  -^  Taf.  Hl  C.  Das  Pariser  Original 
hat  wirklich  K  •  A  P,    wie  in  n.    8.    17,    nicht  K-A,    wie   Henzen    Bull. 


1)  Viel  irrationeller  muss  das  Umgekehrte  erscheinen,  dass  der  althergebrachten  Sigle  CN  zu 
Liebe  auch  der  ausgeschriebene  Name  ein  C  annulim,  wie  das  geschehen  ist  in  dem  CNEVS 
(noch  dazu  mit  E  für  AE)  auf  der  Münze  von  Paestum  P.  L.  M.    enarr.  p.  13  n.  66  (Z. 


309 


1860  S.  174  nach  Hübner's  Mittheilung  drucken  Hess.  Ich  finde  diesen 
Monat  überhaupt  niemals  blos  mit  A  abgekürzt  (wie  doch  sonst  ein- 
zeln F,  M,  S,  0,  N,  D  vorkommen)^  auch  nicht  in  der  Zeit,  in  der  noch 
keine  Verwechselung  mit  AVG  möglich  war. 

12  (776")  =  Taf.  II  Z.  Dass  ich  diese  von  Mommsen  in  einem 
Manuscript  des  'Lanthelmus  Romieu  Arelatensis'  in  der  Lejdener  Bi- 
bliothek, Cod.  Voss.  Germ.  Gall.  Q,  1,  fol.  88  ^)  entdeckte  Tessera  nach 
einer  gefälligen  Durchzeichnung  des  Herrn  Paul  Marquard  habe  können 
facsimiliren  lassen,  gewährt  den  kleinen,  aber  immerhin  nicht  zu  verach- 
tenden Gewinn,  vier  Ligaturen  statt  der  drei  bei  Mommsen,  und  ausser- 
dem die  Abtheilungsstriche  aufzuzeigen ,  durch  welche  augenscheinlich 
die  Zeilenenden  bezeichnet  sind.  Hiernach  ist  das  Original  zweifellos 
in  dieser  Gestalt  zu  reconstruiren,  wie  man  es  freilich  auch  ohne  jenen 
Anhaltspunkt  gethan  haben  würde :  -) 


ANCHIAL  •  SIRTI  •  L  •  S 


SPECTAT  •  NVV\ 


MENSE • FEBR 


M  •  TVL  •  C  •  ANT  •  COS 


nur  dass  ich  die  Ligatur  der  zweiten  Zeile  vorläufig  noch  auf  sich 
beruhen  lasse.  Romieu  hat  nur  zufällig  bei  der  dritten  Zeile  zu  lesen 
angefangen.  —  Dass  bloss  der  Monat,  nicht  wie  in  den  römischen 
Tesseren  allen,  auch  der  Tag  bezeichnet  ist,  hat  Mommsen  als  gemein- 
same Eigenthümlichkeit  der  drei  municipalen  Tesseren  (n.  20.  35),  dem- 


I 


1)  Der  Wortlaut  der  Stelle  ist  mir  buchstäblich  so  copirt  worden:  Ores  ie  comence,  icy  ä 
fere  mention  des  Epitaphes  d'Arles  (i'entende  des  anciens  Romains)  Et  en  premier 
lieu  ie  veus  reciter  l'escrit  memorable,  qui  se  list  clairement  en  vne  piece  d'yuoire  ou 
plustot  de  corne  de  cerf  que  i'ay,  qui  a  este  nouuellement  trouuee  icy  a  la  poincte,  au 
bord  du  Rosne,  laquelle  est  si  minue,  et  estroicte,  qu'elle  n'est  jDas  plus  longue,  ne  plus 
large,  que  la  moytie  du  petit  doigt  de  ma  main,  estant  percee  ä  l'un  des  bouts:  ou  est  faite 
mention  de  Ciceron,  et  de  Caius  Antonius,  du  temps  quils  furent  ensemble  Consuls  de  Rome, 
enuiron  soixante  deux  ans  auant  la  natiuite  de  Jesuchrist,    et  y  a  ainsi  / 

1)  In  der  That  ist  es  so  geschehen  von  Cavedoni  in  der  mir  so  eben  erst  zugehenden  'Ap- 
pendice  alla  nuova  silloge  epigrafica  Modenese'  (aus  den  'Memorie  della  R.  accademia  di 
scienze,  lettere  ed  arti'  t.  IV)  1862,  S.  16. 

43* 


310 

nach  als  Kriterium  für  die  Aechtheit  der  vorliegenden,  gebührend  her- 
vorgehoben.^) Nur  auf  zvi^eien  von  ihnen  ist  Nervus  hinzugefügt,  was 
unter  den  römischen  ein  einzigesmal  (n.  26)  vorkömmt.  Vgl.  übrigens 
zu  n.  35.  —  Schliesslich  darf  darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  dass 
jetzt  nicht  mehr  Caes.  de  b.  civ.  1,  36.  2,  5,  sondern  diese  Tessera 
das  älteste  historische  Zeugniss  für  die  Stadt  Arelate  ist,  die,  wenn  sie 
eigene  Fechterspiele  hatte,  schon  damals  von  einer  gewissen  Bedeutung 
gewesen  sein  muss.  Wie  sehr  dieser  Luxus  in  späteren  Zeiten  dort 
gesteigert  war,  wird  durch  die  Ruinen  eines  Amphitheaters  bezeugt, 
welches  an  Umfang  das  von  Nimes  noch  übertraf:  s.  Miliin  Voyage  dans 
les  dep.  du  midi  de  la  France  III   S.   615  ff. 

15  (727)  =  Taf.  III  7).  Von  der  Copie,  die  von  dieser  Tessera  auf 
der  INIarciana  (früher  in  Rimini)  existirt,  hat  mir  zwar  Herr  Bibliothekar 
Valentinelli  mit  grosser  Gefälligkeit  einen  Stanniolabdruck  gesandt; 
derselbe  ist  aber  in  seinem  Briefcouvert  so  zerquetscht  in  meine  Hände 
gelangt,  dass  kaum  noch  ein  Buchstab  zu  erkennen  ist.  Nur  eben  noch 
lässt  sich  die  Schreibung  APOLONIVS  constatiren,  durch  die  sich  dieser 
Fälscher  (wofern  es  nicht  etwa  ein  harmloser  Dilettant  war),  ähnlich  wie 
der  von  n.   56,   als  solchen  verrathen  hat. 


1)  Durch  diese  Uebereiiistimmuns:  erweist  sich  die  Anwendung  als  irrig,  die  Borghesi  Giora. 
arc.  54  S.  67  f.  von  n.  20  machte,  als  wenn  nur  ein  zufälliges  Vergessen  des  längst  ver- 
flossenen Termins  die  Weglassung  des  Tagesdatums  verursacht  hätte.  Vermuthlich  war 
der  wahre  Grund  kein  anderer,  als  dass  in  Municipal-  oder  Provinzialstädten  Gladiatoren- 
spiele überhaupt  nicht  so  häufig  vorkamen,  dass  man  irgend  eine  Nöthigung  gefühlt  hätte, 
verschiedene  Aujfführungen  ausser  der  Monatsbezeichnung  auch  noch  durch  Tagesangabe 
zu  unterscheiden,  wenigstens  gewiss  nicht  in  der  altern  Periode;  denn  die  Pompejani- 
schen  programmata  gladiatoria  geben  allerdings  wiederholt  auch  das  Tagesdatum:  s.  die 
Heispiele  bei  Friedländer  im  Handb.  der  röm.  Alterth.  4,  S.  563.  Dass  die  Tage  ein  für 
allemal  bestimmte  gewesen  wären  und  darum  nicht  genannt  zu  werden  brauchten,  wie 
Cavedoni  Bull.  1834  8.  252  annahm,  war  zwar  eine  nichts  weniger  als  einleuchtende  Be- 
hauptung; gleichwohl  hätte  er  diese  Vorstellung  wenigstens  nicht  gegen  die  Borghesi'sche 
aufgeben  sollen  ib.  1835  S.  206.  —  In  der  vorher  citirten  'Appendice'  S.  18  Anm.  stellt  er 
jetzt  als  Grund,  wainim  ein  einzelner  Tag  gar  nicht  habe  bezeichnet  werden  können,  ver- 
mutliungsweise  dieses  auf,  dass  das  Fest  eben  mehrere  Tage  gedauert  haben  werde.  Wenn 
aber  in  Proyinzialstädten,  so  war  das  sicher  in  Kom  um  so  viel  mehr  der  Fall,  und  warum 
nannte  man  hier  nichts  dejtoweniger  den  einen  Tag  der  mehrtägigen  Spiele  mit  ausnahm- 
loser Regelmässigkeit?  —  Von  vorhandenen  Zeugnissen  für  mehrtägige  Dauer  ist  übrigens 
hierbei  kein  Gebrauch  zu  machen,  weil  sie  alle  aus  späterer  Zeit  sind,  z.  B.  munerarms 
bidui  in  Benevent  I.  R.  N.  1501:  triluo  in  Peltuinum  \h.  6036;  qnaäriäuo  in  Puteoli  2518, 
diehm  Uli  in  Minturnae  4063. 


311 

17  (729)  =  Taf.  I  H.  Der  von  Brunn  erhaltene  Stanniolabdruck 
dieser  Tessera  des  Vatican  lässt  keinen  Zweifel  darüber,  dass  der  Name 
PHILARGVRV  ohne  s  vollständig  ist  und  sein  sollte:  was  zur  Beui'- 
theilung  von  n.   21  nicht  undienlich  ist. 

18  (730).  Die  in  Rimini  befindliche  Copie  dieser  Tessera  ist  mir, 
trotz  mehrfacher  freundschaftlicher  Bemühungen  Henzen's,  nicht  zu- 
gänglich geworden. 

19  (1537  Add.  S.  560)  =  Taf.  I  J,  wurde  schon  in  Priscae  Latini- 
tatis  epigraphicae  supplementum  I  (Bonnae  1862)  S.  15  =  Taf.  I  C 
facsimilirt  gegeben,  nur  ohne  den  jetzt,  wie  bei  so  vielen  andern,  zum 
erstenmal  hinzugekommenen  Griff  oder  Henkel. 

20  (731).  PETILI  ist  natürlich  derselbe  Name,  der  n.  27.  50  mit 
der  Schreibung  PETILLI  wiederkehrt.  Es  ist  nur  dasselbe  Schwanken 
zwischen  Gemination  und  Nichtgemination ,  aus  dem  die  Römer  in  so 
manchen  Worten,  namentlich  aber  Eigennamen,  niemals  ganz  heraus 
und  zu  einer  festen  Entscheidung  gekommen  sind:  zum  sichern  Beweis 
übrigens,  dass  das  i  ein  naturlanges  ist,  da  diess  die  Bedingung  ist,  an 
die  solcher  Wechsel  geknüpft  zu  sein  jjflegt.  Dasselbe  PETILI  steht 
auf  einem  der  Baldinischen  Aschentöpfe  (I.  L.  A.  1)34),  aber  PETILI AE 
auch  noch  in  einer  Apulischen  Inschrift  späterer  Zeit  (I.  R.  N.  622); 
dagegen  in  einer  wahrscheinlich  noch  republikanischen  PETILLI  AE  (I.  L. 
A,   1050).  —  Vgl.  übrigens  zu  n.   12   und  35. 

21  (732)  =  Taf.  III  E.  Dass  Mommsen,  lediglich  nach  Labus'  (zu 
Morc.  S.  48)  willkürlichem  Vorgange ,  die  Tessera  am  Ende  für  defect 
hält  und  TEOPROPVs,  OC^,  AP  •  d  ergänzt,  ist  unrichtig.  Das  Floren- 
tiner Original  ist  genau  so  vollständig,  wie  es  in  P.  L.  M.  t.  III  K  fac- 
similirt gegeben  wurde  und  wie  es  auch  Gori  Inscr.  Etr.  I  S.  265,  aus 
dem  Labus  allein  schöpfte,  schon  gegeben  hatte,  nur  dass  hier  am 
Schluss  der  letzten  Zeile  ein  ebenfalls  nicht  gerechtfertigtes  Lücken- 
zeichen steht.  TEOPROPV,  so  selten  auch  die  Abwerfung  des  s  bei 
der  Endung  us  (im  Gegensatz  zu  os)  im  Ganzen  auftritt,  ist  doch  schon 
durch  PHILARGVRV  in  n.  17  vollkommen  sichergestellt.  OC  statt  OCT 
hatten  wir  schon  n.  1,  und  es  kann  nicht  mehr  befremden,  als  lA  n.  6, 
AP  n.  8.  11.  17,  QVI  n.  9.  14.  18.  19.  20,  und  die  analogen  Abkür- 
zungen FE,  MA,  IV,   SE,  NO,  DE  in  den  P.  L.  M.  enarr.  S.  118  (neben 


312  k  - 

AP  und  OC)  zusammengestellten  Beispielen.  Wobei  nur  die  Einschrän- 
kung gilt,  dass  dergleichen  allerdings  nach  der  republikanischen  Periode 
auf  unsern  Tesseren  ebensowenig  mehr  erscheint  wie  die  auf  das  knappste 
Maass  beschränkten  Kürzungen  der  Consulnnamen  PA,  PO,  VA,  LE,  DO 
(n.  1.  8.  9.  14.  20.  22.  28).  In  der  vierten  Zeile  endlich  scheint 
freilich  nach  AP  ein  CL[auci)  kaum  zu  entbehren:  aber  es  steht  nun 
doch  einmal  nicht  da,  trotz  des  dafür  vollkommen  ausreichenden  Platzes, 
der  leer  ist.  Will  man  also  nicht  sagen,  dass  es  der  Graveur  lediglich 
vergessen  habe,  so  bleibt  nur  die  Möglichkeit,  dass  in  Folge  der  Son- 
derstellung, welche  nach  Mommsen's  eigener  Entwickelung  (Rhein.  Mus. 
f.  Phil.  15  S.  184  f.  ^)  gerade  die  Appier  im  System  der  römischen 
Namengebung  einnahmen,  die  Hinzafügung  des  eigentlichen  Gentilnamens 
neben  L  •  DOM,  wodurch  das  Jahr  sicher  bestimmt  war,  überhaupt  nicht 
für  nöthig  befunden  wurde. 

22  (7oo).  Es  war  kein  schlechter  Grund,  dass  Cardinali  diese 
Tessera  für  unächt  darum  hielt,  weil  im  Monat  Januar,  den  sie  als 
Datum  gibt ,  M.  Valerius  Messalla  und  Cn.  Domitius  Calvinus  noch  gar 
nicht  Consuln  waren,  sondern  ganz  ausnahmsweise  im  Jahre  701  ihr 
Amt  erst  im  Juli  antraten:  s.  Dio  40,  17  und  45,  vergl.  Appian  b.  c. 
2,  19.  Sehr  einleuchtend  hat  indess  Borghesi,  dem  Mommsen  beitritt, 
a.  a.  0.  S.  <37  sie  damit  vertheidigt,  dass  man  eben  darum,  weil  es  im 
Januar  und  noch  Monate  lang  nachher  überhaupt  keine  Consuln  in 
Rom  gab,  auch  bei  der  Anfertigung  der  Tessera,  die  man  sich  doch 
natürlich  ziemlich  bald  nach  dem  Festspiel  zu  denken  hat,  keine  nennen 
konnte,  daher  den  dafür  herkömmlichen  Platz  vorläufig  leer  Hess  und 
ihn  erst  später  gelegentlich  ausfüllte  (wenn  man  es  nicht  vergass  oder  aus 
irgend  einem  Grunde  unterliess  wie  bei  n.  23).  Zwar  wenn  Borghesi 
für  einen  solchen  Hergang  eine  Bestätigung  in  n.  12 ,  wo  bloss  der 
Monat  ohne  den  Tag  genannt  ist,  und  eine  andere  in  n.  70,  wo  die 
letzte  Seite  ganz  leer  ist,  zu  finden  meinte,  so  fällt  das  erste  Beispiel 
durch  die  oben  S.  310  Anm.  aufgestellte  Erklärung  weg,  und  im  zwei- 
ten Falle  hat  er  sich  ohne  Zweifel  durch  eine  Fälschung  täuschen  lassen. 
Aber  glücklicher  Weise  lässt  sich  dafür  ein  anderer  Beleg  substituiren, 
welcher  genau  jener  Absicht  dient,  nämlich  die  folgende  n.   23. 

1)  Jetzt  in  'ßöm.  Forschungen"  I  (18G4)  S.  25. 


313 

23  (775)  =  Taf.  I  K.  Von  dieser  Tessera  sah  Osann,  wie  er  in 
Fleckeisen's  Jahrb.  f.  Phil.  Bd.  77  (1858)  S.  651  berichtet,  im  Britischen 
Museum  nur  die  beiden  Seiten  2  und  3 ,  offenbar  weil  ihm  die  zwei 
andern  durch  die  Aufstellung  verdeckt  waren.  Während  nun  jetzt  der 
Name  der  ersten  Zeile  richtig  zum  Vorschein  kömmt: 


A 

N 

T 

I  0 

c 

V 

S 

S 

C 

R 

I  B 

0 

N 

I 

SP- 

A 

•D 

•  V- 

ID 

• 

[AN 

finden  wir  mit  sehr  getäuschter  Erwartung  die  vierte  in  der  That  leer. 
Ich  wüsste  dafür  keine  andere  Erklärung  als  die  zu  n.  22  von  Borghesi 
gegebene ;  aber  auch  kein  anderes  Jahr,  welches  für  die  Annahme  man- 
gelnder Consuln  im  Januar  so  passend  wäre  wie  701  :  daher  ich  nicht 
angestanden  habe  die  Tessera  hieher  zu  stellen.  Dass  sie  aus  älterer 
Zeit  sei,  schloss  schon  Mommsen  aus  dem  Zusatz  des  A"D,  wovon  s. 
zu  n.   5  a.  E, 

24  (735).    lieber  diese  Tessera  einiges  Nähere  bei  n.  64, 

25  (735).  Weder  Bimard  de  la  Bastie  in  den  Mem.  de  Facad.  des 
inscr,  t.  XV  (1 74:3)  S.  426,  noch  Miliin  Voyage  dans  les  dep,  du  midi 
de  la  France  t,  II  (1807)  S,  236,  denen  die  Kenntniss  dieser  Tessera 
verdankt  wird,  sagen  uns  welche  Zeile  eigentlich  leer  geblieben ;  sehr 
möglicher  Weise  kann  es  statt  der  zweiten,  die  Mommsen  angenommen 
hat,  auch  die  vierte  sein.  Dass  überhaupt  hier,  wie  sonst  nirgends 
weiter  auf  allen  unsern  Tesseren,  dem  Namen  des  Gladiators  kein  Herren- 
name hinzugefügt  ist,  braucht  mit  nichten  auf  irgendwelche  zufällige 
Ursache  zurückzugehen,  sondern  wird  sehr  einfach  seinen  guten  Grund 
darin  haben,  dass  Hermia  nicht  Sklav  im  Privatbesitz ,  sondern  servus 
publicus  war. 

26  (736).  Dass  hier  wirklich  SPE,  nicht  SP  stand  (wovon  s.  zu 
n.  3),  wird  man  der  von  Mommsen  benutzten  handschriftlichen  Samm- 
lung des  Gudius,  gegenüber  Reinesius  und  Fabretti,  unbedingt  zu  glauben 
haben.     Denn  da  Gudius  und  Reinesius  VI,    60  S.   391    in    der    Angabe 


314 

über  die  Herkunft  'Romae  apud  Franc,  Gothofredum'  (woher  auch  n.  15. 
18  stammen)  übereinstimmen,  so  ist  es  ja  unleugbar  dieselbe  Tessera 
mit  der,  für  welche  der  (bereits  von  Mommsen  citirte)  N.  Heinsius  in 
einem  Briefe  an  J.  F.  Gronov  in  Burm.  Syll.  III  S.  297  die  Sigle  SPE 
mit  diesen  Worten  bezeugt:  'illud  SP  sportulam  interpretantur'  (das  war 
Agostini's  Meinung) ;  'sed  cum  in  alia  apud  Franciscum  Gottefredum 
antiquarium  Romanum  tres  litteras  expressas  viderim  SPE,  spectaculum 
potius   videtur  interj^retandum'. 

27  (7o7)  =  Taf.  I  L.  Ueber  den  Schrifttypus  dieser  Tessera  s. 
zu  n.   43. 

28  (738)  =  Taf.  I  M.  Dass  ich  dieses  Stück  des  Musee  du  Louvre 
nicht  nach  Grivaud  de  la  Vincelle's,  paläographisch  gar  nicht  treuem 
Stich  in  dessen  'Recueil  de  monumens  antiques  decouverts  dans  l'an- 
cienne  Gaule'  (Paris  1817.  4)  pl.  XXXVI  wiederzugeben  brauchte,  ver- 
danke ich  einem  von  Herrn  de  Longperier,  conservateur  des  musees 
du  Louvre,  lange  erbetenen,  jetzt  gütig  vergönnten  Abdruck  des  Originals. 

30  (739)  =  Taf.  I  N.  Wenn  hier  Mommsen  das  Facsimile  der 
P.  L,  M.  t.  HI  T  berichtigt,  so  treffen  diese  Berichtigungen  vielmehr 
die  Abbildung  in  den  von  ihm  ganz  übersehenen  'Monumenti  inediti 
deir  Inst.',  Bd.  IV  Taf.  53,  woher  ich  ja  diese  Tessera  ebensowohl,  wie 
die  unter  n.  43.  54,  in  Ermangelung  neuer  Abdrücke  lediglich  entlehnt 
hatte,  und  zwar,  wie  ich  gestehe,  in  vollem  Vertrauen  auf  die  absolute 
Zuverlässigkeit  des  Vorbildes.^)  Um  nunmehr  über  die  Varianten  der 
Mommsen'schen  Lesung  und  des  römischen  Stichs  auf's  Reine  zu  kommen, 
erbat  und  erhielt  ich  von  der  besondern  Freundlichkeit  des  jetzigen 
Besitzers  dieser  Tesseren,  Herrn  Dr.  Hermann  Kestner  in  Hannover, 
eine  genaue  Zeichnung,  die  dem  gegenwärtigen  Facsimile  zu  Grunde 
liegt,  zugleich  mit  nachstehendem  Bericht  über  den  Thatbestand.  ,,Die 
möglichst  sorgfältige  Nachzeichnung  stimmt,  wie  Sie  sehen  werden,  bis 
auf  einige  immer  noch  zweifelhaft  bleibende  Schriftspuren  so  ziemlich 
mit  den  Ergebnissen  der  Mommsen'schen  Untersuchung  überein.  An 
dem   genau    wiedergegebenen  Profil   meiner   Zeichnung    werden    Sie    be- 


1)  Wie  sehr  mich   freilich  dieses  Vertrauen  getäuscht  hat,   zeigt  jetzt  der  Augenschein   an 
n.  43.  54  (Taf.  III  J  und  S). 


315 

merken,  dass  nur  die  Seiten  1  und  3  (letztere  vollständig)  die  ursprüng- 
liche Oberfläche  bewahren ,  während  2  und  4  von  einer  vandalischen 
Hand  vermittelst  einer  Feile  abgeglättet  sind.  Diese  Feilenvertiefungen 
gibt  die  Publikation  des  archäologischen  Instituts  ziemlich  genau  wieder 
und  bezeichne  ich  sie  mit  ähnlichen  Strichlagen.  In  diesen  Tiefen  ist 
selbst  mit  dem  schärfsten  Auge  kaum  noch  etwas  Buchstabenartiges  zu 
entdecken ;  doch  glaube  ich  auf  Seite  1  nicht  allein  Mommsen's  S  an 
der  bezeichneten  Stelle  zu  erkennen ,  sondern  am  Anfang  auch  noch 
die  im  Instituts-Stich  angedeuteten  Buchstaben  IV  und  etwas  Aehnliches 
wie  ES  .  .  .  (?).  Seite  2  ist  völlig  abgefeilt  und  das  von  Mommsen  ge- 
setzte verlängerte  1 ,  wie  mir  scheint ,  nichts  als  ein  etwas  tieferer 
Feilenschnitt.  Spuren  von  Buchstaben  in  der  Mitte  dürften  sich  kaum 
mit  einiger  Bestimmtheit  herausbringen  lassen ,  und  scheint  mir  die 
sonderbare  (fast  einem  hebräischen  Aleph  ähnelnde)  Figur  nur  eine 
spätere  Kritzelei.  Seite  3  bedarf  nur  hinsichtlich  des  |<  einer  kleinen 
Correctur  des  Instituts-Stichs,  der  auch  unrichtig  hinter  SP  und  K  zwei 
Punkte  gibt  statt  eines  einzigen.  Seite  4  scheint  Mommsen  richtig 
gelesen  zu  haben  hinsichtlich  des  IMP ,  vielleicht  auch  des  darauf  folgen- 
den C.  Vor  dem  Schluss  COS  lese  ich  in  zweifelhaften  Spuren  —  um 
so  verdächtiger,  als  sie  aus  der  sonst  exacten  geraden  Linie  fallen  wür- 
den —  wie  meine  Zeichnung  es  genau  andeutet,  noch  XII  und  davor 
in  richtiger  Höhe  noch  ein  paar  buchstabenartige  Vertiefungen."  — 
Hiernach  hatte  ich  in  der  Uebersichtstabelle  an  der  Mommsen'schen 
Abschrift  nichts  zu  ändern,  als  dass  ich  das  wenig  beglaubigte  I  am 
Ende  der  zweiten  Zeile  wegliess.  —  üebrigens  gibt  es  unseres  Wissens 
keine  zweite  Tessera,  deren  Knopf  mit  so  zierlicher  Kunst  gearbeitet  wäre 
wie  diese  mit  einem  vollständigen  Frauenkopf  geschmückte.  Die  Vermuth- 
ung  liegt  nahe ,  dass  es  das  Porträt  eines  Mitglieds  der  kaiserlichen  Familie 
sei,  dem  zu  Ehren  das  bezügliche  Festspiel  gegeben  wurde.  Nicht  übel 
würden  Kopf  und  Profil  für  eine  Livia  passen ,  wenn  auch  deren  be- 
kannte Porträts  in  Visconti's  Iconogr.  rom.  pl.  19,  die  jugendlicher 
gehalten  sind,  oder  auf  den  Münzen  bei  Cohen  'Descr.  hist.  des  me- 
dailles  imperiales'  I  pl.  5  (p.  106)  keinen  Anhaltpunkt  geben.  Es  müsste 
eben  die  schon  reifere  Frau  von  gegen  50  Jahren  sein  (geboren  war 
sie  am  Ende  des  7.   Jahrhunderts).     Als  frühestes  Jahr  böte  sich  dafür 

Abb.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  II.  Abth.  44 


316 


741)  dar,  in  welches  des  Augustus  12tes  Consulat  fällt:  denn  zwischen 
731  nnd  74'J  wai'  er  bekanntlich  gar  nicht  Consul.  Auf  diese,  natür- 
lich ganz  hypothetische ,  Combination  haben  übrigens  die  an  sich  so 
zweifelhaften  Spuren  der  vermeintlichen  Zahl  XII  keinen  Einfluss ;  die 
Zeile  Hesse  sich  zwar  ausfüllen,  wenn  man  sich  geschrieben  dächte  IMP  • 
CAE8  '  DIV  •  F  •  XII  •  COS ;  aber  auffallend  bliebe  dabei,  selbst  abgesehen 
von  der  Stellung  der  Zahl,  immer  die  Weglassung  des  Consulatscollegen 
L.  Cornelius  P.  F.  Sulla,  von  dessen  etwaigem  Abtreten  uns  doch  nichts 
bekannt  ist. 

31   ( — )  ~  Taf.  I    0.      Diese    meines    Wissens    hier   zum    erstenmal 
bekannt  werdende  Tessera 


H 

I  L  A 

Li  I  0 

C 

A  K  C 

I  L  I 

SP 

•  III  •  K 

•NO  V 

IMP- 

c- vin 

• T • TAV 

gehört  dem  k.  k.  Münz-  und  Antiken -Kabinet  in  Wien  an;  über  die 
Herkunft  ist  dort  nichts  bekannt.  Ihre  sehr  saubere  Zeichnung  ver- 
danke ich  der  (jefälligkeit  der  Herren  Joseph  Ritter  von  Arneth  und 
Dr.  Friedrich  Kenner.  —  Es  ist  nicht  uninteressant,  dass  sich  in 
diesem  Stück  eine  Gdadiatoren-Tessera  aus  dem  Consulatsjahr  desselben 
T.  Stiatilius  Taurus  erhalten  hat,  dem  Rom  vier  Jahre  vorher  (724)  den 
Bau  des  ersten  steinernen  Amphitheaters  verdankte :  s.  Becker  Handb.  d. 
röm.  Alt.  I  S.  642.  68 1.  Und  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ist  dieses 
auch  als  Lokal  des  Fechterspiels  zu  denken,  in  dem  unser  Hilario  Cae- 
cili  'spectatus'  war.  —  üebrigens  hätte  die  Consulatsbezeichnung 
genauer  lauten  sollen  T  •  TAVRO  •  11,  da  er  schon  am  Ende  des  J.  717 
consal  suffectus  gewesen  war:  s.  Henzen  C.  I.  L.  t.  I  S.  449.  Das  iterum 
durfte  aber  wegbleiben,  weil  die  Zahlangabe  beim  kaiserlichen  Collegen 
jede  Verwechselung  ausschloss.  Aus  demselben  Grunde  durfte  es  n.  26 
einfach  C  •  CAES  heissen  ohne  III,  und  n.  40  TI  •  CLAV  ohne  IL  Auch 
die.  WeglasHung  von  III  bei  L  •  CIN  in  n.  1  und  von  II  bei  L  •  SVL  in 
II.   2   liesse  sich  so   auffassen,    wenn    nicht   die    Vergleichung   von    n.   8. 


317 


9.  10  zeigte,  dass  diese  Fälle  vielmehr  aus  der  allgemeinen  Unbeküm- 
mertheit  der  altern  Zeit  in  diesem  Punkte  zu  erklären  seien.  —  Vgl. 
auch  zu  n.   21. 

*  32  (p.  201^)  =  Taf.  I  P.  Gern  möchte  man  sich  dieser  Tessera 
des  Museo  nazionale  zu  Neapel  annehmen,  wenn  sie  es  einem  nur  nicht 
gar  zu  schwer  machte  durch  diese  ihre   Gestalt: 


PHILOXENVS  •  METEL 


SPECT 


Imp-cae  -x-c-norb 


3 


K-IVL 


wobei  zu  bemerken,  dass  das  Knöpfchen,  in  welches  bei  Z.  2  und  4  die 
vordere  Hälfte  des  durchgebohrten  Loches  fiel,  durch  Zufall  abgebrochen 
ist,  ähnlich  wie  bei  n.  15  und  23.  Irgend  ein  grober  Schnitzer,  bei 
dem  man  den  Fälscher  gleichsam  in  flagranti  ertappte  (wie  bei  n.  38), 
ist  ja  nicht  darin:  aber  wiederum  dasselbe  Zusammentreffen  einer  gan- 
zen Reihe  von  Unregelmässigkeiten,  von  denen  jede  einzelne  allenfalls 
zu  ertragen  wäre,  die  Summe  aller  aber  allzuschwer  in's  Gewicht  fällt. 
Wir  dürfen  milde   sein  in  Bezug  auf   das  Cognomen  METEhli  statt  des 

üblichen    Gentilnamens ;    denn    auch    n.   14.    43    bieten    mit    LANI 

undTHYBRIDIS  Cognomina,  wenn  auch  das  MVMMEIAN  in  n.  35  vielleicht 
eher  als  Mummeianws  (ßervus),  denn  als  Mummeiani  zu  fassen  sein  mag. 
Aber  im  Uebrigen :  die  Vereinigung  beider  Namen  in  einer  Zeile,  das 
ausgeschriebene  SPECT,  vor  Allem  die  verkehrte  Stellung  des  Monats- 
datums nach  der  Jahrszahl:  —  wiederum  dieselben  oder  ähnliche  Ein- 
zelheiten auf  Einem  Haufen,  deren  Verfänglichkeit  zu  n.  3  und  5  aus- 
geführt wurde  und  kaum  ein  anderes  Schlussurtheil ,  mindestens  keine 
andere  S chluss Stimmung ,  zulässt  als  über  n.  5  gefällt  wurde.  Und 
dieses  um  so  mehr,  als  nach  derselben  Seite  hin  so  gut  wie  entschei- 
dend das  paläographische  Moment  wirkt.  Auf  den  ersten  Blick  muss 
es  einleuchten,  dass  wir  hier  erstens  (mit  einziger  Ausnahme  des  wirk- 
lich antik  geformten  M)  den  reinen  Typus  eleganter  Versalien  moderner 
Druckschrift    vor    uns   haben,    und   zweitens   genau    denselben    Schrift- 

44* 


318 

Charakter  in  n.  38  wiederfinden.  Ist  nun  aber  das  letztere  Stück,  wie 
sich  alsbald  zeigen  wird,  eine  erweisliche  Fälschung,  so  zieht  diese  fast 
nothwendig  das  unsrige  in  dieselbe  Verdammniss  hinein  und  lässt  kaum 
einen  Zweifel,  dass  beide  aus  einer  und'  derselben  Fabrik  stammen. 
Wie  sie  denn  ebendarum  auch  wohl  beide  aus  dem  museo  Borgia  in 
das  heutige  Napolitanische  gekommen  sein  mögen,  was  uns  durch  Marini 
Arv.   S.   26   nur  für  n.   38  bezeugt  ist, 

*  33  (7-il)  =  Taf.  III  F.  Auch  diesem  Stück  konnte  die  Bekreuzung 
nicht  erspart  werden.  So  günstig  auch  für  die  Aechtheit  der  allein 
genannte  Consul  Lollius  zu  sprechen  scheint,  da  er,  wie  Borghesi  Bull. 
1845  S.  164  hervorhob,  wirklich  im  Anfang  des  Januar  733  ohne 
Collegen  amtierte  (Dio  54,  6),  so  wenig  hätte  man  sich  doch  entschliessen 
sollen,  zumal  für  den  Beginn  der  Augusteischen  Periode,  an  einen  so 
gar  abscheulichen  Schnitzer  zu  glauben,  wie  er  in  der  Schreibung  HY- 
POLITVS  für  HIPPOLYTVS  vorläge.  Denn  dass  dieser  Name  und  kein 
anderer  gemeint  sei,  dafür  wird  allerdings  eines  jeden  erstes  Gefühl  so 
entschieden  sprechen ,  dass  jede  anderweitige  Ableitung  als  gesuchte 
Künstlichkeit  erscheinen  muss.  Wie  sehr  l)erechtigt  wir  aber  sind, 
orthographische  Schnitzer  als  Verräther  einer  Fälschung  zu  nehmen, 
kann  die  zu  n.  52  gegebene  Zusammenstellung  lehren.  Gleichwohl  gibt 
es  einen  Weg  der  Vertheidigung ,  der  sich  nicht  geradezu  absperren 
lässt.  Zwar  an  ein  imöhd^og  oder  vTioXvxoi  wird  kein  Verständiger  den- 
ken :  wohl  a'oer  bieten  uns  die  alten  Glossarien  ein  "tenuiculus,  vnoXiroi, 
und  ich  möchte  nicht  behaupten,  dass  eine  solche  Namengebung,  selbst  für 
einen  Gladiator,  unmf)glich  wäre,  da  die  Alten  in  diesem  Punkte  auch 
dem  Humor  seinen  Spielraum  Hessen.^)  —  Nichts  destoweniger  ist  auch 
hiermit  die  Sache  noch   nicht    abgethan ,    weil    noch    eine  Instanz    übrig 


1)  Denn  es  leidet  wohl  keinen  Zweifel,  dass  die  meisten  Gladiatorennamen  erst  später  beige- 
legte waren,  weil  sonst  die  auf  unsern  Tesseren  erscheinenden  Gladiatoren  (sofern  es  nicht 
in  Rom  geborene  waren)  so  überwiegend  geborene  Griechen  gewesen  sein  müssten,  wie  es 
nach  den  geschiclifclichen  Verhältnissen  völlig  unglaublich  ist.  —  Nachträglich  finde  ich 
die  Ableitung  von  vnoXuog  schon  von  Cavedoni  aufgestellt  in  'Nnova  silloge  epigrafica  Mo- 
denese  o  sia  Supplimento  agli  antichi  marmi  Modenesi'  (aus  den  'Memorie  della  R.  Acca- 
dcmia  di  scienze,  lettere  ed  arti  di  Modena'  t.  IV)  1862,  S.  9,  auch  wiederholt  in  der  S.  309 
citirten  'Appendice'  dazu  S.  18  Anra.,  unter  Vergleichung  der  Namen  Gracilis,  Gracillus 
und  ähnlicher.  In  s(jlche  Analugie  bringt  K.  Keil  aucli  die  Avq.  Atirri  aus  C.  I.  G.  n  2348, 
welche  Pape  in  K'Uiitt  umänderte. 


319 

ist,  gegen  die  schwer  aufzukommen  sein  wird :  eine  sehr  äusserliche,  aber 
darum  nichts  weniger  als  verächtliche.  Man  sehe  sich  sämmtliche  auf 
Taf  I  und  II  unter  Ä  bis  Y  und  auf  Taf.  III  unter  A  bis  T  facsimilirten 
Tesseren  darauf  an,  wie  die  Durchbohrung  des  am  Vorderende  befind- 
lichen Knopfes  vorgenommen  ist.  Nehmen  wir  von  Sada's  Stücken 
I,  C;  E  und  Q  Abstand,  die,  weil  ganz  nach  der  Schablone  gemacht, 
gar  nichts  Zuverlässiges  lehren  können ;  desgleichen  von  II,  T,  wo  das 
Loch  überhaupt  nicht  bezeichnet,  und  von  III,  G,  wo  die  Figur  des 
Knopfes  nicht  bekannt  ist:  so  finden  wir  unter  36  nicht  weniger  als 
34,  oder  wenn  I,  P.  II,  R.  III,  B.  0  abgerechnet  werden,  unter  32  nicht 
weniger  als  30  Stücke^  bei  denen  mit  grösster  Gleichförmigkeit  die 
Durchbohrung  von  der  zweiten  nach  der  vierten  Seite  geht,  nur  zwei 
(das  unsrige  und  III,  B),  wo  sie  die  erste  und  dritte  trifft.  Es  ist 
unmöglich,  in  solcher  Regelmässigkeit  bloss  Spiel  des  Zufalls  zu  suchen, 
und  nicht  schwer,  die  zu  Grunde  liegende  Absicht  zu  finden.  Der 
Zweck  der  Durchbohrung  selbst  konnte  kein  anderer  sein  als  eine 
Schnur  durchzuziehen,  mittels  deren  die  Tessera  auf-  oder  angehängt 
d.  h.  nach  Labus'  höchst  einleuchtender  Vermuthung  um  den  Hals  ge- 
tragen wurde  und  als  Decoration  auf  die  Brust  herabhing.  Man  ver- 
anschauliche sich  nur  diese  Umhängung,  um  sogleich  zu  begreifen,  dass, 
wenn  die  Hauptseite  d.  h.  doch  ohne  Zweifel  die  mit  dem  Namen  des 
Decorirten  bezeichnete,  nach  vorn  gewendet  sein  sollte,  um  die  Ehre 
des  Trägers  der  Welt  sichtbar  zu  machen,  noth wendig  die  Schnur  durch 
die  zweite  und  vierte  Seite  gehen  musste,  während,  wenn  die  erste  und 
dritte  durchbohrt  war,  der  Name  nicht  vorn,  sondern  zur  Linken  oder 
Rechten  zu  hängen  kam.  Mit  dieser  Absicht  stehen  auch  alle  Neben- 
umstände in  der  genauesten  Uebereinstimmung.  Obenan  der,  dass  die 
Figur  unserer  Tesseren  selten  ein  reines  Parallelepipedon  bildet,  sondern 
fast  immer  zwei  gegenüberstehende  Seiten  breiter  hat  als  die  zwei  andern, 
und  zwar  dann  immer  die  erste  und  dritte:  sehr  natürlich,  weil  mit 
einer  von  diesen  die  Tessera  auf  der  Brust  aufliegen  sollte.  Zuweilen 
tritt  dieser  Unterschied  der  Flächenpaare  sehr  auffallend  hervor,  z.  B. 
I,  M.  II,  U.  W.  m,  H.  J.  K.  L.  M.  P.Q.S-  oft  ist  er  fast  verschwin- 
dend, auf  Null  reducirt  fast  nirgends.  Ferner  sind  aber  auch  die 
Knöpfchen  meist  so  gearbeitet,    dass    die  Flächen   1  und  3  offenbar    als 


320 

Front-  und  Rückseite,  2  und  4  als  Seitenansichten  erscheinen;  und 
ganz  entscheidend  ist  in  dieser  Beziehung  1,  N  (n.  30)  mit  dem  Frauen- 
kopf, der  doch  natürlich  en  face  gesehen  werden  sollte,  dieses  aber 
nur  wurde,  wenn  die  Fläche  1,  d.  i.  die  mit  dem  Namen  des  Decorirten 
beschriebene,  vorn  hing,  demnach  die  nur  das  Profil  gebenden  Flächen 
2  und  4  das  Band  durch  sich  hindurchgehen  Hessen.^)  —  Haben  wir 
so  in  der  normalen  Durchbohrung  einen  eben  so  thatsächlich  festen 
wie  rationell  begründeten  Gebrauch  erkannt,  so  kann  es  zwar  nicht 
Wunder  nehmen,  wenn  Fälscher,  sei  es  durch  Zufall  oder  weil  sie  etwa 
ein  richtiges  Muster  nachahmten,  öfter  das  Rechte  trafen;  wohl  aber 
verräth  sich  das  gefälschte  Machwerk  auf  der  Stelle  durch  ein  auf  den 
falschen  Seiten  des  Knopfes  angebrachtes  Loch,  Nichts  kann  dafür 
überzeugender  sein  als  die  vier  ausgemachten  Fälschungen  auf  Taf.  II, 
c  d  e  und  g:  die  eine  (rf)  zufällig  richtig  durchbohrt,  die  drei  andern 
sämmtlich  verkehrt ;  um  von  der  geradezu  unsinnigen  Durchbohrung 
von  a  gar  nicht  zu  reden.  Und  in  dieser  Beziehung  vornehmlich  ist 
es,  dass  ich  bedauere  von  der  langen  Reihe  moderner  Fictionen  in 
Rimini  (Borghesi  Giorn.  arc.  54  S.  69  f.  zählt  10  auf),  sowie  von  den 
drei  modernen  Copien  alter  Stücke  n.  15.  18.  34  keine  autoptische 
Kenntniss  erlangt  zu  haben.  Wer  dazu  Gelegenheit  hat,  thäte  nichts 
Unnützes,  sie  einmal  auf  unsern  Gesichtspunkt  anzusehen,  für  dessen 
Richtigkeit  sie  ohne  Zweifel  noch  manche  Bestätigung  geben  werden.  — 


1)  Diesem  geschlossenen  Zusammenhange  gegenüber  wird,  denke  ich,  der  etwaige  Einwurf 
verstummen,  dass  nicht  auf  den  Sklaven,  der  ja  nur  Sache  war,  sondern  vielmehr  auf  den 
Namen  des  Herrn  (also  auf  die  je  zweite  Fläche  der  Tessera)  das  Hauptgewicht  falle:  ein 
Einwurf,  welcher  der  fanatischen  Gunst  keine  Rechnung  tragen  würde,  mit  der  das  römische 
Publikum  die  Person  eines  siegreichen  Gladiators  über  seinen  Stand  hinaushob  und  ge- 
wissermassen  in  der  öfientlichen  Meinung  nobilitirte.  —  Nicht  minder  muss  auch  die  sub- 
sidiarische Vermuthung  von  Labus  (zu  Morc.  S.  51)  fallen,  dass  die  Tessera  vielleicht  nicht 
frei  um  den  Hals  hing,  sondern  mit  ihrem  Schnürchen  selbst  erst  wieder  an  eine  queer- 
liegende  Kette  angeknüpft  gewesen  sei:  wofür  er  die  torques  gladiatorias  aus  Capitolinus 
vit.  Pertin.  8  heranziehen  zu  dürfen  glaubte.  Man  sieht  leicht  ein,  dass  diese  Befestigungs- 
weise, bei  der  thatsächlich  vorliegenden  Durchbohrungsart,  die  oben  nachgewiesene  Absicht 
gerade  wieder  in  ihr  Gegentheil  verkehrt  hätte.  Dasselbe  gilt  von  Amati's  Vorstellung, 
der  sich  eine  Reihe  von  Tesseren  vom  untern  Rande  des  Panzers  oder  der  Tunica  herab- 
hängend dachte:  s.  Giern,  arcad.  Bd.  32  (1826)  S.  105.  Mindestens  war  aber  Amati  dem 
Labus  darin  vorangegangen,  dass  er  sich  überhaupt  irgend  ein  concretes  Bild  von  der 
Befestigungsart  zu  machen  suchte. 


321 

Kehren  wir  jetzt  zu  unsern  beiden  n.  33  und  67  zurück,  so  stehen 
selbst  sie  nicht  ganz  auf  gleicher  Linie.  Nicht  nur  dass  die,  übrigens 
höchst  unverdächtige,  n.  67  die  jüngste  von  allen  ist,  beinahe  hundert 
Jahre  später  als  n.  33,  nach  welchem  langen  Zwischenräume  sich  dieses 
und  jenes  ändern  konnte,  so  hat  es  auch  mit  n.  67  eine  ganz  beson- 
dere Bewandtniss.  Sie  hat  nämlich,  wie  ich  durch  Herrn  Desjardin's 
sorgfältige  Mittheilung  erfahre,  nicht  nur  die  eine  herkömmliche  Queer- 
durchbohrung  zweier  (wenn  auch  falscher)  Seitenflächen,^)  sondern  da- 
neben noch  den  Anfang  einer  zweiten ,  die  von  der  vordem  Basis  aus 
sich  in  der  Längenrichtung  der  Tessera  erstreckt  und  offenbar  so  weit 
vorwärts  gehen  sollte,  bis  sie  in  den  andern  Kanal  einmündete.  Nun 
ist  sie  zwar  nicht  bis  zu  diesem  Punkte  fortgesetzt,  aber  die  Absicht 
muss  das  doch  gewesen  sein,  und  als  Grund  dieser  Absicht  lässt  sich 
sehr  füglich  erkennen,  dass  die  ursprünglich  aus  Versehen  falsch  ange- 
brachte Bohrung  später  durch  ein  Gegenmittel  wieder  gut  gemacht 
werden  sollte :  denn  wenn  der  durch  das  Queerloch  gezogene  Draht  sich 
von  der  innern  Mitte  aus  wieder  mit  seinen  zwei  Enden  nach  oben  aus- 
zweigte, so  hatte  man  es  mittels  einer  äussern  Knotung  der  letztern  ganz  in 
seiner  Hand,  bei  der  Umhängung  um  den  Hals  eine  beliebige  Fläche 
(also  hier  die  mit  MAXIMVS)  dauerhaft  nach  aussen  zu  bringen."^)  Nichts 
der  Art  lässt  sich  aber  für  unsere  HYPOLITVS-Tessera  mit  ihren  auf  der 
ersten  und  dritten  Fläche  durchbohrten  Hörnern  (die  in  dieser  Gestalt  auch 
nicht  zum  zweitenmal  vorkommen)  irgend  vorbringen.  Wem  es  nun 
freilich  beliebt,  auch  hier  nur  ein    zufälliges  Hand  werker  versehen,    dem 


1)  Auch  darin  weicht  diese  jüngste  unserer  Tesseren  von  fast  allen  übrigen  ab,  dass  ihr 
Knöpfchen  von  so  äusserst  schmaler  Dimension  ist,  dass  die  Durchbohrung  gar  nicht  in 
seinen  Umfang  fallen  konnte,  sondern  auf  der  nachfolgenden  Fläche  selbst  vorgenommen 
werden  musste.  Am  nächsten  kommen  ihr  in  letzterer  Beziehung  Taf.  III,  N  und  S;  ge- 
rade auf  die  Grenzlinie  von  Knopf  und  Fläche  fällt  das  Loch  Taf.  1,  P.  II,  B.  ü.  Y.  III, 
H.  L.  P  Q,  theilweise  (jedoch  nur  in  Folge  schiefer  Bohrung)  auch  III,  K  und  M.  Na- 
türlich sind  das  unwesentliche  Zufälligkeiten. 

2)  Möglich  wäre  freilich  auch,  dass  im  Laufe  der  Zeit  die  Sitte  gewechselt  und  eine  neue 
Art,  die  Decoration  zu  tragen,  eingeführt  hätte,  z.  B.  eine  ähnliche  wie  die  in  der  Anm.  zu 
S.  320  besprochene,  mit  der  sich  dann  die  Durchbohrung  gerade  der  ersten  und  dritten 
Fläche  als  wohlberechnet  vertragen  würde.  Die  unvollendete  Längenbohrung  wäre  dann, 
wofern  anders  nicht  reine  Spielerei,  vielleicht  ein  Versuch,  zur  frühern  Tragweise  zurückr 
zukehren. 


322 

nur  eben  so  zufällig  hinterher  nicht  wieder  abgeholfen  wurde,  zu  er- 
blicken, wie  ja  dergleichen  im  täglichen  Leben  vorkommen  kann ,  der 
lässt  sich  allerdings  nicht  widerlegen.  Kinem  weniger  gläubigen  als 
skeptischen  Gemüthe  wird  es  jedoch  nicht  zu  verdenken  sein ,  in  dem 
auffallenden  Zusammentreffen  des  onomatologischen  und  des  mechani- 
schen Bedenkens  eine  ernste  Mahnung  an  das  vä(fe  xul  fis'ixvao'  dmoxsTv 
zu  sehen. 

34  (742)  =  Taf.  I  Q.  Dass  es  auch  von  dieser  Tessera  eine  mo- 
derne Copie  in  Rimini  (im  'museo  Gervasoni  Angelini')  gibt  oder  gab, 
wissen  wir  durch  Borghesi's  Zeugniss  Giorn.  arc.  54  S.  69  (wo  835 
nur  verdruckt  ist  für  735,   wie  unmittelbar  vorher  996  für  696). 

35  (743)  =  Taf.  III  G.  Dass  das  Facsimile  in  P.  L.  M.  t.  III  M. 
L  •  EPIDVS  gebe  statt  LEPIDVS,  würde  ich  an  Mommsen's  Stelle  nicht 
gesagt  haben,  sondern  wenn  etwas,  nur  diess,  dass  es  nach  dem  L  eine 
einem  Punkte  ähnliche  Verletzung  des  Originals  zeige.  So  unwesentlich 
dergleichen  für  einen  Herausgeber  sein  kann,  so  wenig  steht  es  dem 
facsimilirenden  Nachbildner  zu,  sich  darüber  hinwegzusetzen.  Ich  sage 
diess  besonders  wegen  der  buchstabenähnlichen  Züge,  die,  fast  wie 
i  CO  oder  wenigstens  10  aussehend,  gleich  einem  leisen  Schatten 
zwischen  lAN  und  S  •  SP  in  der  Mitte  der  zweiten  Zeile  sichtbar  sind, 
und  denen  gegenüber  Mommsen  sagt  'sequor  Cavedonium'.  Dass  auch 
ich  diess  thue,  ist  aus  Enarr.  p.  6  ersichtlich;  möglich  aber  bleibt 
dabei,  dass  der  Graveur  zuerst  etwas  Falsches  gesetzt  hatte,  was  er 
dann  wieder  löschte,  und  der  unverhältnissmässig  grosse  leere  Raum 
kann  das  sogar  glaublich  erscheinen  lassen.  ^)  —  Ueber  die  Unregelmässig- 
keiten der  Zeilenabtheilung    s.  zu  n.  5.      Ueberhaupt   ist   leicht   zu    er- 


1)  Es  ist  eine  merkwürdige  Verwechselung  der  Begriffe  über  das  was  die  Aufgabe  einer  tech- 
nischen Nachbildung  ist,  wenn  auch  Cavedoni  in  der  mehrerwähnten  'Appendice'  etc.  S.  18 
von  vermeintlichen  falschen  Zusätzen  in  dem  Facsimile  spricht  und  dieselben  auf  Täuschun- 
gen des  Stanniolabdrucks  zurückführen  will.  Man  erwartet,  dass  es  dieser  Abdruck  sei, 
dem  er  die  Zuverlässigkeit  abspreche:  denn  dass  ein  solcher  beim  Transport,  beim  Ver- 
packen, ja  schon  bei  der  Anfertigung,  durch  etwaige  Brüche  oder  Verknitterung  des  Mate- 
rials, zufällige  Verletzungen  erleiden  könne,  lässt  sich  ja  nicht  leugnen.  Aber  nein,  Ca- 
vedoni verneint  die  Richtigkeit  des  Facsimiles  darum,  weil  ja  das  Original,  das  so  viele 
Jahrhunderte  unter  der  Erde  gelegen,  dadurch  leicht  habe  leiden  können,  vielleicht  auch 
von  Anfang  an  keine  vollkommen  geglättete  Oberfläche  gehabt  habe.  Sehr  möglich  aller- 
dings; aber  wie  ein  Monument  muthmasslicb  vor  1900  Jahren  aussah,   das  darzustellen  ist 


323 

kennen ,  wie  zu  verstehen ,  dass  ausserhalb  Roms  bei  Abfassung  und 
Anfertigung-  dieser  Tesseren  nicht  die  uniforme  Strenge  einer  tradi- 
tionellen Handwerkstechnik  herrschte,  wie  wir  sie  durchgängig  auf  den 
städtischen  finden;  Beweis  dafür  sind  sowohl  n.  12  von  Arelate  wie 
unsere  n.  35  von  Mutina;  nur  n.  20  von  Parma  schliesst  sich  der 
römischen  Norm  genau  an  —  abgesehen  von  der  allen  dreien  gemein- 
samen Weglassung  des  Tagesdatums,  worüber  s.  zu  n.  12,  —  Auch  die 
ungewöhnliche  Grösse  der  Modeneser  Tessera  gehört  dahin;  bis  auf  die 
allerjüngste  aus  der  Vespasianischen  Zeit  (n.  67)  ist  sie  von  allen  (nicht 
bloss  durch  Abschrift  bekannten)  die  umfänglichste,  wie  n.  21  von  allen 
die  winzigste.  —  Die  Umrisse  des  Griffs  konnten  nicht  gegeben  werden, 
weil  die  Tessera  mit  den  übrigen  Modeneser  Kunstschätzen  und  Alter- 
thümern  von  ihrem  herzoglichen  Besitzer  nach  Wien  geschleppt  worden 
und  dort  unzugänglich  ist ;  dass  er  durchbohrt  war,  erinnert  sich  Cave- 
doni  besser  als  wie  er  es  war, 

37   (745),     Die    Schreibung    Id    statt  ID,    hier    sowohl    wie    n.  39, 

beruht  auf  Scaliger's  Abschrift  in  dem  zu  n.   8   citirten  Leidener  Codex, 

t  38  (p.   201  f)  =  Taf,  II   B.     Nach  dem  durch  H,   Brunn   von   dem 

Original   des  Museo    nazionale    zu    Neapel   genommenen    Stanniolabdruck 

lautet  die  Tessera  genau  so : 


Sache  des  Herausgebers;  Sache  des  Lithographen  dagegen,  es  so  zu  geben  wie  es  jetzt  aus- 
sieht. — •  Auch  das  Beispiel,  das  Cavedoni  zur  weitern  Verdeutlichung  seiner  Aeusserung 
beibringt,  ist  nicht  glücklich  gewählt.  In  der  Popillius-Inschrift  P.  L  M.  Taf.  51  B  soll  ich 
mich,  wenn  ich  PKAEITOR  statt  PRAETOR  zu  erkennen  meinte,  ebenfalls  durch  den  Papier- 
abdruck haben  täuschen  lassen.  Woher  weiss  denn  das  Monsignor  Cavedoni  ?  Etwa  weil 
es  Mommsen  n.  551  S.  154  sagt?  Aber  der  sagt  ja  nichts  anderes  als  was  ich  Enarr. 
S.  46  selbst  gesagt,  nämlich  dass  wir  beide  einen  und  denselben  Papierabdruck  auf  den 
streitigen  Buchstaben  genau  untersucht  und  die  betreuende  Stelle  —  nicht  etwa  nur  des 
Abdrucks,  sondern  nach  dessen  Anleitung  auch  des  Steines  selbst  so  beschaffen  gefunden 
haben,  dass  der  eine  sich  mehr  dahin  neigte,  in  der  unzweifelhaft  vorhandenen  Vertiefung 
(bei  zugleich  ungewöhnlich  breitem  Zwischenräume)  die  Reste  eines  I  zu  sehen,  der  andere 
mehr  dahin,  nur  die  Wirkung  eines  äus.sern  Einflusses  auf  die  Oberfläche  des  Steines,  näher 
eine  durch  Regenströmung  gebildete  Rinne,  darin  zu  erblicken.  Also  adhuc  sub  iudice  lis 
est.  Denn  für  einen  Beweis  wird  doch  Cavedoni  das  nicht  ausgeben  wollen,  dass  Momm- 
sen nebenbei  den  consensus  derer  erwähnt,  die  den  Stein  früher  gesehen  und  kein  I  gelesen 
haben:  was  um  so  begreiflicher  ist,  je  ferner  ihnen  auch  nur  der  Gedanke  an  eine  Form 
praeitor  gelegen  haben  wird.  Mommsen  selbst  wenigstens  würde  es  sich  gewiss  verbitten, 
dasjenige  einen  Beweis  zu  nennen,  was  unzählige  Beispiele,  in  denen  er  zuerst  und  allein 
richtiger  gelesen  hat  als  alle  seine  Vorgänger,  aus  der  Reihe  seiner  Leistungen  streichen 
würde. 
Abh.  d.  L  Gl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  IL  Abth.  45 


324 


1  0  L 

L  A  •  S  A  L  V  I  E 

N  I 

IV 

N 

MAR 

iNER  • 

CLAVD  •  T 

QVINT- 

COS 

S 

PECT 

Denn  es  ist  kein  Grund,  mit  Momnisen,  wie  jetzt  so  schon  I.  R.  N. 
6304,  die  letzte  Zeile  zur  ersten  zu  machen,  während  sie  Marini  Att. 
Arval.  S.  26  ganz  falsch  zwischen  die  erste  und  zweite  einschiebt. 
MAR  gab  Mommseu  früher  richtig  mit  Marini  statt  des  jetzt  von  ihm 
gesetzten  MARX.  Eben  so  richtig  schrieb  Marini  das  COS  aus,  während 
bei  Mommsen  beidemale  nur  CO///  steht.  —  Wenn  Marini  diese  Tessera 
wegen  der  Schreibung  QVINT  •  verwarf,  so  schien  diess  Mommsen 
(I.  N.)  mit  Recht  kein  genügender  Grund.  So  gewiss  dass  QVINCT  an- 
tiker und  correcter  ist  —  die  Capitolinischen  Consularfasten  bewahren 
es  in  den  Personennamen  durchgängig  — ,  so  wenig  ist  doch  zu  ver- 
kennen, dass  QVINT  schon  ziemlich  früh  eintrat.  Nicht  nur  geben  die 
Triumphalfasten  im  Monatsnamen  (was  doch  ganz  auf  Eins  hinauskömmt) 
eben  so  regelmässig  QVINT ;  nicht  nur  finden  wir  z.  B.  unter  Nero  im 
J.  812  QVINTIA  geschrieben  I.  R.  N.  3067  und  im  J.  816  QVINTR^S 
Or.  517,  unter  Vespasian  823  QVINTILIVS  I.  R.  N.  6769  zweimal, 
um  830  QVINTILIANVS  Or.  2243;  i)  sondern  ebendieselben  Consuln 
unseres  Jahres  741  sind  I.  R.  N.  4834  TI  •  CLAVDIO  •  NER  •  P  •  QVIN- 
TILIO  geschrieben.  Aber  wohl  zu  merken,  P  •  QVINTILIO,  nicht  T  •  vde 
auf  unserer  Tessera,  wodurch  die  Fälschung  derselben  unwidersprechlich 
ins  Auge  springt.  Es  ist  zu  verwundern,  dass  das,  wie  schon  Marini, 
so  auch  Mommsen  unbemerkt  gelassen  hat,  der  I.  N.  über  die  Aecht- 
heitsfrage  schwankte    und    sich  erst  jetzt  für  die  Unächtheit    entschied. 


1)  Und  80  weiter  unter  Nerva  QVINTO  Or.  2782;  unter  Antoninus  QVINTILLO  ib.  3062  und 
4092;  unter  Marc  Aurel  gVINTKIO  ib.  22ü7  vergl.  m.  Henzen  III  S.  186,  QVINTILLO  ib, 
2566  und  ohne  Zweifel  auch  I.  N.  271,  QVINTILO  Or.  6268,  QVINTIO  ib.  2877;  unter 
SeptimiuB  Severus  QVINTILLTANO  ib.  5317;  unter  Alexander  Severus  QVINTIANO  ib. 
2377.  6492.  6053.  Daneben  ist  jedoch  mit  nicliten  die  alte  Schreibung  verschwunden;  viel- 
mehr setzt  sie  sich  von  dem  Augusteischen  QVINCTIVS  Grut.  187,  4  an  fort  durch  die 
NervianiHche  Zeit  (in  QVINCTILIO  Or.  5970)  bis  zu  Marc  Aurol  (QVINCTIO  QVINCTIAN'O 
ib.  6502)  und  Comraodus  i  QVINCTO  ib.  2214,  QVINCTIVS  ib.  6823)  und  vermuthlich  noch  weiter. 


325 

Denn  dass  das  Pränomen  P.  unzweifelhaft  feststeht ,  lehren  ja  ausserdem 
alle  Fastenüberlieferungen:  s.  C.  I.  L.  t.  I,  S.  467.  564.  Hier  haben  wir 
also  einmal  eine  handgreifliche  Bestätigung  für  die  Beweiskraft  auch 
der  untergeordneten  Anstösse,  von  denen  als  Unächtheitskriterien  zu 
n.  3.  5.  32  zur  Genüge  die  Rede  war  und  die  sich  hier  nicht  minder 
häufen.  Es  sollte  mich  wundern,  wenn  Avellino ,  dessen  über  diese 
Tessera  handelnde  epistola  an  Arditi  Mommsen  I.  N.  erwähnt,  eine 
Rettung  versucht  hätte ;  gesehen  habe  ich  die  Act.  acad.  Hercul. ,  wo 
sie  t.  III  p.  77  stehen  soll,  so  wenig  wie  Mommsen.  Denn  wohin  soll 
man  sich  in  Deutschland  wenden,  wenn  die  Bibliotheken  von  München, 
Güttingen,  Wien  im  Stiche  lassen,  deren  Reichthum  nur  von  ihrer  Libe- 
ralität übertroffen  wird? 

39  (746).  Wegen  [D  s.  zu  n.  37.  Ob  Manutius  mit  der  Schreibung 
GENS ,  oder  Scaligei-  mit  GEN  Recht  habe ,  bleibt  dahingestellt.  Ich 
bin  letzterm  gefolgt.     Vgl.  zu  n.  47.  50. 

40  (747).  Dass  diese  Tessera  des  ehemaligen  Hertz'schen  Kabinets 
in  das  Britische  Museum  übergegangen  ist,  aber  augenblicklich  dort 
nicht  zugänglich  war,  wurde  zu  n.  9.  10  bemerkt.  —  So  abnorm  bei 
einem  Freien  die  Weglassung  des  Pränomen  erscheinen  mag,  welches 
n.  37  und  49  richtig  hinzugesetzt  ist,  so  müssen  wir  uns  das  doch  hier 
so  gut  gefallen  lassen  wie  n.  42.  63  bei  FLORONIVS  ROMANVS  und 
GVRTIVS  PROGVLVS:  abgesehen  davon,  dass  der  Herr  des  Sklaven  in 
allen  Tesseren  ohne  Ausnahme  das  Pränomen  entbehrt. 

*  41  C'^'iS)  =  Taf.  II  S.  Das  SP,  wofür  Mommsen  nach  Zumpt 
(oder  nur  nach  Fabretti?)  bloss  sP  gesetzt,  erscheint  auf  dem  Abdruck 
des  Londoner  Originals  ganz  vollständig.  —  Entweder  gibt  oder  gab 
es  von  dieser  Tessera  mehr  als  ein  Exemplar,  oder,  wenn  nur  das  hier 
facsimilirte ,  so  ist  sie  ohne  Zweifel  unächt.  Die  Familienähnlichkeit 
mit  den  ausgemachten  Fälschungen  n.  72.  73.  74  (Taf.  II  c  6^  e),  auch 
n.  56  (Taf.  III  0),  springt  zu  stark  in  die  Augen,  als  dass  es  vieler 
Worte  bedürfte.  Auf  allen  ganz  derselbe  Schriftcharakter,  wenn  man 
eine  Gharakterlosigkeit  so  nennen  kann,  die  nicht  etwa  nur  durch  ein- 
zelne Buchstabenformen  wie  P,  M  und  das  lächerlich  schiefliegende  S, 
sondern  durch  ihr  ganzes  dünnbeiniges,  kritzliges  Wesen  den  schärfsten 
Gegensatz  zum   antiken  Typus  bildet,  wie  er  uns  überhaupt  bekannt  ist 

45* 


326 

und  insbesoudere  auf  den  ächten  Tesseren  allen  entgegentritt;  überall 
ferner  dieselbe  Spielerßt,  jede  Scliriftzeile  noch  mit  einem  besondern 
Rahmen  zu  umschliessen,  woran  auch  die  Fälscher  von  n.  70.  71.  77 
ein  besonderes  Wohlgefallen  gefunden  haben ;  dazu  vorzugsweise  bei 
unserm  Stück  ein  Mangel  an  Accuratesse,  der  in  den  unsymmetrischen 
und  schiefvertheilten  Linien  bis  zur  Hässlichkeit  hervortritt.  Also :  im 
besten  Falle  haben  wir  an  dem  Londoner  Exemplar  nur  die  moderne 
Copie  einer  ächten  Tessera,  wie  wir  deren  ja  auch  von  n.  6.  15.  18. 
34  kennen.  Und  sehr  möglicher  Weise  könnte  die  auffallend  variirende 
Herkunftsangabe  ('Romae  apud  Franc.  Angelonum'  bei  Tomasini  1647, 
'apud  cardinalem  Barberinum'  bei  Doni  f  1669,  'apud  Didacum  a  Vida- 
nia'  bei  Fabretti  1702,  'Leidae  in  museo  Thomsiano'  bei  Saxe  ^)  vielmehr 
auf  verschiedene  Exemplare,  statt  auf  blossen  Wechsel  des  Besitzes 
eines  einzigen  zurückgehen.  Selbst  die  Varianten  scheinen  diese  An- 
nahme zu  begünstigen.  Denn  wenn  Fabretti  Z.  3  nur  ///P  statt  SP  hat,  so 
deutet  auf  ein  vorn  defectes  Exemplar  noch  deutlicher  die  Publication 
Tomasini's  hin,  die  ich  Anschaulichkeits  halber,  unter  Bewahrung  der 
Masse,  mit  der  unsrigen  zusammenstelle: 


DEMETRIVS 

FADENI 

SP-    K-      IVN 

L-LENT-M-MES- 

COS 

DEM 

T 

R  I  V 

S 

FADENI 

LENT- 

M- 

MES- 

COS 

K 

IVN 

Dass  Tomasini's  Abbildung  plump  und  ungeschickt  ist  und  die  Schrift 
im  ordinären  Drucktypus  wiedergibt,  darf  weiter  nicht  in's  Gewicht 
fallen;  man  verstand  es  eben  damals  nicht  besser,  wie  die  als  Facsimile's 
ohne  Zweifel  abscheulichen  Darstellungen  von  n.  46  und  besonders  n.  76 
{Taf.  II  T  und  f)  augenscheinlich  beweisen,  während  sich  auch  von  den 
Sada'schen  Abbildungen  (n.  5.  8.  34),  sowie  von  denen  des  Pignorius 
und  Guasco  (n.  71.  70),  desgleichen  von  der  Oderici'schen  (zu  n.  45), 
denen  des  Malvasia  (zu  68.  69),  und  der  des  de  la  Chausse  (zu  n.  55) 
kaum  etwas  Löblicheres    sagen    lässt.     Auch    die    verkehrte    Reihenfolge 


1)  Nämlich  in  Act.  lit.  eoc.  Rheno-Traiect.  t.  IV  (1803)  S.  49. 


327 

der  Zeilen  braucht  nur  auf  dieselbe  Nachlässigkeit  zurückzugehen,  von 
der  so  auffallende  Beispiele  zu  n.  5.  zusammengestellt  wurden.  —  Trotz 
alledem  bleibt  natürlich  die  als  möglich  hingestellte  liechtfertigimg  un- 
serer Tessera  sehr  problematisch,  obschon  sich  sonst  gegen  die  Fassung 
der  letztern  nichts  einwenden  lässt. 

43  (750)  =  Taf,  III  J.  Zu  Nutz  und  Frommen  solcher,  welche 
nicht  in  der  Lage  waren  sich  durch  viel  eigene  Anschauung  mit  dem 
specifischen  Charakter  antiker  Schriftzüge  vertraut  zu  machen,  und  die 
daher  zu  der  Entscheidungskraft  des  paläographischen  Moments ,  wie 
es  namentlich  zu  n.  32  und  41  geltend  gemacht  wurde,  kein  rechtes 
Zutrauen  fassen  mögen,  sei  hier  mitgetheilt,  dass  die  beiden  Stücke  43 
und  54  auf  Taf.  III  unter  J  und  8  bereits  eben  so  wiederholt  waren, 
wie  sie  in  P.  L.  M.  Taf.  III  i?  und  8  aus  den  Mouumenti  des  römischen 
Instituts  IV  t.  53  n.  48.  49  herübergenommen  waren:  als  sich  mir,  bei 
der  Schlussrevision  der  lithographischen  Tafel,  der  schon  früher  auf- 
gestiegene, aber  immer  wieder  beschwichtigte  Zweifel  au  der  wirklichen 
Alterthümlichkeit  dieser  Buchstabenformen  von  Neuem  so  unabweislich 
aufdrängte,  dass  ich  zu  der  Alternative  kam ,  entweder  seien  auch  diese 
Tesseren,  trotz  aller  sonstigen  Unverfänglichkeit,  modernes  Machwerk, 
oder  die  Nachbildung  sei  eine  äusserst  untreue  und  willkürliche.  Schnell 
erbetene  und  eben  so  schnell  gewährte  Haudzeichnungen  des  jetzigen 
Besitzers,  Herrn  H.  Kestner  in  Hannover,  entschieden  bald  für  den 
zweiten  Theil  jener  Alternative ;  die  nach  ihnen  jetzt  bewirkte  Umar- 
beitung der  Schrift  kann  jedem,  der  sich  die  Mühe  nimmt  sie  mit  der 
frühern  Facsimilirung  zu  vergleichen,  den  Unterschied  augenfällig  machen ; 
der  römische  Stecher  (oder  Zeichner)  hat  im  Wesentlichen  ebenso  mo-  ^ 
dernisirt  wie  der  Graveur  von  n.  32  und  38.  —  Was  die  römische 
Epigraphik  überhaupt,  im  Ganzen  und  Grossen,  lehrt,  das  stellen  uns 
im  Kleinen  auch  unsere  Tesseren  vor  Augen:  den  Gegensatz  zweier 
Schrifttypen,  der,  wenn  nicht  in  allem  Detail  definirbar,  nichts  desto 
weniger  vermöge  seines  Gesammteindrucks  sehr  markirt  hervortritt. 
Es  ist  das  der  Gegensatz  des  republikanischen  und  des  kaiserlichen 
Typus,  welche  beide  ein  halbwegs  geübter  Blick  fast  ohne  Irren  unter- 
scheidet. Wie  uns  der  erstere  in  seiner  derben  Schlichtheit  und,  möchte 
ich  sagen,  unbewussten  Grossheit  unverkennbar  entgegentritt  auf  Taf.  I 


328 

iu  ^  />'  D  F  G  U  J  K  M  und  Taf.  III  'm  Ä  C  D  E,  ^o  nicht  min- 
der gleichartig  die  zierliche  Gemessenheit,  das  bewusste  Ebenmass  des 
zweiten  auf  Taf.  I  in  .V  0,  Taf.  \l  U  W  Y,  Taf.  III  F  H  J  K  L  M 
N  P  Q  R  S  T.  Kann  man  selbst  in  der  letztern  Reihe  wiederum 
gewisse  Nuancen  unterscheiden  zwischen  dem  ganzen  achten  Jahrhun- 
dert und  den  zwei  der  Neronisch-Vespasianischen  Periode  angehörigen 
Stücken  Taf.  II  Y  und  III  B,  so  ist  der  altrepublikanische  Typus  mit  dem 
Eintreten  der  Monarchie  geradezu  wie  abgeschnitten.  Kein  Widerspruch 
ist  die  einzige  scheinbare  Ausnahme  der  n.  35  =  Taf.  III  G,  mit  ent- 
schieden republikanischer  Schrift  aus  dem  12.  Regierungsjahre  des 
Augustus ;  denn  nicht  nur,  dass  es  ja  absolut  scharfe  Scheidelinien  nir- 
gends, vielmehr  überall  Uebergänge  mit  verfrühten  Vorläufern  und  ver- 
späteten Naclizüglern  gibt,  so  haben  wir  es  auch  nicht  mit  einem 
Moaumeut  von  Rom  oder  Latium  zu  thun,  sondern  mit  einem  aus  dem 
cisalpinischeu  Gallien ;  wie  lange  aber  der  Provinzialgebrauch  zuweilen 
zurückblieb  in  Sprache  und  Schrift,  können  uns  Steinschriften  lehren 
wie  z.  B.  F.  L.  M.  t.  85  B,  86  ^:  vgl.  Enarr.  S.  74.  75  und  Ind. 
p.  120'-'  im.  —  Zufällig  sind  es  auch  zwei  Typen  der  Fälschung,  die 
wir  unterscheiden  können :  der  elegant  modernisirende  Taf.  I  P  und 
Taf.  II  B,  und  der  charakterlos  flüchtige  Taf.  11  S  c  d  e,  III  0.  Zwi- 
schen dem  letztern  und  dem  acht  republikanischen  nimmt,  wie  man 
zugestehen  muss,  eine  gewisse  Mitte  die  Schrift  von  n.  27  =  Taf.  I  L 
ein,  in  der  ausser  dem  M  besonders  das  schiefe  S  befremdet;  indessen 
schienen  diese  Anstösse  doch  nicht  durchschlagend  genug,  um  zu  einer 
entschiedenen  Verdächtigung  zu  berechtigen. 

45  (752)  =  Taf.  III  T.  Hier  kann  ich  für  die  unbedingte  Treue 
des  Facsimile's  nicht  einstehen.  Der  Stanniolabdruck  (s.  o.  S.  297  Anm.) 
kam  so  zerquetscht  in  meine  Hände,  dass  nur  durch  Combination  seiner 
lesbaren  Reste  mit  einer  gleichzeitig  übersandten  flüchtigen  Handzeich- 
nung eine  thunlichst  befriedigende  Nachbildung  zusammenzusetzen  war. 
So  viel  sieht  mau  jedenfalls  daraus,  dass  das  angebliche,  obwohl  in 
Kupfer  gestochene  Facsimile  bei  Oderici  in  'Uiss.  et  adnot.  in  aliq. 
ined.  vet.  inscr.  et  num'.  S.  185  diesen  Namen  so  wenig  wie  möglich 
verdient  (s.  zu  n,  41). 

47  (754).      Mommsen    führt   aus   dem  Scaliger'schen    Codex  (s.  zu 


329 

n.  8.  37.   39.  50)  die  Variante  OCTO  an,  was  an  sich  nicht  sehr  glaub- 
lich wäre ;  in  der  mir  zugegangenen  Durchzeichnung  steht  nur  OCT. 

*  48  (755).  Wenn  wirklich  auf  dieser  Tessera,  welche  Marini  Arv. 
S.  643  von  E.  Q.  Visconti,  aber  vermuthlich  doch  nur  in  Abschrift, 
mitgetheilt  erhielt,  SOCIORVM  geschrieben  steht,  so  ist  sie  gewiss  falsch. 
Denn  es  hat ,  wie  Marini  mit  Recht  hervorhebt ,  keinen  Sinn ,  dass 
jemand  der  Sklav  von  'Compagnons'  genannt  werde,  deren  Namen  man 
nicht  erfährt.  Um  so  auffallender  daher,  dass  Mommsen  von  diesem 
vermeintlichen  SOCIORVM  sogar  den  Gebrauch  gemacht  hat,  es  aus 
Conjectur  für  n.  52  vorzuschlagen.  Unter  diesen  Umständen  wäre  sehr 
zu  wünschen,  dass  die  ansprechende  Vermuthung  Marini's,  SOCIORVM 
sei  für  SOSIORVM  verlesen  worden ,  durch  Wiederauffindung  der  ehe- 
mals in  der  Sammlung  Poniatowsky  befindlichen  Tessera  Bestätigung 
fände.  Doch  gestehe  ich  daran  einigermassen  zu  zweifeln,  da  mich  auch 
noch  ein  zweiter  Verdachtsgrund  bedenklich  macht.  Er  beruht  auf 
der  Abkürzung  KAL  statt  des  in  älterer  Zeit  fast  ausschliesslich  üb- 
lichen, jedenfalls  im  Kreise  dieser  Tesseren,  bis  auf  die  um  ein  halbes 
Jahrhundert  jüngere  n.  65,  ohne  Ausnahme  herrschenden  K.  Die  ganzen 
Zeiten  der  Republik  bieten  unter  weit  über  hundert  Beispielen  des  K 
ein  einziges  von  KAL  dar  in  der  lex  agraria  des  J.  643.  Die  sämmt- 
lichen  Kalenderfasten,  desgleichen  die  Consular-  wie  die  Triumphalfasten, 
die  altern  Acten  der  Arvalbrüderschaft  u.  a.  kennen  neben  dem  regel- 
mässigen NON  und  EID  kein  KAL,  sondern  ausschliesslich  K.  Höchst 
schüchtern  und  vereinzelt  tritt  das  KAL  in  den  ersten  Kaiserzeiten  auf: 
unter  Augustus  einmal  Or.  1411,  unter  Nero  ib.  517,  unter  Domitian 
ib.  3118,  unter  Traian  ib.  784,  unter  Antoninus  ib.  1541  u.  s,  w. 
Erst  von  den  Zeiten  des  Commodus  an  gewinnt  es  mehr  und  mehr 
die  Ueberhand,  ohne  dass  jedoch  K  daneben  verschwindet.  Unter  diesen 
Umständen  wird  man  zugeben  müssen,  dass  das  KAL  auf  unserer  Tessera, 
wenn  auch  für  das  J.  759  nicht  unmöglich,  doch  gar  sehr  geeignet 
ist,  einen  anderweitig  begründeten  Verdacht  zu  verstärken. 

50  (759).  Dass  ich  FEB  statt  FEBR  geschrieben,  beruht  auf 
Scaliger' s  Abschrift.  Zwischen  ihm  und  Manutius  hat  man  hier  eben 
so  die  Wahl  wie  n.   39. 

51  (760)  =  Taf.  III  M.      Wenn  die   frühere  Lithographie  P.  L.  M. 


330 

t.  lll  -V  einige  offene  A  gab  (wie  sie  n.  67  wirklich  hat),  so  hat  schär- 
fere Untersuchnng  gelehrt,  dass  sie  alle  den  Queerstrich  haben,  nur  so 
hoch   nach  der  Spitze  zu,   dass  er  mit  dieser  fast  zusammenfliesst. 

52  (761)  =  Taf.  11  U.  lu  der  letzten  Zeile  dieser  Londoner  Tessera 
hätte  Mommsen  Zumpt  ganz  folgen  sollen,  da  dieser  auch  CO  statt  COS 
richtig  angibt.  Wenn  derselbe  Zumpt  aber  in  Z.  2  für  CVRCIORVM, 
wie  Cardinali  aus  Vettori's  Scheden  edirt  hatte,  CV-CIORVM  setzte, 
so  führte  er  damit  sehr  in  die  Irre.  So  übel  zerstört  auch  die  Ober- 
fläche der  Tessera  an  jener  Stelle  ist,  so  lassen  doch  erstlich  die  erhal- 
tenen Reste  des  dritten  Buchstaben  an  einem  R  nicht  füglich  zweifeln. 
Wäre  aber  darauf  wirklich  ein  C  gefolgt,  so  müsste  die  Tessera  ohne 
Gnade  als  Fälschung  gelten,  da  die  unerhörte  Schreibung  Curcius  so 
ziemlich  auf  einer  Linie  stände  mit  CAELER  n.  76  oder  MVZIO  n.  77, 
jedenfalls  viel  schlimmer  wäre  als  MARCELINVS  n.  56  und  APOLONIVS 
zu  n.  15,  und  wenig  besser  als  ANTTIO  n.  72.  Glücklicherweise  ist 
dem  nicht  so,  vielmehr  deutlich  die  obere  Hälfte  eines  T  zu  erkennen, 
dessen  Queerbalken  genau  so  in  der  Richtung  nach  rechts  mit  einer 
leisen  Steigung  nach  oben  geht  wie  in  dem  T  der  ersten  Zeile.  Nur 
indem  man  den  etwas  kürzern  linken  Arm  ausser  Acht  Hess  und  mit 
dem  Rest  des  Buchstaben  das  Ende  des  durch  CVRT  gehenden  breiten 
Risses  verband,  erhielt  man  das  trügerische  Bild  eines  C.  —  Dass  ein 
Sklav  mehrern  Herren,  namentlich  Brüdern,  angehört,  ist  bekanntlich 
etwas  sehr  Gewöhnliches.  Um  so  begreiflicher,  dass  eine  ganze  familia 
gladiatorum  im  gemeinschaftlichen  Besitz  einer  Compagniegesellschaft 
ist,  wie  in  den  von  Böckh  C.  L  G.  n.  2511  und  Add.  t.  II  S.  1028 
nachgewiesenen  Beispielen. 

54  (763)  =  Taf.  IH  S.     Wegen  der  Schrift  s.  zu  n.  43. 

55  (764)  =:  Taf.  III  Q.  Die  ganz  rohe  und  willkürliche  Abbildung 
bei  Labus  zu  Morcelli  'sulle  tessere'  etc.  S.  52,  der  ich  leider  in  P.  L. 
M.  t.  XCVII  K  in  Beziehung  auf  den  vorstehenden  Knopf  folgte,  ist 
lediglich  Wiederholung  des  sogenannten  Facsimile's  in  Mich.  Ang.  Causei 
(de  la  Chausse)  Romanum  museum  sive  thesaurus  eruditae  antiquitatis 
(Romae  1746)  sect.  VI  tab.  8,  obgleich  es  Labus  nicht  sagt.  —  Das 
kleine  Queerhäkchen  am  zweiten  L  der  vierten  Zeile  ist  natürlich  nur 
eine    der    bedeutungslosen   Zufälligkeiten,    wie    sich    deren    mehrere    auf 


331 


diesen  Tesseren  finden;  so  der  schräge  Verbindungsstrich  zwischen  II 
in  n,  11,  oder  der  Schwanz  an  VII  in  n.  21,  wo  dem  Arbeiter  nur 
der  Grabstichel  ansgeglitscht  sein  wird. 

t  56  (p.  201 Ä)  =  Taf.  III  0.  Kaum  hat  diese  Tessera,  selbst  mit 
einem  Kreuz,  ihre  Stelle  hier  verdient:  denn  dass  sie  so  falsch  wie 
möglich  ist,  darüber  ist  nach  Borghesi  a.  a.  0.  S.  90  ff.  kaum  noch 
etwas  zu  sagen,  obschon  ein  Theil  seiner  Gründe  weggefallen  wäre,  wenn 
er  sie  in  ihrer  wahren  Gestalt  gekannt  hätte,  welche  diese  ist: 


MARCELINVS  •  Q 

•  MAX 

F  A  S  F  C  I  0 

A  • 

D  •  X  •  K  •  NOV 

M 

•  SIL  •  L  •  NOR  • 

COS 

Nur  dass  nach  E.  Hübner's  noch  so  peinlicher,  durch  die  Lupe  unter- 
stützter Untersuchung  nicht  mit  Sicherheit  zu  ermitteln  war,  ob  in  dem 
Namen  der  zweiten  Zeile  der  erste  Buchstab  ein  T  oder  (wie  es  nach 
dem  Abdruck  scheinen  muss)  ein  F  sein  solle,  und  dass  der  vierte 
durchaus  kein  reines  V  ist,  sondern  unten  einen  von  links  nach  rechts 
gehenden  Schwanz  hat,  wodurch  das  Ganze  fast  wie  ein  schief  gekehrtes 
j  erscheint.  Unerklärlich  falsch  ist  die,  noch  dazu  in  Kupfer  gestochene, 
Publication  von  Caylus  im  Recueil  d'antiquites  t.  III  S.  290  Taf.  79, 
der  Mommsen  folgte,  während  eine  viel  richtigere,  wenngleich  nicht 
ganz  richtige,  von  Chabouillet  im  'Catalogue  general  des  camees  et 
pierres  gravees  de  la  bibliotheque  imp.,  suivi  de  la  description  des 
autres  monuments  exposes  dans  le  cabinet  des  medailles  et  antiques' 
(Paris  1858)  S.  555  n.  3248  gegeben  war.  Chabouillet  theilt  noch  mit 
Caylus  die  so  irrthümliche  wie  unverständliche  Lesung  NO  *  B  statt  des 
völlig  sichern  NOR ;  aber  er  gibt  die  richtige  Folge  der  Zeilen,  während 
Caylus  die  Consulnnamen  dem  Monatsdatum  vorangehen  lässt  und  diese 
Folge  unbegreiflicher  Weise  noch  ausdrücklich  durch  1  und  2  bezeichnet. 
Er  lässt  ferner  das  von  Caylus  ganz  aus  der  Luft  gegriffene  V  •  hinter 
TASVCIO  '    (was    nach    seiner    Angabe    auch   FASVLIO    gelesen    werden 

könne)    ganz    weg:    eine  vermeintliche  Sigle,    die    so    viel  Kopfbrechens 
Abb.  d.  I.  CL  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  II.  Abth.  46 


332 

gemacht  hat  uud  von  Orelli  n.  2561  durch  Yicit  erklärt  wurde,  von 
der  aber  Chabouüiet  mit  Recht  ausdrücklich  sagt  'je  dois  dire  que  je 
ne  distingue  pas  la  lettre  V.  Aber  wiederum  druckt  dieser  in  der  ^ 
ersten  Zeile  MAllCELLINVS ,  wo  Caylus  das  richtige  MARCELINVS 
gab;  Mommsen  hat  das  sowohl  bei  Caylus,  als  auch  (Add.  S.  560)  in 
dem  Facsimile  der  P.  L.  M.  t.  XCVII  L  übersehen,  indem  er  beide- 
male  irrthümlich  LL  schreibt.  Wie  sehr  aber  die  Schreibung 
MARCELINVS  an  das  APOLONIVS  der  nachgemachten  Venezianischen 
Copie  von  n.  15  erinnere,  drängt  sich  jedem  auf;  den  entgegengesetzten 
Schnitzer  haben  wir  n.  72  in  ANTTIO.  Welch  entscheidendes  Kriterium 
für  die  Unächtheit  aber  in  dem  kleinlichen,  spinnebeinigen  Gekritzel  der 
Schrift  selbst  liege,  die  hier  wo  möglich  noch  etwas  unantiker  ist  als 
in  u.  72 — 74  und  41,  ward  zu  n.  41  und  43  ausführlich  dargelegt. 
Ebenda  haben  auch  die  übrigen  Aeusserlichkeiten ,  die  besondere  Ein- 
rahmung jeder  Schriftzeile,  sowie  die  ringförmige  Gestalt  des  Henkels 
(ähnlich  wie  n.  3),  ihre  Erörterung  gefunden.  Die  Durchbohrung  des 
letztern  ist  übrigens  keine  doppelte,  wie  es  nach  dem  Facsimile  den 
Anschein  hat,  indem  der  Kreis  auf  der  ersten  und  dritten  Seitenfläche 
kein  durchgehendes  Loch,  wie  es  auf  Seite  2  und  4  wirklich  vorhanden 
ist,  bezeichnet,  sondern  nur  auf  der  Oberfläche  eingeritzt  ist:  gleich  als 
wenn  der  Verfertiger  zuerst  falsch  begonnen  und  sich  noch  rechtzeitig 
besonnen  hätte,   wo  das  Loch  richtiger  anzubringen  sei.     Vgl.  zu  n.  33. 

58  (7G6)  =  Taf.  III  F.  Den  Namen  PINVS  meinte  ich  auf  Tiivog 
zurückführen  zu  sollen.  Keil  —  6  dvoiiaToXoyog  —  gab  die  Möglichkeit 
zu ,  da  es  nicht  an  Analogien  fehle  wie  KonQsvg  C.  I.  G.  3444  B  2, 
KoriQia  ib.  5712,  4;  ^rtgxoQiog  ib.  U553,  Stercoria  I.  R.  N.  7187;  Fimus 
Rossi  n.  16,  ^<'^oi;  Philistor  11,428  col.  1,61.  Doch  glaubte  er  zugleich 
an  den  erdichteten  Ahnherrn  der  linarii,  den  jITvog  bei  Plutarch  Num.  21, 
erinnern  zu  müssen,  welchen  Namen  er  auch  aus  der  Liste  der  sne'yyQa^oi 
C.  I.   G.  284  III  a,   37  nachweist.      Man  hat  also  die  Wahl  frei. 

()0  (768)  —  Taf.  II  W.  Auch  von  dieser,  in  des  römischen  Stein- 
schneiders Saulini  Besitz  befindlichen  Tessera  verdanke  ich  den  Stanniol- 
abdruck, nach  dem  das  Facsimile  gearbeitet  ist,  der  freundschaftlichen 
Mittheilung  II.    Drunn's. 

03  (n.  776).    In  der  Zeitbestimmung  durfte  ich,  wie  schon  Momii.sen 


• 


333 


und  Henzen  Or.  n.  6161,  Borghesi's  Bestimmung  Bull.  d.  Inst.  1842 
S,  3 1  folgen ,  der  den  Consul  M.  Vettius  (Niger)  in  die  Regierung  des 
Claudius  setzt,  wenn  auch  Gewissheit  dafür   fehlt. 

64  (772).  Sollen  wir  denn  wirklich  glauben,  dass  diese  Tessera 
zugleich  acht  und,  die  einzige  unter  60 — 70  vierseitigen,  sechsseitig 
sei?  Freilich  sagt  es  kein  Geringerer  als  Marini  Arv.  S.  822  f.  und  gibt 
sie  in  dieser  Gestalt: 


PINITVS 


ALLEI 


SP-   K-FEB 


TI-CL-CAES-    II 


C • CAEC 


COS 


Aber  dieses  Hexagon  ist  und  bleibt  doch  etwas  nicht  nur  aus  der 
besondern  Norm  des  engern  Kreises,  sondern  auch  aus  der  allge- 
meinen Gewohnheitsmässigkeit ,  die  in  solchen  Dingen  bei  den  Alten 
herrscht ,  so  ganz  und  gar  heraustretendes ,  dass  es  sich  wohl  verlohnt 
zu  fragen,  wie  verbürgt  denn  eigentlich  diese  Beschreibung  sei.  Der 
Wortlaut  bei  Marini  ist  dieser:  '.  .  .  nella  seguente  tessera  gladiatoria 
di  forma  esagona,  trovata  insiem  con  quella,  che  ho  dato  alla  p.  665, 
nella  Villa  Panfilj,  possedute  ora  tutte  e  due  del  Sig.  Ab.  Lelli  '.  Hat 
er  sie  also  selbst  gesehen?  Man  denkt  es  wohl  unwillkürlich,  aber 
weder  sagt  er  es,  noch  —  darf  man  hinzufügen  —  hätte  er  das  was 
er  sagt  so,  wie  er  es  thut,  gesagt,  wenn  es  der  Fall  wäre.  So  muss 
es  wenigstens  durchaus  scheinen  bei  Vergleichung  eben  der  frühern 
Stelle  p.  665,  wo  er  die  Tessera  n.  24  mit  diesen  Worten  publicirt: 
'siccome  si  ha  anche  da  questa  sincerissima  tessera  gladiatoria,  che  ho 
veduto  presso  uno  Scrittore  del  Tribunale  del  S.  0.'  Warum  sagt  er 
nicht  auch  von  der  andern,  die  ihm  doch  ihrer  Form  wegen  viel  auf- 
fallender sein  musste  als  diese  wegen  des  CN  •  POMP  •  III  •  COS ,  dass  er 
sie  nach  Autopsie  gebe?  Wie  möglich  also,  dass  ihm  nur  eine  Abschrift 
mitgetheilt    war,    welche  —  denn   was    ist   in    solcher    Beziehung    nicht 

46* 


334 

alles  geschehen!  —  die  Zeilenabtheilung  als  unwesentlich  behandelte, 
die  aber  Marini  für  genau  hielt.  Denn  der  Einwurf,  dass  die  Noth  zu 
einer  Ausnahme  von  der  Regel  geführt  habe,  weil  die  ungewöhnlich 
lange  Consulatsbezeichnung  nicht  in  Eine  Zeile  ging,  hält  Angesichts 
der  n.  67  nicht  tStich,  wo  es  noch  ein  paar  Buchstaben  mehr  sind  und 
doch  in  Eine  Zeile  gedrängt.  Jene  Möglichkeit  aber  für  Wirklichkeit 
zu  nehmen  bestimmt  mich  der  entscheidende  Umstand ,  dass  unsere 
Tessera  mit  der  unzweifelhaft  ächten  n.  24  zusammen  gefunden  wor- 
den ,  also  selbst  unmöglich  modernen  Ursprungs  ist.  Erst  von  dieser 
(iewissheit  aus  lässt  sich  das  an  sich  ziemlich  bedenkliche  PINITVS  glaub- 
haft rechtfertigen.  Dass  es  das  griechische  jiivvTÖg  oder  vielmehr  der  auch 
dort  mehrfach  wiederkehrende  Name  nivvtog  (s.  Pape)  sei,  sahen  mehrere; 
aber  die  Schreibung  mit  i,  statt  entweder  Pinutus  oder  Pinytus ,  muss 
von  vornherein  weit  eher  Verdacht  als  Glauben  erwecken,  wo  es  sich  um 
Claudianische  Zeit  handelt.  Denn  man  würde  nur  einen  grossen  Irr- 
thum  theilen,  wie  er  manchen  heutigen  Textesausgaben  zur  wider- 
sinnigsten Verunstaltung  gereicht,  wenn  man  die  geschichtliche  Exi- 
stenz dieser  wie  vieler  ähnlichen  orthographischen  Incorrectheiten  nach 
Massgabe  unserer  Handschriftenüberlieferung  beurtheilen  und  sie  sich 
für  frühere  Zeit  in  ähnlicher  Häutigkeit  vorstellen  wollte,  wie  sie 
in  den  mittelalterlichen  Codices,  die  wir  die  besten  zu  nennen  pflegen,  auf- 
treten. Die  vermöge  ihrer  Gleichzeitigkeit  allein  verlässliche  Inschriften- 
überlieferung lehrt  vielmehr,  dass  die  ersten  Jahrhunderte  n.  Chr.  im 
Ganzen  und  Grossen  durchaus  noch  die  correcte  Norm  bewahrten  und 
nur  sehr  vereinzelten  Vorspielen  der  mittelalterlichen  Nachlässigkeit 
Kaum  gaben.  Was  insbesondere  die  Vertauschung  des  Y  mit  I  betrifft, 
so  beweisen  zunächst  die  paar  Beispiele ,  die  es  aus  der  ganzen  langen 
Epoche  der  Republik  gibt,  gar  nichts,  weil  sie  überhaupt  vor  die  Ein- 
führung oder  doch  durchgesetzte  Aufnahme  des  Buchstabenzeichens  Y 
fallen,  also  in  eine  Zeit,  die  noch  ini  Ringen  begriffen  war,  wie  sie  den 
fremden  Laut  mit  den  einheimischen  Zeichen  am  adäquatesten  auszu- 
drücken hätte.  Dahin  gehören  also  die  Mon.  epigr.  tr.  S.  26  ^),  Rhein. 
Mus.    10  S.  448  und  Enarr.  S.  124  bes})rochenen  Schreibungen  SISIPVS 


1)  Dan  hier  aus  c    724  beigebrachte  SIRIA  Or.  572  muss  durch  die  Mommsen'sche  Publicatioii 
I.  R.  N.  4320,  die  SYRIA  gibt,  beseitigt  scheinen. 


335 

HIMINIS,  mit  denen  nur  der  Versuch  gemacht  wurde,  dem  griechischen 
Laute  näher  zu  kommen  als  mit  dem  althergebrachten  V,  Für  die  Kaiser- 
zeiten aber  mag  die  folgende  kleine  Reihe  datirter  oder  datirbarer 
Belege^)  die  Seltenheit  des  I  veranschaulichen:  unter  Tiberius  (785) 
NEDIMI  I.  R.  N.  4607;  unter  Nero  EVTICHVS  Or.  5772;  vor  Titus  die 
Pompejanischen  Mauerinschriften  lAClNTVS,  SCILAX ,  OALLITICHE, 
CORITVS  bei  Garrucci  Inscr.  grav.  (1854)  S.  33  ;  unter  Trajan  LISIMACVS 
Or.  799  =  I.  R.  N.  3048;  unter  Hadrian  (872)  BORISTHENES  Or.  824; 
unter  Antoninus  SARDONICHI  ib.  2795  ;  unter  Septimius  Severus  NIM- 
PHAEVM  ib.  6753;  unter  Alexander  Severus  BERECINT  und  CIMBAL 
ib.  2328  (=  I.  R.  N.  1399),  CRISTALLINIS  ib.  2952.  In  diese  Reihe 
also,  wird  man  zugeben  müssen,  darf  bei  der  gegebenen  Sachlage  auch 
ein  Claudianisches  PINITVS  eintreten,  so  sehr  auch  im  Allgemeinen  die 
correcte  Schreibung  mit  y  in  denselben  Zeiten  durchaus  das  Herrschende 
ist.  Neben  ihm  hatte  sich  übrigens  selbst  das  alte  u  noch  keineswegs 
verloren,  wie  z.  B.  unter  Augustus  (753)  TITVRVS  Or.  2966,  unter 
Claudius  SIBVLLINIS  L  R.  N.  2211,  unter  Nero  SVRIA  Or.  1946  u.  s.  w.: 
woran  sich  denn  die  in  den  Texten  der  Schriftsteller  der  Kaiserzeit, 
z.  B.  Tacitus,  überlieferten  Schreibungen  gleicher  Art  naturgemäss  an- 
schliessen  und  als  wohlberechtigt  ergeben. 

65  (776  fe)  =  Taf.  II  Y.  Mit  dem  museo  Campana,  wo  sie  Henzen 
abschrieb  und  an  Mommsen  schickte,  in  das  musee  Napoleon  über- 
gegangen, befindet  sich  diese  Tessera  leider  in  einem  so  verwitterten 
Zustande,  dass  es  Herrn  de  Longperier  nicht  möglich  war  einen  les- 
baren Gypsabguss  herzustellen,  sondern  er  sich  mit  einem  geschwärzten 
Papierabdruck  begnügen  musste,  dem  das  Facsimile,  so  gut  sich's  thun 
Hess ,  nachgebildet  worden.  In  der  dritten  Zeile ,  bemerkt  Longperier, 
il  ne  reste  rien  de  KA  (was  Henzen  zu  lesen  glaubte)  qu'une  trace'. 
In    der   zweiten    aber   liest    er  nicht  VIBI,    sondern  VIBn,^)   allem  An- 


1)  Auf  solche  beschränke  ich  mich  vorläufig  bei  dergleichen  Untersuchungen  grundsätzlich, 
da  sie  allein  eine  feste  Grundlage  und  verlässliche  Anhaltpunkte  geben,  während  die  vor- 
zeitige Einmischung  der  chronologisch  unbestimmten  nur  Unsicherheit  und  Verwirrung 
bewirken  kann. 

2)  Wenn  unmittelbar  an  das  letzte  I  ein  paar  Risse  der  Oberfläche  zufällig  so  ansetzen,  dass 
sie  mit  ihm  znsammengefasst  den  Schein  eines  N  geben,  so  ist  diess  zwar  selbstverständ- 
lich eben  nur  Schein  ohne  jede  Bedeutung ;  indessen  werde  ich  wohl  nach  den  gemachten 


3i36 

schein  nach  mit  Recht,  wie  denn  das  auch  der  hier  (gleichwie  in  n.  67) 
sichtlicli  bewahrten  Symmetrie  entspricht.  Gerade  aber  diese  zweisilbige 
Genitivendung,  in  Verbindung  erstens  mit  der  Abkürzung  KAL  statt  K, 
und  zweitens  mit  dem  zwischen  die  beiden  Consulnnamen  eingeschobenen 
ET  —  das  sind  drei  Ungewöhnlichkeiten  auf  einmal,  die,  für  Neronische 
Zeit,  wohl  einen  und  den  andern  bedenklich  machen  könnten.  Gleich- 
wohl fiihrt  eine  unbefangene  Erwägung  zu  der  Ueberzeugung,  dass,  da 
sich  jede  der  drei  Bedenklichkeiten  auf  rein  historischem  Wege  vollstän- 
dig erledigen  lässt,  an  der  Aechtheit  um  so  weniger  zu  zweifeln  ist, 
je  unverfänglicher  die  Tessera  im  Paläographischen  sowohl  wie  in  allem 
Aeusserlichen  erscheint.  Ueber  KAL  statt  K  kann  auf  die  Erörterung 
zu  n.  48  verwiesen  werden;  vom  Genitiv  11  wird  zu  n.  68.  69  die  Rede 
sein ;  mit  dem  ET  stände  es  misslicher ,  wenn  Borghesi's  Bestimmung 
(Bull.  d.  Inst.  1835  S.  6)  ausreichte,  nach  welcher  die  Verbindungs- 
partikel wesentlich  erst  vom  Zeitalter  der  Antonine  an  in  Aufnahme 
gekommen  wäre.  Sie  ist,  wenn  auch  nur  in  einzelnen  Beispielen,  viel 
älter,  und  zwar  nicht  nur  bei  der  kurzen  Bezeichnung  der  Consuln 
durch  blosses  Nomen  oder  Cognomen  (vgl.  zu  n.  68.  69),  sondern 
auch  bei  vollständiger  Nomenclatur.  Dass  die  Anfänge  der  Neu- 
erung, von  der  die  ganze  republicanische  Periode  nicht  ein  einziges 
Beispiel  aufweist,  schon  in  die  Augustische  Zeit  fallen,  lehren  die 
Pränestinischen  Fasten  mit  sechs  Beispielen  C.  I.  L.  S.  312.  313.  314. 
317,  wozu  sich  aus  d.  J.  746  Or.  n.  1  fügen  lässt.  Für  die  Regierung 
des  Tiberius  bezeugen  es  die  Vaticanischen  und  die  Amiternischen 
Fasten  S.  322.  324,  sowie  Or.  n.  7379  (J.  769),  n.  4046  (J.  779), 
n.  156  (J.  780);  für  Claudius  n.  1588  (J.  804):  lauter  ältere  Belege  als 
unsere  Tessera.  So  aber  auch  weiterhin:  unter  Domitian  n.  2782 
(J.  842),  unter  Trajan  n.  6774  (J.  851),  n.  5840  (J.  861);  bis  schon 
unter  Hadrian  das  ET  so  entschieden  durchbricht,  dass  wir  es  z.  B.  im 
J.  876  finden  Or.  n.  85G  a  und  3126;  in  877  n.  5681;  in  883  n.  794; 
in  888  n.  1280;  in  889  n.  1681  und  Grut.  874,  5;  in  890  Or.  6527. 
(>6  (773).  Die  Zeitbestimmung  nach  Borghesi's  Combination  a.  a.  0. 
S.   72,  der  Mommsen  gefolgt  ist. 

Erfahrungen  (s.  zu  n.  35)  darauf  gefasst  sein  müssen,  dass  man  auch  hier  die  Treue  der 
Nachbildung  als  Untreue  gegen  die  ursprüngliche  Beschafifenheit    des  Originals  schelte. 


337 


67  (774)  =  Taf.  III  R.  lieber  die  Aeusserlichkeiten ,  welche  bei 
dieser  jüngsten  (auch  grösten)  aller  unserer  Tesseren  in  Betracht  kommen, 
ist  alles  Nöthige  bereits  zu  n,  33 ,  sowie  zu  n.  3  beigebracht  worden. 
Ihre  neue  Zeichnung  hat  der  Besitzer,  Herr  Noel  des  Vergers  in 
Paris,  mit  freundlichster  Liberalität  vergönnt. 


Indem  hiermit  die  in  der  vorausgeschickten  Tabelle  verzeichneten 
Stücke  erledigt  sind,  bleiben  noch  solche  Fälschungen  zu  erwähnen, 
welche  wegen  mangelhafter,  unverbürgter  oder  gänzlich  unverständlicher 
Jahresbezeichnung  dort  gar  keinen  Platz  fanden.  Unter  ihnen  stehen 
obenan 

t  68.  69  (757.  758),  die  Mommsen  zwar  nicht  ohne  Andeutung  seiner 
Zweifel  mit  den  ächten  in  Reihe  und  Glied  gestellt  hat,  aber  unstreitig 
richtiger  geradezu  in  seine  Abtheilung  der  'suspectae  et  falsae'  ver- 
setzt hätte:  , 


ASPER 


STATU 


C 


SP  •  K  •  IVN 


ARRIO  •  •  VIR 


3 
3 
) 
) 


C 


VIRIVS  CAESII 


BASSVS 


SP  •  K  •  IVL 


") 

D 


APRONIO     ) 


So  nämlich  gibt  sie  in  Stichen,  die  nicht  besser*  sind  als  alle  da- 
maligen, Car.  Caes.  Malvasia  in  seinen 'Marmora  Felsinea'  (Bonon.  1690) 
S.  368,  mit  der  Angabe,  dass  sie  beide  'in  museo  metallico  solertissimi 
olim  antiquarii  Francisci  Loth'  befindlich  waren.  Um  der  zweiten  Sinn 
und  Stil  zu  geben,  las  sie  ('leggo'  sagt  er  sehr  lakonisch)  Cardinali  Dipl. 
n.  201   also: 


BASSVS 


CAESII 


SP  •  K  •  IVL 


VIBIO  •  APRONIO 


und    hatte    damit   die  Consuln    des    J.   761,     Aber    selbst    so    nur    ohne 
Pränomina,    deren  Weglassung    für  jene   Zeit   unerhört    ist,    wenigstens 


338 

wenn  nicht  alsdann  gleichzeitig  ET  dazwischentritt,*)  wie  ee  allerdings 
schon  unter  Tiberius  vorkömmt  Or.  n.  7379  in  PLANCO  *  ET  •  SIL«0  • 
COS  und  TAVliÜ- ET-LIBONE-COS,  und  in  gleichen  Beispielen  n. 
4046.  156.  Uebrigens  versteht  sich  wohl  von  selbst,  dass,  wer  heut- 
zutage eine  solche  Cardinali' sehe  'Lesung'  vorbrächte,  nur  scheinen  könnte 
mit  seinen  Lesern  Scherz  zu  treiben.  Würde  schon  ein  seltener  Grad 
von  Liederlichkeit  dazu  gehören,  so  falsch  abzuschreiben,  so  pflegt  man 
sich  doch  unter  allen  umständen  ein  Original,  das  man  in  Kupfer 
stechen  lässt,  wenigstens  etwas  genauer  anzusehen.  —  Von  dieser 
Seite  wäre  gegen  Hagenbuch's  (Epist.  epigr.  S.  371)  Herstellung  der 
ersten  Tessera,  in  deren  vierter  Zeile  er  APRONIO  (oder  APROwio)  VIB 
lesen  wollte,  nichts  einzuwenden ;  nur  dass  zu  dem  schon  gegen  Cardi- 
nali sprechenden  Grunde  noch  der  von  Mommsen  geltend  gemachte 
durchschlagende  kömmt,  dass  im  Juni  Apronius  und  Vibius  noch  gar 
nicht  Consuln  waren.  —  Aber  noch  nicht  genug:  gegen  beide  zusammen 
spricht  noch  ein  sprachliches  Kriterium,  welches  den  letzten  Zweifel  an 
der  Unächtheit  verschwinden  lassen  wird:  die  zweisilbige  Genitivenduug 
ii.  Mit  der  schönen  und  fruchtbaren  Bentley'schen  Beobachtung,  dass 
sie  im  Dichtergebrauch  erst  durch  Properz  und  Ovid  Eingang  fand,  ist 
der  Gebrauch  des  Lebens  nichts  weniger  als  erschöpft,  ja  nicht  einmal 
adäquat.  Hier  dauerte  es,  wie  uns  die  Inschriften  lehren  und  nur  sie 
lehren  können,  noch  gar  lange,  ehe  von  einem  wirklichen,  nur  einiger- 
massen  geläufigen  Gebrauch  die  Rede  sein  kann.  So  misslich  auch  bei 
dem  heutigen  Stande  der  epigraphischen  Texte  ^)  abschliessende  Bestim- 


1)  Das  scheint,  wenigstens  früher,  Cardinali  selbst  gefühlt  zu  haben,  wenn  er  Mem.  Rom.  II 
p.  150  wirklich  schrieb:  'era  da  leggere  BASSVS-  CAESH  •  SP  •  K  •  IVL  ■  VIBIO  •  ET  • 
APRONIO". 

2)  Welche  Vorsiclit  in  dieser  Beziehung  geboten  ist,  wo  es  sich  um  einen  einzigen,  sachlich 
irrelevanten  Buchstaben  und  um  eine  der  modernen  Gewohnheit  nicht  conforme  Schreibung 
handelt,  können  Beispiele  der  sonst  vertrauenswürdigsten  Gewährmänner  lehren.  In  der, 
noch  dazu  republicanischen,  Inschrift  P.  L.  M.  t.  71  A  gab  Marini  HOSTII,  während  ohne 
jeden  Zweifel  HOSTILi  stand.  Derselbe  Hess  Alb.  S.  88  n.  94  CLAVDII  drucken,  wo  nach 
Cardinali  Inscr.  Velit  S.  81,  dem  Borghesi  Ann.  d.  Inst.  1850  S.  365  folgt,  CLAVDI  steht. 
Selbst  Henzen  gab  eine  unserer  Tesseren,  n.  33,  mit  der  Form  SEPTIMII  Ann.  1856  S.  45, 
während  unser  Facsimile  gar  keinen  Zweifel  über  SEPTIMI  lässt.  Dagegen  erfahren  wir 
durch  denselben  Or.  III  S.  66,  dass  in  Or.  693  der  Stein  nicht  BENEFICII,  sondern  nur 
BENEFIC  hat.  In  n.  656  gibt  Orelli  TVLII,  aber  Mommsen  I.  R.  N.  81  nach  anderer 
Abschrift  IVLI.     Auch  Gr.  6341  nahm  Henzen  zwar  im  Text  CLAVDlI  auf,    aber  mit  der 


339 

mungen  sind^  so  wird  uns  doch  die  nachstehende  kleine  Reihe  der  da- 
tirten  Beispiele,  wenn  man  sie  mit  der  ungezählten  Menge  der  entgegen- 
stehenden zusammenhält,  ein  ziemlich  richtiges  Bild  von  dem  sparsamen 
Vorkommen  der  neuen  Form  im  ganzen  ersten  Jahrhundert  der  Kaiser- 
zeit geben.  Ein  älteres  als  aus  dem  J.  764  das  BENEFICII  der  ara 
Narbonensis  bei  Or.  2489  (wo  wenigstens  Gruter's  und  Millin's  Zeugniss 
zusammenstimmt)  kenne  ich  nicht.  Unter  Tiberius  bieten  sich  dar 
TIBERII  Or.  2925,  bestätigt  durch  I.  R.  N.  2908;  POLYBII,  aber  neben 
POLYBI,  Or.  1753  vgl.  mit  Henzen  III  S.  156;  IVLII  ib.  211;  MVNI- 
CIPII  zweimal  ib.  4046 ,  sichergestellt  durch  einen  in  meinen  Händen 
befindlichen  Papierabklatsch.  ^)    Weiter  unter  Nero  CLAVDII  ib.   719   und 


ausdrücklichen  Variantenangabe  CLAVDI,  die  höchst  wahrscheinlich  das  Wahre  trifft.  Bei 
Or.  1413  ist  CALEVII  oder  CALERII  zwar  ohne  Variante,  aber  die  ganze  Inschrift  ist 
falsch  und  darum  von  Mommsen  I.  R-  N.  in  den  Anhang  unter  n.  20  *  verwiesen.  Aus 
den  Pränestinischen  Fasten  brachte  Lachmann  zu  Lucr.  S.  328  TARVILII  bei:  die  neueste 
Bearbeitung  im  C.  I.  L.  S.  319  (zum  23.  Dec.)  lehrt  dass,  was  auch  der  Steinmetz  an  der, 
gerade  dort  nicht  mit  Sicherheit  zu  lesenden  Stelle  schreiben  wollte  oder  sollte,  doch 
nichts  einen  Genitiv  auf  ü  indicirt.  Wenn  derselbe  Lachmann  ebend.  aus  dem  monumentum 
Ancyranum  die  Schreibungen  DIVI  •  IVLI  ,  COLLEGI  ,  PROELl  anführt  und  hier  das 
lange  I  als  Zeichen  für  ii  darum  ansieht,  weil  ebenda  auch  AVRI '  CORONARI  und  lOVIS  ■ 
FERETRI  vorkommen:  wonach  also  dem  Augustus  selbst  die  zweislbige  Genitivform  schon 
ganz  geläufig  gewesen  wäre:  so  verhält  sich  auch  diess  anders.  Die  ganze  Inschrift  ist 
nämlich,  wie  jetzt  aus  Perrot's  schönem  Facsimile  ('Exploration  archeol.  de  la  Galatie  et 
de  la  Bithynie',  Paris  1862  ff)  ersichtlich  wird,  so  vollgefüllt  mit  unzähligen  langen  i,  die 
schlechterdings  nicht  für  ii  gesetzt  sind,  dass  jene  graphische  Verlängerung  einleuchtender 
Weise  auch  hier  nichts  anderes  als  was  überall  bedeutet  d.  i.  naturlangen  Vocal.  So  gleich 
in  der  üeberschrift  nicht  weniger  als  achtmal:  DIvI  *  AVGVSTI,  IMPERIO,  INCISARVM, 
AHENEIS  ■  PIlIS.  üebrigens  sind  auch  die  Lachmann'schen  Beispiele  grösstentheils  an 
sich  nicht  richtig:  4,  2  steht  DIVI-IVLI;  4,  24  DIVl  IVLl;  6,  32  einfach  DIVI  •  IVLI; 
4,  37  ist  wenigstens  jetzt  nur  noch  COLLEG  übrig;  4,  5  steht  nur  FERETRI:  G,  31  aber 
ist  dieses  Wort  gar  erst  Herausgebersupplement:  so  dass  schliesslich  bloss  PROELI  und 
CORONARl  übrig  bleiben. 
1)  Ich  wage  nicht  mit  einiger  Zuversicht  hier  das  IMPERlI  einzureihen,  welches  in  der  Lyoner 
Rede  des  Kaisers  Claudius  Col.  1  Z  36  gestanden  zu  haben  scheint  Denn  jetzt  geht 
der  Bruch  der  Erztafel,  durch  den  sie  in  zwei  grosse  Hälften  zerspalten  ist,  gerade  nach 
IMPER  durch,  und  nach  ihm  ist  nur  I  übrig.  Denkbar  wäre  nun,  dass  bei  der  Zusammen- 
löthung  beider  Hälften  der  Zwischenraum,  in  dem  man  jetzt  ein  dem  I  ehemals  voraus- 
gegangenes I  zu  vermuthen  versucht  ist,  ein  wenig  zu  gross  gerathen  wäre,  also  doch  nur 
IMPERI  gestanden  hätte.  Was  dieser  Annahme  an  sich  geneigt  machen  muss,  ist  der 
Umstand,  dass  dasselbe  Monument  noch  drei  Genitive  dieser  Art  hat  und  diese  alle  mit 
einsilbiger  Endung:  CAELI,  TARQVINI  und  ein  zweites  IMPERI  in  nächster  Nähe  des 
ersten.  Trotzdem  lässt  indess  eine  geometrisch-genaue  Untersuchung,  wie  sie  durch  die 
Abh.d.  I.Cl.  d.  k.Ak.  d.Wiss.  X.Bd.n.Abth.  47 


340 

2250  vgl.  m.  Henzen  S.  189;  COLLEGII  ib.  1812;  und  wenig  später 
LVCRETII  nebst  FILII  ib.  2219.  Genügen  diese  Neronischen  Beispiele 
vollkommen  zur  Rechtfertigung  des  VIBII  in  n.  65,  so  wird  das  Niemand 
von  dem  Augustischen  BENEFICII  in  Beziehung  auf  unsere  beiden 
Tessereu  behaupten,  zumal  wenn  er  die  enge  Genossenschaft  erwägt,  in 
der  sie  dadurch  stehen,  dass  sie  erstlich  beide  (im  besten  Falle)  aus 
einem  und  demselben  Jahre  sein  sollen,  und  zweitens,  dass  sie  beide 
von  demselben  Antiquar  herstammen.  —  üebrigens  wird  nach  Nero 
die  zweisilbige  Endung  zwar  allmählich  häufiger;  aber  weit  gefehlt, 
dass  sie  die  kurze  Form  verdrängt  hätte,  hat  diese  vielmehr  bis  über 
die  Zeiten  der  Gordiane  hinaus,  genauer  bis  zum  J.  1000  (weiter  habe 
ich  die  Sache  z.  Z.  nicht  verfolgt),  also  bis  zur  Mitte  des  3.  Jhdts. 
n.  eh.,  das  Feld  noch  zur  guten  Hälfte  inne,  behauptet  wohl  gar,  wenn 
man  genau  abzählte,  die  Oberhand.  —  Nomina  propria  und  appellativa 
bei  dieser  ganzen  Frage  zu  unterscheiden  habe  ich  in  den  Thatsachen 
selbst  keine  besondere  Veranlassung  gefunden,  auch  nicht  lateinische 
und  griechische  Worte  oder  Namen. 

t  '^0  (p.  200  c)  —  Taf.  II  a  nach  Guasco's  elender  Abbildung,  wo- 
rüber vgl.  zu  n.  3  und  41,  und  in  Betreff  der  völlig  unsinnigen  Durch- 
bohrung zweier  neben  einander  liegenden  Flächen  zu  n.  33.  Gemacht 
ist  diese  Fälschung  auf  Grund  der  unglücklichen  Conjectur  —  vielleicht 
selbst  um  diese  zu  erhärten  — ,  dass  die  Sigle  SP  mit  ^Vectavit  auf- 
zulösen sei:  s.  zu  n.  71.  Warum  die  vierte  Seite,  welche  die  Consulats- 
bezeichnung  haben  sollte,  leer  geblieben,  lässt  sich  nicht  errathen;  ein 
analoges  Beispiel  aus  dem  Alterthmne  (wie  n.  23),  das  etwa  als  Vorbild 
gedient  hätte,  war  damals  unseres  Wissens  nicht  bekannt.  Daran  hielt 
sich  vielleicht  Borghesi,  wenn  er  S.  67  die  Tessera  als  unverdächtig 
behandelte,  nachdem  sie  mit  Recht  schon  von  Labus  S.  52  verworfen 
war,  und  zwar  verworfen  trotz  seiner  verzweifelten  Beweisführung,  dass 
spectavit  eben  für  spectatus  est  gesagt  sein  könne ,  so  gut  nämlich  wie 
mutaoit  orhi^  für  inutatus  est,    terra  movit  für  mota  est,   tempestas  sedavit 


verschiedenen  Lyoner  Publicationen,  darunter  die  auf  Veranstaltung  der  Stadt  prächtig  iu 
Kupfer  gestochene,  mir  ausserdem  noch  durch  einen  trefflichen  Papierabklatsch  E.  Hübner's 
ermöglicht  ist,  in  hohem  Grade  zweifelhaft,  ob  nicht  doch  vielmehr  an  ein  ursprüngliches 
IMi'KKll  zu  glauben  sein  dürfte. 


341 

für  sedata  est  u.  d.  m. :  was  denn  freilich  die  Grammatik  des  berühmten 
'I.  R.  Epigrafista'  nicht  in  glänzendem  Lichte  erscheinen  lässt.  —  Ueber 
den  Namen  DIOCLES  s.  zu  n.  76. 

t  71  (p.  200  b)  =  Taf,  II  b^  und  b  ^ :  die  erste  Figur  nach  Tomasini, 
aus  dem  sie  Sert.  ürsati  in  seinen  'Monumenta  Patavina'  (Pat.  1652) 
S.  178  wiederholte,  die  zweite,  schon  ältere,  nach  Pignorius :  beide,  wie 
man  sieht,  trotz  der  Autopsie  mit  verschiedener  Reihenfolge  der  Zeilen. 
Da  die  des  Toniasini  durch  eine,  ausdrückliche  und  wörtliche,  hand- 
schriftliche Angabe  des  Peirescius  bestätigt  wird,  so  ist  ihr  Mommsen 
wohl  mit  Recht  gefolgt.  Die  Lebenszeit  der  sich  ablösenden  Besitzer, 
Hieron.  Aleander  d.  j.,  Pignorius,  Joh.  Rhodius  zeigt,  dass  die  thörichte 
Erklärung  ^Vectavit  schon  im  Anfang  des  17.  oder  gegen  Ende  des  16. 
Jahrhunderts  aufgekommen  war.  Die  Harpune  als  Kampfwaffe  der 
Retiarier  war  allbekannt;  die  Palme  (in  n.  77  wiederkehrend)  konnte 
man,  wofern  man  sie  nicht  überhaupt  nur  im  Sinne  eines  Siegeszeichens 
nahm  oder  auch  aus  ihrer  notorischen  Anwendung  im  Circusspiel  einmischte, 
aus  ihrer  speciellen  Erwähnung  bei  Gelegenheit  von  Fechterspielen  ent- 
lehnen, wie  bei  Sueton  Calig.  82  'mirmillonem  e  ludo  rudibus  secum 
batuentem  .  .  .  confodit  .  .  .  ac  more  victorum  cum  palma  discucurrit ;' 
bei  Lampridius  vit.  Comm.  12  'tantum  palmarum  gladiatoriarum  con- 
fecisse  vel  victis  retiariis  vel  occisis,  ut  mille  contingeret' :  wonach  auch 
Cic.  pro  Rose.  Am.  6,  17  'plurimarum  palmarum  vetus  ac  nobilis  gla- 
diator  habetur'  nicht  blos  metaphorisch  braucht  gesagt  zu  sein.  — 
Ueber  den  Namen  PERELI  s.  zu  n.  76.  Uebrigens  sprach  die  Unächt- 
heit  auch  dieser  Tessera  zuerst  Labus  a.  a.  0.  aus. 

t  72  (p.  201  aa)  =  Taf.  II  c  1  Dass  diese  drei  Stücke  des  Briti- 
schen Museums,  von  denen  die  zwei 
letztern  eine  bis  zur  ünverständlich- 
keit  alberne  Fassung  haben,  sammt  n.  41  und  56  höchst  wahrscheinlich 
aus  einer  und  derselben  Fälscherfabrik  hervorgegangen  sind,  ist  zu  n. 
41  und  43  aus  dem  Schriftcharakter  eingehend  entwickelt  worden.  Als 
vorzugsweise  unantik  gibt  sich  namentlich  in  allen  dreien  das  schief 
liegende  S,  sowie  in  den  beiden  ersten  das  Q  zu  erkennen,  dessen  Schwanz 
nicht  an  der  rechten  Seite  oder  wenigstens  in  der  Mitte,  sondern  an 
der  linken  Seite   des  Kreises  ansetzt :    ein    verrätherisches  Zeichen ,    das 

47* 


t   73  (p.   201  0      =  Taf.  H  d 
t  74  (p.  201  w)     =  Taf.  H  e   J 


342 

schon  anderwärts  als  Beweis  modernen  Ursprungs  geltend  gemacht 
wurde:  s.  Rhein.  Mus.  XIV  S.  141  und  P.  L.  M.  enarr.  S.  88.  Nicht 
minder  verrätherisch  ist  der  Mangel  an  Erfindungskraft,  der  in  der 
Wiederkehr  derselben  Namen  zu  Tage  tritt:  worüber  zu  n.  76.  —  In  n. 
72  las  Zumpt  richtig  ANTTIO,  wovon  s.  zu  n,  56;  in  n.  74  ebenfalls 
richtig  SECVNDO,  während  es  in  der  ersten  Zeile  weder  TI  '  F,  wie 
bei  Cardinali  und  Mommsen ,  noch  L  *  F ,  wie  Zumpt  angibt ,  sondern 
P  •  F  heisst. 

f  75  (p.  201  v).  Unter  dieser  Nummer  erwähne  ich  die  Fiction, 
die  bei  Cardinali  nnd  Mommsen  so  lautet:  TI  •  SENTIVS  |  C- ANTONI  1  SP- 
K  •  APR  L  •  ALBINVS,  von  Zumpt  aber  sehr  abweichend  so  gelesen 
wurde:  L  •  ALPINVS  |  SP  .  .  .  .  APR  |  M  .  .  A  .  TIVS  |  C  •  ANTÜNI, 
nur  deshalb ,  um  zu  sagen  dass  ich  darüber  keine  Auskunft  zu  geben 
vermag ,  weil  auch  diese  Nummer ,  wie  schon  n.  40 ,  im  Britischen 
Museum  nicht  aufzufinden  war. 

t  76  (p.  200  d)  =  Taf.  II  f.  Möglich  dass  auch  dieses  Stück 
aus  derselben  Fabrik  ist  wie  n.  72 — 74,  worauf  die  gleichmässige  Ver- 
wendung eines  angeblichen  Consul  Catius  in  n.  74  und  76  führen  kann. 
Selbst  die  Namen  MANLIVS  und  MARTIALIS  kehren  in  den  Fälschungen 
bei  Mommsen  p.  201  m  und  o  wieder,  und  auch  CAELER  dürfen  wir 
in  dem  CELER  p.  201  _(/  wiedererkennen.  Dass  sowohl  Schrift  wie 
Grössenmass  und  Gestalt  der  Tomasini' sehen  Figur  die  grösstmögliche 
Nichtübereinstimmung  mit  n.  72  —  74  zeigen,  ist  wenigstens  kein  Gegen- 
beweis, da  die  unglaubliche  Willkür  und  völlige  Unzuverlässigkeit  aller 
alten  Stiche  (zusammengestellt  zu  n.  41)  durch  die  Fälle,  in  denen  uns 
eine  Vergleichung  mit  erhaltenen  Originalen  gestattet  ist,  hinlänglich 
constatirt  wird  ;  selbst  dass  die  unförmliche  Figur  mit  zwei,  noch  dazu 
weit  vorragenden  Knöpfen,  an  jedem  Ende  einem,  verziert  ist,  was  weder 
bei  irgend  einer  ächten  Tessera  vorkömmt  (s.  zu  n.  3) ,  noch  irgend 
einen  praktischen  Zweck  haben  konnte,  darf  man  sehr  füglich  für  ein 
reines  Phantasiestück  des  Tomasinischen  Zeichners  nehmen.  Jedenfalls 
verdient  es  Beachtung,  wie  häufig  sich  auf  den  falschen  Stücken  dieselben 
Namen  wiederholen,  die  entweder  auf  andern  falschen  oder  auch  auf  ächten 
vorkommen.    So  ausser  den  obigen  Beispielen  PERELI  in  n.  71  undp.  201  i 


und  r;  ALBINVS  in  n.  72  und  75;  BATO  wahrscheinlich  aus  n.  2  über- 
gegangen in  n.  76;  DIOCLES  aus  n.  4  in  n.  70;  PETILI  oder  PETILLI 
aus  n.  20.  27.  50  in  p.  201  o  und  x:  PETICI  aus  n.  15  wiederum  in  p.  201  x^ 
wo  endlich  auch  noch  drittens  das  TAMVDI  aus  n.  18  entlehnt  scheint. 
Sogar  das  vereinigte  Namenpaar  PAMPHILVS  •  SEßVILI  theilt  n.  73  mit 
n.  26.  Auf  DEMETRIVS  in  n.  41  und  p.  201  k,  SVAVIS  in  n.  43  und 
p.  201  2,  sowie  auf  FABl  in  n.  21  und  p.  201  s  und  t/,  ANTONI  n.  46  und 
p.  201  l  und  V  wollen  wir  dabei  nicht  einmal  besonderes  Gewicht  legen, 
obgleich  doch  hier  das  Gleichartige  in  derselben  Richtung  gehäufter  er- 
scheint als  in  allen  ächten  Tesseren  zusammengenommen.  Es  sollte 
mich  gar  nicht  wundern,  wenn  eine  vergleichende  Besichtigung  aller 
noch  zugänglichen  falschen  Stücke,  deren  Nichtkenntniss  ich  unter  einem 
verwandten  Gesichtspunkte  schon  zu  n.  33  bedauerte,  zu  der  Einsicht 
führte,  dass  der  allergrösste  Theil  dieser  Fälschungen  aus  einer  und 
derselben  Quelle  stamme,  d.  h.  aus  der  Fabrik  eines  halbgebildeten 
Industriellen,  der  mit  dieser  Waare  ein  Geldgeschäft  machte. 

t  77  (p.  201  bb)  ~  Taf.  11  g.  Nach  dem,  was  über  diesen  unge- 
schlachten Klotz  von  Tessera  (einen  Gypsabguss  verdanke  ich  der  freund- 
lichen Besorgung  des  Hrn.  Prof.  Christ)  schon  zu  n.  33.  71.  76  gesagt 
worden,  wäre  jedes  weitere  Wort  über  die  unvergleichliche  Abgeschmackt- 
heit der  Inschrift  selbst  oder  über  das  Unicum  MVZIO  zu  viel. 


III. 

Die  in  den  vorstehenden  Erörterungen  als  Gladiatoren-Marken  be- 
handelten Monumente  sind  es  also,  denen  Mommsen  eben  diese  Eigen- 
schaft streitig  macht.  Zwar  erkennt  er  ausdrücklich  an,  dass  eine  lange 
Reihe  von  Namen,  unter  denen  gar  keine  Frau,  ganz  wenige  Freie,  und 
mit  diesen  wenigen  (5)  Ausnahmen  lauter  Sklaven  vorkommen,  unsere 
Vorstellung  von  vornherein  mit  fast  zwingender  Gewalt  auf  Gladiatoren 
hinführe.  Aber  einestheils  vermisst  er  dafür  jeden  Beweis,  und  ander- 
seits findet  er  in  zwei  Umständen  bestimmte  Gegenindicien.  Ohne  die 
letztern  würde  das  Fehlen  positiver  Beweise  für  die  Beziehung  auf 
Gladiatur    wenig  Bedeutung    haben  j    denn  wie  vieles  nehmen    wir    doch 


344 

für  wahr  ohne  strengen  Beweis,  blos  gestützt  auf  das  anerkannte  Recht 
probabler  Combinution  ?  Und  ist  das  nicht  wenigstens  ein  apagogischer 
Beweis,  wenn  sich  eine  andere  Beziehung,  die  man  jener  Reihe  von 
Skhivennamen  geben  könnte,  eben  nicht  auflinden  lässt,  also  dass  gerade 

nur    die    Gladiatur    als    einzig    denkbare   Möglichkeit    übrig    bleibt?    

Meinestheils  glaube  ich  einleuchtend  darthun  zu  können:  dass  die  ver- 
meintlichen (jegenindicien  theils  auf  Missverständniss  beruhen,  theils  die 
ihnen  beigelegte  Kraft  nicht  haben;  dass  sich  aus  Probabilitätsgründen 
ein  sehr  befriedigender  Indicienbeweis  für  die  alte  Meinung  gestaltet; 
dass  es  aber  sogar  an  dem  entscheidenden  Zeugenbeweis   nicht  fehlt. 

Dass  nun  zuvörderst  die  richtige  Autlösung  der  Sigle  SP  wirklich 
ai^ectata^  ist,  das  ist  die  erste  schätzbare  Belehrung,  die  wir  der  neu- 
aufgefundenen Arelatischen  Tessera  (n.  12}  verdanken,  auf  der  uns 
uiclit  blos  ein  SPE  wie  ganz  vereinzelt  in  n.  26,  oder  ein  nur  auf 
falschen  oder  verdächtigen  Stücken  (s.  zu  n.  3)  vorkommendes  SPECT, 
«ondern  ein  in  zwei  vollen  Silben  ausgeschriebenes  SPECTAT  •  entgegen- 
tritt. Durch  diese  authentische  Interpretation  ^)  fallen  also  mit  Einem 
Schlage  alle  die  verschiedenartigen  Einbildungen,  vermöge  deren  Agostini 
in  Si^ortulam,  Schott  Nod.  Cic.  II,  6  in  SPeculator  (tesserarius),  Manche 
in  SPectoy«Y  (s.  zu  n.  70.  71),  was  Morcelli  de  stilo  inscr.  I,  3  n.  457 
(ed.  2)  und  in  der  Abhandlung  delle  tessere  u.  s.  w.  wieder  aufnahm, 
Andere  wie  (jori  Inscr.  Etr.  I  S.  74  in  SFectactdum,  noch  Andere  end- 
lich in  i^Fectalitur  (oder  HPectanduti^  den  Schlüssel  zu  dem  räthselhaften 
SP  zu  finden  meinten:  das  letztere  Arditi  in  der  Monographie  'Le 
tessere  gladiatorie'  (Napoli  1832.  4)  S.  22  ff.,  der  Labus  eine  gründ- 
liche Widerlegung  gewidmet  hat  in  der  Vorrede  zur  Mailänder  Ausgabe 
von  Visconti's  'Monumenti  Gabini'  S.  VI — IX. 

Gegen  den  Ausdruck  fipectatua  eat  nun,  als  Bezeichnung  des  Auf- 
tretens im  Fechterkampf,  richtet  sich  das  erste  Bedenken  Mommsen's; 
das  Einfache  und  Natürliche,  behauptet  er ,  würde  dafür  pugnavit  sein. 
Aber  hat  denn  jemals  jemand  das  spectatus  in  dem  Sinne  von  'er  ist 
geschaut  worden*  d.h.  'ist  aufgetreten,  hat  gekämpft',  genommen,  oder 


1)  Denn  die  formelle  Möglichkeit,  SPECTATor  oder  SPECTATmot  zu  ergänzen,  verdient  kaum 
Erwähnung,  theils  aus  Gründen  die  jeder  selbst  sieht,  theils  aus  denen,  die  schon  Labus 
gegen  Morcelli's  sjjtctavit  treffend  entwickelt  hat. 


345 

nicht  vielmehr  in  der  allgeläufigen  Bedeutung  'er  hat  sich  bewährt,  ist 
erprobt',  demnach  so  viel  wie  'er  hat  seine  Sache  brav  gemacht,  hat 
sich  wacker  gehalten ,  ist  wohl  bestanden',  mit  Einem  Worte  'hat  g  e- 
siegt'?  Allerdings  konnte  sich  für  einen  Gladiator  auch  die  Aufzeich- 
nung verlohnen,  wie  oft  er  überhaupt  aufgetreten  sei  und  gekämpft 
habe  während  seiner  Gladiatorlaufbahn.  Wohl  also  finden  wir  in  mehr- 
fachen inschriftlichen  Beispielen  (bei  Labus  S.  50,  Orelli  zu  n.  2567) 
die  Gesammtzahl  der  pugnae  eines  Gladiator  angegeben :  PVGNARVM  •  V, 
PVGNARVM  •  VII,  PVGNARVM  •  Villi,  PVGNARVM  •  XXVII,  oder  auch 
PVGNAVIT  •  XIII  ^) ;  wohl  finden  wir  in  den  beiden  namhaften  Inschriften 
von  Venusia  I.  R.  N.  736.  737  und  der  Venafranischen  ib.  4649  zwei  ' 
Reihen  von  Ziffern,  deren  erstere  ohne  Zweifel  die  Zahl  der  pugnae,  die 
zweite  die  der  victoriae  berichtet,  wie  es  ausgeschrieben  Or.  2571 
PVGNAT  •  XXXIIII  •  VICIT  •  XXI  heisst.  Hingegen  für  die  editores  oder 
curatores  munerum  hat  es  doch  keinen  Sinn,  anzunehmen,  sie  hätten 
einem  Gladiator  jedes  einzelne  Auftreten  durch  Verleihung  einer  Aus- 
zeichnung attestirt,  die  er  ja  alsdann  auch  in  dem  Falle  erhalten  hätte, 
wenn  er  besiegt  ward  oder  sich  schlecht  gehalten  hatte.  Vielmehr  kann 
es  kaum  einem  Zweifel  unterliegen,  dass  die  Ertheilung  der  Tessera  kein 
allgemeines  'Combattantenzeugniss',  sondern  eine  'Tapferkeit&medaille'  war, 
also  keineswegs  pugnavit  der  Begriff  ist  den  man  erwartete,  sondern 
vielmehr  ein  fortiter  oder  cum  laude,  cum  successu  pugnavit  d.  i.  eben 
spectatus  est  in  demselben  Sinne,  in  dem  es  von  einem  Theaterstück 
plg,cuit  oder  stetit  heisst.  Wenn  es  aber  dafür  noch  einer  ausdrücklichen 
Bestätigung  bedarf,  so  ist  sie  doch  wahrlich  in  vollgültigster  Weise 
gegeben  durch  das  berühmte  römische  Gladiatorenverzeichniss  Or.  2566, 
in  dem  so  augenfällig  drei  Kategorien  unterschieden  werden:  acht 
lYRones  (mit  einfachem  T  ohne  Zahl  der  pugnae  bezeichnet  I.  R.  N. 
736.  737),  zwei  '$>Vectati,  und  elf  VETerom.  Kann  man  mehr  Gunst  der 
Ueberlieferung  verlangen,  um  die  recipirte  Erklärung  der  Tesseren-Sigle 


1)  Hiernach  und  nach  Or.  2571  bleibt  es  ganz  zweifelhaft,  ob  das  PVGN  •  VIII  bei  Gruter 
S.  334,  1  durch  PVGNarMm  oder  PVGNa^t«  zu  ergänzen  ist.  Das  PVGNAS  •  V  der  Pata- 
vinischen  Inschrift  bei  Or.  2567  erklärt  man  durch  hinzugedachtes  tulit,  was  gar  kein 
Latein  ist;  Furlanetto  wollte  dafür  PVGNAR  • ;  es  wird  aber  vielmehr  für  PVGNAhS 
stehen:  s.  die  in  Prise.  Lat.  epigr.  suppl.  I  S.  XVI  citirten  Erörterungen. 


346 

^P  und  ihre  Beziehung  auf  die  Gladiatur  gerechtfertigt  zu  finden? 
Gewiss  hatte  es  diese  Hauptstütze  der  alten  Meinung  nicht  verdient, 
von  Mommsen  als  gar  nicht  vorhanden  behandelt ,  d.  h.  mit  völligem 
Stillschweigen  übergangen  zu  werden.  Zum  UeberÜuss  haben  wir  jetzt 
auch  noch  einen  VROYocator  SPectatus  in  der  römischen  Inschrift  bei 
Henzen  Or.  6173,  wo  die  von  letzterm  erwähnte  Möglichkeit,  das  SP 
als  Pränomeu  zu  den  Namen  der  folgenden  Zeile  zu  ziehen,  wenig  Wahr- 
scheinlichkeit haben  dürfte.  —  Sind  wir  aber  einmal  so  weit  gekommen 
in  unserer  Erkenntniss  des  wahren  Sachverhalts,  so  wäre  es  ein  wider- 
natürlicher Zwang,  den  man  sich  selbst  anthäte,  zu  glauben,  dass  Horaz 
seine  Verse  Epist.  I,  init : 

Spectatuni  satis  et  donatum  iam  rüde  quaeris, 
Maecenas,  iterum  antiquo  me  includere  ludo 
habe  dichten  können  ohne  den  Gedanken  an  die  technische  Bedeutung 
des  spectatus  als  eines  Genossen  der  sich  rühmlich  'eingepaukt'  in  das 
Corps,  der  rudis  als  ehrenvollen  Entlassungszeichens  des  bewährten  und 
ausgedienten  Fechters,^)  des  ludus  im  feststehenden  Sinne  von  'üebungs- 
schule'  der  familia  gladiatoria.  Kaum  dürfte  daher  diese,  seit  Ursini 
von  so  vielen  wiederholte  Auffassung  der  Horazischen  Worte  durch 
Moramsen's  Widerspruch,  dass  doch  darin  kein  eigentlicher  Beweis  liege, 
grossen  Abbruch  leiden.  Aber  wenn  auch,  jedenfalls  bedürfen  wir, 
nach  allem  Vorgesagten,  dieses  Beweises  oder  Nichtbeweises  gar  nicht, 
um  doch  an  unserer  Erklärung  des  SFectatus  mit  hinlänglich  begrün- 
deter Ueberzeugung  festzuhalten. 

Gewichtiger  kann  Mommsen's  zweite  Einwendung  scheinen,  die 
daher  entlehnt  ist,  dass  einerseits  auf  unsern  Tesseren  gerade  diejenigen 
Monatstage,  die  überlieferter  Weise  in  Rom  ständige  waren  für  Gladiatoren- 
spiele, nämlich  a.  d.  XIII  —  X.  K.  Apr.  nach  Ovid's  Fasten  3,  813,  nie- 
mals vorkommen,  anderseits  die  Kaienden  mit  23,  die  Idus  mit  11,  die 
Nonen  mit  4 ,  alle  drei  zusammen  also  mit  38  Beispielen  ein  so  ent- 
schiedenes Uebergewicht  über  die  intermediären  Tage  haben,  dass  deren 
Zahl  nur  18,  also  noch  nicht  einmal  die  Hälfte  betrage:  was  nicht 
<ca8U  factum'  sein  könne.     Zugegeben,  dass  die  Thatsache  auf  den  ersten 


1)  W^egen  der  hinlänglich  bekannten  rudis  wird  es  genügen  auf  Henzen  Expl.  mus.  Burghes. 
S.  104  f.  zu  verweisen. 


347 

Blick  ihr  Befremdliches  habe:  unter  allen  Umständen  sind  wir  doch, 
auf  dem  durch  zusammenwirkende  Momente  bereits  gewonnenen  Stand- 
punkte unserer  Einsicht,  meines  Erachtens  methodisch  verpflichtet, 
mit  jenem  Bedenken  uns  abzufinden  wie  wir  können,  im  Nothfall  auf 
eine  befriedigende  Erklärung  vorläufig  zu  verzichten,  ehe  wir  dem  einen 
negativen  Grunde  alle  entgegenstehenden  positiven  zum  Opfer  bringen. 
Bedürfen  wir  denn  aber  überhaupt  eines  tiefern  Erklärungsgrundes,  als 
dass,  wo  die  Wahl  zwischen  30  oder  31  Monatstagen  ^)  völlig  freigegeben 
war  für  die  Anberaumung  eines  Festspieles,  ein  rein  natürlicher  Instinkt 
vorzugsweise  auf  diejenigen  führte,  welche  als  die  eponymen  sich  für 
das  Gemeinbewusstsein  unter  der  namenlosen  Menge  von  selbst  hervor- 
hoben, ohne  dass  sich  an  eine  solche  Wahl  eine  besondere  Absicht 
knüpfte?  Und  wiederum,  ist  es  zu  verwundern,  dass  dann  das  zunächst- 
liegende die  Kaienden  als  Führer  des  ganzen  Monats  waren,  erst  nach 
ihnen  der  zweite  Tag  im  Range,  die  Monatsscheide  der  Iden,  kam,  vollends 
gegen  beide  weit  zurückstanden  die  Nonen,  deren  erstes  Beispiel  (n.  50) 
sogar  erst  an  das  Ende  der  Regierung  des  Augustus  fällt?  Nichts  kann 
für  diese  populäre  Auffassung  bestätigender  sein  als  die  Analogie  der 
Triumphaltage,  deren  Wahl  doch  einem  gleich  freien  Belieben  anheimfiel. 
Gleichwohl  sind  sie  so  weit  entfernt,  das  wirkliche  arithmetische  Ver- 
hältniss  der  eponymen  und  nichteponymen  Monatstage,  d.  h.  ungefflhr 
das  von  3:27  oder  1:9,  einzuhalten,  dass  sich  vielmehr  in  den  Capito- 
linischen  Triumphalfasten  (einschliesslich  ihrer  sichern  Ergänzungen) 
unter  148  Triumphen  nicht  weniger  als  52  finden,  die  auf  eponyme 
Tage  fallen,  nur  96,  die  den  intermediären  angehören:^)  also  beinahe 
ganz  dasselbe  Verhältniss  wie  auf  unsern  Tesseren,  nur  umgekehrt,  aber 
selbst  so,  wenn  man  einmal  der  Mommsen'schen  Proportionalrechnung 
eine  Berechtigung  zugestehen  will,  noch  befremdlich  genug,  da  sich  1 :  2 
zwar  nicht  so  weit  wie  2:1  von   1:9   entfernt^    aber   doch  noch  immer 


1)  Oder  vorsichtiger  zu  reden,  zwischen  annähernd  30,  weil  die  dies  atri  und  'male  ominati* 
ausfallen:  wie  denn  auch  z.  B.  kein  einziges  Tesserendatum  auf  einen  der  dies  postriduani 
nach  den  Kaienden,  Nonen,  Iden  fällt. 

2)  Ich  habe  dabei  der  Einfachheit  wegen  die  fünf  Fälle  ausser  Rechnung  gelassen ,  in  denen  es 
weder  Kalendis  noch  Idibus  noch  Nonis  in  den  Triumphalacten  heisst,  sonA^vw  Quirinalihus 
(a.  404.  432.  478.  481.  587):  eine  Bezeichnung,  die  eher  der  Kategorie  der  eponymen  als 
der  nichteponymen  Tage  zuzurechnen  sein  würde. 

Äbh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  II.  Abth.  48 


348 

weit  genug,  um  sehr  abnorm  zu  sein.  Allein  das  Verhältniss  stellt  sich 
noch  ganz  anders,  sobald  wir  den  Wechsel  der  Zeiten  berücksichtigen 
und  verschiedene  Perioden  auseinander  halten.  Bis  in  die  Gracchischen 
Zeiten  (bis  625  incl.)  finden  wir  die  Vorliebe  für  eponyme  Triumphal- 
tage so  gross,  dass  deren  nicht  weniger  als  49  auf  60  nichteponyme 
kommen,  also  5:6;  von  da  an  bis  735,  also  während  der  Dauer  von 
vollen  110  Jahren,  verschwinden  die  eponymen  Tage  dergestalt,  dass 
ihrer  nur  3  gegen  36  nichteponyme  stehen,  also  1:12.  Woher  ein  so 
auffallender  Abstand?  Wir  wissen  es  nicht,  wie  so  vieles  Andere.  Dürf- 
ten wir  darum,  wenn  uns  diese  Triumphaldaten  zufällig  nicht  als  solche, 
sondern  in  einer  Weise  überliefert  wären,  dass  die  Beziehung  auf  den 
Triumph  nur  auf  probabler  Combination  beruhte,  diese  Beziehung  selbst 
leugnen?  —  Durchaus  vergleichbar  ist  ein  Zeitenunterschied,  der  uns 
bei  den  Gladiatorentagen  entgegentritt,  wenngleich  in  umgekehrter  Rich- 
tung. Und  zwar  fällt  hier  der  Wendepunkt  um  das  Jahr  der  gewonnenen 
Alleinherrschaft  des  C.  Julius  Cäsar,  von  wo  an  sich  so  Vieles  änderte. 
Wenn  wir,  wie  billig,  von  allen  verdächtigen  Tesseren,  ausserdem  von 
den  drei  municipalen  n.  12.  20.  35  ohne  Tagdatum,  und  der  defecten 
n.  14  absehen,  so  bleiben  uns  für  den  Zeitraum  von  669  bis  zum  Jahre 
dÄ"  Schlacht  von  Thapsus  (April  708)  21  Tesseren,  unter  ihnen  12  mit 
intermediären  Monatstagen,  nur  9  mit  eponymen :  gewiss  ein  in  keiner 
Weise  befremdliches,  sondern  nach  dem  vorher  Erörterten  so  natürliches 
Verhältniss,  dass  daraus  gewiss  niemand  das  leiseste  Bedenken  gegen 
die  Beziehung  auf  die  Gladiatur  geschöpft  hätte.  Warum  also  sollen 
wir  das  thun,  weil  es  nachher  anders  geworden  ist?  Denn  erst  seit 
708  beginnt,  aus  nicht  näher  nachzuweisender  Ursache,  mit  einem  aller- 
dings ziemlich  plötzlichen  Sprunge  die  Liebhaberei  für  die  eponymen 
Tage,  die  nun  im  Laufe  der  Kaiserzeiten  ein  so  gewaltiges  Uebergewicht 
erlangen,  dass  unter  34  Tesseren  nicht  weniger  als  27  auf  eponyme, 
nur  7  auf  nichteponyme  Tage  fallen.  Es  wurde  das  eben  Mode  für 
die  Fechterspiele,  und  wir  haben  es  als  eine  Thatsache  aus  den  Tesseren 
zu  lernen,^)  anstatt  mit  ihrer  vermeintlichen  Unverständlichkeit  gegen 
die  Annahme  der  Gladiatur   zu  argumentiren.      Dass    kaum    ein    tieferes 


1)  Auch  das  hätten  wir  daher  zu  lernen,  ohne  den  Grund  einzusehen,  dass  unter  den  Kaienden 
die  des  Februar  und  des  April  mit  je  4,  des  Januar  und  des  August  mit  je  3,  desgleichen 


349 

Motiv  als  das  natürliche  Gefühl  für  den  Vorzug  der  benannten  Monats- 
tage vor  den  unbenannten  zu  Grunde  lag,  kann  wiederum  die  Vergleichung 
der  eponymen  Triumphaltage  nach  ihren  drei  Kategorien  lehren.  Auch 
hier  sind  es  die  Kaienden ,  die  mit  2  6  Beispielen  im  Vordergrunde 
stehen,  während  ihnen  die  Iden  mit  20  nahe  kommen,  beiden  die  Nonen 
mit  nur  6  nachhinken. 

Aber  allerdings  ist  hiermit  die  andere  Frage  noch  nicht  erledigt : 
wie  es  doch  komme,  dass  sich  die  vier  letzten  Tage  der  Quinquatrus 
(20 — 23  März),  die  nach  Ovid  Gladiatorenspielen  regelmässig  gewidmet 
waren,  auf  unsern  Tesseren  nirgends  finden,  und  ebensowenig  die  Sa- 
turnalientage (a.  d.  XVI — XIV.  K.  lan.  =  17 — 19  Dec),  an  denen 
wenigstens  in  Ausonius'  (Ecl.  de  fer.  Rom.  33)  und  Lactantius'  (Inst. 
VI,  20,  35)  Zeiten  ebenfalls  ständige  Gladiatorenspiele  scheinen  statt- 
gefunden zu  haben.  In  Beziehung  hierauf  muss  ich  nun  erstens  gestehen, 
meinestheils  keine  besonders  starke  Zumuthung  darin  zu  finden,  dass 
man  hier  reinen  Zufall  anerkenne.  Und  zwar  diess  ebensowohl  in  Be- 
tracht des  kleinen  Bruchtheils,  den  unsere  erhaltenen  Tesseren  von  den 
Tausenden  einst  vorhandener  bilden,  als  auch  des  Bruchtheils,  den  vier 
ständige  Gladiatorentage  unter  der  ohne  Zweifel  sehr  viel  grössern  Zahl 
sämmtlicher  auf  ein  Jahr  fallender  Fechterspiele  ausmachen,  zumal  in 
der  Kaiserzeit.  Auch  die  kaiserlichen  Geburtstage  (vgl.  Marquardt  im 
Handbuch  IV  S.  221)  finden  wir  wider  Erwarten  nicht  ein  einziges  Mal 
unter  unsern  Tesseradaten.  —  Aber  es  gibt  auch  noch  andere  Wege. 
Warum  treten  diese  Tesseren  erst  in  der  Sullanischen  Zeit  auf?  warum 
brechen  sie  in  der  Vespasianischen  auf  einmal  ab ,  während  doch  aus- 
gemachter Weise  die  Leidenschaft  für  das  Gladiatorenspiel  nicht  ab-, 
sondern  immer  zunahm?  Labus  stellte  zur  Erklärung  des  letztern  Um- 
standes  die  Vermuthung  auf,  eben  durch  den  gesteigerten  Luxus  habe 
ein  kostbareres  Material  der  Tesseren  Eingang  gefunden,  Silber  oder  Gold ; 
während  nun  edles  Metall  begreiflicher  Weise  später  eingeschmolzen 
worden  sei,  habe  sich  nur  das  werthlose  Elfenbein  oder  Bein  der  altern 
Zeit  in  einer  Anzahl  von  Exemplaren  glücklich  erhalten.    Sehr  möglich, 


unter  den  Iden  die  des  Juni  und  des  August  ebenfalls  mit  je  3  Beispielen  den  entschiedenen 
Vorrang  vor  allen  übrigen  behaupten,  wenn  nicht  doch  eine  viel  grössere  Gesammtzahl 
von  Beispielen  nöthig  schiene,  um  den  Gedanken  an  blossen  Zufall  wirklich  auszuschliessen. 

48* 


350 

und  an  sich  nichts  weniger  als  unwahrscheinlich.  Lässt  man  aber  diese 
Hypothese  einmal  gelten ,  was  hindert  die  analoge  aufzustellen ,  dass, 
nachdem  sich  aus  gelegentlichen  Productionen  bei  Leichenfeiern  (dem 
notorischen  Ursprung  der  Gladiatorenspiele)  ein  unabweisliches  Volks- 
bedürfniss,  somit  ein  ständiges  Jahresfest  entwickelt  hatte,  diese  regel- 
mässige Staatsleistung  ein  anderes  Material,  sei  es  ein  werthvolleres 
oder  auch  ein  vergänglicheres,  zu  den  an  die  siegreichen  Gladiatoren  zu 
vertheilenden  Ehrenzeichen  verwendete,  als  bei  den  freien  Spenden  von  Pri- 
vaten oder  ausserordentlichen  Ehrenleistungen  von  Magistraten  der  Fall 
zu  sein  pflegte?  Eine  solche  Vermuthung,  nur  eine  unter  andern,  hat, 
vag  wie  sie  ist,  selbstverständlich  gar  keinen  positiven  Werth;  aber  sie 
hat  den  negativen,  dass  nicht  mehr  behauptet  werden  kann,  das  Fehlen 
von  Quinquatrusdaten  auf  unsern  Tesseren  sei  ein  gültiger  Gegenbeweis 
gegen  die  Beziehung  der  letztern  auf  Gladiatorenspiele. 

Sei  aber  die  eigentliche  Bewandtniss,  die  es  hiermit  hat,  so  dunkel 
wie  sie  wolle ,  uns  genügt  das  helle  Licht,  welches  auf  die  Bestimmung 
unserer  Tesseren  schliesslich  durch  die  eine  Arelatische  fällt,  der  wir 
schon  die  Gewissheit  der  Siglenauflösung  SPECTATms  verdanken.  Sie 
gibt  nach  diesem  Worte  noch  eine  Ligatur,  in  der  dem  ersten  Anschein 
nach  NVM  steht.  Was  dieses  num  bedeute,  erklärte  Mommsen  nicht 
zu  errathen.  Glücklicher  meinte  Cavedoni  zu  sein,  wenn  er  in  der 
'Appendice  alla  nuova  silloge  epigrafica  Modenese',  1862,  (die  mir  erst 
während  der  Abfassung  dieser  Blätter  zu  Händen  gekommen  ist)  S,  16 
vorschlug  NVMawae  zu  lesen  'od  altro  nome  della  cittä,  ove  Anchialus 
spectatus  est'.  Es  wäre  nun  unstreitig  schon  diess  sehr  seltsam,  dass 
die  Stadt  die  Hinzufügung  ihres  Namens  nöthig  befunden  hätte  für  ein 
in  ihrer  Mitte  für  die  eigenen  Mitbürger  stattgehabtes  Festspiel,  wäh- 
rend dergleichen  weder  der  Stadt  Rom,  noch  auch  den  Parmensern  oder 
Mutinensern  eingefallen  ist.  Und  eine  so  namenlose  Stadt  wie  jenes 
Numana !  Warum  nicht  wenigstens  ^YMantiae  ?  Aber  wie  abenteuerlich 
vollends,  dass  sich  an  der  Rhone,  im  südlichen  Frankreich,  eine  Tessera 
verhalten  haben  sollte,  die  von  der  Picenischen  Küste  (denn  da  lag 
Numana)  oder  aus  Spanien  stammte !  Nein ,  nichts  kann  einleuchtender 
sein,  als  dass  der  gute  Romieu  von  Arles  mit  seinem  yVWV  die  Ligatur 
des  Originals    missverstand   und    ein    scheinbares  NVM  gab   statt  MVN: 


351 

sei  es  nun  dass  auf  der  Tessera  wirklich  AVW  stand  mit  Anwendung  der  nicht 
ganz  seltenen  Figur  VI  für  N,  oder  dass  er  sich  so  verlas  oder  verschrieb  für 
AW,  was  ebenfals  sehr  wohl  Zusammenziehung  vonMVN  sein  kann.  Es  wird 
erlaubt  sein  an  das  Ei  des  Columbus  zu  denken,  und  in  SPECTATms  MVNerß 
den  schwerlich  anfechtbaren  Zeugenbeweis  für  Gladiatorenspiel  zu  erkennen. 
Der  Ablativ  ist  genau  derselbe  wie  in  acta  ludis  (fabula) ;  dass  aber  munus 
schlechthin  so  viel  ist  wie  munus  glodiatorium,  ist  ein  so  feststehender  und 
durchgehender  Sprachgebrauch,  dass  Nachweisungen  dafür  eher  über- 
flüssig als  nöthig  scheinen  können.  Doch  lässt  sich  bei  dieser  Gelegen- 
heit Einiges  schärfer  bestimmen  als  gewöhnlich  geschieht.  Einen  an- 
dern Gattungsnamen  als  munus,  mit  oder  ohne  den  Zusatz  gladiatorium, 
gibt  es  überhaupt  nicht  für  Fechterspiele,  sowie  umgekehrt  munus  ganz 
und  gar  nicht  jede  Art  von  Schauspiel  bezeichnet.  Vielmehr  zerfallen 
nach  römischer  Begriffsscheidung  sämmtliche  spectacula  in  die  zwei  grossen 
Klassen  der  ludi  und  der  munera;  und  wie  sich  die  erstem  wieder 
theilen  in  circenses  und  scaenici,  so  die  letztern  in  gladiatorum  munera, 
munera  gladiatoria  oder  munera  schlechtweg,  und  ferarum  munera  (wie  es 
bei  Sueton  Calig.  27  heisst)  oder  mit  gebräuchlicherm  Ausdruck  vena- 
tiones,  vollständiger  venatio  ferarum  im  Theodosianischen  Codex  15  tit.  11.^) 


1)  Nur  weil  Fechterspiele  und  Thierhetzen  das  Amphitheater  als  gemeinsames  Lokal  hatten, 
auch  bei  den  venationes  gewöhnlich  Gladiatoren  mitwirkten,  ist  allerdings  der  Unterschied 
zwischen  munus  gladiatorium  und  venatio  nicht  so  scharf  wie  zwischen  ludi  circenses  und 
scaenici  und  konnten  die  erstem  auch  zusammengefasst  und  demgemäss  drei  Hauptklassen 
angenommen  werden,  wie  das  im  Theodosianischen  Codex  6,  4,  4  geschieht:  'ubi  ludi  scae- 
nicorum  vel  circensium  vel  muneris  ratio  poscit',  während  15,  5,  2  'aut  theatralibus  ludis 
aut  circensium  certaminibus  aut  ferarum  cursibus'  die  Gladiatoren  nur  deswegen  fehlen, 
weil  sie  seit  Honorius  aufgehoben  und  abgeschafft  waren.  —  Ganz  uneigentlicher  Ausdruck 
und  nur  poetische  Uebertragung  ist  drei  munus  bei  Ovid  Fast.  5,  190;  denn  wenn  aus- 
nahmsweise auch  der  (oder  ein)  Circus  statt  des  Amphitheaters  benutzt  wurde  (Suet.  Aug. 
43,  Inscr.  Neap.  2123,  wo  sich  GLADIAiontm  CIRCENSIVM  schwerlich  trennen  lässt;  vgl. 
Friedländer  Rhein.  Mus.  10  S.  565,  Handb.  d.  r.  Alt.  4  S.  523),  so  kann  diess  doch  für  die 
Allgemeinheit  der  Ovidischen  Stelle  nicht  in  Betracht  kommen.  —  Umgekehrt  sind  ludi 
gladiatorii,  was  ein  Lieblingsausdruck  der  Neuern  ist,  nach  altrömischem  Begriff  ein  Un- 
ding ;  es  hat  auch  niemals  jemand  so  gesagt  vor  den  Scriptores  historiae  Augustae,  wo  sich 
einmal  ludis  gladiatoriis  findet  bei  Spart.  Hadr.  9;  denn  bei  Trebell.  Claud.  5  'habuit  tuus 
libellus  munerarius  hoc  nomen  in  indice  ludorum  ist  mit  Salmasius  ludiorum  aus  dem  Palatinus 
aufzunehmen.  Ganz  etwas  Anderes  ist  es  natürlich  mit  ludus  gladiatorius  in  der  Bedeutung  von 
Gladiatoren  schule. —  Dagegen  versteht  sich  von  selbst,  dass  man  auch  zum  allgemeinsten 
Gattungsbegriff  zurückgreifen  und  spectaculum  gladiatorium  sagen  konnte,  wie  bei  Livius 
39,  42,  Capitolinus  Anton.  8,  neben  spectaculum  gladiatorum  Liv.  28,  21,  Inscr.  Neap.  2123 


352 

Hauptstellen,  die  über  diese  Gesammtgliederung  belehren,  sind  namentlich 
Sueton  Caes.  39  und  Domit.  4 ,  auch  Ner.  1 1 ,  und  Lactanz  6,  20 ,  35 
(nach  Lipsius'  Emendation  Saturn.  I,  5);  der  allgemeine  Gegensatz  von 
ludi  und  munera  wiederholt  sich  oft,  z.  B.  bei  demselben  Sueton  Aug. 
45  und  Tib.  34,  und  wie  schon  bei  Cicero  ad  fam.  3,  8,  6,  so  noch 
im  Theod.  Cod.  6,  4,  4,  Je  nachdem  munus  im  engern  oder  weitern 
Sinne  genommen  ward,  konnte  'munera  ac  venationes  gesagt  werden 
bei  Sueton  Calig.  27,  und  ganz  ähnlich  bei  Lactanz  a.  a.  0.  Venationes 
et  quae  vocantur  munera'  (vgl.  'gladiatores  aut  venationem'  bei  Seneca 
de  benef.  1,  12,  3;  'armis  gladiatoriis  et  venatibus'  bei  Capitolinus 
Anton.  8);  aber  auch  'bestias  ad  munus  populi  comparatas'  bei  Suet. 
Caes.  75,  'qui  bestiis  obiectus  munus  instructurus  sum  mei  domini'  bei 
Appuleius  Metam.  10,  22  (vgl.  c.  28  extr.  und  29  init.) ;  desgleichen 
munus  orenae  in  Dichterstellen  des  Manilius,  Lucan,  Claudian,  gesammelt 
von  Heinsius  zu  Claud.  in  Ruf.  II,  395.  Meist  im  engern  Sinne,  d.  h. 
mit  der  speciellen  Vorstellung  von  gladiatores  —  nur  dass  bestiarum 
venationes ,  seit  sie  überhaupt  aufgekommen  waren ,  als  Beiwerk  nicht 
nothwendig  ausgeschlossen  zu  sein  brauchen  —  geht  sodann  der  tech- 
nische Ausdruck  munus  durch  alle  Zeiten  und  Schriftsteller  und  Urkunden 
in  unzähligen  Beispielen  durch.  Cicero  selbst  (weil  doch  in  sein  Con- 
sulat  die  Arelatische  Tessera  fällt)  hat  ihn  pro  Sulla  19,  54  dreimal 
hinter  einander :  'posset  alia  familia  Fausti  munus  praebere',  'cum  longe 


(SPECTACVLVM  •  GLAD  ■  6036);  desgleichen  muneris  spectacula  Suet.  Domit.  4,  I.  Neap. 
1952,  so  gut  wie  spectacula  drei  oder  scaenae  anderwärts.  —  In  keiner  Weise  aber  damit 
parallel  zu  stellen  ist  munus  funebre,  z.  B.  bei  Plinius  N.  H.  33  §.  53  Sill.,  Capitolinus 
a.  a.  0.,  womit  so  wenig  eine  besondere  Klasse  der  munera,  wie  mit  ludi  funebres  eine  besondere 
Klasse  der  ludi  bezeichnet  wird,  sondern  nichts  als  ein  munus  oder  ludi  bei  der  zufälligen  Gele- 
genheit eines  funus,  unter  Umständen  auch  wohl  das  funus  selbst,  sofern  seinen  Hauptbestand- 
theil  munus  oder  ludi  bilden  (oder  auch  beide  vereinigt  wie  z.  B.  bei  Liv.  23,  30.  31,  50).  Ganz 
vorzugsweise  indess  fallen  die  Begriffe  von  funus  und  munus  als  Gladiatorenspiel  darum  zu- 
sammen, weil  von  der  sehr  frühzeitigen  und  dann  ganz  usuellen  Verwendung  des  letztern  zu 
feierlichen  parentalia  der  ganze  Sprachgebrauch,  nach  dem  munus  =  spectaeulum  gladiato- 
rium,  ausgegangen  ist.  Denn  gewiss  mit  Recht  erklärt  TertuUian  de  spect.  12  den  Namen 
munus  als  officium  honori  mortuorum  debitum,  während  ihn  Servius  zu  Virg.  Aen.  3,  67  von 
dem  zufälligen  Umstände  herleiten  will,  dass  zu  der  ersten  mit  Gladiatoren  begangenen 
Leichenfeier  des  Junius  Brutus  viele  Kämpfer  von  auswärts  als  Geschenk  geschickt  wor- 
den seien.  Auch  Friedländers  Auffassung  Handb.  d.  Alterth.  4  S  481,  dass,  weil  die  Leichen- 
feste  'freiwillig  gegeben'  waren,  davon  der  Name  munus  allen,  auch  nicht  mehr  freiwillig 
gegebenen  Fechterspielen  geblieben  sei,  scheint  mir  nicht  tief  genug  zu  greifen. 


353 

tempus  muneris  abesset',  'tempus  dandi  muneris';  desgleichen  pro  Sest. 
58,  124  'consessu  gladiatorio  .  .  .  erat  enim  munus  Scipionis' ^) ;  de  offic. 
2,  16,  57  'magnificentissima  vero  nostri  Pompei  munera  secundo  consu- 
latu';  Philipp.  2,  45,  116  'muneribus,  monumentis ,  congiariis,  epulis 
multitudinem  lenire' ;  ad  famil.  2,  3,  1  'Rupae  Studium  non  defuit  decla- 
randorum  munerum  tuo  nomine';  2,  6,  3  'propter  magnificentiam  mu- 
nerum';  ad  Att.  4,  4^,  2  'medius  fidius  ne  tu  emisti  ludum  praeclarum: 
gladiatores  audio  pugnare  mirifice ;  si  locare  voluisses,  duobus  his 
muneribus  liber  esses'.  Von  spätem  Autoren  begnüge  ich  mich  den 
Sueton  hervorzuheben,  bei  dem  man  die  zahlreichsten  Beispiele  finden 
wird,  darunter  folgende  zum  Beleg  der  einfachen  Ablativconstruction : 
Caes.  39  'munere  depugnavit,  ludis  mimum  egit';  Aug.  43  'nepotum 
suorum  munere  transiit  e  loco  suo';  Ner.  12  'munere,  quod  in  amphi- 
theatro  dedit,  neminem  occidit'  ^).  Neben  den  Autoren  sind  die  Inschriften 
voll  von  Beispielen  desselben  Gebrauchs,  in  Formeln  wie  muneris  oder 
muneris  publici  cura,  editio ,  curator ,  editor;  munus  familiae  gladiatoriae ; 
pro  munere  u.  a. :  wofür  es  genügt  auf  Mommsen's  Indices  I.  R.  Neap. 
S.  481  zu  verweisen.  —  Noch  strenger  hat  sich  die  Bedeutung  von 
munerarius  fixirt,  was  als  Substantivum  nie  etwas  anderes  als  einen 
editor  muneris  bezeichnet,  z.  B.  munerario  egregiae  editionis  Inscr.  Neap. 
328,  munerarius  bidui  ib.  1501,  und  öfter,  wofür  die  Autorenstellen 
schon  die  Lexica  geben ;  wie  denn  auch  das  Prädicat  munificus  oder  muni- 
ficentissimus  in  ganz  demselben  Sinne  üblich  geworden  ist,  z.  B.  ib.  947. 
2627.  4768,  Orell.  2557.  Wenn  früher  Einige  in  Sueton's  Worten 
Dom.  10  'Threcem  murmilloni  parem,  munerario  imparem'  eine  beson- 
dere Klasse  von  Gladiatoren  mit  Namen  munerarius  (wie  eben  Threx,  mur- 
millo,  retiarius,  secutor,  provocator  u.  s.  w.)  zu  finden  wähnten,  so  hätte  man 
damals  auch  darauf  verfallen  können,  in  der  Arelatischen  Tessera  SPECTAT^*5 


1)  Die  folgenden  Worte  enthalten  den  schlagenden  Beweis,  wie  sehr  es  schon  damals  das 
Interesse  für  das  Gladiatorenspiel  über  alle  andern  Arten  von  Schauspiel  davon  getragen 
hatte:  'id  autem  spectaculi  genus  erat,  quod  omni  frequentia  et  omni  genere  hominum  cele- 
bratur,  quo  multitudo  maxime  delectatur':  wovon  weiter  unten  Anwendung  zu  machen. 

2)  Denselben  Ablativ  mit  dem  Zusatz  gladiatorio  hat  man  Tib.  40 'gladiatorio  munere  perierant' ; 
Calig.  26  'gladiatorio  munere  emitti  quemquam  iubebat' ;  Claud.  2  'gladiatorio  munere,  quod 
memoriae  patris  edebat,  palliolatus  novo  more  praesedit'.  —  Habe  ich  recht  gezählt,  so 
braucht  überhaupt  Sueton  munus  schlechtweg  18mal,  gladiatorium  munus  nur  12mal. 


354 

MY^erarius  zu  lesen ;  jetzt  zweifelt  wohl  niemand,  dass  dort  gerade  der 
Festgeber  und  der  Fechter  in  Gegensatz  gestellt  werden  sollen,  genau 
wie  bei  Florus  2,  8,  9  'si  de  gladiatore  munerarius  bustum  fecisset*, 
wo  man  ehedem  ein  ganz  singuläres  munerator  las.  Ausserdem  hätte 
man  auch  in  Cicero's  Zeit  nicht  einmal  so  schreiben  können,  wenn  es 
wahr  ist,  was  Quintilian  8,  3,  34  berichtet,  dass  das  Wort  munerarius 
überhaupt  Niemand  vor  Augustus  gebraucht  habe. 

Also  SPFCTAT^^s  MVNere:  ich  denke  nicht,  dass  es  von  der  Instanz 
der  Arelatischen  Tessera  noch  eine  Appellation  geben  wird. 


Zum  Schluss  noch  ein  paar  allgemeinere  Vermuthungen,  deren  Werth 
einem  jeden  anheimgegeben  sei.  Welchen  Zweck  hatte  man  eigentlich 
im  Auge,  wenn  man,  um  Gladiatorentapferkeit  zu  bezeugen,  sich  nicht 
mit  der  einfachen  Angabe  des  Sieges  überhaupt  begnügte,  die  doch  nach 
aussen  wie  für  den  Empfänger  ganz  denselben  Effect  machte,  sondern 
mit  so  peinlicher  Gewissenhaftigkeit  nicht  nur  das  Consulat,  sondern 
selbst  den  Tag  des  Kampfes  verzeichnete,  dagegen  wiederum  die  Art 
dieses  Kampfes  ohne  jede  Erwähnung  Hess?  Was  soll  man  sich  ferner 
als  Grund  denken ,  dass  zwar  der  ^Vectatus  als  solcher  ausgezeichnet 
und  decorirt  wurde,  dagegen  für  die  doch  entschieden  höhere  Rangklasse 
der  XYiTerani  von  einer  analogen  Decoration  (andere  kann  es  ja  gege- 
ben haben)  keine  Spur  vorhanden  ist?  Ich  meine,  eben  diese  Um- 
stände zusammengenommen  führen  darauf,  dass  die  zur  Vertheilung 
kommenden  Marken  nicht  blosse  P]hrenauszeichnungen  waren,  sondern 
zugleich  als  urkundliche  Beweismittel  für  einen  praktischen  Zweck  dien- 
ten. Wird  man  in  die  Klasse  der  veterani  oder  rudiarii  aufgenommen 
worden  sein  nach  blosser  Anciennetät  oder  vielmehr  auf  Grund  des  Ver- 
dienstes? Wenn,  wie  doch  nicht  wohl  zu  zweifeln,  das  letztere,  was 
liegt  dann  näher  als  dass  der  Eintritt  in  die  ehrenvolle  Tensionirung' 
von  einer  genügenden,  d.  h.  also  numerisch  bestimmten  Anzahl  von  Siegen 
abhängig  war?  oder  um  mit  den  Horazischen  Worten  zu  reden,  dass 
einer  eben  satis  spectatus  sein  musste,  um  rüde  donatus  zu  werden. 
Kaum  wird  man  sich  demnach  ein  einfacheres  Verfahren  ausdenken 
können,  als  dass,  wer  sich  allmählich  die  festgesetzte  Zahl  von  Marken 


355 

erworben  hatte,  unter  Vorzeigung  derselben  sich  zur  Aufnahme  in  die 
Veteranenklasse  meldete,  um  mit  ihnen  sich  als  'pensionsberechtigt' 
auszuweisen.  Natürlich  musste  man  diese  Ansprüche  prüfen  durch  Con- 
statirung  des  Thatbestandes,  und  wie  konnte  man  das  anders  als  durch 
Nachschlagen  der  Listen,  die  über  den  Verlauf  der  munera  ohne  Zweifel 
geführt  wurden?  wie  aber  dieses  sicherer  und  bequemer  als  auf  Grund 
der  Datirung,  die  auf  den  Marken  selbst  angebracht  war?  —  Dieses 
geordnete  Geschäftsverfahren  wird  freilich  nicht  von  Anfang  an  dage- 
wesen sein,  sondern  sich  erst  mit  dem  ganzen  Gladiatorenwesen  selbst 
und  seiner  Gesammtorganisation  ausgebildet  haben.  Nichts  hindert,  dafür 
als  Zeitpunkt  die  Sullanische  Periode  anzunehmen  und  damit  zugleich 
Antwort  auf  die  Frage  zu  geben,  warum  es  keine  vorsullanischen  Tesseren 
gibt,  während  sie  doch  dann  auf  einmal  in  so  dichtgedrängter  Folge 
auftreten.  So  lange  Gladiatorenspiele  lediglich  auf  den  zufälligen  Anlass  von 
Todtenfeiern  vorkamen  —  und  bekanntlich  war  das  vom  Ausgange  des 
5.  Jahrhunderts  (490)  noch  sehr  beträchtlich  lange  ausschliesslich  der 
Fall  —  kann  überhaupt  von  einer  festen  Organisation  nach  Art  der 
spätem  Zeit  nicht  die  Rede  sein.  Dazu  gehörte  vor  allem  erst  die  Bil- 
dung ständiger  Fechterbanden  (familiae)  in  geschlossenen  ludi,  von  denen 
uns  als  meines  Wissens  ältestes  Beispiel  (wenn  auch  gewiss  nicht  an 
sich  das  älteste)  der  ludus  C.  Aureli  Scauri  um  das  Jahr  649  bei  Va- 
lerius  Max.  2,  3,  2  erwähnt  wird.  Aber  es  musste  begreiflicher  Weise 
schon  eine  Mehrzahl  solcher  ludi  vorhanden,  sie  mussten  zu  einer  all- 
gemeinen Institution  geworden  sein,  ehe  sich  ein  förmliches  System 
entwickelte  und  zu  normaler  Geltung  brachte,  wie  es  sich  in  der  Avan- 
cements-Scala  von  Tirones,  Spectati  und  Veterani  ausdrückt.  Etliche 
Jahrzehnte  mochten  darüber  sehr  leicht  hingehen  und  so  eben  die  Sulla- 
nische Zeit  herankommen,  ehe  man  der  nunmehr  festgestellten  Ordnung 
durch  die  Einführung  genau  datirter  Tesseren  Rechnung  trug.  Und 
wissen  wir  denn,  welches  eigentlich  der  Zeitpunkt  war,  in  dem  der 
Uebergang  von  gelegentlicher  und  privater  Todtenfeier  zu  der  ständigen 
und  amtlichen  Staatsleistung  eines  allgemeinen  Festspiels  stattfand? 
Ohne  Zweifel  hatte  sich  die  Neuerung  in  der  Ciceronisch-Cäsarisch-Pom- 
pejanischen  Epoche  bereits  vollzogen ;  was  steht  also  der  Annahme  ent- 
gegen, dass  etwa  die  vorangehende  Sullanische  gerade  den  W^endepunkt 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X.  Bd.  II.  Abth.  4 9 


356 

bildete?  So  würde  alles  in  den  besten  gegenseitigen  Zusammenhang 
treten  und  die  Frage,  warum  keine  vorsullanischen  Tesseren  existiren, 
ihre  sehr  einleuchtende  Erledigung  durch  innere  Begründung  finden. 
Si  quid  novisti  rectius  istis,   candidus  imperti:   si  non,  his  utere  mecum. 


Nachträge 

zu  geben  läge  schwerlich  Anlass  vor,    wenn  nicht    das    schon   1863  ab- 
geschlossene Manuscript  Monate  lang  in  der  Druckerei  geruht  hätte. 

Zu  S.  294  Z.  24.  Die  Borghesi'sche  Abhandlung  des  Giornale  arcadico  steht  nicht  im 
zweiten,  sondern  im  dritten  Bande  der  Pariser  'Oeuvres  completes',  S.  335 — 866. 

Zu  S.  308  und  Anin.  Ein  altes  Beispiel  von  GN  für  CN  ist  erst  kürzlich  wieder  aus  der 
Nekropole  von  Präueste  an  den  Tag  gekommen:  s.  Henzen  im  Bull.  d.  Inst.  1864  S.  22.  Junge 
Beispiele  sowohl  von  GN  =  CN  als  von  G  =  C  sind  in  Provinzialinschriften  der  Kaiserzeit  nichts 
Seltenes  und  wohl  grossentheils  zurückzuführen  auf  die  allgemeine  Nachlässigkeit,  die  in  der 
graphischen  Unterscheidung  der  beiden  Zeichen  C  und  G  überhaupt  zu  herrschen  pflegt.  —  Dem 
in  der  Anm.  erwähnten  umgekehrten  Falle,  der  in  der  Schreibung  CNEVS  vorliegt,  lässt  sich  das 
L  CAIO  eines  Quadrans  von  COpiA  (sie)  zur  Seite  stellen,  wenn  auf  die  Lesung  von  L.  Müller 
'Description  des  monnaies  antiques  au  Musee-Thorvaldsen'  (Copenhague  1851)  S.  354  n.  58  Ver- 
las» ist.  Dass  in  Or.  701.  3311  die  Schreibungen  CAIVS  CAIVM  nur  auf  Orelli'scher  ünkritik  be- 
ruhen, ist  gewiss. 

Zu  S.  337.  Nur  der  litter  arischen  Vollständigkeit  wegen  mag  eine  Tessera  des  Thorwald- 
sen'schen  Museums  in  Kopenhagen  erwähnt  werden,  welche  in  L.  Müller's  'Description  des  antiquites 
du  Musee-Thorvaldsen'  (1847)  sect.  I  und  II  S  215  offenbar  irrthümlich  als  Gladiatoren-Tessera 
mit  diesen  Worten  bezeichnet  wird:  'Tessere  de  gladiateur,  carree.  De  l'un  cote  est  grave  le  nom 
du  gladiateur  M "  FLAV,  de  l'autre  le  numero  III,  Os.  Long.  1  p.  9  1.'  Also  allem  Anschein 
nach  doch  nur  eine  zweiseitige  Platte,  wie  es  deren  so  viele  gibt,  kein  cubischer  Körper  mit  vier 
Flächen:  also  auch  keine  Gladiatorentessera.  Diess  wurde  schon  bemerkt  in  Priscae  Lat.  epigr. 
suppl.  IV  (Bonn  18G4;  S.  XFV,  wo  sich  mittlerweile  die  drei  Tesseren  n.  6.  23.  31  besonders  zu 
publiciren  Gelegenheit  fand. 


Beiträge 


zur 


Geschichte  der  Antikensammlungen 


Münchens 


von 


Wilhelm  Christ. 


49^ 


Beiträge 

zur 

Geschichte  der  Antikensammlimgen  Münchens 


von 

Wilhelm  Christ. 


Hin  und  wieder  hört  man  die  Meinung  äussern,  Werth  und  Bedeu- 
tung einer  Sammlung  hänge  einzig  von  ihrem  Inhalt  ab:  umfasse  sie 
Stücke  von  wissenschaftlicher  Bedeutung  und  künstlerischer  Vollendung, 
so  zögen  diese  an  und  für  sich  das  Interesse  der  Kenner  auf  sich ;  und 
enthalte  sie  nur  mittelmässiges  und  unbedeutendes,  so  werde  deren 
Werth  durch  keinerlei  Beigabe  erhöht.  So  viel  richtiges  nun  auch  an 
dieser  Bemerkung  ist,  so  bleibt  es  doch  immer  von  Interesse  das  Ge- 
wordene in  seinem  Entstehen  und  seinem  Wachsen  zu  verfolgen,  zumal 
nicht  selten  ein  Stück  Culturgeschichte  in  den  Erwerbungen  der  Samm- 
lungen niedergelegt  ist.  Auch  das  ruhmvolle  Andenken  manches 
erhabenen  Beschützers  von  Kunst  und  Wissenschaft  ist  eng  mit 
der  Geschichte  wissenschaftlicher  und  künstlerischer  Museen  ver- 
knüpft, und  es  ist  mir  speziell  durch  meine  hier  niedergelegten  Forsch- 
ungen gelungen ,  das  hohe  Verdienst  eines  erlauchten  Fürsten  für  die 
hiesigen  Antikensammlungen  aus  dem  Dunkel  der  Vergessenheit  zu  ziehen. 
Noch  eine  weitere  Wichtigkeit  haben  solche  geschichtliche  Aufzeich- 
nungen und  Nachweise  bei  Kunstsammlungen;  denn  hier  hängt  oft  die 
Frage  über  Aechtheit  und  Unächtheit   eines  Kunstwerkes    von   der  Zeit 


360 

der  Erwerbung  ab,  wie  denn  gerade  mich  die  von  Professor  0.  Jahn  ange- 
regten Fi'agen  über  den  Diskobol  des  k.  Antiquariums  zu  weitergehenden 
Forschungen  auf  diesem  Gebiete  veranlasst  haben. 

Liegen  nun  über  eine  Sammlung  genaue  Kataloge  und  fortlaufende 
Aufzeichnungen  der  einzelnen  Erwerbungen  vor,  so  bedarf  es  nichts 
weiter  als  einer  Zusammenstellung  des  zerstreuten  Materials,  eine  Arbeit, 
welche  wohl  unter  Umständen  mühsam  sein  kann,  die  aber  nicht  mit 
besonderer  Schwierigkeit  verbunden  ist.  lieber  das  Antiquarium  liegen 
aber  solche  Nachrichten  erst  seit  dem  zweiten  Decennium  dieses  Jahr- 
hunderts vor,  das  ist  erst  seit  der  Zeit,  in  welcher  die  Akademie  der 
Wissenschaften  die  Beaufsichtigung  und  Leitung  der  Anstalt  übernommen 
hat ;  über  die  früheren  Zeiten,  in  welche  doch  die  eigentliche  Gründung 
der  Sammlung  fällt;  findet  sich  weder  ein  fortlaufendes  Journal,  noch 
ein  umfassender  Katalog,  wenn  man  nicht  in  den  unter  den  Büsten  der 
Seitenwände  mit  Goldbuchstaben  geschriebenen  Namen  eine  Art  von 
Verzeichniss  finden  will.  Jene  Notizen  über  die  neueren  Erwerbungen 
des  Antiquariums,  die  sich  auf  diö  zum  Theil  werthvolle  Antikensamm- 
lung des  ehemaligen  Bischofs  von  Passau,  Grafen  von  Thun,(I)  die  der 
Mehrzahl  nach  unächten  Bronzen  und  Terracotten  des  Fürstabtes  von 
Steiglehner,  die  ägyptische  Sammlung  von  Sieber  und  die  skandinavische 
von  Thomson ,  die  germanischen  Alterthümer  von  Pickel ,  Popp  und 
Redenbacher,  die  Ausgrabungen  von  Nordendorf,  die  Geschirre  und  Be- 
trügereien von  Rheinzabern  und  andere  kleinere  Ankäufe  beziehen,  sind 
von  dem  verstorbenen  Professor  Jos.  von  Hefner  in  einer  handschrift- 
lichen Geschichte  des  Antiquariums  fleissig  zusammengestellt  und  werden 
zu  seiner  Zeit  bei  der  Herausgabe  eines  neuen  Kataloges  verwerthet 
werden. 

Die  Erwerbungen  der  früheren  Zeit  umfassen  theils  Marmordenkmale, 
theils  Bronzen,  deren  Werth  zwar  ehedem  überschwenglich  gepriesen 
wurde,  jetzt  aber  durch  das  geläuterte  Kunsturtheil  unserer  Zeit  bedeu- 
tend herabgedrückt  ist  (II).  Ein  Theil  derselben  und  weitaus  der  be- 
deutendste wurde,  um  dieses  gleich  vorauszuschicken,  durch  die  Kunst- 
liebe des  Churfürsteu  Karl  Theodor  hierher  gebracht,  dessen  Verdienste 
um  die  Antikensammlimgen  Münchens  bisher  in  vollständiges  Dunkel 
gehüllt    waren.     Die  Anfänge    des  Antiquariums   aber  stammen   aus    der 


361 

Zeit  des  Herzog  Albreclit  V.,  dessen  unermüdliclier  Eifer  für  die  Grün- 
dung der  Bibliothek,  des  Münzkabinetes  und  der  Antikensammlungen 
durch  Schrift  und  Denkmal  sattsam   verherrlicht  ist. 

Ueber  die  Kunstaukimfe  dieses  Herzogs  und  die  dabei  gepflogenen 
Verhandlungen  liegen  noch  fünf  im  k,  Reichsarchiv  dahier  aufbewahrte 
Bände  vor,  welche  die  Correspondenz  Albrecht  V.  mit  den  verschiedenen 
Unterhändlern  enthalten.  Diese  Sammlung  ward  bald  nach  dem  Tode 
des  Herzogs  angelegt  und  zeugt  von  dem  hohen  Interesse,  welches  man 
damals  an  den  neu  nach  München  gebrachten  Kunstschätzen  nahm. 
Leider  verfuhr  dabei  der  Sammler  dieser  Aktenstücke  mit  wenig  Geschick 
und  Einsicht;  denn  einmal  fehlen  einige  der  wichtigsten  Dokumente 
namentlich  über  die  näheren  Umstände  und  die  Preise  der  ersten  Acqui- 
sition  in  Rom,  während  alle  jene  widerwärtigen  Intriguen  und  Faseleien 
des  Italieners  Stoppio  vollständig  mitgetheilt  sind;  dann  sind  aber  auch 
die  erhaltenen  Briefe  und  Belege  weder  genau  nach  der  Zeit,  noch 
durchgreifend  nach  einem  andern  vernünftigen  Gesichtspunkt  geordnet. 
So  liegen  Verzeichnisse,  die  sich  auf  die  gleichen  Ankäufe  oder  die 
gleichen  Angebote  beziehen,  oft  weit  auseinander,  und  finden  sich  die 
Verdeutschungen  der  wälschen  Briefe  der  italienischen  Unterhändler  nur 
selten  neben  ihren  Originalen.  Eine  solche  Unordnung  konnte  leicht, 
wie  wir  gleich  nachher  sehen  werden,  zu  bedeutenden  Irrthümern  Anlass 
geben,  und  mahnt  zur  doppelten  Vorsicht  bei  Benützung  jener  Papiere. 
Ueberhaupt  wäre  es  weit  rathsamer  gewesen,  man  hätte  damals  ein  ge- 
naues Verzeichniss  der  erworbenen  Kunstwerke  aufgestellt,  und  in  dieses 
die  aus  der  Correspondenz  sich  ergebenden  näheren  Notizen  über  den 
früheren  Besitzer,  über  die  Preise  und  dergleichen  Dinge  eingewoben. 
Dann  wäre  man  vollständig  unterrichtet  über  das  in  jener  Zeit  Vor- 
handene, während  jetzt  bei  vielen  Gegenständen  des  Antiquariums ,  die 
sich  in  jener  Correspondenz  nicht  erwähnt  finden,  doch  immer  noch  die 
Annahme  offen  bleibt,  dass  sie  nichts  destoweniger  aus  den  Erwerbungen 
Albrecht  V.  herstammen  und  dass  sich  nur  die  Belege  über  ihre  Er- 
werbung verzettelt  haben.  Nur  über  die  zur  Schatzkammer  gehörigen 
Kleinodien  Gemmen  und  Edelsteine  besitzen  wir  ein  genaues  Inventar 
vom  Jahre  1779,  das  auf  die  eigenhändigen  Aufzeichnungen  Albrecht  V. 
basirt  ist  (aufbewahrt  im  hiesigen  Archivconservatorium),  und  über  die 


362 

Schätze  der  eliemaligen  Kimstkammer  einen  ausführlichen  Katalog,  den 
Hofrath  Fickler  im  Jahre  1598  im  Auftrag  des  Herzogs  Maximilian 
anlegte  (k.  Staatsbibliothek  cod.  bavar.  Nr.  2133).  Die  Gegenstände 
der  Schatzkammer  liegen  aber  unserer  Untersuchung  ganz  fern ,  und 
auch  die  Kunstkammer  diente  nur  zur  Aufbewahrung  von  Bronzen, 
Münzen,  Gemmen,  Gemälden  und  Elfenbeinschnitzereien,  und  umfasste 
schon  desshalb  nichts  von  den  im  Antiquarium  aufbewahrten  Antiken, 
weil  sie  schon  längst  erbaut  und  eingerichtet  war,  ehe  zu  jenem  der 
Grundstein  gelegt  wurde.  Denn  das  Antiquarium  ward  laut  einer  über 
dem  Kamin  angebrachten  Inschrift  erst  unter  Herzog  Max  im  Jahre  1600 
erbaut  oder  wenigstens  eingeweiht,  während  der  Bau  der  Kunstkammer 
bereits  unter  dem  Herzog  Albrecht  V.  begonnen  und  schon  im  Jahre 
1578  unter  dessen  Nachfolger  Wilhelm  vollendet  worden  war. 

Doch  kehren  wir  zu  der  erwähnten  Correspondenz  des  Herzog 
Albrecht  V.  mit  seinen  Unterhändlern  zurück,  so  gebührt  das  Lob,  diese 
wichtigen  Aktenstücke  an  das  Licht  der  Oeffentlichkeit  gezogen  zu  haben, 
dem  ehemaligen  Reichsarchivdirektor  Freiherrn  von  Freyberg,  der  im 
Jahre  1832  in  den  bayerischen  Annalen  Nr.  31  ff,  aus  ihnen,  freilich 
ohne  seine  Quelle  auch  nur  zu  nennen,  die  wichtigsten  Briefe  und  Ver- 
zeichnisse mittheilte.  Es  liegt  mir  fern  die  Verdienste  anderer  auch 
nur  im  geringsten  schmälern  zu  wollen,  aber  ein  genaueres  Studium  der 
Sache  hat  mich  belehrt,  dass  jene  Mittheilungen  unvollständig  und  un- 
genau sind,  und  denjenigen,  welcher  dieselben  nicht  näher  prüft,  zu 
ganz  irrigen  Vorstellungen  verleiten  müssen.  Es  verbreitet  sich  aber 
jene  Correspondenz  über  die  mannigfachsten  Erwerbungen,  welche  der 
Herzog  an  Antiken,  Münzen,  Perlen,  Korallen  und  Gemälden  in  Italien 
und  anderswo  machen  Hess ,  und  enthält  überdiess  auch  über  Engagi- 
rungen  von  Künstlern  und  Sängern  manche  interessante  Notizen.  Mich 
selbst  beschäftigt  hier  zunächst  nur  die  Frage  nach  den  ersten  Anfängen 
der  Antikensammlungen  Münchens  und  nach  der  ältesten  Geschichte 
des  Antiquariums ;  wesshalb  ich  mich  auch  in  der  Besprechung  jener 
Correspondenz  lediglich  auf  diesen  Theil  der  Erwerbungen  beschränken 
werde.  Hier  beruht  nun  der  Hauptmangel  der  Mittheilungen  des  Frei- 
herrn von  Freyberg  darin,  dass  er  auch  nicht  die  geringste  Andeutung 
davon  gegeben  hat,  wohin  die  angekauften  Stücke  gekommen  sind,  und 

4 


363 

was  sich  von  ihnen  noch  erhalten  hat.  Und  doch  lässt  sich  mit  aller 
Bestimmtheit  gerade  von  den  bedeutendsten  Acquisitionen  nachweisen, 
dass  sie  sich  noch  heutzutage  und  zwar  im  k,  Antiquarium  befinden. 
Lässt  sich  nun  auch  dieser  Mangel  damit  entschuldigen,  dass  der  Ver- 
fasser jener  Mittheiluugen  diese  Seite  der  Betrachtung  aus  seiner  Be- 
sprechung absichtlich  weggelassen  hat,  so  bleiben  doch  noch  andere 
Irrthümer  und  Nachlässigkeiten,  welche  sich  auf  die  ausgehobenen  Doku- 
mente selbst  beziehen.  So  finden  sich  in  den  Akten  von  den  zwei  Sen- 
dungen von  Antiquitäten,  welche  Stoppio  von  Venedig  am  2.  Dezember 
1566  und  26.  Juli  1567  besorgte,  einmal  zwei  SpezialVerzeichnisse  und 
dann  noch  zwei  Gesammtverzeichnisse,  wovon  das  eine  in  italienischer, 
das  andere  in  deutscher  Sprache  abgefasst  ist.  Diese  Verzeichnisse  Hess 
V.  Freyberg  so  abdrucken,  als  ob  sie  ganz  verschiedene  Dinge  enthielten, 
und  schickte  dem  letzten  noch  die  nur  halbwahre  Bemerkung  voraus : 
,,Am  26.  Juli  1567  wurden  von  Stoppio  in  fünf  Truhen  folgende  Anti- 
quitäten aus  Venedig  an  den  Herzog  abgesendet,"  während  in  der  That 
doch  damals  nur  der  letzte  Transport  in  drei  Truhen  abgeschickt  wurde. 
In  ähnlicher  Weise  lesen  wir  Seite  139  :  ,, Bernhard  Olgiati  machte  fer- 
ners  noch  folgende  Sammlung  aus  Rom,"  aber  was  dann  nachfolgt,  ist 
nichts  anders  als  ein  Theil  jener  Sammlung,  die  Strada  in  Rom  angekauft 
und  verzeichnet  hatte,  und  die  dann  später  Olgiati  von  Rotn  nach 
Venedig  transportiren  Hess.  Solche  Unrichtigkeiten  erregen  natürlich 
eine  ganz  falsche  Vorstellung  und  lassen  die  Erwerbungen  viel  grösser 
und  reichhaltiger  erscheinen ,  als  sie  es  in  der  That  waren.  Eine  ge- 
nauere Vergleichung  der  verschiedenen  Verzeichnisse  hätte  aber  auch 
den  Verfasser  vor  manchen  argen  Irrthümern  im  Einzelnen  geschützt. 
So  wird  uns,  um  von  den  vielen  Verstössen  nur  einen  und  den  andern 
herauszuheben,  Seite  136  ein  ganz  neuer  Name  Julia  Frusilla  aufgetischt, 
während  in  den  übrigen  Verzeichnissen  ganz  richtig  der  Name  Julia 
Drusilla  der  bekannten  Frau  des  Kaisers  Augustus  zu  lesen  ist.  So 
wird  ferner  unter  den  in  Rom  gekauften  Antiken  auch  'ain  khlains 
haubt  Prindis  mit  seiner  Brust'  genannt ;  einen  Prindis  wird  man  aber 
vergeblich  in  der  alten  Geschichte  und  in  der  alten  Mythologie  suchen ; 
auf  eine  bessere  Fährte  führt  schon  ein   zweites  Verzeichniss ,    wo    man 

Abb.  d,I  Cl.  (1.  k.Ak  d  Wiss.X.Bd.II.Abth.  50 


364 

Pandis  statt  jenes  Prindis  liest,  das  einzig  richtige  aber  enthält  das 
italienische  Original,  wo  deutlich  geschrieben  steht:  testa  Paridis. 

Meine  Aufgabe  war  es  daher,  einmal  genauere  und  verlässigere  An- 
gaben über  die  Erwerbungen  Albrecht  V.  mitzutheilen,  dann  aber  haupt- 
sächlich den  Nachweis  zu  liefern,  dass  ein  grosser  Theil  jener  damals 
aufgekauften  Antiken  sich  noch  heutzutag  im  Antiquarium  befindet. 
Freilich  war  dieser  Nachweis  zum  Theil  sehr  schwierig,  weil  die  An- 
gaben jener  italienischer  Unterhändler  zu  unbestimmt  sind  und  nament- 
lich jede  genauere  Bestimmung  der  Maasse,  Brüche  und  Ergänzungen 
vermissen  lassen ,  und  weil  jene  Ankäufe  Albrecht  V,  erst  von  den 
späteren  Erwerbungen  des  Antiquariums  geschieden  werden  mussten. 
Aber  einige  durch  hervorstechende  Kennzeichen  ausgezeichnete  Stücke 
Hessen  sich  doch  bald  mit  Leichtigkeit  erkennen,  und  waren  diese  einmal 
festgestellt,  so  ergab  eine  genauere  Betrachtung  derselben  gewisse  Merk- 
male des  Geschmacks  und  der  Restaurationsweise  der  einzelnen  Italiener 
an  die  Hand,  die  auf  die  Wiedererkennung  auch  anderer  Acquisitionen 
mit  Sicherheit  führten.  Dazu  kamen  denn  noch  einige  äussere  Erken- 
nungszeichen, welche,  wie  namentlich  bei  den  Bronzen,  mit  völliger 
Sicherheit  die  Erwerbungen  Albrecht  V.  von  den  spätem  unterscheiden 
Hessen,  wovon  unten  näher  gehandelt  werden  soll. 

Die  erste  und  zugleich  weitaus  bedeutendste  Erwerbung  also,  die 
Albrecht  V.  an  Antiken  machte,  rührt  aus  Rom  her.  Von  welchen 
Besitzern  und  zu  welchen  Preisen  dieselbe  erstanden  wurde,  darüber 
vermissen  wir  leider  jede  Angabe ;  nur  aus  einer  gelegentlichen  Bemer- 
kung ersehen  wir,  dass  der  Ankauf  von  dem .  Architekten  Jacob  Strada 
besorgt  wurde.  Nach  der  Abreise  desselben  von  Rom  machte  der  Ge- 
schäftsträger des  Herzogs  Dr.  Castellino  in  seinen  Briefen  einzelne  vage 
Bemerkungen  über  die  Sammlung  und  sandte  am  7.  Juli  1567  ein  von 
Strada  angelegtes  Verzeichniss  derselben  an  den  Herzog  heraus.  Nicht 
lange  nachher  schickte  Bern.  Olgiati  sämmtliche  Stücke  in  38  Truhen 
verpackt  nach  Venedig,  damit  sie  von  da  nach  München  befördert  würden. 
Alle  Kisten  gelangten  auch  glücklich  in  Bayerns  Hauptstadt  an,  denn 
dass  auch  die  acht  Kisten,  welche  zuletzt  von  Rom  abgingen,  und  von 
denen  Fugger,  der  den  Transport  von  Venedig  nach  München  leitete, 
in  einem  Briefe  an  den  Herzog  bemerkt,  dass  sie  noch  unterwegs  seien, 


365 

später  richtig  an  ihrem  Bestimmungsort  eintrafen,  können  wir  noch 
durch  ein  ganz  verlässiges  Zeichen  erhärten.  Es  fanden  sich  nämhch 
in  jenen  acht  Truhen  nach  einem  detailirten  Frachtbrief,  der  in  den 
Akten  aufbewahrt  ist,  folgende  vier  grosse  Marmorstatuen:  zwei  Merkure, 
ein  junger  Herkules  und  ein  Mark  Aurei  mit  einem  ausgearbeiteten 
Panzer.  Von  jenen  vier  Statuen  ist  aber  sicherlich  eine,  nämlich  die 
letzte,  noch  in  einer  Nische  des  Antiquariums  erhalten,  so  dass  also  an 
der  späteren  Ankunft  auch  jener  letzten  acht  Truhen  nicht  zu  zweifeln 
ist.  Auch  ist  wohl  mit  Sicherheit  anzunehmen ,  dass  mit  den  Kisten 
auch  alle  von  Strada  verzeichneten  Stücke  angekommen  sind.  Zwar 
liegen  zwei  Verzeichnisse  vor,  an  denen  Fugger  und  Herzog  Albrecht 
durch  Randzeichen  bemerkten,  was  ihnen  abzugehen  schien.  Aber  von 
den  meisten  dieser  angestrichenen  Nummern  können  wir  bestimmt  nach- 
weisen, dass  sie  doch  in  München  irgendwann  müssen  angekommen  sein, 
mochten  nun  Fugger  und  der  Herzog  sich  im  Einzelnen  nicht  überall  aus- 
gekannt haben,  oder  mochten  die  als  fehlend  bezeichneten  Stücke  später 
noch  nachgefolgt  sein.  So  ist  in  dem  zweiten  von  dem  Herzog  durch- 
gesehenen Verzeichniss  bei  vielen  Stücken,  welche  Fugger  als  abgehend 
bezeichnet  hatte,  ausdrücklich  an  dem  Rand  bemerkt,  dass  sie  wirklich 
vorhanden  seien,  wie  von  der  Ephesischen  Diana,  den  vier  Grabmonu- 
menten^  den  Köpfen  des  Vespasian  Titus  Seneca  u.  a. ;  und  erhellt  auf 
der  andern  Seite  aus  dem  heutigen  Bestände  des  Antiqnariums ,  dass 
viele  Kunstwerke,  welche  auch  nach  des  Herzogs  Meinung  nicht  vor- 
handen waren,  doch  irgendwann  nach  München  gelangt  sein  müssen. 
Dieses  gilt  insbesondere  von  dem  knieenden  König  Prusias ,  von  dem 
Standbild  der  Asia  mit  dem  Löwen  zu  ihren  Füssen,  den  zwei  Steinen, 
worauf  Historien  gehauen,  dem  Abgott  aus  Porphyr  oder  rothem  Stein, 
und  der  historia  Herculis  auf  einem  glatten  Stein ,  die  sich  alle  in  der 
heutigen  Sammlung  noch  nachweisen  lassen,  denen  aber  der  Herzog 
seine  zweifelnden  Ringelchen  vorgesetzt  hatte.  Von  mehreren  andern 
Stücken  endlich  ist  die  von  Strada  gegebene  Beschreibung  nicht  genau 
genug,  um  sie  unter  den  jetzt  noch  vorhandenen  Marmorarbeiten  des 
Antiquariums  mit  Sicherheit  wiederzufinden ,  oder  liegt  auch  der  Ver- 
dacht nahe,  dass  sie  wegen  ihrer  Unbedeutendheit  späterhin  verschleu- 
dert wurden. 

50* 


O  1-» 


G6 

Weniger  aufgeklärt  ist  der  andere  Umstand,  dass  in  dem  Fracht- 
brief des  Bern.  Olgiati  einige  Werke  verzeichnet  sind,  die  sich  bei  Strada 
nicht  finden,  so  dass  man  leicht  zu  der  Annahme  verleitet  werden  könnte, 
dass  die  Geschäftsführer  des  Herzogs  nach  der  Abreise  des  Strada  noch 
weitere  Erwerbungen  gemacht  hätten.  Aber  der  Herzog,  der  selbst  jene 
Abw^eichung  des  ursprünglichen  Verzeichnisses  und  des  begleitenden 
Frachtbriefes  bemerkt  hatte,  äusserte  in  einem  Briefe  die  Vermuthung, 
es  möchte  vielleicht  das  eine  für  das  andere  genommen  sein ;  und  ge- 
rade diese  Bemerkung  muss  uns  jene  Annahme  als  höchst  bedenklich, 
ja  als  geradezu  unrichtig  erscheinen  lassen.  Und  in  der  That  scheint 
nur  in  einer  Verwechselung  oder  vielmehr  in  einer  verschiedenen  Be- 
zeichnung der  Grund  jener  Abweichung  zu  liegen.  Was  war  denn  auch 
bei  der  damaligen  Sucht  jeder  Statue  und  jeder  Büste  gleich  einen  be- 
stimmten Namen,  gleichwie  welchen,  zu  geben  leichter,  als  dass  dasselbe 
Stück  der  eine  so,  der  andere  anders  taufte  ?  bei  einer  Statuette  bin  ich 
sogar  noch  im  Stande  die  Verwechselung  in  Folge  der  verschiedenen 
Benennung  bestimmt  nachweisen  zu  können.  In  dem  Frachtbrief  des 
Olgiati  finden  wir  nemlich  als  Inhalt  der  28.  Kiste  verzeichnet:  Ain 
Kopff  Vitellii  khlain  mit  Klaider  von  sohwartzem  Stain  und  der  Prust, 
ain  Kopff  Heliogabali  mit  seiner  Prust,  aine  Figur  so  ain  hasen  an 
ainem  Arm  und  ain  Aenten  in  der  andern  Handt  hat,  so  Milonis  Cro- 
toniati  Verehrung  gewest,  die  er  seiner  Buelschaft  geschankht ;  ain  Kopif 
Claudii  Neronis  schwartz.  Von  diesen  vier  Stücken  kehrt  keines  in  dem 
Verzeichniss  des  Strada  unter  derselben  Benennung  wieder;  am  interessan- 
testen aber  ist  die  Figur  mit  dem  Hasen  und  der  Ente ;  die  sollte  man 
denken  sei  so  charakteristisch,  dass  sie  in  keiner  Beschreibung  ver- 
kannt werden  könnte ;  in  Wahrheit  findet  sie  sich  aber  auch  bei  Strada, 
aber  hier  unter  der  Bezeichnung :  una  statuetta  di  Vertumno  di  longezza 
di  un  braccio,  tiene  un  coniglio.  So  sehen  wir  also ,  dass  man  in  der 
kurzen  Zeit  zwischen  dem  Ankauf  und  der  Absendung  der  Statuette 
nicht  blos  für  dieselbe  einen  andern  Namen  ersann,  sondern  auch  einen 
halben  Roman  erdichtete. 

Ueber  jene  Ankäufe  in  Rom  liegen  abgesehen  von  zwei  Fracht- 
briefen, einmal  zu  17  und  dann  zu  8  Truhen,  zwei  deutsche  Verzeich- 
nisse  vor,    von    denen    das    eine   Randbemerkungen    von   Fugger,    das 


367 

andere  solche  von  Herzog  Albrecht  enthält.  Das  letztere  hat  v.  Freyberg 
a,  a.  0.  S.  138  ff.  abdrucken  lassen,  dabei  aber  die  Zusätze  des  Herzogs 
nicht  ganz  genau  wiedergegeben.  Beide  Dokumente  weichen  nur  in 
unbedeutenden  Einzelheiten  von  einander  ab,  gehen  aber  nach  einer 
ausdrücklichen  Bemerkung  auf  das  Original  von  Strada  zurück.  Nun 
finden  wir  aber  in  den  Akten  noch  ein  italienisches  Verzeichniss ,  das 
entweder  Strada  oder  Castellino  von  Rom  herausgeschickt  hatte,  und 
von  dem  wir  allen  Grund  haben  anzunehmen,  dass  es  das  in  jenen 
deutschen  üebersetzungen  erwähnte  Originalverzeichniss  sei.  Dieses 
theilen  wir  daher  in  den  Beilagen  (III)  mit  und  bezeichnen  dabei  mit 
Sternchen  diejenigen  Stücke ,  welche  sich  heutzutage  in  dem  Antiqua- 
rium  befinden. 

Einige  Jahre  später  machte  Strada  im  Auftrage  des  Herzogs  eine 
zweite  Reise  nach  Italien  und  ging  dabei  über  Padua  und  Mantua  nach 
Venedig ,  ohne  dieses  Mal  Mittelitalien  und  Rom  zu  berühren.  Sein 
Hauptaugenmerk  war  dabei  auf  die  Vorbereitungen  zum  Bau  und  zur 
Ausschmückung  der  herzoglichen  Residenz  gerichtet,  daneben  machte  er 
aber  auch  bei  einem  gewissen  Zeno  und  Bembo  Ankäufe  von  einigen 
Statuen,  Köpfen,  Reliefs  und  Bronzen.  Es  liegt  über  diese  zweite  Reise 
von  Strada ,  abgesehen  von  einzelnen  Briefen ,  eine  sehr  ausführliche 
Rechnung  vor,  von  der  ich  unter  Beil.  IV  den  auf  die  Erwerbung  von 
Antiken  bezüglichen  Abschnitt  aushebe. 

Ausserdem  haben  wir  noch  einen  Brief  des  Herzogs,  worin  Strada 
den  Auftrag  erhält  nach  einer  Reihe  von  Antiquitäten  zu  trachten,  und 
worin  zugleich  die  Preise  verzeichnet  sind ,  welche  von  den  Besitzern 
verlangt  und  von  dem  Herzog  angeboten  wurden  (abgedruckt  bay.  An- 
nalen  a.  0.  S.  146).  Es  gehört  dieses  mit  zu  den  wunderlichen  Sonder- 
barkeiten, die  uns  bei  jenen  Erwerbungen  so  oft  aufstossen:  der  Herzog 
wählt  in  seinem  Schloss  zu  München  die  Statuen  und  Köpfe  aus ,  die 
angekauft  werden  sollen ,  und  setzt  deren  Preis  fest ,  ohne  dieselben  je 
gesehen  und  ohne  etwas  weiters  von  ihnen  erfahren  zu  haben,  als  jene 
ganz  verschwommenen  ungenauen  Notizen,  welche  seine  Unterhändler 
ihm  überschickt  hatten.  Ob  nun  Strada  jenen  Aufträgen  nachgekommen 
ist,  und  ob  die  Besitzer  sich  zu  den  gemachten  Angeboten  verstanden 
haben,  darüber  fehlt  jede  Andeutung  in  der  Correspondenz  des  Herzogs. 


368 

Wohl  aber  beleliren  uns  die  Antiken  des  Antiquariums ,  dass  einzelne 
von  jenen  Stücken  sicherlich  erworben  wurden.  So  wird  unter  anderm 
Strada  beauftragt,  zwei  in  Stein  gehauene  Panzer  anzukaufen ;  diese  hat 
man  aber  später  zu  zwei  statuae  loricatae  ergänzt,  um  sie  in  den  grosssen 
Nischen  zu  beiden  Seiten  des  Kamins  aufzustellen.  Die  Ergänzungen 
derselben  sind  von  Gyps  und  plump  ausgeführt,  die  Köpfe,  die  man 
ihnen  aufsetzte,  sind  zwar  antik,  gehörten  aber  ursprünglich  nicht  zu 
den  Körpern.  Vielleicht  wurde  bei  dieser  Gelegenheit  auch  der  vorzüglich 
gearbeitete  Kopf  des  Jupiter  Ammon  erworben,  der  in  unserer  Zeit  aus 
dem  Antiquarium  in  die  Glyptothek  versetzt  würde  (Beschreibung  der 
Glyptothek  Nr.  81),  Doch  ist  mir,  offen  gestanden,  jener  Kopf  zu 
vortrefflich,  als  dass  ich  seine  Erwerbung  in  jene  Zeit  versetzen  möchte. 
Denn  Strada  war  zwar  unter  den  Unterhändlern  des  Herzogs  entschieden 
der  kenntnissreichste  und  ehrlichste,  indem  er  fern  von  lächerlicher 
Prahlerei  oft  genug  erklärte ,  dass  ein  und  das  andere  Stück  modern 
sei,  und  sich  nicht  selten  damit  begnügte  einen  Kopf  einfach  für  rö- 
misch auszugeben,  ohne  ihm  gleich  den  Namen  irgend  eines  berühmten 
Feldherrns  oder  Kaisers  beizulegen.  Aber  die  mancherlei  Ergänzungen 
hat  doch  auch  er  oft  genug  verschwiegen  oder  übertuscht,  und 
Werke  von  hoher  künstlerischer  Vollendung  suchen  wir  doch  auch  unter 
seinen  Ankäufen  vergeblich.  Mehr  Wahrscheinlichkeit  hat  es  für  sich, 
dass  damals  unter  dem  'Bild  ainer  Göttin  mit  gibsin  Kopf  die  merk- 
würdige Statue  einer  Athene  im  streng  hieratischen  Styl  erworben  ward, 
welche  später  in  das  Kamin  unter  das  alte  Gerumpel  geworfen  und 
daraus  erst  in  neuerer  Zeit  wieder  hervorgezogen  wurde  (V).  Denn  eben 
dieser  Umstand  und  der  gypsene  Kopf,  den  diese  Statue  früher  trug, 
machen  es  sehr  unwahrscheinlich,  dass  dieselbe  erst  unter  Karl  Theodor 
oder  König  Maximilian  I,  nach  München  gekommen   sein  soll. 

Weit  geringeren  Werth  als  die  von  Strada  gemachten  Erwerbungen 
haben  jene  Ankäufe,  welche  ein  gewisser  Stoppio  in  Venedig  besorgte. 
Dort  hatten  nämlich  viele  unter  den  Nobili  kleinere  Kunstgallerien  von 
ihren  Ahnen  ererbt,  die  jetzt  bei  dem  immer  zunehmenden  Zerfall  der 
Wohlhabenheit  der  edlen  Geschlechter  feil  stunden,  und  dorthin  wurden 
auch  zu  Schiff  von  Morea  und  Greta  Kunstwerke  mancherlei  Art  ge- 
bracht.    Jener  Stoppio  aber  war  einer  jener  gewissenlosen  italienischen 


369 

Unterhändler,  der  andere  stets  herabsetzte,  von  sich  das  grösste  Auf- 
heben machte ,  in  der  That  aber  nichts  wusste  noch  leistete ,  sondern 
nur  den  Herzog  um  sein  Geld  prellte.  Wie  schlecht  es  mit  Ankäufen 
bestellt  war,  die  in  seine  Hände  gelegt  waren,  sieht  man  schon  daraus, 
dass  es  ihm  z,  B.  gar  nicht  darauf  ankam  einen  Tiberius  mit  einem 
Antoninus  zu  verwechseln,  und  dass  er  Köpfe  von  Priamus  Dido  Helena, 
von  was  man  nur  wünschte,  anbot.  Selbst  als  der  Herzog  seinen  Un- 
muth  über  die  schändlichen  Betrügereien  der  beiden  ersten  Sendungen 
nicht  zurückhielt  und  ihm  irgend  einen  neuen  Ankauf  ohne  seinen  aus- 
drücklichen Befehl  zu  machen  verbot,  wusste  der  verschlagene  Italiener 
unter  den  nichtswürdigsten  Vorspiegelungen  die  Kunstliebe  des  Herzogs 
zu  reizen  und  ihm  neue  Geldmittel  abzupressen.  Nach  Briefen  des 
Herzogs  befanden  sich  unter  den  von  ihm  herausgeschickten  Antiqui- 
täten eine  grosse  Anzahl  von  blossen  Nachbildungen,  und  selbst  diese 
waren  noch  nicht  einmal  von  Marmor,  sondern  von  Gyps.  Wir  können 
daher  füglich  einen  Theil  der  Erwerbungen  jenes  Stoppio  in  jenen  Zopf- 
gestalten wieder  finden,  die  jetzt  zum  grössten  Theil  in  die  Rumpel- 
kammer gebracht  sind.  Möglicher  Weise  befanden  sich  aber  auch  unter 
denselben  ein  und  das  andere  gute  Stück ,  das  später  in  den  Nischen 
aufgestellt  oder  an  den  Seitenwänden  angebracht  wurde.  Aber  einen 
Anhaltspunkt  zur  Bestimmung  derselben  bieten  dabei  die  unsinnigen 
Verzeichnisse  des  Stoppio  nicht ,  wesshalb  ich  es  für  unnütz  gehalten 
habe  dieselben  nochmals  abdrucken  zu  lassen. 

Das  sind  die  grossen  Ankäufe  von  Antiken,  welche  der  Herzog 
Albrecht  V.  machen  Hess ;  ausserdem  finden  wir  in  der  Correspondenz 
noch  einzelne  kleinere  Acquisitionen  und  Schenkungen  verzeichnet.  So 
erwarb  unter  anderm  ein  gewisser  Ott  in  Venedig  um  200  Kronen  ein 
Grabmonument  für  den  Herzog,  auf  dem  die  Amazonen  in  erhabener 
Arbeit  dargestellt  waren.  Der  Käufer  that  damit  sehr  geheim  und 
wichtig,  leider  aber  hat  sich  von  demselben  keine  Spur  mehr  erhalten. 
Auch  von  Constantinopel  brachte  ein  Kaufmann  Ross  dem  Herzog  eine 
Schüssel  von  terra  sigillata  mit,  auf  der  sich  aber  keine  weitere  Dar- 
stellung befunden  zu  haben  scheint. 

In  den  letzten  Jahren  seiner  Regierung  wandte  sich  der  Fürst,  als 
sein  Schatz  durch  die  verschwenderischen  Ankäufe  bereits  erschöpft  war, 


370 

an  weltliche  und  geistliche  Würdenträger  mit  dem  Ersuchen,  durch  Ver- 
ehrungen von  Kunstwerken  zur  Verherrlichung  und  Vergrösserung  seiner 
Sammlung  etwas  beizutragen.  Aber  die  röniischen  Cardiuäle  scheinen 
harthörig  gewesen  zu  sein  und  mit  ihren  Geschenken  sehr  zurückgehalten 
zu  haben.  Von  besonderem  Interesse  ist  es  dabei,  dass  dem  Herzoff 
auch  eine  von  Michel  Angelo  gefertigte  Copie  der  Büste  des  Scipio 
Africanus  von  dem  Cardinal  von  Trient  versprochen  wurde  (VI).  Aber 
auch  bei  ihr  scheint  es  bei  dem  Versprechen  geblieben  zu  sein;  denn 
unter  einem  der  Köpfe  der  Seitenwand  ist  zwar  die  Inschrift  P.  Cor- 
nelius Scipio  Africanus  angebracht;  aber  derselbe  trägt  keines  der  be- 
kannten Merkmale  des  Kopfes  von  jenem  berühmten  Kömer,  weder  das 
glatt  abgeschorene  Haupthaar  noch  die  Narbe  über  den  Schläfen ,  und 
ist  überdiess  nicht  von  neuem  sondern  von  antikem  Meisel  gearbeitet. 
Diese  Sculpturen  und  was  sonst  noch  Herzog  Albrecht  V.  aufkaufen 
oder  anfertigen  Hess,  ohne  dass  sich  eine  Aufzeichnung  davon  in  jenen 
Papieren  findet,  ward  vorläufig  bunt  durcheinander  zusammengestellt, 
um  später  in  einem  eigenen  Museum  eine  passende  Aufstellung  zu  er- 
halten. Denn  die  Kunstkammer,  auf  deren  glänzenden  Ausbau  der 
Herzog  seine  ganze  Aufmerksamkeit  richtete ,  war  zur  Aufnahme  jener 
'Sculpturen  von  vorneherein  nicht  angelegt.  Die  Errichtung  eines  An- 
tikenmuseums war  dem  Herzog  Maximilian  vorbehalten,  der  bei  dem 
erweiterten  Ausbau  der  Residenz  einen  herrlichen  Saal  im  schönsten 
Renaissancestyl  zur  Aufstellung  der  antiken  Marmorwerke  bestimmte. 
In  Urkunden  und  Büchern  aus  der  Zeit  jenes  Fürsten  trägt  dieser  Saal 
schon  den  Namen  Antiquarium,  und  dass  derselbe  schon  bei  seiner  An- 
lage zu  dem  bezeichneten  Zwecke  bestimmt  war ,  zeigt  die  über  dem 
Haupteingang  angebrachte  Inschrift  SACRAE  VETVSTATI  DICATVM. 
Die  Mehrzahl  der  Kunstwerke  nun ,  und  zwar  gerade  der  bessere  Theil 
derselben,  ward  zur  dekorativen  Ausschmückung  des  Saales  verwandt, 
was  den  grossen  Nachtheil  hat,  dass  von  den  Statuen  die  Rückseite 
nicht  leicht  gesehen  werden  kann ,  und  eine  Aenderung  in  der  ver- 
kehrten Aufstellung  der  Statuen  und  Büsten  nicht  möglich  ist,  ohne 
den  ganzen  Charakter  des  Baus  zu  alteriren.  Ueberdiess  waren  ja  nur 
wenige  ganze  Brustbilder  und  noch  wenigere  ganze  Figuren  aus  Italien 
gebracht    worden;    es  galt  also   zuerst    die    vielen    verstümmelten  Köpfe 


371 

zu  ergänzen  und  aus  den  vielen  Bottichen  und  Köpfen  erst  ganze  Fi- 
guren zusammenzufügen,  oder  durch  sonstige  Restaurationen  zu  gewinnen. 
Diese  Ergänzungen  konnten  aber  kaum  unkundiger  und  ungeschickter 
gemacht  werden;  nur  zur  Ergänzung  der  Brust  an  den  Büsten  verwen- 
dete man  wenigstens  zum  grössten  Theil  Marmor,  zu  allen  übrigen  Er- 
gänzungen bediente  man  sich  einer  Gypsmasse.  Aber  über  das  Material 
Hesse  sich  noch  eher  hinwegsehen ,  wenn  nicht  die  Ausführung  gar  zu 
schlecht  und  unwissend  wäre ;  namentlich  sind  zwei  Apollo  mit  der  Geige 
in  der  Hand,  von  denen  nur  der  Leib  alt  ist,  wahrhaft  abschreckende 
Zerrgestalten.  Dazu  kömmt,  dass  man  viele  Statuen  und  Köpfe,  um 
den  Unterschied  des  kleinen  alten  Theils  und  der  vielen  neuen  Zusätze 
zu  verdecken,  entweder  mit  einer  schwarzen  P'arbe  überzogen,  oder  ge- 
radezu mit  Tünche  angestrichen  hat.  Was  die  Anordnung  und  Auf- 
stellung im  Einzelnen  anbelangt,  so  hat  man  in  den  Nischen  zwischen 
den  Fensterbögen  und  zu  beiden  Seiten  des  llaupteingangs  und  des 
gegenüberliegenden  Kamins  die  zum  grössten  Theil  ergänzten  Statuen 
aufgestellt,  unter  denen  eine  Ephesische  Diana,  ein  tanzender  Satyr, 
eine  Muse,  ein  Merkur  und  Marc  Aurel  die  bedeutendsten  sind  (VII). 
Unter  den  Fenstern  wurden  in  zwei  Reihen  übereinander  je  drei  männ- 
liche und  drei  weibliche  Brustbilder  längs  der  Seiten  wände  vertheilt; 
andere  Büsten  von  untergeordnetem  Werthe  füllen  die  kleinen  Nischen 
zwischen  den  Ansätzen  der  Bögen  und  an  den  beiden  Schmalseiten  des 
Saales.  Was  sich  so  nicht  unterbringen  Hess,  fand  seine  Stelle  auf  den 
Marmorsitzen  der  beiden  Langseiten  und  im  Saale  selbst,  darunter  be- 
fanden sich  namentlich  die  kleineren  Statuetten,  welche  in  die  grossen 
Nischen  nicht  passten,  und  die  zahlreichen  Lamjjen  und  Vasen  von 
Marmor  und  Alabaster,  von  denen  jedoch  keine  von  antikem  Ursprung 
zu  sein  scheint.  Am  meisten  Aufmerksamkeit  und  Bewunderung  unter 
allen  Gegenständen  des  Antiquariums  fanden  in  jenen  Zeiten  die  unter 
den  Fenstern  aufgestellten  Büsten  von  berühmten  Männern  und  Frauen 
des  Alterthums.  Sicherlich  aber  waren  es  nicht  die  Bildwerke  selbst, 
sondern  nur  die  darunter  gesetzten  Namen,  die  so  lange  dem  Zuschauer 
imponirten.  Denn  der  Kunstwerth  der  meisten  jener  Brustbilder  ist  ein 
sehr  unbedeutender,  und  namentlich  ist  von  der  Mehrzahl  der  Frauen- 
köpfe nur  ein  ganz  kleiner  Theil  antik  und  von  Marmor.  Moderne 
Abb.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X,  Bd.  II.  Abth.  5 1 


372 

Copien  von  antiken  Originalen  sind  darunter  nur  wenige,  indem  aller- 
dings die  männlichen  Köpfe  mit  wenigen  Ausnahmen  aus  dem  Alterthum, 
wenn  auch  aus  einer  schlechten  Kunstperiode  herrühren;  indess  begegnen 
uns  doch,  wie  bemerkt,  auch  einige  moderne  Nachahmungen  in  Marmor 
sowohl  wie  in  Erz (VIII).  Trotz  des  vielen  Geldes  nämlich,  welches 
Herzog  Albrecht  V.  auf  die  Erwerbungen  von  Antiken  verwandt  hatte, 
scheint  es  doch  an  grösseren  Köpfen  gefehlt  zu  haben,  die  man  an 
jenen  Stellen  passend  hätte  anbringen  können,  wesshalb  frisch  angefer- 
tigte Copien  die  Lücken  ausfüllen  mussten.  Den  grössten  Humbug 
hatte  aber  der  damalige  Antiquarius  Schölling  mit  den  unter  den  Büsten 
in  Goldbuchstaben  geschriebenen  Namen  getrieben,  indem  kaum  12  unter 
den  192  Büsten  den  darunter  geschriebenen  Personen  entsprechen.  Es 
galt  eben  einmal  —  denn  ob  die  Idee  von  Schölling  ausging  oder  dem- 
selben aufoctroyirt  war ,  lässt  sich  nicht  entscheiden  —  eine  Gallerie 
von  berühmten  Kaisern,  Kaiserinnen  und  Feldherrn  des  Alterthums  her- 
zustellen, und  da  wurden  ohne  weiteres  Bedenken  berühmte,  oder  doch 
für  berühmt  gehaltene  Namen  unter  die  verschiedenen  Brustbilder  ver- 
theilt.  Am  nachlässigsten  verfuhr  Schölling  bei  den  höher  gestellten 
und  desshalb  auch  der  genaueren  Beobachtung  mehr  entrückten  Büsten 
von  Frauen,  indem  darunter  nicht  blos  Namen  von  Kaiserinnen  vor- 
kommen, die  gar  nicht  existirten,  sondern  auch  unter  eine  moderne 
Bronzebüste,  auf  deren  unterem  Theile  der  Name  DIDIA  deutlich  ein- 
gegraben ist,  sich  ein  ganz  anderer  Titel  LOLLIA  CALIGULAE  UXOR 
gesetzt  findet.  In  der  Bezeichnung  der  männlichen  Köpfe  war  zwar 
Schölling  etwas  vorsichtiger,  doch  vermochte  er  auch  hier  nicht  Köpfe 
von  ganz  verschiedenem  Kunstcharakter  auseinander  zu  halten  und  glaubte 
griechischen  Köpfen  von  Philosophen  und  Dichtern  eine  Ehre  zu  erweisen, 
wenn  er  darunter  den  Namen  irgend  eines  späten  römischen  Kaisers 
setzte.  Die  Schuld  dieser  Verkehrtheit  darf  durchaus  nicht  auf  die  ita- 
lienischen Unterhändler  am  wenigsten  auf  Strada  geladen  werden.  Denn 
der  hatte  weit  bessere  Kenntnisse  in  der  Ikonographie  und  Kunstge- 
schichte, wie  sich  noch  speziell  an  einem  dem  Lucius  Verus  nicht  un- 
ähnlichem Kopfe  nachweisen  lässt,  dessen  wahrscheinliche  Benennung 
Strada  mit  Bleistift  an  der  Seite  bemerkt  hat,  den  aber  der  Antiquarius 
unter  Herzog  Maximilian  Marcus  Aemilius  Lepidus  taufte.     Merkwürdiger 


373 

Weise  nahm  man  lange  Zeit  an  diesen  total  falschen  Bezeichnungen  gar 
keinen  Anstand,  sondern  schwur  auf  sie  wie  auf  das  Evangelium.  Bälde 
dichtete  sogar  in  gläubigster  Befangenheit  auf  die  Büsten  der  grossen 
Männer  im  Antiquarium  eine  schwungvolle  Ode  (Silv.  1.  V.  od.  V),  in  der 
Romulus  Ancus  Brutus  und  Nero  eine  Hauptrolle  spielen. 

Bronzen  waren,  die  erwähnten  Büsten  an  den  Seitenwänden  abge- 
rechnet, in  den  Räumen  des  Antiquariums  anfänglich  nicht  aufgestellt; 
da  aber  ein  Theil  derselben  zu  den  von  Albrecht  V.  erworbenen  Antiken 
gehörte,  und  seit  dem  Jahre  1808  das  Antiquarium  auch  die  Bronzen 
in  seine  Räume  aufgenommen  hat,  so  will  ich  schliesslich  auch  noch 
von  der  Geschichte  jener  Bronzen  dasjenige  mittheilen,  was  ich  ermit- 
teln konnte.  An  Bronzen  hatten  die  Unterhändler  Strada,  Stoppio, 
Castellino,  so  viel  wir  aus  den  Verzeichnissen  ihrer  Erwerbungen  ersehen, 
nur  weniges  gekauft.  Andere  Bronzen  waren  sicherlich  bei  den  bedeu- 
tenden Acquisitionen  von  Medaglien  inbegriffen,  welche  der  Herzog  in 
seinen  späteren  Lebensjahren  mit  viel  leidenschaftlicherem  Hange  betrieb. 
Diese  Bronzen  sollten  mit  den  Münzen,  Gemmen  und  Gemälden  die  Säle 
der  Kunstkammer  zieren,  deren  Bau  und  Ausmalung  dem  Architekten 
Strada  übertragen  war.  lieber  den  Inhalt  der  Kunstkammer  aber  sind 
wir  weit  besser  als  über  das  Antiquarium  durch  den  Katalog  von  Fickler 
unterrichtet,  den  ich  oben  schon  erwähnt  habe.  In  demselben  füllen 
die  Bronzen,  oder  genauer  gesprochen,  die  metallenen  Stücke,  die  Num- 
mern 2293  bis  2586  aus.  Darunter  befinden  sich  einige  in  Bayern 
selbst  gefundene  germanische  und  römische  Alterthümer,  ferner  eine 
ziemlich  grosse  Anzahl  von  solchen  Bronzen,  die  ausdrücklich  als  antik 
ohne  Angabe  ihrer  Herkunft  oder  ihres  Fundortes  bezeichnet  sind,  und 
endlich  eine  Menge  von  Stücken ,  welche  man  selbst  damals  in  jenen 
unkritischen  Zeiten  nicht  als  acht  zu  bezeichnen  wagte.  Die  Beschrei- 
bung der  einzelnen  Stücke  ist  ziemlich  eingehend  und  genau,  nur  fehlen 
leider  die  für  die  Wiedererkennung  so  wichtigen  Angaben  der  Grössen- 
maasse. 

Der  Kunstkammer  drohten  bald  grosse  Verluste  in  dem  dreissig- 
jährigen  Kriege,  indem  die  Schweden  bei  der  Einnahme  der  Stadt  im 
Jahre  1632  auch  die  Residenz  und  hauptsächlich  die  Räume  der  Kunst- 
kammer plünderten.     Vieles  wurde  damals  in  der  Stadt  verzettelt,  was 

51* 


374 

eine  später  von  dem  Cliurfürsten  eingesetzte  Commission  nicht  mehr 
aufzufinden  vermochte,  vieles  aber  auch  von  dem  Herzog  Wilhelm  von 
Weimar  in  seine  Schlösser  nach  Thüringen  geschleppt  (IX).  Aber  immerhin 
gibt  uns  die  Schilderung  Pallavicino's  vom  Jahre  1667  noch  einen  hohen 
Begrift'  von  dem  Glanz  und  dem  Reichthum  der  Kunstkammer.  Den 
eigentlichen  Ruin  fand  diese  mehr  grossartige  als  werthvolle  Sammlung 
erst  in  den  Regierungsjahren  des  Churfürsten  Max  Emanuel.  Denn 
unter  ihm  wurden  nicht  blos  bedeutende  Theile  der  Sanmilung,  nament- 
lich von  alten  Münzen  verpfändet  und  verkauft,  es  wurden  auch  im 
Jahre  1704  vor  dem  Anmarsch  der  Oesterreicher  alle  transportablen 
Schätze  der  Kunstkammer  verpackt  und  in  entlegenen  Städten  in  Sicher- 
heit gebracht.  Diese  Kisten  sind  zwar  sicherlich  nicht  alle  ganz  ver- 
loren gegangen,  aber  nur  weniges  scheint  in  die  Kunstkammer  zurück- 
gekommen zu  sein.  Denn  von  nun  an  verschwindet  so  ziemlich  der 
Name  der  einst  so  gefeierten  Kunstkammer ;  in  den  Hofrechnungen  wird 
sie  zwar  noch  lange  fortgeführt,  aber  ein  stets  wiederkehrendes  Null 
bei  diesem  Posten  zeigt,  dass  man  weder  auf  ihre  Vermehrung,  noch 
ihre  Erhaltung  etwas  verwandte.  Im  Jahre  1729  war  sie  schon  derart 
verschollen,  dass  Keyssler  in  seinen  Reisen  durch  Deutschland  ihrer 
unter  den  Münchener  Sehenswürdigkeiten  gar  keine  Erwähnung  thut. 
Was  von  Bronzen  sich  in  derselben  noch  fand,  wissen  wir  genau  aus 
einem  im  hiesigen  Archivsconservatorium  aufbewahrten  Inventarium  der 
Kunstkammer  vom  Jahre  1778.  Danach  befanden  sich  damals  in  der- 
selben nur  noch  etliche  zwanzig  Stück  von  Bronz  oder  Messing,  die 
alle  zusammen  zu  noch  nicht  100  Gulden  geschätzt  wurden.  Die  zwei 
bedeutendsten  unter  ihnen,  die  Copien  der  Ringer  {avfmXsxofisvoi)  in 
Florenz  und  des  Farnesischen  Stieres  besitzt  jetzt  das  Antiquarium ; 
wohin  die  übrigen  gekommen ,  vermag  ich  nicht  zu  sagen ,  ist  auch  in 
der  That  ohne  alles  Interesse. 

Räthselhafter  Weise  befinden  sich  aber  in  dem  Antiquarium  noch 
mehrere  Bronzen,  die  sich  in  den  Zeiten  des  Churfürsten  Max  in  der 
Kunstkammer  befunden  hatten ,  die  aber  in  den  erwähnten  Inventaren 
von  1778  nicht  mehr  aufgeführt  sind.  Wahrscheinlich  waren  dieselben 
unter  Max  Emanuel  an  einen  andern  Ort  gewandert,  und  wurden  erst 
im    Anfange    dieses    Jahrhunders    mit    Bronzen    anderer    Sammlungen    in 


375 

das  Antiquarium  übergesiedelt,  lieber  ihre  Identität  mit  den  ehema- 
ligen Stücken  der  Kunstkammer  kann  kein  Zweifel  obwalten ,  da  uns 
hierüber  der  Katalog  von  Fickler  vollständig  aufklärt.  Ich  habe  näm- 
lich um  dieses  Sachverhältniss  aufzuklären  und  festzustellen ,  den  be- 
treffenden Abschnitt  jenes  Kataloges  genau  durchgegangen,  und  bin  da 
zunächst  auf  zwei  Stücke  gestossen ,  die  einen  festen  Anhaltspunkt  an 
die  Hand  gaben.  Das  eine  war  ein  Postament  mit  der  griechischen 
Inschrift  O  MEOYJOTHI  JI0NY202,  das  andere  ein  Kopf,  der  als  Lampe 
diente,  und  in  den  man  das  Oel  durch  eine  als  Klappe  dienende  Haar- 
locke hineinschüttete.  Diese  beiden  Stücke  Hessen  sich  unter  den  heu- 
tigen Bronzen  des  Antiquariums  nicht  wohl  verkennen ,  wiewohl  ich  be- 
merken muss ,  dass  jenes  Postament  ehemals  ein  'beklaidt  und  gekrönt 
Weibsbild^  heutzutage  aber  einen  Merkur  trägt.  Nachdem  ich  nun  aber 
so  einmal  die  feste  Ueberzeugung  gewonnen  hatte,  dass  das  Antiquarium 
noch  heute  Reste  jener  Bronzeabtheilung  der  alten  Kunstkammer  berge, 
gelang  es  mir  bei  wiederholter  Durchsicht  noch  eine  Reihe  von  Bronzen 
des  Antiquariums  auf  Numern  des  Fickler'schen  Verzeichnisses  zurück- 
zuführen. Den  vollständigen  Bestand  des  Restes  der  alten  Kunstkammer 
zu  ermitteln,  glückte  mir  aber  erst  durch  eine  Wahrnehmung,  die  sich 
mir  im  Verlaufe  der  Untersuchung  aufdrängte.  Die  grossen  Bronze- 
büsten des  Antiquariums  nämlich,  von  denen  ich  oben  Erwähnung  ge- 
than  habe,  sind  sämmtlich  schwarz  angestrichen,  mit  derselben  schwarzen 
Farbe  waren  ferner  sämmtliche  kleineren  Bronzen  überzogen ,  deren 
Vorkommen  in  dem  Katalog  von  Fickler  ich  erkannt  hatte ,  endlich 
hatte  der  Churfürst  Maximilian  in  einem  Schreiben  an  Pappenheim  (IX) 
ausdrücklich  als  Kennzeichen  des  aus  der  Kunstkammer  entwendeten 
Brustbildes  einer  Frau  die  schwarze  Farbe  bezeichnet.  Also,  so  schloss 
ich,  müssen  alle  Bronzen  aus  der  Kunstkammer  schwarz  angestrichen 
gewesen  sein ,  und  nachdem  ich  nun  eine  Aussonderung  sämmtlicher 
schwarz  angestrichener  Bronzen  vorgenommen  hatte,  fand  ich  auch  die 
Richtigkeit  jener  Annahme  an  der  Hand  des  Kataloges  von  Fickler  be- 
stätigt. Es  stammen  somit  beiläufig  30  Bronzen  des  Antiquariums  aus 
der  Kunstkammer  und  demnach  auch  wahrscheinlich  aus  den  alten  Er- 
werbungen des  Herzogs  Albrecht  V.  Von  hervorragender  Bedeutung 
ist   keine    von   ihnen;    ob    wenigstens    die    eine    oder   andere  von    ihnen 


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0(  b 

acht,  das  ist  antik,  sei,  wage  ich  nicht  zu  behaupten  (X).  Die  Bronze- 
statuette des  Diskobol  findet  sich  bestimmt  nicht  darunter,  so  dass  also 
von  einer  Erwerbung  desselben  im  16.  oder  auch  nur  17.  Jahrhundert 
keine  Rede  sein  kann. 

Die  so  gewonnenen  Resultate  der  Untersuchung  waren  nun  desshalb 
noch  von  einer  besonderen  Wichtigkeit,  weil  sie  die  Anzeigen  von  einer 
grösseren  bedeutenderen  Erwerbung  lieferten,  deren  Andenken  bisher 
ganz  verschollen  war.  Zieht  man  nämlich  diejenigen  Gegenstände  ab, 
welche  seit  dem  Jahre  1808  erworben  sind,  und  über  deren  Erwerbung 
uns  noch  genaue  Nachrichten  zu  Gebote  stehen,  und  ferner  diejenigen, 
welche  aus  den  Ankäufen  Albrecht  V.  herrühren,  so  bleibt  noch  eine 
ziemlich  bedeutende  Anzahl  von  Kunstwerken  übrig,  welche  die  eigent- 
lichen Perlen  der  Sammlung  im  königlichen  Antiquarium  bilden  und 
ebenso  sehr  durch  ihr  künstlerisches  Interesse,  als  durch  Vollendung 
ihrer  Form  unsere  Aufmerksamkeit  auf  sich  lenken.  Es  besteht  dieser 
Theil  der  Sammlung  theils  aus  Bronzen,  theils  aus  Marmorwerken,  welche 
sich  von  den  mittelmässigen  und  zum  grössten  Theil  roh  zusammen- 
geflickten Erwerbungen  Albrecht  V.  auf  das  vorth eilhafteste  abheben. 
Unter  den  Bronzen  sind  am  vorzüglichsten  eine  Pallas  im  strengen  er- 
habenen Styl ,  ein  Herkules  in  gedrungener  aber  jugendlicher  Haltung, 
ein  Zeus  mit  sanftem  Gesichtsausdruck  und  von  feinster  Modellirung, 
ein  Apollo  mit  dem  Lamm  in  der  Hand  in  herbem  ägyptisirenden  Styl, 
ein  Diskobol  in  verschränkter  Stellung  mit  seitwärts  gewandtem  Gesicht, 
ein  sich  kitzelnder  Satyr  mit  vorgestrecktem  linken  Fuss  und  einem 
Rhyton  in  der  rückwärts  gewandten  Linken,  eine  Venus  mit  Attributen 
der  Isis,  ein  jugendlicher  Poccilator  in  halb  tanzender  Stellung,  ein 
kleiner  vortrefflicher  Kopf  des  Cäsar,  eine  reizende  aber  schwerlich  an- 
tike Reliefdarstellung  der  von  dem  Widder  getragenen  Helle,  und  die 
Platte  eines  Weihrauchkästchens  mit  einem  von  zwei  Centauren  gehal- 
tenen Kranz  von  Fruchthörnern.  Ausserdem  befinden  sich  unter  den 
Bronzen  noch  eine  Menge  von  Herkulesstatuetten  mit  Keule  und  Löwen- 
haut und  von  Priesterinnen  mit  der  Opferschale  in  der  vorgehaltenen 
Rechten,  viele  Figürchen  des  Merkur,  der  Minerva  und  der  Fortuna, 
einige  etrurische  Spiegel,  mehrere  Henkel  mit  Widderköpfen,  der  Griff 
einer  Cista  und  ähnliche  Dinge  (XI). 


I 


377 

Unter  den  Marmorarbeiten  begegnen  uns  allerdings  viele  mehr  oder 
minder  freie  Nachahmungen  antiker  Kunstwerke,  wie  ein  dornausziehen- 
der Knabe,  eine  säugende  Wölfin  mit  Remus  und  Romulus,  ein  liegender 
Genius  des  Schlafes,  eine  Europa  auf  dem  Stier,  ein  auf  dem  Schlauche 
liegender  Bacchus  mit  einem  Panther,  der  einen  Kantharus  in  seinen 
Tatzen  hält,  eine  sitzende  Nymphe  neben  einem  flötenspielenden  Pan, 
ein  bogenspannender  Cupido,  eine  grosse  Marmorvase  mit  wunderlichen 
Schnörkeln  und  räthselhaften  Inschriften,  und  andere  mehr.  Aber  es 
sind  darunter  auch  unzweifelhafte  Antiken  von  hohem  Werthe.  Unter 
diesen  nenne  ich  vor  allem  ein  trunkenes  Weib  mit  der  epheubekränzten 
Weinflasche  zwischen  den  Füssen,  einen  alterthümlichen  Candelaberfuss 
mit  sechs  weiblichen  Figuren,  eine  Statue  der  Spes  im  hieratischen  Styl 
und  einen  jugendlichen  Kopf  des  Paris,  von  denen  die  drei  letzten  in 
die  Glyptothek  versetzt  wurden  (Katal.-Nr.  43,  46  und  135),  um  dort 
mitten  unter  griechischen  und  ausgewählten  Sculpturen  einen  würdi- 
geren Platz  zu  haben.  Zweifeln  könnte  man  schon  eher  an  der  Aecht- 
heit  bei  einem  jüngst  von  v.  Lützow  veröffentlichten  Diskus  mit  der 
Relief  dar  Stellung  des  löwenwürgenden  und  verwundeten  Herkules  und 
einer  fein  durchgearbeiteten  Statuette  einer  ruhenden  Amazone.  Bei 
vielen  andern  Stücken,  wie  z.  B.  bei  der  oben  erwähnten  Athene  im 
hieratischen  Styl,  und  bei  den  Reliefdarstellungen  eines  von  nackten 
Knaben  dargebrachten  Opfers  und  eines  trunkenen  von  Satyren  aufge- 
richteten Herkules  bleibt  es  zweifelhaft,  ob  sie  schon  in  den  Erwer- 
bungen Albrecht  V.  einbegriffen  sind,  oder  ob  sie  erst  später  in  das 
Antiquarium  versetzt  wurden  (XII). 

Von  wem  stammen  nun  diese  Erwerbungen  her?  Diese  Frage  be- 
schäftigte mich  lange,  bis  verschiedene  Fäden  mich  zu  einem  Ziele  hin- 
führten. Von  Albrecht  V. ,  dem  Begründer  der  Antikensammlung  in 
München,  können  sie  nicht  herrühren,  dagegen  sprechen  entschieden, 
wie  wir  gesehen  haben,  die  von  dem  Herzog  gepflogenen  Correspondenzen. 
Dagegen  spricht  aber  auch  der  Charakter  jener  Kunstwerke,  deren  Aus- 
wahl ein  viel  reiferes  und  geläuterteres  Kunsturtheil  voraussetzt.  Also 
ging  meine  Vermuthung  dahin,  dass  sie  von  irgend  einem  der  nachfol- 
genden Herzöge  oder  Churfürsten  herrühren  müssten.  Um  hierüber 
genaueres  zu  ermitteln,    galt  es  die  jährlichen  Rechnungsnachweise  der 


378 

Hofkammer  nachzuschlagen,  denn  hier  mussten  die  Kosten  der  Erwer- 
bungen eingetragen  sein,  wenn  dieselben  nicht  etwa,  was  doch  ganz 
unwahrscheinlich,  einem  der  Churfürsten  sollten  zum  Geschenke  gemacht 
worden  sein.  Ich  liess  mir  auch  die  Mühe  nicht  verdriessen  sämmt- 
liche  vorhandene  Jahrgänge  der  Hofrechnungen  bis  zum  Jahr  1801 
durchzugehen,  fand  aber  hier  nirgends  was  ich  suchte.  Denn  obgleich 
unter  der  Rubrik  'Kunstkammer'  und  'gemeine  Ausgaben'  einige  kleinere 
Erwerbungen  notirt  waren,  so  fand  ich  doch  von  den  erwähnten  Kunst- 
wei'ken  nirgends  eine  Spur.  Zwar  vermochte  ich  aus  diesen  zeitrau- 
benden und  langweiligen  Nachforschungen  keinen  ganz  sicheren  Schluss 
zu  ziehen ,  weil  in  jenen  Hofrechnungen  einige  Jahrgänge  fehlten ,  also 
man  immer  annehmen  konnte,  dass  gerade  in  jene  Jahre  die  Erwer- 
bungen gefallen  seien.  Indess  über  dieses  Bedenken  hob  ein  anderer 
Umstand  glücklich  weg.  Wir  haben  nämlich  vom  Jahre  1792  Briefe 
eines  italienischen  Sprachlehrers  Alberti,  worin  von  den  Merkwürdig- 
keiten Münchens,  und  besonders  von  seinen  wissenschaftlichen  Anstalten 
und  seinen  Kunstsammlungen  gehandelt  ist.  Darin  wird  auch  des  Anti- 
quariums  mit  seinen  Büsten  und  seinen  aus  Albrecht  V.  Zeit  stammenden 
Kunstschätzen  gedacht;  von  den  zuvor  erwähnten  Bronzen  und  Sculp- 
turen  aber  ist  darin  auch  nicht  die  mindeste  Andeutung.  Und  doch 
war  Alberti  viel  zu  gut  bewandert  und  zeigte  viel  zu  guten  Geschmack, 
als  dass  ihm  so  bedeutende  Werke  hätten  entgehen  können. 

Dass  jene  Erwerbungen  wenigstens  nicht  vor  der  Zeit  Karl  Theodors 
gemacht  sein  konnten,  darauf  führten  auch  zwei  Urkunden  vom  Jahre 
1768  und  1778,  in  denen  ein  vollständiges  Inventar  von  der  Kunst- 
kammer und  der  churfürstlichen  Residenz  aufgenommen  ist.  Nach  ihnen 
fanden  sich  allerdings  in  den  churfürstlichen  Gemächern  eine  grosse 
Anzahl  von  Bronzen,  aber  von  keiner  wird  die  antike  Herkunft  ange- 
merkt und  die  meisten  waren  von  bronce  doree.  Wollte  man  aber  auch 
verwegen  genug  sein,  um  unter  den  daselbst  aufgeführten  Statuetten 
des  Jupiter  und  der  Minerva  unsere  oben  gerühmten  Bronzen  zu  ver- 
stehen, so  bleibt  es  doch  immerhin  ausser  allem  Zweifel,  dass  die  über- 
wiegende Mehrzahl  der  erwähnten  Bronzen  und  sämmtliche  oben  ge- 
nannten Marmorwerke  in  jenen  Inventarien  nicht  gefunden  werden  können. 

Auf  der  andern  Seite  gab  mir  eine  Bronze   einen  Fingerzeig,    dass 


379 

ein  Theil  wenigstens  jener  Erwerbungen  gegen  das  Ende  des  vorigen 
Jahrhunderts  gemacht  sein  müsse.  Es  hatte  nämlich  bekanntlich  im 
vorigen  Jahrhundert  der  Graf  Caylus  eine  grosse  Sammlang  von  ägyp- 
tischen, etrurischen,  griechischen  und  römischen  xilterthümer  zusammen- 
gebracht ,  die  er  in  seinem  umfangreichen  Werke :  Recueil  d'antiquites 
egyptiennes,  etrusques,  grecques,  romaines  et  gauloises.  Paris  1761 — 
1767  beschrieben  und  zum  grössten  Theil  abgebildet  hat.  Einen  Theil 
und  gerade  den  werthvollsten  seiner  Sammlung  überliess  der  edle  Graf 
schon  zu  seinen  Lebzeiten  dem  Cabinet  des  medailles,  ein  anderer  Theil 
aber  ging  nach  seinem  Tode  in  andere  Hände  über.  Dabei  muss  ein 
und  das  andere  Stück  auch  in  unsere  Sammlung  gekommen  sein ;  bei 
einigen,  wie  bei  den  Statuetten  eines  Osiris  einer  Isis  eines  Horus  eines 
Hercules  Romanus  einer  Priesterin  der  Hera  eines  Poccilator  eines  Tigers, 
könnte  dieses  in  Zweifel  gezogen  werden,  weil  sich  ähnliche  Darstellungen 
oft  wiederholt  finden;  bei  einem  Stück  aber  stimmt  Gestalt  Zeichnung 
und  Grösse  so ,  dass  jeder  Zweifel  ausgeschlossen  ist.  Es  schreibt 
nämlich  Caylus  tom  IV  pl.  LXXXVI,  1  also :  II  a  fallu  les  soins  et  l'amitie 
du   P.    Paciaudi    pour    rassembler    les    morceaux    epars    de    cette    belle 

acerra Ce  monument,  dont  il  m'a  rendu  possesseur,  est  complet 

ä  la  reserve  de  la  partie  platte,  qui  couvroit  le  dessus  et  qui  tenait  ä 
deux  mouvements  de  charniere,  dont  on  voit  encore  les  places.  La 
repetition  des  reliefs  de  ce  monument  ne  demande  que  le  dessein  et 
l'explication  de  deux  des  quatres,  dont  cette  acerra  ou  ce  thuribulum 
est  compose.  La  plaque  principale,  celle  qui  est  la  plus  ornee,  est  remplie 
par  le  buste  d'un  Romain  ....  ce  buste  est  entoure  par  deux  cornes 
d'abondance  disposees  de  facon  que  les  fieurs  et  les  fruits,  dont  elles 
sont  remplies,  couronnent  la  tete  et  que  les  deux  extremites  inferieures 
sont  renouees  par  un  ruban :  cette  espece  de  bordure  est  soutenue  par 
la  main  de  deux  Centaures  places  de  chaque  cote;  ils  ont  chacun  une 
femme  assise  sur  leur  Croupe  et  cette  attention,  qu'ils  ont  pour  soutenir 
le   Portrait,    ne  les  occupe    point  assez    pour  les  empecher    d'embrasser 

de  la  main  qui  leur  reste  libre,  ces  jeunes  Nymphes Les  Centaures 

ont  l'air  empresse,   car  on  voit  une  lyre  aux  pieds  de  Tun    et  un  cha- 
lumeau  ou  dessous  de  l'autre.  —  La  seule  difference,  que  l'on  pouisse  re- 
marquer  dans  les  deux  plaques  des  grands  cötes,  consiste  dans  le  buste; 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d  Wiss.  X.  Bd.  II.  Abth.  52 


380 

la  place ,  qu'il  occupe  sur  l'une ,  est  nue  dans  l'autre ;  mais  eile  est 
toujours  eiivironnee  des  cornes  d'abondance  et  soutenue  par  les  memes 
Centaures,  dont  l'action  et  les  attributs  sont  absolument  pareils  et 
doivent  etre  sortis  du  meme  moule.  Diese  zweite  Platte  besitzen  wir 
nun  im  Antiquarium,  und  die  üebereinstimmung  mit  der  ausführlichen 
Beschreibung  ist  so  evident,  dass  jedes  Bedenken  schwinden  muss. 

Waren  demnach  die  in  Frage  stehenden  Alterthümer  zum  Theil 
wenigstens  in  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  erworben 
worden,  findet  sich  aber  von  ihnen  in  München  selbst  in  den  neunziger 
Jahren  noch  keine  Spur,  so  müssen  dieselben  aus  der  Zeit  Karl  Theodors 
stammen  und  unter  ihm  oder  König  Maximilian  I.  von  Mannheim  über- 
ge